Trail Magazin 6/2022

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IDA-SOPHIE HEGEMANN / RISIKO-FORSCHUNG / EVENT-RÜCKBLICK 2022

TRAIL MAGAZIN

DAS LAUFMAGAZIN NR.1 FÜR TRAILRUNNER

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06 2022 November Dezember

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ULTRA TRAIL DU MONT BLANC DYNAFIT TRANSALPINE RUN

TRAINING: SO KLAPPT ES MIT DEN DIE OPTIMALE ENERGIE BEIM LAUFEN

KOHLENHYDRATEN

REISE

Bornholm: Eine Insel, es ist eine Insel!

REPORT

So ist unser Sport heute organisiert

TYPEN

Die El Kott Schwestern im Interview

FOTOS

G wie Gefühle: Freude und Leid im Großformat


S P EEDCRO SS 6

The shoe that brought speed to trail


EDITORIAL Liebe Leserinnen, liebe Leser, Euer Lieblingsmagazin jammert nicht. Es geht hier ums Laufen, um Freude, Glückshormone, Adrenalinausschüttung, ja auch Gewinnausschüttung, weil Trailrunning auch immer mit Gewinn zu tun hat. Leiden gehört beim Ausdauersport auch mal dazu, aber Jammern nö, das tun wir nicht. Ehrlich wollen wir dennoch sein. Es wird nämlich ein schweres kommendes Jahr für Euer Lieblingsmagazin. Die Produktionspreise sind derart gestiegen, daß wir messerscharf kalkulieren müssen. Papier ist teuer, Druck ist teuer, der Vertrieb. Alles unterliegt einer Teuerung um 40%-50% mit noch ungewisser Weiterentwicklung. Wir wollen Euch das ohne Jammern einfach mal sagen und auch, daß all das was wir nun auf diesen Seiten veröffentlichen wertvoller, ausgewählter und bedachter wird und ist. Wir möchten uns in Zukunft genau überlegen wohin wir reisen um zu laufen, zu welchen Wettkämpfen wir fliegen und fahren und ob es sein muss, wegen der Vorstellung eines neuen Laufschuhes in ein Flugzeug zu steigen. Ja, wir werden viel abwägen und so manches ändern. Was wir erhalten möchten, weil wir es sind und es unser Herz ist - diese gedruckte Zeitschrift! Sie hat Gutes im Sinn. Sie will Euch rausschicken in die Natur, zu Euch selbst, in eine ganz simple Bewegung, die Wunder bewirken kann. Diese letzte Ausgabe 2022 blickt noch einmal auf viele spannende Events zurück, zeigt Traumtrails im Inland und im Ausland, die internationalen Stars und unsere Leserinnen und Leser. In TRAIL sollt ihr Euch wiederentdecken und auch ein wenig darüber lesen, was alles noch möglich ist.

TRAIL-Herausgeber Denis Wischniewski hat in diesem Jahr bei zwei Events seine Liebe zum Trailrunning intensiviert. Beim UTMB in Chamonix schwebte er eine Woche lang, wie in einem Traum, durch das Wonderland des Sports, beim Transalpine Run erlebte er nach acht Etappen das Wunder eines ersehnten Zieleinlaufes, verbunden mit tiefer Zufriedenheit.

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4 Menschen dieser Ausgabe

Ida-Sophie Hegemann Schon dreimal hat Ida den Transalpine Run gewonnen. Auch (social) medial ist Ida erfolgreich. Zu Besuch bei einem Trailrunning Star. Seite 34

Jack Kuenzle Da kommt einer aus dem Nichts und verbessert den Fabelrekord von Kilian auf der Bob Graham Runde um 30 Minuten. Wer ist deser Jack Kuenzle? Seite 80

Kim Rasmussen Kim Rasmussen ist Trailläufer. Und er st er Traillaufveranstalter. Unser Redakteur Clemens ist bei Kim seinen ersten Ultra gelaufen. Jetzt hat er ihn wieder besucht, auf der dänischen Ostseeinsel Bornholm. Seite 63

Lina El Kott Helander Mit ihrer Zwillingsschwester Sana zusammen zieht Lina seir einigen Jahren durch die Welt, von Wettkampf zu Abenteuer und in neue Länder. Seite 70


INHALT

STANDARDS EDITORIAL 3 INHALT 4 NEWS 16 MYVIRTUALTRAIL.DE 56 PRAXISTEST 90 IMPRESSUM 95 MORALFRAGE 98

14 Jahre Trail 2008 - 2022

6 FOTOSTORY

G wie Gefühle oder die großen Emotionen am Start und hinter der Ziellinie. Wenn sich alles in einem Moment in Freude und Tränen auflöst.

16 JOURNAL/NEWS

Denis´Kolumne, Trail WM in Thailand, Produkte für Wärme, Herzratenvaribilität, Adidas Infinite Trails, …

24 TEST:

LAUFRUCKSÄCKE

Wir haben 9 aktuelle Laufrucksäcke getestet und ihnen jeweils eine Alternative mit mehr Volumen beigestellt.

30 WAS IST

UNSER SPORT?

Verbände, Strukturen und Rennserien - Trailrunning ist ein breit organisierter Sport geworden. Ein Überblick.

34 IDA-SOPHIE HEGEMANN

Im Porträt stellen wir eine der besten deutschen Trailläuferinnen vor und ihren spannenden Weg von der Leichtathletik zum Ultratrail.

48 TRAILSCHUHE IM VERGLEICH

Markeninterne Duelle zwischen Hoka, Salomon, Saucony, The North Face und andere wichtige Marken.

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RISIKOFORSCHUNG

Ein Gespräch mit Pauli Trenkwalder über unsere Bereitschaft auf Trails etwas zu riskieren. Wieviel ist überhaupt gesund?

