TRAIL Magazin #5/2020

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LAUFMEKKA: DAS CHIEMGAU / IST TRAILRUNNING ZU WEISS? / EVA'S HAUSBERGE

TRAIL MAGAZIN

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DAS LAUFMAGAZIN NR.1 FÜR TRAILRUNNER

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05 2020 September Oktober

TRAIL-TOURISMUS WIE SICH LAUFREISEN,

DEUTSCHLAND ¤ 5,80 ÖSTERREICH ¤ 6,40 SCHWEIZ SFR 9,40 LUXEMBURG ¤ 7,20 ITALIEN ¤ 8,30 SPANIEN ¤ 8,30 FRANKREICH ¤ 8,30

WWW.TRAIL-MAGAZIN.DE

MEDIZIN

COVID-19 UND DIE FOLGESCHÄDEN BEI LÄUFER*INNEN

EVENTS UND TRAIL-URLAUB IN ZUKUNFT VERÄNDERN

IM PRAXISTEST GEPRÜFT

9 SUPERLEICHTE LAUFRUCKSÄCKE 7 WASSERDICHTE REGENJACKEN

ALLES ÜBER FKTS

-DIE UMKÄMPFTEN STRECKEN -WOHER DER TREND KOMMT -TIPPS, UM REKORDE ZU BRECHEN

JETZT LOSLAUFEN! DAS GROSSE EINSTEIGER-SPEZIAL

AUSRÜSTUNG, SCHUHEMPFEHLUNGEN, LAUFTECHNIK, PROFITIPPS & TRICKS

TRAINING: SO STARTEN BEGINNER!


MADE WITH IMPROVED

GRAPHENE-GRIP THE WORLD’S TOUGHEST GRIP

NEW TERRAULTRA G 270 ULTRA RUNNING SHOE SMALL IMPROVEMENTS. BIG DIFFERENCE


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INHALT

STANDARDS EDITORIAL JOURNAL/NEWS IMPRESSUM PRAXISTEST SUPERFOOD

12 Jahre Trail 2008 - 2020

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Ein abgesagter UTMB und dann die Idee: Ich laufe mit Freunden auf den eigenen Trails – mehr als nur ein Ersatz.

Leichte und minimalistische Laufrucksäcke nennen wir RACEVESTS. Die neuen Modelle 2020 findet ihr in diesem Praxistest.

Ein Trend erobert die Welt. Wer hält die Fastest Known Time? In Zeiten ohne Events machen wir uns unsere Rennen einfach selbst.

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Diesen Monat: Denis' Kolumne, Dinge die man haben will, ZUT Virtual, das FKTBoard, ...

Reise-Redakteur Niedenthal wollte nach Schweden, aber das Virus brachte ihn an die Oder und für lange Strecken den Fluss entlang.

Der dritte Teil unserer Umfrage verrät wieder einmal spannende Meinungen von 2.500 Leser*innen.

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EVA'S HAUSBERGE

JOURNAL/NEWS

EINSTEIGER-SPEZIAL

Alles zum Trail-Einstieg: die besten Tipps und Tricks, Training, Ausrüstung, deine ersten Trailschuhe, ...

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TRAINING

Aller Anfang ist einfach: So startest du dein Training als Trailrunner sicher und beugst Verletzungen vor.

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DAS CHIEMGAU

Unser Autor hat sich von den Bergen so lange bezirzen lassen bis er nicht mehr anders konnte – über das Ankommen im Chiemgau und die ersten Läufe in diesem Traumrevier.

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TEST: REGENJACKEN

Leicht und trotzdem komplett wasserdicht: Wir haben die neuen Regenschutzjacken getestet und sagen, welche unbedingt mit auf Tour müssen.

TEST: RACE VESTS

REISE, REISE

FKT-SPEZIAL

LESERUMFRAGE

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SACHSENTRAIL

TYPEN

Alle nennen ihn Murphy und er hat aus dem Laufen seine eigene Kunst gemacht. Über einen, der von Berlin aus Trailrunner wird.

Viele sagten ihre Rennen ab und veranstalteten "Virtual Editions". Der Sachsentrail war das erste Rennen nach den Beschränkungen, das analog stattfinden konnte.

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Welche Gefahren bringt eine CoronaInfektion für Läufer*innen mit sich? Welche langfristigen Folgen können sich ergeben?

Dynafit, La Sportiva, Trailbutter, T8 Shorts, Patagonia, ...

COVID-19

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PRAXISTEST

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#BLACKLIVEMATTERS

GRAT-SCHAU

Die schönsten Grat-Läufe der Alpen. Vom Allgäu bis nach Italien auf schmalen Trails mit viel Fernsicht.

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Wieso ist unser Trail-Sport so weiß? Dieser Frage geht der Autor nach und findet Antworten.

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SUPERFOOD

TRAIL-TOURISMUS

Wie geht es nach der Krise weiter? Wird es wieder Wettkämpfe geben? Werden wir anders reisen? Verändert sich unsere Mobilität?

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Haferflocken. Ganz einfach. Die Mama hat es aufgetischt und es war okay. Heute sind sie eigentlich nicht mehr wegzudenken und so essenziel wie die Trailschuhe selbst.


EDITORIAL Liebe Leser*innen,

DENIS WISCHNIEWSKI

diese Ausgabe hat zwei Anliegen: diejenigen, die mit Trailrunning beginnen oder erst vor Kurzem damit begonnen haben, ermutigen dabeizubleiben, sie zu motivieren und ihnen Tipps zu geben. Und diejenigen, die das Heft schon länger lesen, mehr oder weniger Profis sind, weiter gut zu unterhalten und ihnen vielleicht das ein oder andere mit auf den Trail zu geben, was sie noch nicht mitbekommen haben. Ein Heft für Einsteiger, Fortgeschrittene und Profis. Tatsächlich macht Trailrunning eigentlich gar keine Unterschiede zwischen denen, die dazukommen und denen, die schon dabei sind. Das ist das unerklärlich Schöne an diesem Sport, dass ein Trail, ein Berg, die Distanz, die Höhenmeter immer anders und doch so gleich sind für alle, die darauf laufen. Auf fast 20 Seiten finden in unserem Einsteiger-Spezial garantiert auch Experten noch interessante Inhalte. Gleichzeitig werden auch Beginner*innen auf den kommenden Seiten in all den offensichtlich anspruchsvollen Geschichten Inspirationen finden, und Ziele, die zunächst vielleicht unerreichbar erscheinen, aber ganz sicher träumen lassen. Ein Trend, der durch die Pandemie ganz sicher gefördert wurde, steckt ebenso in diesem Heft und hat nur drei Buchstaben. Wir erklären das Laufsport-Phänomen "FKT - Fastest Known Time", wie es sich genau definiert, wie man mitmacht und vielleicht die ein oder andere Bestzeit sogar schlagen kann. Noch nie war Trailrunning auch ohne Wettkämpfe im "Ich-renne-so-schnell-es-geht“-Modus. Viel Spaß mit dieser Ausgabe

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4 Menschen dieser Ausgabe Coree Woltering

In Zeiten, in denen wir uns fragen müssen, wie offen, unvoreingenommen und xenophil unser Laufsport überhaupt ist, rennt ein junger, homosexueller, schwarzer US-Amerikaner in Rekordzeit über den Ice Age Trail und gibt damit eigentlich schon die beste Antwort. Seite 69.

Johannes Schmid

hat keine Geringere als seine Lebensgefährtin Eva Sperger auf einem "Hausberge-100-Kilometer-Trail" begleitet und dabei festgestellt, dass er seine große Liebe ab Kilometer 80 nicht mehr halten kann. S. 6

Ness Itoua-Ayessa

hat als Jugendlicher im Kongo mit dem Laufen begonnen. Längst in Berlin lebend, ist der Referent von Brot für die Welt noch viel zu oft der einzige Afro-Deutsche bei Trail-Rennen. S. 94

Dr. Annika Roecker

Die promovierte Biochemikerin arbeitet zur Zeit als Volontärin in der Redaktion bei Spektrum.de und hat sich für uns dem Thema "Covid-19" angenommen und der Frage, wie wir als Sportler mit dem Virus umgehen sollen und was wir darüber wissen müssen. S. 62


FOTOSTORY HAUSBERGE & FREUNDE Text: JOHANNES SCHMID Fotos: HENDRIK AUF´MKOLK

Alle für eine.

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Eva Sperger lief in diesem Juni 100 km von Füssen nach Lenggries– nicht alleine, sondern zusammen mit Freunden. Dieser Fakt nämlich ist der besten deutschen Trailrunnerin im Rückblick auf diese außergewöhnliche „Schnapsidee“ am wichtigsten.

Schnapsidee: Eva Sperger und ihre Crew auf einem langen Weg mit oft kurzen Schritten

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R AC E

DER WATZMANN UND SEINE KÖNIGE

Fotos: Philipp Reiter, Philipp Freund

JOURNALNEWS

Die Watzmann-Saga erzählt von einem bösen König und stammt aus einer Zeit, in der Berge noch angsteinflößende Riesen waren. Wenig Furcht scheint übrig geblieben zu sein bei den beiden Protagonisten dieses überaus packenden FKT- Duells ...

Knapp 2000 Höhenmeter sind auf dem steilen Anstieg zum Hocheck zu überwinden. Erst auf klassichen Singletrails bis zum Watzmannhaus, dann über Felsplatten hinauf zum ersten Gipfel des Watzmanns. Auf dem Grat selbst über die Watzmann-Mittelspitze bis zur Südspitze ist weniger die Ausdauer als das technische Geschick und das sichere Fortbewegen im leichten Klettergelände der limitierende Faktor. Ähnlich verhält es sich mit dem steilen Downhill hinunter ins Wimbachgries. Über loses Geröll geht es nahezu senkrecht hinab, bevor auf den letzten 10 Kilometern zurück zur Wimbachbrücke wieder eine große Sauerstoffaufnahmekapazität und schnelle Beine gefragt sind. Ja, die Watzmann-Überschreitung fordert den kompletten Trailrunner. Sicherlich ist dies nicht der Grund, warum sie ein so beliebtes Ziel für die Jagd auf Rekorde ist. Vielmehr ist die Watzmann Überschreitung schon seit jeher der Klassiker unter den Bergtouren der deutschen Al-

pen. Dennoch: Wer auf dieser Route eine schnelle Zeit hinlegen will, muss alle Spielarten des Trailrunnings im Repertoire haben. Anton Palzer hat diese Fähigkeiten erstmals 2018 unter Beweis gestellt, als er die Run-

de in 3 Stunden und 6 Minuten lief. Am Fuß jenes Berges aufgewachsen und zu den besten Ausdauerathleten der Welt gehörend, erschien dies nur natürlich für den Terrex Athleten. Die Frage war eher: Wer sollte da noch kommen? Am 23. Juni 2020 war es soweit. Hannes Namberger schlägt nach 3 Stunden und 2 Minuten wieder an der Wimbachbrücke auf. „Dass ich den Rekord am Watzmann brechen

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konnte macht mich richtig glücklich. Ich habe mich lange und intensiv darauf vorbereitet, und die Zeit bestätigt meine Form“, sagt der Dynafit-Athlet stolz. Lange konnte „Toni“ Palzer das nicht auf sich sitzen lassen. Keine drei Tage dauerte es, bis er den Rekord erneut unterbot. „Der Watzmann ist schon irgendwie mein Berg“, sagt er selbst und lässt daran mit der Rekordzeit von 2 Stunden und 47 Minuten keine Zweifel aufkommen. Auch wenn das Mobilisierungsund Nachahmungspotenzial in Anbetracht der ausgesetzten Route begrenzt ist und auch bleiben sollte, so faszinieren die Leistungen dieser beiden Ausnahme-Trailrunner am König Watzmann doch ungemein - auch über die Grenzen der Trailrunning-Welt hinaus. Der in Ruhpolding wohnhafte Namberger sieht das genauso und zeigt sich als fairer Sportsmann: „Tonis Berg, Tonis Rekord! Am Ende war das Ganze Top-Werbung für den Sport.“


Normally we don't ... but in diesem Fall haut uns ein Straßenschuh aus den Socken. Mindestens den Berliner Teil der Redaktion, der im ON Running Cloudboom gleich mal einen ganz privaten Landschaftsmarathon gelaufen ist. Von Stolpe nach Stettin. Nachzulesen in diesem Heft. Der Cloudboom ist der erste Carbonschuh, der leidenschaftlich flext und damit auch flexible Laufstile und -untergründe toleriert. Er ist luftig-leicht (240g /UK 9,5), überragend reaktiv und somit schnell. Gut vorstellbar zudem, dass dieses von Carbonfasern durchzogene Speedboard auch in einem Trailschuh funktioniert. Preis: 179 Euro.

Diese Rennen trotzen der Krise Rennen und Wettkämpfe waren und sind die Sonne unseres Sports. Die. um die sich alles dreht, die ihre warmen Strahlen auswerfen und uns Trailrunnern Energie und Kraft schenken. So gesehen ist die Krise eine verlängerte Sonnenfinsternis. Und das im geliebten Sommer. Ein Glück, geht es so langsam wieder los. Ein Teil der Sonne schiebt sich zurück ins Licht, einzelne Rennen finden im Spätsommer und Herbst wieder statt. Zumindest die Durchführung ist seitens der Organisatoren fest eingeplant. Garantien wird es in diesen Zeiten wohl nicht geben. Wer die ganz hohen und fast kitschig geformten Berglandschaften liebt, sollte beim Matterhorn Ultraks zwischen dem 21. und 23. August an den Start gehen. Ganze 5 Strecken stehen zur Auswahl. Darunter auch das extrem technische „Extreme“ Skyrace bis hinauf auf 3.300 Meter. Ein Ausflug ins Trailrunning-verrückte Saarland lohnt sich immer. Vom 29. bis 30. August kann man beim Hartfüssler Trail zwischen drei Distanzen von 14 über 30 bis 58 Kilometer wählen. Am Wochenende um den 12. September hat man trotz Corona die Qual der Wahl. In Tirol muss man zwischen zwei Events entscheiden. Das Innsbruck Alpine Trailrun Festival lockt mit flowigen Trails von Speed bis Ultra in die Alpenhauptstadt, während beim Mayrhofen Ultraks im Zillertal zwischen Short (15 km) Middle (30 km) und Long (50 km) gewählt werden kann. Berlin, Berlin wir rennen in Berlin! Am 20. September kann man sich auf Trails rund um die höchste natürliche Erhebung der Hauptstadt die Beine müde laufen. Der Müggelberg im grünen Stadtteil Köpenick ist Arena für den klassischen 10-Kilometer-Wettkampf sowie eine längere 18,5 Kilometer lange Runde beim Trail Run Berlin. In den wunderschönen Grasbergen der Skidestination Kitzbühel findet voraussichtlich auch dieses Jahr zum insgesamt dritten Mal der Gamstrail statt. Am 19. September warten vier stolze Distanzen zwischen 5 und 36 Kilometer darauf, erlaufen zu werden. Wer noch einmal Etappenlauf-Luft schnuppern möchte, dem sei die Swiss Trail Tour im Berner Oberland unbedingt ans Herz gelegt. Auf insgesamt 100 Kilometern aufgeteilt auf 3 Etappen lassen sich vom 18. bis 20. September die Berge und Trails rund um das Schweizer Dörfchen Lenk erkunden. Auch die Organisatoren des Gelita Trail Marathon in Heidelberg sind fest entschlossen, am 04. Oktober die Startpistole abzufeuern. Verschoben auf den 17. Oktober wurde der Chiemgau Trailrun in Marquartstein. Auf insgesamt 4 Strecken warten die Trails und Berge zwischen Chiemsee und den Gipfeln Hochplatte, Hochgern und Kampenwand darauf erobert zu werden.

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ich bin draußen beim Fußballspielen“, „Duhuu, ich bin im Jugendhaus“, „Du-huu, ich bin heute länger weg.“ Heute verabschiede ich mich nur noch selten für eine ganze Nacht, es sei denn es handelt sich um einen 100-kmLauf. Da sage ich zu meiner Frau am Start, am frühen Morgen: „Du-huu, wenn ich vor Einbruch der Dunkelheit ankomme, dann wäre das ein Wunder.“

DENIS’ KOLUMNE Mir wurde vorgeworfen, dass die Haltung des Trail Magazins gegenüber den Straßenläufern überheblich und arrogant wäre. Das tut mir leid. Das war nicht in meinem Sinne. Und dennoch will ich eine Meinung standhaft vertreten: Trailrunning ist schöner als auf der Straße herumzurennen. Das ist keine neue, überraschende Feststellung, sondern die Wahrheit. Ich kann es leider nicht ändern. Von Beginn an. Ich bin auch Straßenläufer – wer also denkt, es gäbe zwischen uns und dem Straßenlauf eine Grenze oder dicke Linie, der täuscht sich ohnehin. Es gibt nicht dieses ‚Trail vs. Straße’. Nicht bei mir und nicht bei Redakteuren von Trail. Wir alle laufen fast ebenso viel auf Asphalt wie auf Trails, weil wir einfach gerne laufen und das eben dort tun, wo es gerade geht oder wo wir sind. Es hat aber letztlich doch einen Grund, weshalb wir ein Magazin für Trailrunning und nicht für Straßenlauf machen. Es liegt daran, dass ich daran glaube, dass Trailrunning als „Laufsport“ am komplettesten ist. Trailrunning hat alle Facetten, fordert uns in der Ebene, bergauf, bergab, auf unterschiedlichen Distanzen, verlangt Speed, Kraft und manchmal viel Ausdauer. Die weltbesten Trailrunner können mit ein wenig Anpassung im Training ganz sicher einen Straßenmarathon in unter 2:20 oder gar 2:15 laufen und bekommen auch die 10.000 m auf einer Bahn ziemlich flott hin. Es ist keine Arroganz, wenn ich immer wieder und wieder schreibe, dass ihr so oft wie nur möglich diese langweilige Straße verlassen solltet. Nein. Es ist eine nette Empfehlung, ein gut gemeinter Tipp, ein herzlicher Ratschlag. Wenn ich mich von meiner Frau nach draußen verabschiede, dann sage ich in den meisten Fällen: „Du-huu, ich geh laufen.“ Ich sage nicht: „Du-huu, ich geh zum Trailrunning.“ Das Verabschieden hat sich in meinem Leben ohnehin verändert. Es war einmal „Du-huu,

Was ich eigentlich sagen möchte: Ich sage niemals „Ich gehe zum Trailrunning“, obwohl ich das genau so meine. Ich sage und werde immer sagen, dass ich zum Laufen rausgehe, was nicht bedeutet, dass es mir nicht wichtig ist, dass ich auf Trails laufe. Wo steckt denn nun der Geist in unserem Sport? Sind wirklich alle, die irgendwie laufen, diese Community? Alle, die von 5 bis 5.000 km laufen, sind eine Familie, deren Herz im gleichen Takt schlägt. Mhhhh, das ist mir leider etwas zu viel Promotion der großen Magazine und der Laufschuhindustrie. Nein, es braucht schon mehr Gemeinsamkeit, um zu dieser fast wortlosen Einigkeit mit anderen zu kommen. Bei mir funktioniert das über ganz bestimmte Dinge, Ansichten, Einsichten und Erlebnisse, die jemand anders so hatte wie ich auch. Es mag nun wiederum arrogant von mir klingen, aber es reicht nicht, wenn mir jemand erzählt, dass er leidenschaftslos seine 5 km irgendwo runterläuft, um irgendwie in Form zu sein. Es mag lobenswert sein, sich fit zu halten und die Strapazen auf sich zu nehmen, 5.000 m an einem Kanal entlangzujoggen, obwohl man das nicht gerne tut, aber ich würde mit dieser Person zumindest auf laufsportlicher Ebene keine bedeutenden emotionalen Gemeinschaftlichkeiten finden. Kein „Ohhhhh, jaaaaa, kenne ich!“ und auch kein „Ja, Wahnsinn, so ging es mir auch mal.“ Es sind immer wieder die Menschen, von denen ich weiß, dass es ihnen in bestimmten Situationen ähnlich wie mir ging, von denen ich weiß, dass sie da oben am Gipfel die gleiche Zufriedenheit empfinden und der lange Abstieg mit den großen, nassen Felsen für das gleiche Fluchen sorgte. Vermutlich sind diese immer wieder schönen und manchmal schwierigen Erlebnisse, die man teilt, der Grund, weshalb diese Trailrunner als Szene und Community so sehr funktionieren, wieso da die Ansicht der unterschiedlichsten Persönlichkeiten zusammenfinden. Und trotzdem, ja, ich gebe es natürlich zu: Am Ende sind wir alle Läufer*innen und, ja, ich finde auch mit Menschen zusammen, die ausschließlich auf der Straße laufen. Auch dort entdeckt man unglaublich beeindruckende Dinge, sieht angetrieben durch das Tempo, durch die Körperlichkeit und den rasenden Puls Sachen, die allen anderen immer verborgen bleiben werden. Wer einmal einen langen

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Lauf auf Asphalt durch eine große Stadt erlebt hat, weiß wie sehr man seine Umgebung plötzlich ganz neu erkunden kann. Also. Ich mach weiter. Ich will den Laufsport nicht in gut und schlecht, nicht in Trail und Straße teilen. Ich bin nicht der Trump des Laufsports. Aber ich will euch sagen, dass laufen auf einem Trail alles, wirklich alles hat, was man sich nur wünschen kann. Es ist - auf eine sehr einfache Art - sehr komplett. Liebe Freunde, fürs Protokoll: Ich bin ein Straßenläufer. Durch und durch. Ich laufe mit voller Hingabe auf Asphalt, auf einer Bahn, im Park, in der Stadt. Ich trage hin und wieder dabei Trailschuhe und oft Straßenlaufschuhe. Viel öfter - wann immer es eben möglich ist renne ich auf Trails, in den Bergen, im Wald. Das gibt mir alles, was ich suche.

Schwäbische Kreativität sucht Freunde Die natürliche Zehenfreiheit, die dem großen Zeh ermöglicht den Fuß zu ankern und zu stabilisieren, ist Kern-DNA der Schuhe von JOE NIMBLE. Auf der Basis von fast 40 Jahren Know-How hat Sebastian Bär, Geschäftsführer von JOE NIMBLE und selbst begeisterter Marathon-, Ultra- und Trail-Läufer, nun einen innovativen Trail-Schuh gelauncht, der sich vor allem. auf schmerzfreies Laufen konzentriert. "Das ausgeprägte Profil mit den hohen Noppen, sorgt in technisch anspruchsvollem Gelände für Schutz, Halt und Stabilität. Zusammen mit dem Zehenfreiheits-Leisten und einem innovativen Einlegesohlenkonzept aus Federstahl, ist der 'nimbleToes Trail Addict' eine echte Innovation.", so Sebastian. Der nimbleToes Trail Addict launcht Anfang August auf der Crowdfunding Plattform IndieGoGo. https://iamanaddict.run/


AKTUELL

Das FKT Board An diesem Ort sollen Trail-Läufer*innen geehrt werden, die neue Fastest Known Times aufgestellt haben. Wir haben einmal angefangen, sind uns aber sicher, dass einige starke Leistungen von unserem Radar nicht erfasst wurden. Schreibt also gerne eure FKT-Rekorde an benni@trail-magazin.de.