58 REISE NACH BORNHOLM

Redakteur Clemens Niedenthal war auf seiner liebsten Insel und verbrachte den perfekten Urlaub zwischen Wasserspaß, Genuß und hohem Puls.

64 DYNAFIT

TRANSALPINE RUN

78 MEINUNG 46 80 EIN REKORD

Benni Bublak macht sich Gedanken darüber, ob Trailrunning der nahbare Sport bleiben wird.

Jack Kuenzel überrascht sich selbst und stellt eine neue FKT auf der Bob Graham Round auf. Wer ist Jack? Was ist die Bob Graham Round?

82 TRAINING

Alles über Kohlenhydrate. Lars Schweizer erklärt uns fast alles über die effektive Aufnahme von „Carbs“ während des Laufens.

96 FAMILIE MÜLLER

Peter und Antje Müller leben bei Bremen und haben sich von den Alpen verzaubern lassen. Nun könnte die Trailrun-Leidenschaft für ein völlig neues Leben sorgen. Ein Porträt.

T R A I L YO U T U B E

260 Kilometer und 16000 Höhenmeter in acht Tagesetappen: Unser Autor war zum dritten Mal beim legendären TAR dabei und kam einmal mehr mit Teampartner ganz ordentlich über die Alpen.

70 LINA UND SANNA Im Interview: Die Geschwister El Kott Helander über ihr Leben als Trail-Profis, Olympia, Schwestern und die Liebe zum Laufsport.

Die Wochenshow Ab Oktober findet ihr auf unserem YouTube-Kanal (3700 Follower) endlich wieder einmal pro Woche die TRAIL WOCHENSHOW. Kurze News, Webtipps, Race-Resultate und Produktvorstellungen, die wir innerhalb von 10-15 Minuten durchs Netz klicken und scrollen. Zudem stehen in den nächsten Tagen auch wieder ausführliche Reviews neuer Trailschuhe an. Beispielsweise der Salomon S-Lab Genesis, mit dem Matthieu Blanchard auf Rang 2 des UTMB lief. Besucht uns doch einfach mal! www.youtube.com/c/ TRAILMagazin2021

40 ULTRA TRAIL DU MONT BLANC

Die inoffizielle WM braucht sich längst nicht mehr messen oder bewerten lassen. Hier spielt einmal im Jahr die Musik der Besten und wir waren die ganze Woche beim Mega-Event in Chamonix mit dabei.

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G

FOTOSTORY Große Gefühle

WI E

GEFUHL :

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Fotos: Goran Yakus

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Foto: Jordi Saragossa


Foto: Kolesky

Fotos: Goran Yakus

FOTOSTORY Große Ganz alleine Gefühle

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Foto: Steven Ashworth, Jordi Saragossa


Foto: Hendrik Auf´mkolk, Jordi Saragossa

FOTOSTORY Große Gefühle

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6/2022 Fotos: Alexis Berg


Fotos: Pedro Silva

FOTOSTORY Große Gefühle

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Foto: Hendrik Auf´mkolk, Jordi Saragossa

Fotos: Carolin Unrath


FOTOSTORY Grosse Gefühle

Text: DENIS WISCHNIEWSKI Es mag schon sein, dass wir etwas abgestumpft sind. In der Myriade an Eindrücken und Einflüssen lassen wir im Alltag die großen Gefühle einfach nicht mehr zu. Das könnte ein Schutz sein, eine Reaktion auf das "Too much". Vielleicht braucht es ein Ventil wie jenen Laufsport, das Trailrunning mit all seinen Hürden, seiner Distanz und Schwere um sich am Ende so zu spüren, dass alles aus uns heraus muss. Alle Emotionen verlassen unseren Körper, weil sie es hinter dieser verdammten Ziellinie und auch auf der Strecke, am Berg, im Wald dürfen. Kein Chef oder Teamleiter der zusieht, sondern fast nur Menschen, die gerade das selbe durchlaufen haben. Das macht es einfacher. Wer diese Zeitschrift aufmerksam und Ausgabe für Ausgabe ansieht, wird feststellen, dass es ohne Gefühl, ohne

Konzentration und Fokussierung nicht geht. Niemand läuft mit leerem Blick! Entweder man leidet herrlich, oder genießt den Lauf herrlich. Dazwischen gibt es kaum einen Zwischenzustand. Und wie rasch sich unsere Gemütslage auch ändert - diese letzten 100 Höhenmeter, durch das steile Geröllfeld nach oben zum höchsten Punkt der Strecke. Alles tut weh. Die Muskeln, die Lunge. Für einen Moment senkt sich der Puls, ein Lächeln kehrt zurück um es mit in den Downhill zu nehmen. Die Auflösung aller Höhen und Tiefen findet sich im Ziel wieder. Alles Leiden, alle Schmerzen haben hier plötzlich und mit einem einzigen letzten Schritt ein absolutes Ende. Es ist vorbei. Es ist geschafft. Ein großes, das größte Gefühl das uns alle eint - egal ob Erster, Erste, Letzter oder Letzte. Das Lachen mit dem Finish ist echt, ist für uns selbst und ohne jeden Hintergedanken.

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Sorry, ich kann mich nicht erinnern ausserhalb des trailsports so sehr gefühle zugelassen zu haben.


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NEWS&JOURNAL E V E N T -VO R S C H AU

Fotos: Thomas Bekker

Die erste WM im Trailrunning vom 3.-6. November in Thailand könnte erstmals internationale Meisterschaften mit großer Aufmerksamkeit werden. Ein deutsches Team wird dabei sein.