Golden Trail Segment: Über den Taunus auf die Azoren Der Taunus hat eine beeindruckende Karriere als Trail-Revier hingelegt. Unser Magazin war mehrmals vor Ort. Matthias Krah und der Local Tim Schrader haben sich eindrucksvoll um eine Fastest Known Time auf dem dortigen Schinderhannes Steig gebattelt. Regelmäßig starten Communityläufe zu Touren über den Altkönig und den Großen Feldberg. Jetzt kann man sich auf den Taunustrails sogar ein Ticket für das erstmalig ausgetragene Etappenrennen der Golden Trail Series auf den Azoren (29.10.–1.11.) erlaufen. Inklusive Hotel, Flug und allem. Anlässlich der Eröffnung des Salomon Stores in Frankfurt hat der Branchenführer diesen virtuellen Wettlauf ausgelobt. Für den und die jeweils Wochenschnellste*n gibt es zudem ein paar Salomon Sense Ride. Das Strava-Segment ist bis zum 30. September freigeschaltet. Alle Infos unter: www.goldentrailseries.com

Hans Peters: Westenseeumrundung 01:43 h (22km, 263 hm) Tim Brähler: Taunus-Schinderhannes Steig 03:13 h (38 km, 1557 hm) Michael Geisler und Markus Reich: KAT Walk 14:14 h (104 km, 6000 hm) Anton Palzer: Watzmann-Überschreitung 02:47 h (23 km, 2300 hm) Roman Freitag: Saale Horizontale 07:15 h (72,7 km, 2031 hm) Simone Schwarz: Zweitälersteig 13:57h (108 km, 4120 hm) Matthias Krah: Rheingauer Klostersteig 02:17 h (29,5 km, 920 hm) Jörg Scheiderbauer: Westweg 47:15 h (180 km, 8000 hm) Marc Schulze: Malerweg 14:42 h (112 km, 3500 hm) Markus Bergler: 800 hmr Weg 01:34 h (17 km, 800 hm) Sandra Spörl: Tuchersteig 02:53 h (31,4 km, 690 hm) Florian Engels: Eifelleiter 04:52 h (53 km, 1439 hm) Thomas Dunkerbeck: Ahrsteig 10:57 h (100 km, 3700 hm)

Rob Krar

Ruth Croft

Markus Mingo: Goldsteig: Bad Kötzting - Großer Arber 2:59 h (28,11 km, 1763 hm) Tom Holzweg und Carsten Drilling: Rundweg Winterthur 7:24 h (65,5 km ,1364 hm) Max Kirschbaum: Pfälzer Höhenweg 11:12 h (117 km, 3300 hm)

DER 24-STUNDEN-MANN Alles rennt FKTs und einer nimmt sich klassisch, fast altbacken, einem Höhenmeter-Rekord an und bricht diesen! Der Italinener Luca Manfredi Negri hat in Aprica einen unglaublichen Weltrekord aufgestellt und ist dabei in 24 Stunden, einem irrsinnigen Auf und Ab, 17.000 Höhenmeter gelaufen. Am Ende waren es 32 Runden mit je 4,4 Kilometer Länge, die er am Palabione lief. Den Rekord hatte Negri übrigens nur Tage zuvor schon einmal inne, allerdings kam ihm dann ein Finne quer und schnappte ihn wieder weg. Also musste der Italiener nochmals ran.

Sebastian Jägerfeld: Harzer Hexenstieg 08:59 h (94,4 km, 1816 hm) Frank Hardt: Rheinburgenweg 40:42 h (189 km, 4522 hm) Pierre Emmanuel Alexandre: Neckarsteig 12:08 h (128 km, 3700 hm) Daniel Jung: Stubaier Höhenweg 12:52 h (80 km, 6000 hm) Kristin Berglund: Berliner Höhenweg 23:57h (91 km, 7000 hm) Ida Sophie Hegemann: Stubaier Höhenweg 19:16 h (80 km, 6000 hm) Christian Jonsson: Nahesteig 2:53h (35 km 1100 hm)


SPEZIAL ALLES FÜR EINSTEIGER

ALLER ANFANG IST

Text: DENIS WISCHNIEWSKI, BENNI BUBLAK, CLEMENS NIEDENTHAL Fotos: M. MARKTL

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Mit Trailrunning beginnen ist eigentlich keine allzu große Sache. Wer ein wenig auf seinen Körper und die eigene Vernunft hört, ist von Anfang an gut beraten. Und dennoch: Man kann als Einsteiger eine Menge Fehler machen, die den Start in den besten Sport der Welt ordentlich eintrüben können.

Etwas Neues zu beginnen hat eine Magie und einen Zauber, das ist einfach unvergleichbar. Wer also heute die Entscheidung trifft, ein*e Trailrunner*in zu werden, stürzt sich Hals über Kopf in ein fabelhaftes Abenteuer, das mit ungeahnten Freuden, Leiden, neuen Perspektiven und Gefühlen aufwartet. Ganz am Anfang dieser neuen Sportkarriere steht jedoch „der Berg“, der Anstieg - und natürlich der Abstieg. Ich erinnere mich zurück. Zunächst lief ich von der Haustür los. Meist flach, auf einfachen Waldwegen. Mal führten mich meine Laufrunden am Fluss entlang, mal leicht nach oben und wieder hinab. Von echten Anstiegen konnte dabei keine Rede sein. In meiner Vorstellung waren echte Berge, die Berge mit den Kreuzen auf ihren Gipfeln, nur dazu da, um auf sie hinaufzuwandern. Berge mit Kreuzen hatten mit joggen oder laufen nichts zu tun. Das sollte sich natürlich ändern - weil ich selbst mich änderte. Ich wurde mit dem regelmäßigen Laufen fitter, und die Idee so einen Berg hochzurennen, möglichst schnell, all die Wanderer zu überholen und den großen Rucksack durch einen kleinen zu ersetzen, war plötzlich alles beherrschend. Alles kreiste in meinem Universum darum, wie ich es schaffen könnte den Berg zu erlaufen. Dabei ging es natürlich von Beginn an

auch darum, etwas individueller zu sein als einfach immer und immer wieder im Wald hinter dem Haus zu laufen, denn dabei ging es letztlich nur noch darum, wie schnell ich das tat – es ging nicht darum, ob ich es schaffen konnte. Nein, ‚der Berg’ muss nicht sein, wenn man mit Trailrunning beginnen möchte. In meinem Fall aber war und ist er bis heute der Dreh- und Angelpunkt im Sport. Einen guten, einen besonderen Lauf definiere ich darüber, ob ich ‚oben’ war, und wie ich wieder runterkam. Meine persönliche Geschichte des Trailrunnings ist eine Bergstory und eine Erzählung darüber, wie ich langsam und Schritt für Schritt aus einem flachen Laufstil einen Bewegungsablauf entwickelte, der mich auch steil bergan laufen ließ. Ich war fasziniert von all den erfahrenen Bergläufern, die selbst die heftigsten Anstiege „durchliefen“, und anstatt auch nur einmal zu gehen lieber in sehr kleinen Schrittfolgen im Laufrhythmus blieben. Das machte den Unterschied zu allem, was wanderte. Die letzte, absolute Konsequenz ist es zu sagen: „Ich bin ein*e Läufer*in, egal wie steil und unwegsam das Gelände auch ist.“ Beeindruckend in jedem Fall. Aber ebenso unsinnig. Heute weiß ich nämlich, dass man nicht immer laufen muss um ‚Runner’ zu sein. Gehen ist erlaubt, macht sehr wohl Sinn

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und kann beim Trailrunning sogar dafür sorgen, dass man am Ende schneller am Ziel ist. Es geht dabei um Ökonomie. Das unterscheidet Trailrunning maßgeblich vom klassischen Laufsport: Es gibt weniger Regelwerk, mehr Freiheiten. Wer nun also glaubt, dass man, um Trailrunner zu werden, ohnehin schon ein versierter Laufsportler sein muss, der irrt komplett. Trailrunning macht den Einstieg ins Laufgeschäft einfach, spielerisch und nachhaltiger. Das fängt eben schon genau damit an, dass Gehpausen im Gelände ganz normal sind, auf Asphalt jedoch irgendwie sofort mit einer Niederlage einhergehen. Zurück an den Berg. Der ist für alle, die mit Trailrunning anfangen, das große Mysterium, das, was Angst macht und gleichzeitig unfassbar motiviert und fasziniert. Zu Beginn meiner TrailrunLeidenschaft hab ich mich langsam und sehr demütig dem Berg genähert, bin alles bergauf gelaufen was eben ging, und den Rest mit langen Schritten gewandert, habe meinen Rhythmus gesucht und gefunden und mich im Aufstieg schon auf das Bergab gefreut. Der Berg wurde zu meinem Spielplatz. Ich rannte irgendwann mehrmals hoch und runter, passierte Wanderer auf ihrer Gipfelstrecke immer wieder und ließ sie verwundert stehen. Man darf sich als Beginner ruhig an so einen Berg trauen – mit Mut, Freude und einer gesunden Portion Vorsicht.


TYPEN FLORIAN SPEZIAL ALLES FÜR REICHERT EINSTEIGER Text: CLEMENS NIEDENTHAL

Unsere größten Fehler – die IHR nicht mehr machen sollt!

Fotos: PHILIPP REITER

Denis Wischniewski machte bei seinen ersten Trail-Wettkämpfen immer und immer wieder den selben Fehler: Er rannte von Beginn an viel zu schnell los. Ich erinnere mich gut an meine ersten beiden TrailrunningWettkämpfe 2007 und 2008. Es war das immer selbe Spiel: der Startschuss, ich in erster Reihe und dann rannte ich los. Immer den schnellsten hinterher. Der Puls zu hoch, das Tempo zu hoch, aber ich konnte nicht anders. Das ging meist ungefähr 4-5 Kilometer gut. Dann Finito. Ich brach ein, musste mein Tempo drosseln und wurde bis ins Ziel von anderen überholt. Es war frustrierend. Von 30,40 oder 60 Kilometern Renndistanz waren genau 5 irgendwie gut, der Rest, eine lange Zeit, einfach nur eine gefühlte Niederlage. Nicht, dass wir uns falsch verstehen – im Ziel, also am Ende, war ich nicht Letzter und auch nicht bei den Letzten, aber das Gefühl selbst nicht mehr überholt zu haben, sich steigern zu können, prägte den ganzen Tag. Bis heute stelle ich mir die Frage, wie schnell oder langsam ich denn nun starten sollte und ich weiss eigentlich nur eines – ich zügele mich heute zwar etwas, aber ich lass mich noch immer von all den anderen um mich herum dazu hinreissen zu schnell zu beginnen. Mein Tipp ist demnach einfach, dass ihr gut beraten seid, wenn ihr es schafft bei einem Wettkampf möglichst wenig überholt zu werden, denn das nimmt euch die Motivation. Versucht zumindest bei längeren Distanzen (alles über 20 km) ganz entspannt zu starten. Kontrolliert euren Puls, ertappt euch selbst dabei noch in ganzen Sätzen reden zu können. Wenn ihr so loslauft, könnt ihr in der zweiten Hälfte der Strecke forcieren und ihr werdet die sein, die andere überholen und das gibt Rückenwind.