THAILAND LÄDT EIN Zweimal wurde die Trailrunning und Berglauf WM schon verschoben. Nun findet sie Anfang November im bergigen Dschungel Thailands endlich statt. Wir verraten, wer für Deutschland läuft. Über 900 Athleten aus 46 Ländern werden Anfang November zu den ersten World Mountain and Trailrunning Championships, organisiert von ITRA (International Trailrunning Association), WMRA (World Mountain Running Association) und IAU (International Association of Ultrarunning) in Chiang Mai (Thailand) erwartet. So wurde es bei der offiziellen Pressekonferenz verkündet. Zugegen war auch Sebastian Coe, Präsident der World Athletics, der ankündigte, dass der Leichtathletik Weltverband eng mit den veranstaltenden Verbänden zusammenarbeiten wird. Dass er dabei von dem wachsenden Sport „Off Road Running“ sprach, sei ihm vorerst noch verziehen.

Über insgesamt vier Distanzen wird verteilt auf drei Tage (3.-6. November) um Medaillen und Preisgeld gelaufen. Der spannendste Tag wird wohl der Samstag, wenn die Wettbewerbe über Short Trail (42km , 2290hm) sowie Long Trail (80 km, 4800hm) stattfinden. Für Deutschland sind auf der langen Strecke Rosanna Buchauer, Hannes Namberger und Benedikt Hoffmann nominiert. Über Short Trail gibt es keine deutschen Starter. Vierte und letzte Nominierte für Deutschland ist Hanna Gröber, die beim Berglauf up sowie up and down starten soll. Eine sehr kleine deutsche Delegation. Hier konzentriert man sich wohl schon voll auf den Juni 2023, wenn die Weltmeisterschaften vor

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der Haustür in Innsbruck stattfinden werden. Hannes Namberger, der nach seiner Verletzung beim UTMB wieder voll ins Training eingestiegen ist, blickt optimistisch Richtung WM: „Am Ende der Saison, wenn ich schon viele Laufkilometer in den Beinen habe, bin ich immer am besten drauf. So war es auch letztes Jahr auf Madeira.“ Berichtete uns der Dynafit Athlet, der sich sehr spezifisch auf diese Aufgabe vorbereitet und sogar versucht die hohe Luftfeuchtigkeit Thailands in seinem Trainingskeller zu imitieren. Wir sind gespannt, wie sich die deutsche Delegation in dem international stark besetzten Feld (für England laufen unter anderem Tom Evans und Jonathan Albon) schlagen wird.


GANZ MIT SICH SELBST?

"Brauchen wir wirklich jemanden, der um den Mont Blanc fährt, um uns eine Banane zu reichen?", fragte kürzlich Profi Trailrunner Germain Grangier bei Instagram. Support bei Ultraläufen: Eine gute Sache oder überflüssig?

PRO / Clemens Niedenthal

Diesen Zahn müssen wir uns jetzt alle ziehen. Ich meine die Hoffnung, ach was, den Traum, dass dieses Trailrunning doch allumfänglich eine smarte, die Flora, Fauna und überhaupt unseren Planeten immer nur liebkosende Veranstaltung sei. Gerade deshalb dürfen wir nicht aufhören, die Dinge besser zu machen. Fahrt in Fahrgemeinschaften zu euren Rennen, oder mit dem Zug. Verbindet Eure Events in den Alpen mit einem Bergurlaub. Fliegt nicht durch die Weltgeschichte, bloß um ein paar Steine einzusammeln, wie die UTMB-Punkte ja neuerdings heißen. Wenn ein Athlet wie Germain Gangier nun aber fordert, Supporter:innen bei Rennen wie dem Utra-Trail du Mont-Blanc kategorisch auszuschließen, verkennt diese Haltung, das überhöhte Verkehrsaufkommen in sonst so menschenleeren Seitentältern hin oder her, die demokratische Dimension, die unser Sport tatsächlich hat. Viele derer, die da einen Ultra laufen, schaffen dies nur, weil Vater, Mutter, die beste Freundin oder der Lebensgefährte nicht nur immer wieder aufs Neue an der Strecke warten, sondern bereits die gesamte Rennvorbereitung begleitet haben. Dieser Lauf ist auch ihr Event, ein gemeinsames Erlebnis und eine gemeinsame Erfahrung. Der Läufer, die Läuferin als einsame Wölfe im Hochgebirge, das passt zum elitären Ethos, der auch dem Alpinismus ja lange so nah war. Trailrunning aber muss nahbar bleiben, unbedingt. Auch wenn es einmal im Jahr voller werden kann, nicht nur rund um den Mont Blanc.

CONTRA / Benni Bublak

Nein, natürlich sollte Trailrunning nahbar bleiben. Ein Sport zum Anfassen! Wenn ein Verbot von Support zu weniger Verkehrsaufkommen und weniger Umweltbelastung führen würde, wäre dies natürlich nur zu begrüßen. Allerdings halte ich dieses Argument in diesem Zusammenhang nicht für besonders wasserdicht. Dafür hält sich der von Supportern aufgebrachte Individualverkehr doch in ziemlich überschaubaren Grenzen, zumal wenn man den ausufernden Event-Charakter des UTMB ansonsten unangetastet ließe. Nein, mich überzeugen andere von Germain Grangier angebrachte Argumente: Das Verbot von externem Support würde unseren Sport erstens fairer, zweitens einfacher und drittens vielseitiger machen. Fairer, weil ohne Support jeder die gleichen Voraussetzungen zur Verfügung hätte. Egal, ob man Unterstützung durch ein großes SupporterTeam hat oder alleine anreist. Einfacher, weil das endlose Vorbereiten von Drop Bags und Race-Verpflegung, sowie Organisieren der Logistik entfallen würde, wenn man nur auf das zurück greift, was der Veranstalter anbietet. Und vielseitiger, weil die zahllosen Elemente, die das Ultralaufen neben der Leg-Power ausmachen, wie Strategie, mentale Stärke sowie situativ die richtige Entscheidung zu treffen, nochmal an Wichtigkeit hinzugewinnen würden. Ein Versuch wäre es wert. Für den Großteil würde es ohnehin keinen Unterschied machen. Allen anderen unter Umständen sogar das Leben erleichtern.

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NEWS&JOURNAL P RO D U KT E

WARMMACHER

Energiekrise? Angekommen. Angenommen. Für mehr Wärme gibt es Antworten auf Russisches Gas - diese Produkte sorgen für Kuschelmomente. The North Face Nuptse Mule

Daunen sind für die Füsse? Ja, auch! Den molligen Biwak-Schuh gibt es neuerdings auch mit einer straßentauglichen Laufsohle. www.thenorthface.de

Neues Backen

Laurel Kratochvila hat die wärmste Buchempfehlung des kommenden Herbstes verfasst. Ein Backbuch voller Lieblingsrezepte und eine Hommage an das Handwerk und seine Menschen. Erschienen bei Prestel/Randomhouse.

Tekla x Stüssy

Die schwedische Wäschemanufaktur und die kalifornische Streetwearlegende haben sich für eine erwärmende Kollektion zusammengetan – etwa für diesen mindestens terrassentauglichen Bademantel. www.teklafabrics.com

Johnstons Cashmere

Das hier ist eine Kaschmirziege. Was man aus ihrer Wolle machen kann? Eine unfassbar weiche Wärmflasche zum Beispiel. Von Johnstons of Elgin aus den schottischen Highlands. www.johnstonsofelgin.com

Perelic Blankets

Denitsa Popova engagiert kleine unabhängige Webereien in Bulgarien, um aus fair gesourcter Merinowolle zeitgenössische Decken zu weben. Gibt es in ihrem Laden in Berlin und unter: www.perelic.com

Teelichtheizung

Kein Witz. Sondern Physik. Eine aus Blumentöpfen gebaute Teelichtheizung ist tatsächlich ein Wunder an Effizienz. Kann man easy selbst bauen. Anleitungen findet Ihr, etwa bei Obi, im Netz.

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MUSTEREVENT

NEWS

Die Adidas Infinite Trails in Bad Gastein waren auch in diesem Jahr ein wahres Fest des Sports. Wer hier läuft findet sich in einem profihaften Umfeld wieder und darf das Finish ausgiebig feiern. Die vielfältigen Strecken und die Landschaft um das 40 Kilometer lange Tal sind traumhaft schön.

Am Wochenende nach den infinite Trails waren die Gipfel des Gasteiner Tals schon mit einigen Zentimetern Schnee bedeckt. So war die inzwischen vierte Ausgabe dieses Events für viele Trailrunner:innen ein gelungener Abschluss eines langen TrailrunningSommers. Zwar kann man inzwischen auch über alle Distanzen als Solo-Läufer starten, aber nichtsdestotrotz ist es vor allem das Team-Event, was für die einzigartige Atmosphäre dieser Veranstaltung verantwortlich ist. Unter die insgesamt fast 150 teilnehmenden Teams gesellte sich auch das #alwaysascending Team um die jungen Nachwuchs-Trailrunner Nick Seiferth, Felix Bergmann und Malte Lüttermann. Der 25 Jahre junge Medizin-Student Nick schwärmt im Nachhinein in höchsten Tönen von diesem Wochenende, das für ihn ein genialer Abschluss seiner ersten richtigen Trailrunning Saison war: „Das Event ist krass gut organisiert. Außerdem hatten wir so eine gute Zeit miteinander, weil es eben um die Gemeinschaft ging und nicht um das Ge-

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Entfesselter Litauer Für das absolute Highlight in Verona sorgte aber der Litauer Aleksandr Sorotkin. Erst im Vorjahr hatte der 40-Jährie im polnischen Pabianice mit 309,339 Kilometern einen neuen Weltrekord aufgestellt. Diese Marke knackte er in Verona bereits nach 23 Stunden und zehn Minuten. Nach 24 Stunden hatte Sorotkin dann über 319 Kilometer geschafft. Heißt: Er lief den Kilometer in einer Durchschnittspace von knapp über 4:30 Minuten.

Pakt mit der Erde

geneinander. Dadurch dass es ein Teamevent ist, wartet man an der Finishline nochmal ganz anders auf die Mitläufer.“ Sein Team sicherte sich Platz vier im Männerfeld. Ein richtig starkes Ergebnis, zumal die vorderen Platzierungen fast durchgängig an die Profiteams von Adidas Terrex gingen. Ob Profi oder nicht. Gefeiert wurde am Ende zusammen– und das nicht zu knapp. Nick beschreibt es wie folgt: „Wer ist eigentlich auf die Idee gekommen eine After-Race-Party inklusive Siegerehrung in einer Therme zu machen und nebenbei die ganze Zeit Essen und Bier auszuschenken? Der Kracher!“

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Die Familie von Patagonia-Gründer Yvon Chouinard überführt ihr Unternehmen in zwei unabhängige Stiftungen. Steuervermeidung, ätzen die Kritiker. Fakt aber ist, dass so künftig jeder verdiente Dollar, oder eben Euro, entweder in die Marke selbst reinvestiert oder für ökologische Projekte ausgegeben werden muss. Mit Patagonia kann fortan niemand mehr Gewinne machen. Yvon Chouinard will damit sicherstellen, dass seine ethischer Wertekanon auch nach seinem Ausscheiden (an das er vorerst nicht denkt) im Unternehmen verankert bleibt. Rund 100 Millionen Euro dürften so künftig jährlich für soziale und vor allem ökologische Projekte zur Verfügung stehen, trotz gestiegener Energiekosten und den erwartet hohen Investitionen in neue, nachhaltige Materialien und Fertigungsprozesse. Experten wie der Heidelberger Zukunftsforscher Eike Wenzel wähnen eine Zeitenwende: „Früher gab es das als Kollektiv geführte Café oder den Buchladen. Morgen werden sich selbst große und ganz große Unternehmen durch eine nachhaltige Unternehmensstruktur für zunehmend kritische Konsument:innen interessant machen.“ Haben wir nichts dagegen.