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Suse Spanheimer hat mit Ida-Sophie Hegemann des Transalpine Run gewonnen und warnt vor all den Kommentaren, die man als Trailrunnerin so bekommt. Einfach wegignorieren. Ich laufe am liebsten. Geradeaus. Bergauf und bergab. Bei gutem Wetter. Bei schlechtem Wetter. Schnell. Lang. Kurz. Spontan. Jeden Tag. Dabei bin ich fürs Laufen eigentlich zu klein. Und alpin viel zu unerfahren. Die Gefahren! Muss das sein? Technisch? Nix für dich. Mit den Schuhen willst du Trails laufen? Kohlenhydrate? Fleisch? Was? Darfst halt nicht dick werden. Du kennst die Strecke nicht? Du kennst den nicht? Wer bist'n du überhaupt? Blond. Nagellack. Tussi. Kann die auch was? Du überschätzt dich! Mach langsam. Schneller. Da musst du dabei sein! Niemals. Pulsuhr. Strava? Nein. Pushen! Intervalle. Ballern! V02 Max. Laktatwerte. Stabil! OMG, ist das ein Mops? Du bist doch viel zu jung. Was? Schon so alt! Ist das dein Mann? Habt ihr noch keine Kinder? Ich kann das nicht. Downhill. Stürze. Blut. Hab ich doch gesagt. Gewaltig. Siegerehrung. Muskelkater. Freudentränen. Stay hydrated! Müslifressen. Posten. Liken. Kommentieren. Ausschalten. Weg damit. Schuhe an. Raus gehen. Natur. Spontan. Bergauf und bergab. Ruhe. Ich laufe am liebsten. Für mich.

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Peter Fankhauser wechselte mit 36 Jahren auf die Trails – als einer der schnellsten Straßenläufer Österreichs. Beim Wechsel profitierte er von der Grundschnelligkeit, nicht aber von seinem langen Schritt.

Der in Berlin lebende Brauer Ben Owens kam als Dreißigjähriger zum Laufen. Und nach einem „Läuferknie"“ schon kurz darauf auf die Trails. Hin und wieder zwickt es aber immer noch. Der Einstieg ins Laufen verlief bei mir ziemlich typisch: Nach einem Jahrzehnt im Nachtleben, als Chef an der Bar in verschiedenen Berliner Clubs, wollte oder musste ich etwas ändern. Also habe ich mit der Ausbildung zum Brauer begonnen – und mit dem Laufen. Überraschenderweise ging das dann ziemlich schnell ziemlich gut. Nur hatte ich bereits nach zwei, drei Monaten die erste typische Laufverletzung: ein Läuferknie. Nach einer nötigen, aber gefühlt viel zu langen Pause habe ich dann wieder angefangen. Aber nicht auf der Straße, sondern im Grunewald, auf Trails. Das Laufen auf dem weichen Untergrund war etwas komplett anderes, und so bin ich schnell auf vorher ungeahnte Umfänge gekommen. Ich habe dann nach einem Jahr schon einen Ultra gemacht und wurde Achter beim Röntgenlauf. Was geblieben ist, ist eine gewisse Verletzungsempfindlichkeit bei zu intensiven oder zu schnell gesteigerten Laufumfängen. Mal zwickt die Hüfte, mal diese Sehne unter dem Fuß. Laufanfänger*innen will ich deshalb unbedingt diese Tipps geben: Tretet auch mal kürzer und gönnt euch Pausen, auch wenn es gerade so richtig Spaß macht. Und investiert Zeit in Stabilitätsübungen oder Yoga, betrachtet das Laufen ganzheitlich.

Eigentlich wollte ich es ja damals eher ruhig angehen lassen. Ich hatte gerade den Wien Marathon als schnellster Österreicher beendet und war zurück ins Zillertal gezogen. Hatte neue Ideen im Kopf, meinen Permagarten und mein inzwischen eröffnetes vegetarisches Restaurant. In die Berge wollte ich zum Wandern, aber dann merkte ich, wie krass gut doch dieses Trailrunning ist. Um das vorwegzunehmen: Ich glaube schon, dass eine ambitionierte Straßenlaufkarriere eine gute Grundlage für die Trails ist. Meine erfolgreichsten Jahre auf den Trails waren die ersten beiden, in denen ich noch vom hohen Grundtempo profitiert habe. Und jeder, der einen schnellen alpinen Ultra laufen will, sollte gelegentlich auch in seine Grundschnelligkeit investieren, unbedingt. Was mir hingegen buchstäblich ein Bein gestellt hat, war dieser lange Schritt eines Straßenläufers. Der ist im Berg nutzlos, hier sind kurze Schritte gefragt, eher ein Tänzeln auf dem Vorfuß, das Abrollverhalten ist ein ganz anderes. Und ich habe mir vielleicht auch nicht immer die nötige Zeit genommen, an der Umstellung des Laufstils zu arbeiten. Das ist überhaupt der wichtigste Hinweis an ambitionierte Umsteiger: solche Rückschritte und Stillstände zu akzeptieren.

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SPEZIAL ALLES FÜR EINSTEIGER

DER TRAILSCHUH: ALTERNATIVLOS Die schlechte Nachricht vorweg: Den einen alleskönnenden Trailschuh gibt es nicht. Aber tausend gute Gründe, zwischen Stadtpark und Alpengipfeln in Trailschuhen unterwegs zu sein. Einführung in eine Leidenschaft Mit der guten Passform fängt es an. Mit einer schlechten hört es schon wieder auf. Nichts ist wichtiger als ein verlässlich fester Sitz mit gutem Fersenhalt und genug Paltz für die Zehen.

Viele Modelle setzen auf Schnellschnürsysteme oder den BOAVerschluss. Aber auch traditionelle Schnürsenkel können an Trailschuhen gut funktionieren.

Die Mittelsohle macht, dass ein Schuh läuft. Und dass er dämpft. Oder eben nicht. Inzwischen gibt es aber viele Trail-Modelle, die dem Laufkomfort und der Laufdynamik eines Straßenschuhs in nichts nachstehen.

Protektion schützt den Fuß. Gut sichtbar sind laminierte Overlays im Obermaterial. Mehr oder weniger versteckt zwischen Mittelund Außensohle findet sich oft eine Rockplate, die Wurzeln und spitze Steine außen vor lässt.

Gute Trailschuhe müssen gar keine ausgeprägte Profilsohle haben. Die Gummimischung macht den Grip. Wenn es aber matschig oder lose wird und der Schuh sich in den Boden wühlen muss, um ganz unten noch Halt zu finden, schlägt die Stunde der ausgeprägten Stollen.

Frage: Braucht es für dieses Trailrunning eigentlich wirklich einen speziellen Schuh? Gegenfrage: Gibt es nicht längst auch genügend Trailschuhe, mit denen sich sogar ein zügig gerannter Straßenmarathon bewältigen ließe? Aber die eigentliche Antwort lautet natürlich: ja. Trailrunning ist ein eigenständiger Sport mit eigenständigen Herausforderungen. Trailrunning ist anders und vor allem komplexer als bloßes Laufen. Die Bewegungen sind diverser, die Umgebung rauer und die Situationen auch schon mal, nun ja, brenzliger. Letzeres ist durchaus wörtlich zu nehmen. Weshalb ein guter Trailschuh für Einsteiger*innen immer auch ein Schuh ist, der Sicherheit vermittelt und Stabilität. Der den Fuß verlässlich hält und führt und dadurch eine intuitive Navigation auch im technischeren Gelände möglich macht. Nehmen wir als Beispiel den Speedcross von Salomon. Erfahrene Läufer*innen werden bemängeln, dass dieser Schuh den Fuß eher führt als der Fuß umgekehrt den Schuh. Wer sich aber erstmals im Downhill von einem sandigen Mittelgebirgshügel (oder auch nur einem ehemaligen Bahndamm)

stürzt, wird diesen robusten Support zu schätzen wissen. Apropos Speedcross: Ist das nicht dieser Schuh, dessen Außensohle im Nix abgelaufen war? Jein. Denn alle grobstolligen Trailschuhe mit weichen und damit griffigen Gummimischungen leiden unter überproportionalen Asphalteinsatz. Wer sich also als urbane*r Straßenläufer*in so einen Schlammwühler zulegt, sollte ihn auch bewusst für die lustvollen Läufe abseits der Wege einsetzen. Für die wöchentliche Trainingseinheit, in der knackige Uphills genauso auf dem Programm stehen, wie Balanceakte im weglosen Terrain. Kurz: das ungefilterte Trailrunning-Programm. Wer, als ersten Trailschuh zumal, eher einen Begleiter für Feld- und Forstwege sucht und für den ein oder anderen Trampelpfad, findet derweil längst eine große Menge an Hybridmodellen, die auch auf Asphalt lustvoll rollen und damit für typische Door-to-Trail-Runden prädestiniert sind. Das Leben ist ja ohnehin immer ein Kompromiss. Auch was die Laufuntergründe angeht. Eines aber ist bei Trailschuhen inzwischen durch die Bank anders: Prona-

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tionstützen gibt es quasi nicht mehr. Die einleuchtende Erklärung. Jede Pronationsstütze funktioniert nur auf einem ebenen Untergrund. Tritt der Fuß auf Wurzeln, Steine oder Fels könnte die Pronationstütze im ungünstigsten Fall eine Hebelwirkung auslösen und sogar ein Umknicken provozieren. Was also machen Läufer*innen, die bis dato gewohnt waren, in gestützten Schuhen zu laufen? Sie entscheiden sich für einen stabilen Trailschuh mit einer breiten Sohle, die einen stabilen Tritt garantiert. Und, mindestens fürs Erste, für ein vielleicht etwas schweres und vielleicht weniger flexibles Modell. Keine Sorge: Die Zeiten, wo manche Trail-Modelle wie etwas farbenfrohere Wanderschuhe wirkten, sind längst vorbei. Zwei wichtige Dinge noch. Erstens: die Passform. Ohne die richtige Passform ist alles nix. Ein Trailschuh muss verlässlich sitzen und dennoch den Zehen auch im Dowhnhill genügend Raum geben. Und zweitens: der Preis. Nicht immer ist es ersichtlich, warum ein Schuh 50 Euro teurer als ein anderer ist. Gönnt euch gerade zum Anfang aber das Paar, in dem ihr euch am wohlsten fühlt.


Feld- und Forstwege Braucht es wirklich für den Feldweg oder die Forstautobahn schon einen expliziten Trailschuh, werden wir von Einsteiger*innen gern gefragt. Wir entgegnen dann, dass es doch längst auch komfortable und agile Trailschuhe gibt, die auch Teer- und Asphaltpassagen lauflustig wuppen, die einen Mehrwert an Grip und Support mitbringen und dennoch ganz generell zum alltäglichen Trainingsschuh taugen. Der Adidas Terrex Flow (139 Euro) beispielsweise, der eine federnd-weiche Boost-Dämpfung mit einer überzeugend griffigen ContinentalSohle kombiniert, der Stabilität gibt und überzeugende AllrounQualitäten mitbringt. Alternativen: der gutmütige, direkt von den Straßenlaufschuhen abgeguckte Brooks Divide (110 Euro) oder die erste Generation des Nike Pegasus Trail (130 Euro), die es in diesen Tagen bereits als preisreduziertes Auslaufmodell geben dürfte. Dieser Schuh kann richtig rennen.