NEWS&JOURNAL

DENIS’ KOLUMNE

Während des Transalpine Runs, irgendwann nach der vierten oder fünften der insgesamt acht Etappen, dachte ich mir, dass ich das alles nicht will. Ich will ein warmes Bett, eine Netflix-Serie, Haribo, Chips, gedimmtes Licht und so was alles. Kurz nach dem glücklichen Finish freundete ich mich auch sehr mit dem Gedanken an, den Sport mit Eingang in mein fünfzigstes Lebensjahr zu beenden. Also so etwas wie ein Karriereende, wenn man bei mir überhaupt von einer "Karriere" sprechen kann. Egal. Ich würde also künftig keine Wettkämpfe mehr laufen, an keinen Rennen teilnehmen und auch nicht darauf trainieren. Keine langen Läufe mehr und nur noch "Funrun". Laufen, wenn ich wirklich Lust darauf habe, kleine Runden, eine Stunde oder mal zwei, kurz auf den Berg hoch mit einer Pause und gemütlich wieder zurück. Hört sich doch gut an, oder? Es gemütlich auslaufen lassen. In anderen Sportarten, als Fußballer, als Schwimmer oder Weitspringer, wäre ich seit fast 20 Jahren schon in Rente. Ich würde mit dickem Bauch und Männerhupen, meinen Sport im TV ansehen und besserwissend kommentieren. Eine gute Woche nach dem Transalpine Zieleinlauf, bin ich für das nächste Rennen angemeldet. Es wird kommende Woche stattfinden, ich werde mitlaufen. Natürlich werde ich das tun. Ich bin schließlich "fully recovered" und die Lust ist voll umfänglich zurück, die Idee, nicht mehr zu laufen ist komplett verworfen, explodiert im Wissen, dass ich laufe, weil ich es kann! Ein Spitzentriathlet, ganz sicher keine 40 Jahre alt, hat kürzlich auf seiner Facebook-Präsenz in einem rührenden Posting verkündigt, dass er von nun an

kein Triathlet mehr ist. Er dankte dem Triathlon als einer Art übergeordenter Lebensphase, für alles, für die gute Jahre und sagte allen Tschüss. Er bekam viele Likes und keine Kommentare, die ihn dazu aufriefen, es doch nochmal zu versuchen. Triathlet bleiben, mit anderem Ansatz, weniger Umfang, ohne Druck. Nur so ne Idee von mir. Zurück zum Trailrunning. Zurück zu mir. Ich bleibe also Trailrunner, weil ich mich in Zukunft nicht beim UTMB, GGUT oder ZUT hinstellen mag und über etwas reden und berichten will, was ich selbst nicht von ganzem Herzen tue. Ich fühle mich sicherer in Sachen, die ich selbst mache, weil ich dann bescheid weiß, weil ich dann voll drin bin. Das Wort Pflicht sollte im Zusammenhang mit einem lässigen und freien Sport, wie dem Trailrunning, nicht allzuviel Bedeutung haben. Und doch spüre ich tief in mir so eine Verpflichtung zu laufen, weil es geht, weil ich ohne Verletzung bin und es wohl auch denen schuldig bin, die es gerne tun würden, aber nicht können oder schaffen. Ich denke jeder von uns trägt so eine Art Pflicht mit sich durchs Leben. Die einen müssen dies, die anderen jenes. Ganz frei kommt man nicht durch die Existenz. Trailrunning wird jünger und jünger, Berge faszinieren junge Menschen und ich bin, zugegebenermaßen, auch überrascht, wie sehr junge Läuferinnen und Läufer auch diese langen Kanten laufen, wie sie mental 100 Kilometer und mehr runterrocken. Die Art zu Laufen bei einem 28-Jährigen ist einfach eine andere als die eines Mannes in meinem Alter. Die springen und hüpfen, die tanzen und ich schreite voran - ein Rollen im besten Sinne, ist das höchste meiner Gefühle. Voran kommen wir beide. Jung und alt. Die große Geschichte unseres Sports ist ja auch immer die aus den Jahren 2007 und 2008. Im einen Jahr siegt der 59-Jährige Italiener Marco Olmo beim UTMB, ein Jahr später will er dies wiederholen und wird schier gnadenlos locker vom 19-Jährigen Kilian Jornet geschlagen, der in der Gegenwart in bestimmten Kategorien des Trailrunning schon zum alten Eisen gehört. Schön zu

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wissen, dass auch alles um mich herum altert. Übrigens - Olmo läuft noch immer Wettkämpfe - mit stattlichen 74. Nun gut. Ich will also möglichst lange weiter laufen. Vermutlich wollen das viele andere auch. Es gibt ja auch diejenigen, die "erst" mit 40, 50 oder 60 Jahren das Trailrunning für sich entdeckt haben - wie ungeschickt wäre es denn bitteschön denen gegenüber, wenn der Herausgeber der geschätzten Fachzeitschrift in genau diesem Alterssegment mit dem aufhört was andere jüngst für sich entdeckt haben. Ich schwöre also hiermit offiziel, gedruckt auf 80 GrammGrammatur, im Offset-Verfahren, dass ich so lange renne, hike, Berge verehre und mir eine Startnummer um die Hüfte schnalle, wie es der Körper mitmacht. Vom Geist will ich nicht reden, denn der wird müssen und wird künftig auch nicht mehr gefragt. Mein Kopf wird dem gesunden Körper folgen müssen. Ohne Wenn und Aber.

Illustriertes Wissen Es gibt eine Menge Laufbücher - eine Menge die inspirieren und gut sind und eine ebenso so große Zahl an Büchern, die etwas "egaler" sind. Dieses Werk eines Autorentrios mag zwar in erster Linie für Anfänger gedacht und gemacht sein, dürfte aufgrund der schönen Aufmachung und schönen Illustrationen auch Profis ansprechen. Die beste Verwendung für diesen Guide ist, ihn als Geschenk zu kaufen und an Einsteiger weiterzugeben. Dieses Buch erklärt Anfängern, worauf man beim Trail Running achten sollte. Es wirft einen Blick auf Aspekte wie Ernährung, Training, Ausrüstung, Verletzungsbehandlung, Naturschutz und vieles mehr. Erfahrene Läufer lernen die Anforderungen für Ultra Runs und Wettrennen kennen: Auch Fortgeschrittene können noch einiges lernen. www.helvetiq.com


TICKER +++ GTWS: Nienke Brinkmann und Remi Bonnet gewinnen den Pikes Peak Ascent und Flagstaff Sky Peaks

HERZRATENVARIABILITÄT

Generell sind wir eher skeptisch gegenüber dem Verlangen, alles, was in unserem Körper passiert, in einen Zahlenwert pressen zu wollen. In diesem Fall aber scheint es einen echten Mehrwert für ambitionierte Sportler zu geben. Die Herzratenvariabilität ist in aller Munde. Viele Top-Sportler nutzen diesen Vital-Parameter, um Rückschlüsse auf ihr Training und den Zustand ihres Körpers zu ziehen. Erst kürzlich ließ auch Kilian Jornet durchblicken, dass er regelmäßig die Variabilität seiner Herzschläge trackt, als er kundtat, dass seine HRV, wahrscheinlich aufgrund einer Covid-Infektion, kurz vor dem UTMB deutlich niedriger war als gewöhnlich. Aber was genau wird bei der Herzratenvariablität eigentlich gemessen? Und wozu kann ich diesen Wert nutzen? Wir klären auf. Was ist die HRV? Unser Herz funktioniert nicht wie ein Metronom. Es schlägt nicht immer im gleichen Takt. Einfach gesagt: Die Zeit zwischen zwei Herzschlägen variiert ständig. Über den Puls ist das für uns schwer detektierbar, da sich die Abweichungen im Millisekunden-Bereich bewegen. Am ehesten kann man es fühlen, wenn man ein paar tiefe Atemzüge macht und gleichzeitig seinen Puls misst. Beim Ausatmen werden die Intervalle zwischen den Schlägen länger (der Puls verlangsamt sich) und beim Einatmen werden sie kürzer (der Puls wird schneller). Das nennt man respiratorische Sinusarrhythmie. Neben der Atmung gibt es aber noch viele weitere Einflussfaktoren, welche die HRV beeinflussen. Was beeinflusst die HRV? Zuerst einmal ein kleiner Ausflug in das vegetative Nervensystem. Dies ist das Nervensystem, welches alle Abläufe im Körper regelt. die wir nicht bewusst steuern können. Es setzt sich zusammen aus zwei gegensätzlichen Zuständen: Dem Parasympathikus und dem Sympathikus. Die sympathische Seite des Nervensystems bereitet uns auf eine Aktivitätssteigerung vor. Es hilft uns dabei, bereit und leistungsfähig zu sein, ist aber auch gleichbedeutend mit einem hohen Stress-Level. Herzfrequenz und Blutdruck steigen. Die HRV hingegen sinkt. Die Herzschläge werden also gleichmäßiger. Allgemein kann man sagen, dass bei höherer Herzfrequenz, die HRV geringer ist. Betreiben wir Sport, sinkt sie sogar fast auf null. Der Gegenspieler ist der Parasympathikus. Er wird aktiv, wenn wir den Körper runterfahren und uns erholen. Im Schlaf beispielsweise dominiert der Parasympathikus. Eine hohe HRV lässt auf eine hohe Parasympathikus- Aktivität schließen. Nor-