Felsige Trails Querfeldein Wer nicht in den Bergen wohnt, wird seine ersten Trail-Erfahrungen vornehmlich auf solchen eher kurzen Runden sammeln: der Nase nach laufen, über Wiesen, auch mal durchs Unterholz. Wichtig ist hier ein Schuh mit gutem Griff, einer stolligeren Sohle und einem stabilen Stand, falls man etwa auf eine Wurzel tritt. Aber Achtung: Schuhe dieser Kategorie müssen nicht zwingend den Halt mitbringen, den es etwa für einen alpinen Downhill braucht, sie sollen Spaß machen und euch an das Laufen auf unebenem Terrain gewöhnen. Wir denken da an den für britischen Dauerregen ausgelegten Inov-8 Mudclaw 300 (130 Euro), den stabilsten Schuh der ansonsten minimalistischen Mudclaw-Reihe. Oder den grobstolligen Klassiker Salomon Speedcross (139 Euro), dessen zupackende Passform Sicherheit gibt. Gerade schwerere Läufer*innen finden im Kalenji MT2 (79 Euro) einen so stabilen wie günstigen Begleiter.

Schmale Pfade Aus dieser Kategorie werden vermutlich die meisten von euch ihren ersten Trailschuh wählen. Es ist mit ziemlicher Sicherheit auch die passende Bereifung für den ersten Trail-Wettkampf (und vielleicht auch für alle weiteren). Die gute Nachricht: Diese Trail-Allrounder sind durch die Bank laufbarer und agiler geworden. Gut gemacht, kombinieren sie Grip, Stabilität und Dynamik, ohne sich dabei wie ein Kompromiss anzufühlen. Unbedingte Empfehlung ist hier der mit seinem neuesten Update laufdynamischer abgestimmte Salomon Sense Ride (139 Euro), der uns mit seiner perfekten, Halt und Sicherheit vermittelnden Passform begeistert hat. Alternativen: der sehr ähnlich ausgelegte, aber breiter geschnittene und komfortabler dämpfende Hoka One One Torrent (120 Euro) oder der auf die BOA-Schnürung vertrauende, ausgewogen abgestimmte Adidas Terrex Boa Two (129 Euro).

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Auf solchen Läufen werden die Bilder gemacht, die euch vermutlich mit dem Trailrunning-Virus infiziert haben: ein alpiner Höhenweg, ein vorlauter Vorsprung im Mittelgebirge oder die vom Salzwasser blankgewienerten Felsen in den schwedischen Schären. Das Terrain wird also technisch, vor allem macht es unglaublich Spaß.Läufer*innen – zumal solche, die noch neu in dieser Ungebung sind – brauchen einen Schuh, auf den sie sich verlassen können, der Stabilität garantiert und mächtig Grip hat. La Sportiva kommen aus den Dolomiten, mehr Felskompetenz geht eigentlich nicht. Mit dem Kaptiva (159 Euro) haben sie einen dynamischen Trailallrounder im Sortiment, der sich exzellent auf Fels versteht. Der perfekt gearbeitete Cloudventure von On Running (159 Euro)wäre eine stabilere und komfortablere Alternative. Vom Bergsportprofi Dynafit kommt der zupackende und robuste Alpine Pro (159 Euro).

Alpines Terain Läufst du noch oder kletterst du schon? Treffender könnte man diese Rubrik nicht umschreiben. Einsteiger*innen sollten sich nur in diese Höhen wagen, wenn sie bereits vom Klettern kommen oder vom alpinen Bergsteigen. Die Schuhe, die wir dann empfehlen, bieten vor allem: Steifigkeit und Stabilität. Sie sind wie Bergstiefel, nur laufbarer, leichter. Oder Zustiegsschuhe, aber mit dynamischerem Abrollverhalten. Arc'teryx haben da mit dem komplett überarbeiteten Norvan VT 2 (165 Euro) einen tollen Job gemacht. Ein Schuh, gerne für ganz lange Touren. Der sehr steife Salomon X Alpine Pro ist (auch dank seiner CarbonChasis) ein gelungener Hybrid aus Kletterund Trailschuh (139 Euro). Eine Alternative aus Südtirol: der stabil aufgestellte Scarpa Neutron 2 (149 Euro).


SPEZIAL ALLES FÜR EINSTEIGER / TRAINING

Nur Mut, junger Trailrunner!

Mädels, Jungs, die Damen, die Herren. Wir dürfen bitten. Rauf auf die Trails mit euch. Traut euch ruhig, es ist das Beste was euch in diesem Leben noch passieren kann. Michael Arend über das Training für Einsteiger und wie das erste Abbiegen auf den Trail nicht zur Sackgasse wird.

Text: MICHAEL AREND Fotos: ALEXIS BERG Trailrunning lässt sich nicht so einfach definieren. Trailrunning gibt dir das, was du willst und brauchst, und deswegen tut sich der Sport auch mit einer Definition so schwer. Du wanderst gerne lange über viele Etappen durch deutsche Mittelgebirge und läufst nur bergab? Trailrunning. Du joggst einmal in der Woche über die Wurzeltrails des Großstadtparks? Trailrunning. Du bist Extrembergsteiger und verbindest schwierige Routen laufend? Trailrunning. Trailrunning kann genauso vielseitig sein, wie die Gründe damit zu beginnen. Niemand beginnt mit Golf, weil er Stahlschläger toll findet; es gibt maximal zwei Gründe mit Golf anzufangen. Entweder weil der Chef meint, es wäre Zeit für ein bisschen Networking, oder weil man selbst meint, es wäre Zeit für ein bisschen Networking. Beim Trailrunning ist das anders. Trailrunning kann der Umstieg von der Straße sein, weil der harte Untergrund immer nur zu Verletzungen geführt hat. Trailrunning kann die Erkenntnis sein, dass man laufend viel mehr von der Welt sieht als in der gleichen Zeit beim Wandern. Trailrunning kann die

Alternative zum Skibergsteigen oder Skilanglauf sein und Trailrunning kann die nächste Stufe des Gesundheitssports nach dem Nordic Walking sein. Und genau das ist das Schöne an unserem Sport, er ist vielseitig und kann so viel geben. Das ist aber auch der Grund, wieso es so schwierig ist eine Anfängerhilfe zu schreiben, denn von wem reden wir als Anfänger? Ist es der komplette Laufanfänger, der erfahrene Bergsteiger oder der erfahrene Straßenläufer? Wenn es nicht mal den einen typischen Trailrunner gibt, könnte es dann einen typischen Trailrunning-Anfänger geben? Aber es gibt Anforderungen, absolute und relative zum Straßenlaufsport, und genau um diese soll es gehen. Denn auch wenn es nicht den typischen Trailrunner gibt, es gibt sicher die typischen Fehler, die es gilt zu vermeiden - und deren Vermeidung den Einstieg nicht nur einfacher, sondern auch schmerzfreier und spaßvoller machen können. Trailrunning hat viele Anforderungen, die im Vergleich zu anderen Sportarten auch im Laufe der eigenen Entwicklung

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weiterwachsen. Während es im Straßenlauf meistens darauf ankommt eine Ziel-Pace im Flachen möglichst genau zu halten, es also um das Halten eines möglichst hohen Gleichgewichts geht, bringt Trailrunning den Körper bewusst ständig aus jedem Gleichgewicht. Welcher erfahrene Trailrunner kann nicht ein Lied davon singen, wie er am Ende des Uphills den Downhill herbeisehnt, nur um sich dann nach 200 Hm wieder zu wünschen, gehen zu dürfen? Nicht umsonst gibt es im Ultratrailrunning den nur halblustig gemeinten Ratschlag: „Keine Angst, wenn es dir beim Ultratrail mal gut geht, das geht auch wieder weg.“ Bevor ich auf die körperlichen Voraussetzungen eingehe, möchte ich damit sagen, dass Trailrunning viel mehr als nur das ist. Es beinhaltet neben Kraft, Ausdauer und Technik auch eine Breite an mentalen Anforderungen, die nicht schnell zu lernen sind, aber die Möglichkeit bieten, an ihnen auch als Mensch zu wachsen. Wer sich also dazu entschließt Trailrunner zu werden, der nimmt nicht nur wortwörtlich den steinigen Weg. Gut, dass es Anforderungen gibt, die durchaus handfester und körperlicher


Sardinien: Trainingslauf auf der Rennstrecke

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REISE CHILE REPORT CHIEMGAUER ALPEN

DEM RUF FOLGEN

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Einem Traum folgen. Nein, ich hab mir den 911er nicht geholt, und ich war bis heute nicht am Strand der DomRep. Rolex hab ich auch keine und doch ist nun der Megaluxus für mich wahr geworden – ich hab den Berg. Vor der Tür und hinterm Haus.

Dort, wo ich aufwuchs, war nur unweit von meinem Elternhaus ein Skilift. Der brachte mit sich, dass die Landschaft dort „bergig“ war. Somit war ich früh davon geprägt, dass ein Leben ohne Hügel, ohne hoch und runter, etwas Unvollständiges ist. Viele Lebensjahre verbrachte ich in Städten. Flach. Kein Skilift. Maximal eine Rolltreppe. Nach fast fünf Jahrzehnten des Wartens ist es nun soweit: Die Alpen haben sich in den letzten Jahren als Freizeitrevier so sehr für mich sexy gemacht, dass ich als Schwabe nicht mehr anders konnte und das Chiemgau als neue Heimat wählen „musste“. Ein wenig bleib ich auch noch in München – mal sehen, wann ich mich so ganz in ein Bergdorf traue. Aber es ist ein Schritt. 70% meines Lebens sind ab jetzt sehr, sehr bergig. Wer fast 20 Jahre lang in München lebt weiß, bei einer gesunden Reflexion, dass er es gut getroffen hat. Die Stadt an der Isar mit Trinkwasserqualität, wenn die Nudisten am Flaucher nicht reinpieseln. Das Monaco, das Mailand im Süden der Republik. Die Nähe zu den Bergen, die relativ kurze Autofahrt an den Gardasee. Dieser Fußballverein, bei dem immer was los ist, der Tegernsee am Wochenende und - na sicher - Garmisch ums Eck und die ganzen Biergärten. Hupende, sich aufplusternde SUVund Porschefahrer, ach, es gäbe noch einiges.

Foto & Text: DENIS WISCHNIEWSKI

Wir hatten ja schon einmal in diesem Magazin eine Story, in der es darum ging, ob man denn nun als Trailrunner in der Stadt leben kann oder am Berg leben muss. Mein Kollege Clemens, ein Großstädter durch und durch, der Berlin seine Heimat nennt, hatte damals leidenschaftlich für das Läuferleben in der Hauptstadt geworben und wie gut das doch sei, unter der Woche Kultur und Urbanität aufzusaugen und an Wochenenden und im Urlaub den Bergen zu folgen. Ich habe jedenfalls, mit oder ohne diesen Clemens und sehr viel mehr mit meiner Frau beschlossen, dass unsere Zukunft, dieses letzte Drittel – ööhh, Hälfte – des Lebens in den Alpen stattfinden muss. Auf die Immobilie gehe ich in diesem Text nicht ein. Es wäre nicht spannend

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von diesen Renovierungsarbeiten zu erzählen, von Böden, die man schleift und Fliesen, die man klebt. Es hätte auch zu wenig mit Trailrunning zu tun, und das wäre für ein Magazin wie dieses nicht sonderlich passend. Das Chiemgau ist nun meine Trailrunning-Arena, diese Berge um Kampenwand, Hochgern und Hochplatte mein Wohnzimmer. Ich sollte diesen Text aber genau so beginnen: Ich stehe in unserem Wohnzimmer, im Dachgeschoss, also in diesem Rohbau, der einmal bewohnt werden soll und weit von einer Wohnqualität entfernt scheint. Ein theoretisches Wohnzimmer also. Ich blicke aus diesem riesigen Loch, das einmal eine große Schiebetür zu einem Balkon sein soll, hinaus und sehe Kühe, sehe Pferde, den Herrn Nachbarn, der mit 87 noch kilometerweit durch diese Traumlandschaften wandert, und eben sehnsüchtig hinauf zur Hochplatte. Mit einem Fernglas könnte ich Menschen sehen, die da auf am Gipfelkreuz Brotzeit machen. Das ist die Magie – vom Wohnzimmer so einen Gipfel sehen. Immer. Also fast immer. Nachts nicht, bei Nebel und schlechter Wetterlage nicht. Aber sonst eben immer. Und immer das Wissen, dass ich die Schuhe anziehen kann, die Haustür hinter mir zufallen lasse und mal kurz da hochrenne. Das ist magisch. Alleine das Wissen, die Idee, der Blick dort hinauf und zu all den anderen Gipfeln ringsumher, ist schon halb so gut wie das Laufen selbst. Es ist eine Realität, die mich beruhigt und zufrieden sein lässt. Nach nur wenigen Tagen in dieser Umgebung stelle ich auch fest, dass jeder Tag anders ist. Die Natur, die Berge, das Licht, die Farben sind nie gleich – in München kann ich so etwas höchstens in Monatsschritten feststellen, und das macht das Leben in der Stadt oft sehr monoton. Und dann kam der Tag. Der große Tag meines ersten langen Laufes in dieser #neuenheimat. Von der Haustür weg. Ich war sehr nervös. Ein Gefühl wie beim ersten Marathon, wie beim ersten Ultratrail. Etwas ganz Neues in einem doch schon fortgeschrittenen Leben. Ich nahm mir diesen einen Tag, den ganzen hellen Sommertag in seiner Länge, ohne Stress. Das ist im Übrigen


PRAXISTEST REGENJACKEN Text: BENNI BUBLAK Foto: HARALD WISTHALER

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Die Laufjacke hat viele Gesichter: Windbreaker, Softshell, Hardshell, Hybridjacke. Absolut unverzichtbar für uns Trailrunner bleibt aber die klassische Regenjacke. Nicht nur weil sie bei jedem Rennen ein Pflichtausrüstungsgegenstand ist. Nein, auch weil sie inzwischen ein echtes Multitalent ist. Klar, ein Regenschutz sollte bei jeder längeren Trailrunningtour mit in die Laufweste wandern. Aber auch wenn Niederschlag ausbleibt und wir in hohen Lagen kühleren Temperaturen und Wind ausgesetzt sind, ziehen wir gern die Membranjacke aus dem Rucksack. Ein Windbreaker wäre jetzt wahrscheinlich die eleganteste Lösung, aber wer will schon für jede Wetterlage ein Kleidungsstück mitschleppen. Ein Glück, sind die Regenjacken inzwischen so gut, dass sie mehrere Anwendungsmöglichkeiten gekonnt miteinander vereinen. Möglich machen dies moderne Materialien, die sowohl wasserdicht (winddicht sowieso) als auch atmungsaktiv sind. Auch die Zeit der schweren, laut raschelnden Materialien ist lange vorbei. Moderne Regenjacken tragen sich angenehm luftig und sind super leicht. Mit dem Wissen ein Universal-Produkt für mehrere Lauf- und Lebenslagen zu erwerben, lassen sich auch die zugegebenermaßen oft hohen Preise besser rechtfertigen. Wir testeten in den letzten Wochen sieben neue Modelle für euch. Vorneweg: Die beiden Grundanforderungen, ausreichende Wasserdichtigkeit sowie Atmungsaktivität, konnten alle Testprodukte erfüllen. Etwas bessere Performance Noten bekamen Marken, die mit externen Materialherstellern wie GoreTex oder Pertex zusammenarbeiteten. Dies schlägt sich allerdings auch im Preis nieder.

MEHRSCHICHTBETRIEB

Ein plötzlicher und starker Regenschauer im Gebirge kann schnell gefährlich werden. Dass Regenjacken aber auch mehr sein können als reiner Notfall-Wetterschutz, können wir nach diesem Test bezeugen. 46

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Inov-8 Ultrashell

Scott RC Run

Dynafit Glockner Ultra Shakedry

Die Briten aus dem Lake District kennen sich aus mit Niederschlag. Regenjacken haben sie einige im Portfolio. Die Leichteste von ihnen ist die Ultrashell (die Ultrashell FZ ist die Smock Variante und nochmal etwas leichter). Komplett im Graphene Grün kommt sie stylisch und im sportlich-engen Schnitt daher. Das Pertex Shield Material punktet durch sehr hohe Qualität bei gleichzeitig luftig-leichtem Tragegefühl. Auch die Atmungsaktivität ist sehr hoch. Inov-8 werben hier mit einem Wert von 40.000 B-1 , doppelt so viel wie alle anderen Jacken im Sortiment. Eine kleine Tasche befindet sich hier nicht im Brustbereich, wie oft üblich, sondern am linken Ärmel. In dieser kann die Jacke komplett verstaut werden, so klein dass sie in jede zierliche Frauenfaust passt. Sehr stark! Die Kapuze ist sehr eng geschnitten.

Die neue Scott RC Jacke reiht sich ein in die immer größer werdende Minimalismus-Fraktion unter den Regenjacken. Mit nur 110 Gramm ist sie absolut gewichtsarm. Möglich macht dies die Verwendung des sehr dünnen aber gleichzeitig sehr hochwertigen 3-lagigen Pertex Shield+ Materials, was uns besonders in puncto DWR Beschichtung/Abperleigenschaften nachhaltg überzeugt. Eine Tasche sucht man an dieser Jacke vergeblich, was einem leider der Möglichkeit beraubt sie schnell und einfach komprimiert zu verstauen. Im Rückenbereich finden sich Belüftungsöffnungen, die für zusätzliche Ventilation sorgen. Super! Die Kapuze ist klassisch gehalten und kommt ohne zusätzlichen Gummi zum Fixieren aus. Vermisst haben wir ihn nicht. Das elegant schwarze Design und die sportliche Passform wissen zu gefallen.

„Dauerhaft wasserabperlend“ lautete das Versprechen von Gore Tex als das Shakedry Material vor 3 Jahren auf den Markt kam. Und spätestens nach diesen 3 Jahren können wir diese Dauerhaftigkeit mehr als bestätigen. Unser Imprägnierwachs haben wir schließlich seitdem nicht mehr angefasst. Eine der ersten Marken die Shakedry nutzte, waren Dynafit. Nun haben sie eine Sonderedition ihres Erfolgsprodukts in Anlehnung an den Großglockner Ultratrail herausgebracht. Charakteristischstes Merkmal der Jacke ist wohl der Reißverschluss am Rücken, der es ermöglicht die Jacke über dem Rucksack zu tragen. Weiterhin hat die Kapuze einen Gummibund, wodurch sie elegant an der Stirn fixiert wird. In dieser Kapuze soll die Jacke laut Hersteller auch verstaut werden. Leider klappt dies nicht optimal, sodass beim Packmaß sicher noch Luft nach oben wäre.

Die Ultrashell ist eine perfekte ultraleichte Regenjacke für alle Fellund Trailrunner, die keine Kompromisse eingehen wollen. Der Preis ist dementsprechend stolz. Preis: 280 Euro Gewicht: 108 Gramm Bezug: www.inov-8.com

Mit der RC Run liefern Scott eine großartige minimalistische Pflichtausrüstungsjacke zum sehr fairen Preis. Preis: 189.95 Euro Gewicht: 110 Gramm Bezug: www.scott-sports.com

Die Glockner Shakedry ist eine High End-Regenjacke, mit der man alles richtig macht. Wem das in Anlehnung an das Glockner Gestein gemusterte Design nicht zusagt, greift zur dezenteren Ultra GTX Shakedry. Preis:350 Euro Gewicht:150 Gramm Bezug: www.dynafit.com

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PRAXISTEST LAUFWESTEN

wilde Westen

Nicht alles auf diesem Planeten wird besser, und wir können sowieso NUR für Trailschuhe und Laufrucksäcke sprechen – dort sieht es nämlich anders aus. Im aktuellen Test für Laufwesten gibt es eigentlich nur noch Sieger. Ihr habt die Wahl. Greift zu. Äh, rein!

Text: BENNI BUBLAK , DENIS WISCHNIEWSKI

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Ein Trailrunning-Rucksack? Diese Bezeichnung scheint wohl überholt zu sein. Zu wenig hat das zweitwichtigste Utensil der Trailrunner im Jahr 2020 noch mit einem klassischen Rucksack zu tun. Schaut man sich die Modelle an, die wir für diese Ausgabe getestet haben, ist das Wort Laufweste tatsächlich die griffigere Umschreibung. Ja, wir haben uns diesmal die eher leichteren und durchaus eng anliegenden Race-Vests vorge-

nommen. Tatsächlich sind wir uns bei einigen Modellen nicht sicher, ob es sich noch um einen Rucksack oder schon um ein Kleidungsstück handelt. Den etablierten Marken Salomon, Ultimate Direction oder Camelbak merkt man ihr langjährige Expertise an, auch wenn der Vorsprung kleiner geworden ist. Wer besonders minimalistische Westen bevorzugt, sollte bei Naked oder Archmax genauer hinschauen. La Sport-

iva, Scott und Inov-8 vervollständigen ihr Trailrunning-Komplettpaket mit sehr guten Produkten. Neueinsteiger Black Diamond beweisen auch beim Thema Laufweste Stilsicherheit. Wir waren dieses Jahr sehr begeistert von der durchweg hohen Klasse der Produkte und würden tatsächlich jede der hier getesteten Westen ohne Bedenken mit auf den Trail nehmen.

NAKED / 109 Euro / 100 Gramm / Größen: 1 bis 12

In unglaublichen zwölf verschiedenen Größen wird die innovative Running Vest von Naked angeboten. Und das hat seinen Grund. Schließlich soll sie immer fest sitzen - bei jedem. Anhand des Brustumfangs die richtige Größe auszuwählen ist daher essenziell. Aus einem Stück gefertigt muss die Weste über den Kopf angezogen werden. Der sehr hohe und feste Sitz erlaubt eine sehr gute Bewegungsfreiheit. Super! Auch gut gefallen hat uns, dass es möglich ist die Weste nur im Frontbereich (z. B. mit einem Liter Wasser) zu beladen, ohne dass in irgendeiner Form Disbalancen entstehen würden. Das spezielle stretchige Netzmaterial ist sehr atmungsaktiv und fixiert alles, was in die Weste gesteckt wird, schön fest an den Körper. Die Naked hat insgesamt 5 Taschen und kommt inklusive 2-mal 500 ml Softflasks. Sie ist die perfekte Weste für alle, die am liebsten ganz ohne Rucksack laufen und großen Wert auf die volle Bewegungsfreiheit legen. Nur optisch bleibt sie Geschmackssache und für viele wohl gewöhnungsbedürftig.

Salomon / 130 Euro / 95 Gramm / Grössen: XS, S, M, L, XL

Den Western States 100 ist Courtney Dauwalter mit dieser Weste gelaufen. Wem nun beim 100 Meiler ein großvolumiger Rucksack vorschwebt, der irrt. Die S-Lab Weste könnte minimalistischer nicht sein. Die Rückenpartie besteht fast komplett aus sehr dünnem, super atmungsaktivem Mesh. Nur unten ist eine kleine Tasche angebracht. Der Hauptstauraum befindet sich bei diesem Produkt im Brustbereich. Neben den zwei 500-ml-Softflasks (inkludiert) ist ausreichend Platz für Gels, Riegel oder eine kleine Stirnlampe. Mit nicht einmal 100 Gramm trägt sich diese hochwertige Weste super angenehm und spielt gerade bei sehr heißen Temperaturen ihre Stärken aus. Bei voller Beladung und in vollem Laufschritt konnten wir ein Hüpfen der Softflasks bedingt durch das sehr stretchige Mesh und die frontlastige Beladung nicht verhindern. Wen das nicht stört und wer eine Weste mit wenig Stauraum, aber umso mehr Atmungsaktivität sucht, sollte hier aber in jedem Fall zuschlagen. Tipp: Auf die richtige Größe achten und lieber zu klein als zu groß kaufen.