malerweise befinden sich beide Zustände in einem natürlichen Zusammenspiel und ständigem Wechsel. Wenn eine Person jedoch chronisch gestresst, überanstrengt oder krank ist, kann dieses Zusammenspiel gestört werden und die sympathische Aktivität des vegetativen Nervensystems ist dauerhaft erhöht. Dieser dauerhafte Stresszustand bleibt dann auch in Ruhephasen bestehen. Die HRV bleibt auch in Ruhe oder beim Schlafen erniedrigt. Wozu kann ich HRV Daten verwenden? Eine hohe HRV wird daher allgemein als Zeichen eines gesunden Herzens angesehen und mit psychologischer Gesundheit, höherer Lebensqualität und geringerer Anfälligkeit für Krankheiten in Verbindung gebracht. Bei Sportlern kann vor allem auch hartes Training zu einer erniedrigten HRV führen. Dies ist unproblematisch solange dieser Zustand vorübergehend ist, sollte allerdings alarmieren, wenn die HRV über längere Zeit (mehrere Tage) erniedrigt ist. Verglichen werden sollten die HRV Werte (angegeben in Millisekunden) immer nur mit den eigenen Werten, nicht mit denen anderer Personen. Neben Übertraining ist es auch möglich andere belastende Zustände zu durch die HRV visualisierbar zu machen. Stress auf Arbeit, im Alltag, Alkoholkonsum, eine Krankheit und vieles mehr. Die HRV kann daher als Anhaltspunkt dienen, wann man sein Training eher zurückfahren sollte und wann man Gas geben kann. Gemessen wurde die HRV bis dato meistens über einen Brustgurt und eine Sportuhr. Über einen definierten Messzeitraum (ca. eine Minute) muss man dabei still sitzen bleiben. Die Messung sollte immer zur gleichen Tageszeit stattfinden, um vergleichbar zu sein. Inzwischen bieten einige Uhren die HRV-Messung auch dauerhaft über den optischen Sensor an. Dies hat den eindeutigen Vorteil, dass das Messintervall deutlich länger ist, man also beispielsweise am Morgen nach dem Aufwachen einen Durchschnittswert der HRV über die ganze Nacht erhält. Unter Umständen ist die optische Messung aber nicht so genau, wie die elektrische Impulsmessung über den Gurt. Die HRV Messung ist unter Leistungssportlern schon längst Standard. Dank modernster Technik ist sie inzwischen auch für Jedermann einfach zugänglich.

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NEWS&JOURNAL

EVENTS

SIEG, FINISH UND VIEL MEHR! Es wird immer schwerer auszuwählen über welche Events wir in diesem Heft berichten sollen. Besonders im Hochsommer ist die Dichte an Trailrunning-Rennen einfach zu groß, um sie alle in diesem Heft abzubilden– seien es lokale, überregionale oder globale Events. Also haben wir uns 10 Rennen rausgesucht, die uns besonders interessant erschienen und jeweils eine Beobachtung herausgehoben.

Die Top Drei beim Wildstrubel by UTMB 50K. Darunter Benedikt hoffmann (ganz rechts).

Wildstrubel – der UTMB zieht! Die UTMB World Series ist angekommen in der Trailrunning Szene! Mit dem Wildstrubel Trail in der zentralen Schweiz feierte ein Rennen Debüt, welches es vielen deutschsprachigen Läufer:innen möglich machte, nochmal mit vergleichsweise kurzer Anreise Running Stones zu sammeln. Tatsächlich hörten wir von vielen Teilnehmern, die das Rennen spontan einfach nochmal mitnahmen. Ob es eine gute Idee ist, sich ohne diesen letzten Fokus an eine Startlinie eines 50 oder gar 100 Kilometer Rennens zu stellen, sei dahingestellt. Fakt ist: Der UTMB zieht! Beim Wildstrubel 50K gelang übrigens Benedikt Hoffmann, der nur zwei Wochen nach dem OCC seine bittere Zeitstrafe schnellstmöglich vergessen machen wollte, ein hervorragender dritter Platz. GGUT– Elite favorisiert kürzere Distanzen Wir beobachteten es beim Innsbruck Alpine, beim ZUT und jetzt auch wieder beim GGUT. Bei den wohl größten Events im deutschsprachigen Raum hat sich der Fokus der Elite-Athleten verschoben. Und zwar von den langen Distanzen weg zu den kürzeren Strecken. Waren es früher noch die vermeintlichen Hauptdistanzen, in dem Fall die ganze Runde um Österreichs höchsten Berg, welche die stärksten Athlet:innen anzogen, sind es heute vor allem die kurzen Distanzen, die das dichteste und umkämpfteste Starterfeld aufweisen. Natürlich war da die phänomenale Leistung des Berchtesgadeners Alexander Marcel Westenberger der den 100er mit großem Vorsprung gewann. Spannend und eng ging es aber eher bei den kürzeren Distanzen zu. Zum Beispiel beim 55er, welchen der blutjunge Grieche Paradeisopoulos nur hauchzart vor dem Südtrioler Florian Reiterer (später Dritter beim CCC) gewann. Sierre Zinal–afrikanische Trail-Sieger bleiben Ausnahme Die Kenyanerin Esther Chesang verkaufte selbstgebastelte Armbänder, um sich die Anreise in die Schweiz zu finanzieren. Nur wenige Tage später siegt sie beim wohl bestbesetzten Trail- und Berglauf der Welt zwischen Sierre und Zinal. Auch bei den Herren prägten zwei Kenyaner das Rennen. Mark Kongogo dominierte das Rennen stärker, als es sei-

Mark Kongogo gewinnt souverän den Berglauf Sierre Zinal.

Wartende Ultratrail Athleten am Start des Grossglockner Ultratrail

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TICKER +++ Der Deutsche Alexander Marcel Westenberger gewinnt den Adamello Ultratrail (170 km) in 26:23:27

ne Siegerzeit vermuten ließe. Und auch Patrick Kipngeno musste nur aufgrund leichter Schwächen im Downhill dem vorbeistürmenden Orientierungsläufer Andreu Blanes den zweiten Rang überlassen. Ist deswegen gleich ein neues Zeitalter hereingebrochen? Afrikanische Läufer die zukünftig in Scharen die Weltspitze im Trailrunning aufmischen. Nein, die afrikanischen Eliteläufer, die zumeist nicht die gleiche Sponsoren-Unterstützung wie die Europäer bekommen, laufen aus absolut nachvollziehbaren Gründen vorrangig dort, wo es Preisgelder gibt. Bei anderen Events ist das noch nicht so der Fall wie bei Sierre Zinal. Auch längere Rennen und Ultras kommen kaum in Frage, weil die Erholungszeit zu lang ist und sich damit die Anzahl der möglichen Starts drastisch reduziert.