La Sportiva Trail Vest / 139 Euro / 290 Gramm / Grössen: S und L

Die La Sportiva Trail Vest gehört zu den etwas größeren und stabileren Rucksäcken in diesem Test. Mit bis zu 11 Litern Packvolumen hat sogar die umfangreiche UTMB Pflichtausrüstung Platz. Die insgesamt sehr hochwertige Materialauswahl überzeugt genauso wie die intelligente Platzierung selbiger. Das Hauptfach schließt seitlich mit stretchigem Mesh-Material ab und passt sich somit an unterschiedliche Packvolumina an. Vom Rückenbereich ist es durch wasserdichtes Material getrennt, sodass eure Sachen am Ende eures Laufs nicht schweißdurchtränkt sind. Eine oben aufgesetzte komplett wasserdichte Tasche und ein Gummi, um Gegenstände im Außenbereich zu verstauen, vervollständigen den Rückenbereich. Der Frontbereich zeichnet sich durch auf sehr viele Taschen verteilten Stauraum aus. Hier hat wirklich alles Platz. Der Rucksack kommt ohne Flasks. Die Tasche für selbige ist in der Bedienung (fester Sitz, einfaches Rein- und Rausziehen der Flaschen) außerordentlich komfortabel. Die Trail Vest der Italiener ist ein sehr zuverlässiger und gut durchdachter Rucksack für lange Touren oder Wettkämpfe.

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REISE AN DER ODER

FLATTEN THE CURVE

Was tun, wenn einem ein Virus die Urlaubspläne vermasselt und Schweden plötzlich hinter den gleichnamigen Gardinen liegt? Nun, ich schweife in die Nähe und laufe für ein paar Tage ziemlich platt, ähm, flach am Fluss entlang. Eine Ode an die Oder.

Text & Fotos: CLEMENS NIEDENTHAL

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Meer geht nicht. Und deshalb laufe ich nun schon seit rund 20 km an einem Fluss entlang. An der Oder, die in Tschechien, im Odergebirge, entspringt und irgendwann für rund 200 ihrer 866 km zum deutsch-polnischen Grenzfluss wird. Vor gut zwei Stunden bin ich in Küstrin-Kietz, der deutschen Vorstadt eines Ortes, der auf der polnischen Uferseite Kostrzyn nad Odrą heißt, aus der Regionalbahn gestiegen. Küstrin an der Oder - zumindest die polnischen Bewohner*innen dieser Grenzregion sprechen zumeist die Sprache ihrer Nachbarn, was ganz gut die ökonomischen Abhängigkeiten, das Wohlstandsgefälle beschreibt. Man fährt rüber für die Dauerwelle und den Polenmarkt. Jetzt, im kleinen Dörfchen Kienitz, vorbei am aus europäischen Fördertöpfen finanzierten Sportboothafen und einem Panzerdenkmal aus sowjetischer Zeit, ist das polnische Ufer wieder fern. Einzig zwei Angler stehen als regungslose Silhouetten auf der anderen Seite. Man sagt ja gerne, Ultrarunning sei eine meditative Sache. In diesen Anglern haben wir offensichtlich unsere Meister gefunden.

Alternative Route Eine kurze Vorgeschichte zu diesem langen Lauf: Eigentlich wollte ich jetzt ganz woanders unterwegs sein. In Laufschuhen, im Campingbus, auf Gotland, der größten und wildesten schwedischen Ostseeinsel. Nun, Schweden hat das mit dem Virus lockerer genommen. Und ist jetzt, um es auf Englisch zu sagen, ziemlich gelockt. Zwei Wochen Quarantäne nach der Rückreise passen nicht wirklich in unsere Sommerplanung. Alternativen mussten her, und ich erinnerte mich an die elegische Landschaft einer ausgedehnten Neujahrswanderung. Sehr weit, sehr leer, von mäandernden Wasserarmen durchzogen. Wenn alles gutgeht, sollte ich es in von Küstrin bis nach Stettin, nach Szczecin schaffen. Das wären, in zwei ganzen und einem halben Tag, gut 130 km. Für diesen Abend reichen 26 km. Zumal in Groß Neuendorf einige Eisenbahnwaggons warten. Weg kommen die hier nicht mehr, die weiterführenden Gleise dieser Hafenbahn wurden schon vor Jahren demontiert. Und so hat ein Architekt aus Berlin Hotelzimmer daraus gemacht, mit einem Turmcafé im ehemaligen Verladekran. Und, am nächsten Morgen, einem klaren Blick über eine erwachende Welt. Störche, Reiher, Kormorane - kurz folgt gar ein Biber dem Takt meiner Schritte -, ehe der Weg, einem Schutzdeich folgend, die Nähe zum Wasser verlässt. Propper gepflastert ist er nun zudem. E-Bike-Tourist*innen dürften das lieben. Aber stand nicht gerade

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TYPEN SPEZIALMURPHY BELGIENSINNER – RENNEN IN DEN ARDENNEN

MURPHY’S LAW

Da lebt einer ziemlich wild, um fortan ähnlich wild zu rennen. Aber das wäre nicht einmal die halbe Geschichte über jemanden, den eigentlich alle nur unter seinem Spitznamen Murphy Sinner kennen. Und inzwischen auch als Läufer.

Brot. In den Filmstudios von Babelsberg arbeitet der ausgebildete Tischler an den großen Illusionen. Gerade hat er an einem Piratenschiff gezimmert. Und das nur, damit das Piratenschiff in einer sehr kurzen Szene im Kanonendonner explodiert.

Nein, Harry Potter könne er nicht mehr gucken, erzählt Christian Küster, der im Folgenden allerdings kein einziges Mal mehr Christian Küster genannt werden wird, so bei Kilometer neun. Gerade hat uns der breite Forstweg ausgespuckt. Eine schmale Treppe führt hinunter zur Kleingartenkolonie und als schmaler Pfad weiter in den Biesenhorster Sand. Harry Potter könne er also nicht mehr gucken. Was erst mal keine Neuigkeit wäre. Ich zum Beispiel konnte das noch nie. Murphy Sinner aber sieht bei Harry Potter nur noch die schlecht gemachten Spezialeffekte. Spezialeffekte nämlich sind seit gut einem Jahr sein tägliches

Spezialeffekte. Irgendwie waren die schon mal ein großes Thema in Murphys Leben. Aufgewachsen auf Rügen in den Turbulenzen der Nachwendejahre waren es die Sub- und Jugendkulturen, die ihm Halt gegeben hatten. Und einen Platz in der Welt. Punk, Rock’n’Roll, das Herz am rechten - bzw. linken - Fleck. Murphy lernte Tischler. Und er lernte Leute kennen, für die das mit der Musik mehr war als nur ein Lebensgefühl. Murphy hatte einen Führerschein. Also wurde er als Tourbusfahrer und als Mädchen für alles angeheuert. Bald waren da gewisse Substanzen, mit denen so ein Job irgendwie leichter lief. Drei Tage wach, das war dem jungen Mann von der Insel Rügen ein vertrauten Gefühl. Wer mit Murphy Sinner läuft, ist mitgerissen von dieser Energie, die der eines jungen Hundes gleicht. Die kurzen, kraftvollen Schritte, die noch einmal kraftvoller und federnder werden, wenn der Trail ein paar Haken schlägt oder es ein paar Stufen in die Höhe geht. Hier packt einer all seine Energie in diese eine, noch immer neue Sache. Und wird, das breite Grinsen macht es deutlich, von Glücksgefühlen doppelt und dreifach belohnt. „Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich

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das kann, einfach rausgehen und rennen, zehn Kilometer am Stück.“ Nicht einmal ein Jahr später war daraus ein Marathon geworden. „Dass ich an diesem Morgen einfach mal 42 Kilometer laufen sollte, habe ich nicht einmal geahnt, als ich die Haustür hinter mir zugezogen habe.“ Wo der 34-Jährige laufen gelernt hat? Mitten in Berlin, in Kreuzberg, Friedrichshain, Neukölln. Und auch wenn er heute lieber zu den Rändern der großen Stadt aufbricht, unterwegs auf den Trails, waren diese urbanen Läufe wichtig. „Morgens vor der Arbeit an den Kneipen vorbeirennen, aus denen ich nur ein paar Monate vorher noch zur selben Uhrzeit rausgefallen bin – ich wollte mir schon auch beweisen, dass ich das hinbekomme.“ „Übrigens“, sagt Murphy Sinner dann bei Kilometer elf, so „eine Geschichte von der großen Läuterung, vom Drogenabhängigen zum Marathonläufer, will ich keinesfalls lesen.“ Aber die wollten wir auch gar nicht schreiben. Auch, weil wir sie schon zu oft und zu schlecht gelesen haben. Vor allem aber, weil das nicht einmal annähernd beschreibt, mit welcher Leidenschaft hier einer sein neues Lebensthema gefunden hat. Laufen ist für Murphy Sinner keine Therapie und erst recht keine Ersatzbefriedigung. Laufen ist in diesem Fall vielmehr der zwangsläufig passende Deckel für einen Topf, der gehörig am Brodeln war. Er sei ja schon auch eine „hektische, impulsive Type“. Laufen ist für Murphy immer auch rennen. Wenn er nicht gerade


Text & Foto: CLEMENS NIEDENTHAL

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WISSENSCHAFT COVID-19 UND SPORT

Ein Virus mit fatalen Folgen Corona trifft nur die Alten und Kranken? Nein, auch junge und gesunde Menschen können schwer erkranken. Manche tragen an ihrer Lunge dauerhafte Schäden davon. Was steckt dahinter? Und was kann man dagegen tun? Zunächst einmal nichts. Außer: laufen gehen, solange man gesund ist. Text: DR. ANNIKA ROECKER

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Söllinger berichtete gegenüber dem „Tagesspiegel“, die Krankheit sei bei ihr recht mild verlaufen. Sie habe Kopfschmerzen, etwas Husten und zwischendurch Atemnot gehabt. Kurzzeitig habe sie den Geschmackssinn verloren. Es sei aber nie so ernst gewesen, dass sie in Erwägung gezogen hätte einen Krankenwagen zu rufen.

Laut den Zahlen des Robert-Koch-Instituts sind mehr als 80 Prozent der Menschen, die in Deutschland infolge einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 starben, 70 Jahre und älter. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, schwer zu erkranken. Das heißt aber nicht, dass das Virus für junge und gesunde Menschen völlig harmlos ist. Auch Leistungssportler kann es treffen. Manche haben sogar nach eher milden Verläufen mit Folgeschäden zu kämpfen. Immer wieder hört man von solchen Fällen: Die 26-jährige Triathletin Annika Söllinger lief Anfang März 10 bis 15 km pro Tag. Nach überstandener Coronavirus-Infektion schafft sie es kaum noch, länger als 3 km zu laufen. „Treppensteigen ist für mich durch Atemnot und Herzrasen der Horror“, schreibt die junge Frau auf Twitter. Auch in meinem Bekanntenkreis gibt es Menschen - darunter Trailrunner - die mit den Folgen einer Coronainfektion zu kämpfen haben - sowohl körperlich als auch psychisch.

Viele Menschen haben keine oder nur leichte Symptome Das Virus ist heimtückisch. Nach wie vor wissen Forscher und Ärzte noch nicht alles darüber. Die Krankheit (Covid-19), die es auslöst, greift nicht nur die Lunge an, sondern auch Herz, Gehirn und Blutgefäße. Ob das Virus selbst die Schäden verursacht oder ob sie durch eine Überreaktion unseres Immunsystems ausgelöst werden, ist noch nicht ganz klar. Wahrscheinlich ist es eine Kombination aus beidem. Fakt ist: Wer schwer erkrankt braucht lange, um sich davon zu erholen. Viele Patienten brauchen eine Reha. Zum

„Das Virus ist wie ein Soldat, der durch feindliches Gebiet zieht. (…) In der Lunge bleibt eine Kraterlandschaft zurück.“ (Internist, anonym)

Glück verlaufen vier von fünf Covid19-Fällen mild bis moderat, wie aus den Zahlen des Robert-Koch-Instituts hervorgeht. Beschwerden wie Husten, Schnupfen oder Fieber sind übrigens keine Mitbringsel des Virus, sondern ein Versuch unseres Körpers, das Virus loszuwerden. Wahrscheinlich reagiert unser Immunsystem auch, wenn wir keine Symptome haben - wir merken es nur nicht. Falls vorhanden klingen die Symptome in den meisten Fällen wieder ab und das Gewebe heilt folgenlos aus. Leider ist das nicht immer so. Annika

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Man könne durchaus auch von milden oder nahezu unbemerkten Verläufen Schäden zurückbehalten, sagt Prof. Dr. Wilhelm Bloch von der Deutschen Sporthochschule in Köln. Bevor er sich vor 15 Jahren der Sportmedizin zuwandte, hatte er sich auf die Bereiche Anatomie und Zellbiologie konzentriert. Immer, wenn es sein Zeitplan zulässt, setzt sich der Leiter der Abteilung für Molekulare und Zelluläre Sportmedizin ans Elektronenmikroskop. Damit schaut er sich ganz genau an, welche Spuren das Virus in der Lunge von Covid-19-Patienten hinterlässt.

Was geht in der Lunge vor? „Das Virus ist wie ein Soldat, der durch ein feindliches Gebiet zieht“, sagte mir ein Internist, der hier nicht namentlich erwähnt werden will. Er hat schon viele Covid-19-Patienten untersucht. Der Soldat - alias das Virus - wird von allen Seiten bombardiert, kann aber entkommen. „In der Lunge bleibt eine Kraterlandschaft zurück“, beschreibt der Arzt. Um den Krankheitserreger zu bekämpfen, schütten unsere Lungenzellen Botenstoffe aus, die bestimmte Immunzellen anlocken - manchmal auch dann noch, wenn die Infektion bereits überstanden ist. In der Folge kann sich Flüssigkeit in der Lunge einlagern und es kann zur Vernarbung von gesundem Gewebe kommen. Fachleute bezeichnen das als Fibrose oder Fibrosierung. Schaut man sich eine solche Lunge in einer Computertomografie (CT) an, erkennt man helle Flecke: „Milchglasbilder“ sagen Experten wie Sportmediziner Bloch dazu. Sie sind ein Hinweis darauf, dass hier etwas nicht stimmt. „Der Gasaustausch funktioniert an diesen Stellen nicht mehr richtig“, erklärt er. Die feinen Membranen der Lungenbläschen, über die Kohlendioxid aufgenommen und Sauerstoff ins Blut abgegeben wird, sind nur einige Milliardstel


REISE REISE MODE SOMMER-OUTFITS 2020

Der Spätsommer 2020 wird ein anderer sein. Auch Trailrunner reisen anders, verändern ihr Verhältnis zu gelaufenen und gefahrenen Kilometern. Überhaupt wird sich der Tourismus verändern. Und mit ihm unser Verständnis vom Hier und vom Dort. Zwölf Thesen, Ideen und Visionen zur Zukunft des guten Gefühls, draußen zu Hause zu sein. Text: CLEMENS NIEDENTHAL

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Da leben, wo andere Urlaub machen

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Zum Peak der Corona-Pandemie waren hierzulande fast die Hälfte aller Arbeitnehmer*innen im Homeoffice (oder in Kurzarbeit). Zuvor lag die Heimarbeitsquote in Deutschland gerade mal bei drei Prozent. Nun verkünden globale Konzerne wie Twitter bereits, dass künftig niemand mehr ins Office zurückkehren müsse, der das nicht unbedingt will. Prognosen gehen also davon aus, dass auch in Deutschland bis 2030 ein Viertel aller Jobs zu großen Teilen von zu Hause aus erledigt werden. Das aber ermöglicht eine neue Ortsungebundenheit. Menschen können (eher) dort leben, wo sie sich wohl fühlen. Im Grünen etwa, oder an den Bergen. Wer nun aber so lebt, definiert die Grenzen zwischen Alltag und Urlaub fließend. Alltägliche Quality Time wird zugunsten der klassischen Urlaubsreisen betont. Was eben auch heißt: Wir müssen weniger reisen, weil wir schon im Alltag häufiger Urlaubsgefühle haben. Aber dieses gute Gefühl sollten wir Läufer*innen ja hoffentlich schon kennen. Dennoch machen aktive Outdoorsportler*innen rein statistisch betrachtet rund fünf Tage mehr Urlaub im Jahr als der Bundesdurchschnitt. Apropos: Der Bundesdurchschnitt ist jährlich 12,3 Tage auf Reisen.

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REPORT FASTEST KNOWN TIME

FKT HOCHKUNJUNKTUR IM REKORDE JAGEN:

3 Buchstaben. Gib mir ein F, ein K, ein T und ich renne los wie ein Irrer, denn eine Fastest Known Time ist mehr als nur einer Bestzeit auf irgendeiner Strecke nachzulaufen. Ein Bericht über Routenrekorde, die das gewisse Etwas mit sich bringen müssen. Text: BENNI BUBLAK Fotos: EWALD SADIE

Buzz Burrell und Peter Bakwin nach ihrem FKTRekord auf dem John Muir Trail im Jahr 2000. Auf www.fastestknowntime.com, dem FKT Register, das die beiden ins Leben riefen, ist dies noch nachzulesen, auch wenn seitdem 5 neue FKTs auf dem 223 Meilen langen Weg durch die kalifornische Sierra Nevada verzeichnet sind.

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Nur einen Strohhalm und eine Kreditkarte bei sich tragend, fuhr Buzz Berrell per Anhalter 80 Meilen von seinem Wohnort Boulder fort, um anschließend in zwei Tagen auf abgelegenen Trails zurückzulaufen. Es waren die späten 1990er-Jahre und leichte Laufwesten gab es noch nicht. Aus Bächen und Lachen mit dem Strohhalm trinkend und mit der Kreditkarte das Nötigste besorgend, war Buzz dennoch unterwegs, wie er es bevorzugte: schnell und leicht. „Credit Card Adventure“ taufte er diese Art der Unternehmung. So zumindest lautet eine der vielen wilden Geschichten, die es über Buzz Burrell zu erzählen gibt. In der Trailrunning- Szene ist der inzwischen 66-jährige US-Amerikaner nicht nur wegen seinem Sinn für außergewöhnliche Abenteuer bekannt, sondern längst auch als Brand Manager für Ultimate Direction und Co-Gründer der Website www.fastestknowntime.com. Im Jahr 2000 lief er mit seinem Freund

Peter Bakwin einen neuen Rekord auf dem John Muir Trail. Der Begriff Fastest Known Time wurde von den beiden danach erstmals verwendet. Fest etabliert und bekannt wurde der Term durch die Website, die die beiden Freunde bald darauf ins Leben gerufen hatten. Ein weltweites Register aller FKTs! Routenrekorde gibt es schon lange. Eine der ältesten und gleichzeitig bekanntesten Routen dürfte die erstmals 1930 gelaufene Bob Graham Route im Lake District, England sein. Noch vor dem Beginn seines legendären „Summits of my Live“ Projektes, lief Kilian Jornet schon Prestige-trächtige Routen auf der ganzen Welt in Rekordzeit, wie zum Beispiel den GR20 auf Korsika oder den Tahoe Rim Trail in der Sierra Nevada und ist damit sicher einer der größten Botschafter von Fastest-Known-Time-Projekten. Zuletzt sorgten nun die Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit mit einem Vi-

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rus-bedingte Ausfall der TrailrunningWettkampfsaison für einen enormen Popularitätsschub von FKTs. Insbesondere die Einreichungen von FKT-Strecken und -Rekorden aus Deutschland ist in den letzten Monaten auf ein Vielfaches angestiegen, weiß ausgerechnet Peter Bawkin zu berichten. Schließlich sind sie alle in seinem Register notiert. Höchste Zeit, dass wir uns diesem Thema ausführlich widmen: Was ist eine FKT? Wo sind die Grenzen dieses Formats? Was macht ihre Attraktivität aus? Welche Rolle und Relevanz wird diese Do-ItYourself Bewegung des Trailrunning neben den klassischen und offiziellen Rennformaten in Zukunft einnehmen? Eine kleine Regelkunde: Im Grunde ist eine FKT nichts anderes als ein Speedrekord auf vorgegebener Strecke. Peter und Buzz unterscheiden auf fastestknowntime.com zwischen verschiedenen Möglichkeiten, wie eine FKT


MEINUNG BLACK LIFE MATTERS Text: CLEMENS NIEDENTHAL

HEY, IHR FEHLT HIER

Black Life Matters – es ist das eine, dieser Debatte mit Haltung zu begegnen. Vor allem aber müssen wir mit und nicht nur über jene reden, die uns immer noch zu selten auf den Trails begegnen: schwarze Trailrunner*innen.

A

Am 23. Februar 2020, rund drei Monate vor dem Mord an George Floyd in Minneapolis, wird in Brunswick, Georgia, der Afroamerikaner Ahmaud Arbery beim Joggen auf offener Straße erschossen. Zwei, wie man in diesen Breitengraden wohl sagen darf, Rednecks hatten den Läufer mit ihrem Pickup verfolgt. Und ihren eigenen Aussagen zufolge für einen Einbrecher gehalten. Dass es in Georgia tatsächlich rechtens wäre, einen auch nur vermeintlichen Kriminellen eigenmächtig und unter Gewaltanwendung festzunehmen ist ein weiterer Irrsinn, um den es jetzt aber nicht gehen soll. Jetzt geht um den Mord an einem Läufer, der eben nicht bloß ein Läufer war. Der 25-jährige College-Student Ahmaud Arbery war ein schwarzer Läufer. Tatsächlich führte die Tat auch zu breiten Reaktionen innerhalb der US-amerikanischen Lauf-Community. Während nun

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aber weiße Sportler*innen wolkig an das Friedvolle und das Freiheitsgefühl appellierten, das der Laufsport für sie bedeutete, zählten schwarze Athlet*innen zunächst einmal all jene Situationen auf, in denen sie sich gerade in der Ausübung ihres Sports als radikal unfrei erlebt hatten. Davon, generell nur bei Tageslicht zu laufen, erzählte eine Läuferin. Dass bestimmte Viertel zu meiden seien, ergänzte ein anderer. Viele gaben zudem an, generell nur gemeinsam zu laufen, um Beistand und vor allem Zeug*innen an ihrer Seite zu haben. Ein schwarzer Läufer gab zudem den Tipp, sich das Shirt eines Teams der Ivy League zu besorgen. Diese Elitehochschulen aus dem Nordosten der USA würden auch Weißen einen gewissen Respekt einflößen. Andere ließen sich ein „Don't shoot me, I'm just running“ auf die Laufshirts drucken. Ein politisches State-

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