Foto: Ulrich Pfeuffer, Markus Fruehmann

Tor de Geants– ist das noch normal? Unmenschliche Leistungen scheinen doch möglich zu sein! Außer Jonas Russi ist kein Mensch. Das wäre zumindest eine Erklärung dafür, dass der Andermatter beim UTMB in die Top Ten läuft, um nur zwei Wochen später beim 330 Kilometer langen Tor de Geants zu siegen. Das allein sind 500 Wettkampf-Kilometer innerhalb von nur zwei Wochen. Und wahrscheinlich hat der Schweizer dazwischen nicht die Beine hochgelegt. Er beweist damit eine phänomenale Regenerationszeit, die aber nicht zur Nachahmung empfohlen ist. Bei den Frauen holt sich die britische Fellrunnerin Sabrina Verjee den Streckenrekord. Sie siegt in 80 Stunden und 50 Minuten, läuft auf Overall Platz 5 und ist nichtmal 10 Stunden langsamer als Russi.

Matschige Pfade beim Südthüringentrail in Suhl

Jonas Russi läßt sich im Ziel des Tor Des Geants 330 feiern

Südthüringentrail– Mittelgebirge ist auch Trail. Und wie! Es muss nicht immer Alpen sein! Und auch nicht immer hohe Berge! Ohne jetzt dem Thüringer Wald zu nahe treten zu wollen. Denn auch die knackigen Anstiege und 2500 Höhenmeter beim Südthüringentrail werden sicher weh getan haben. So freute sich dieses Event, wie auch zahlreiche andere Mittelgebirgs-Events dieses Jahr über ein großes Teilnehmerfeld. Trailrunning boomt auch abseits der Alpen. Dennoch muss man konstatieren, dass sich auch in Deutschland ein sehr großer Teil des Sports in den Alpen abspielt. Auch wir als Trail Magazin, dessen Büro mitten im schönen Chiemgau liegt, vergessen manchmal den Blick gen Norden schweifen zu lassen. Mea Culpa! Hier also die Gewinner einiger großartiger Mittelgebirgsläufe, die es verdient haben erwähnt zu werden: Susanne Haßmüller und Peter Hoehne gewinnen beim HochRhönTrail! Beim sehr beliebten Gelita Trailmarathon in Heidelberg siegen Juliane Rößler und Matthias Krah über die 50 Kilometer Langdistanz. Und beim schon erwähnten Südthüringentrail freuen sich Daniel Greiner und Claudi Althanß über die ersten Ränge beim 65 Kilometer langen Riesentrail. Herzlichen Glückwunsch!

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PRAXISTEST Laufrucksäcke Text: BENNI BUBLAK

Fotos: Sportograf

Die Race Vest 6.0 von Ultimate Direction im Einsatz beim beim Transalpine Run.

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GUTE LAST!

Auch wir dachten, dass man an an einem Laufrucksack oder einer Racevest nichts mehr verbessern kann und die Entwicklung abgeschlossen wäre. Weit gefehlt - auch 2022 überraschen uns wieder viele neue Modelle.

Die Indizien häufen sich. Trailrunning ist keine Nischensportart mehr. Erstmalig sind dieses Jahr in unserem großen Rucksacktest auch Modelle der ganz großen Rucksackhersteller vertreten. Anscheinend kommen selbst Osprey und Deuter nicht mehr daran vorbei, ihren Kunden auch Westen zum Laufen anzubieten. Man muss sagen es ist gut, dass dies erst jetzt passiert. Vor wenigen Jahren wäre das Ergebnis wahrscheinlich noch ernüchternd gewesen, hätten Deuter und Co. ihre Entwickler auf ein Produkt für Trailrunning angesetzt. Inzwischen gelingt es fast jedem Hersteller ein absolutes brauchbares Produkt für das Laufen auf schmalen Pfaden zu konstruieren. Der Ascender und der Duro haben uns also durchaus Freude beim Testen bereitet. Auch wenn natürlich noch Lücken reißen zu den absoluten Spezialisten. Hier sind wir jedes Jahr erneut erstaunt, was noch an Entwicklungssprüngen möglich ist. Bei einem Produkt wo wir eigentlich schon vor Jahren dachten, dass das Evolutionsmaximum erreicht ist.

Sehr begeistert sind wir zum Beispiel von dem was die britischen Outdoor-Profis von Montane mit ihrer GeckoSerie auf die Beine stellen. Der Branchenprimus Salomon ist hier längst nicht mehr unantastbar. Wer sich im Jahre 2022 einen Trailrunningrucksack zulegen will, hat also die Qual der Wahl. Nichtzuletzt auch weil jede Marke etliche Variationen ihrer Rucksäcke anbietet. Wir haben daher immer eine Alternative zum jeweiligen Testprodukt mitgeliefert. Diese unterscheiden sich manchmal nur im Packvolumen, manchmal aber auch in ihrer ganzen Konstruktion voneinander. Wichtig ist, sich vor dem Kauf das Anforderungsprofil, dem der Rucksack genügen soll, klar zu machen. Wieviel will ich verstauen, welches Trinksystem bevorzuge ich und welches Gewicht darf der Rucksack haben. Klar, am Ende muss auch das Design und natürlich der Preis passen. Bei letzterem prescht Salomon dann doch wieder voran: Der ActiveSkin4 ist unser Preis/Leistungssieger dieses Tests. Zusammen mit dem Modell des Discounters Decathlon, welches einmal mehr überrascht.

SOFTFLASKS

HAUPTFACH

sind inzwischen nicht mehr wegzudenken an einem Trailrunning-Rucksack. Optimalerweise sind sie schon im Lieferumfang enthalten.

Hier bietet der Rucksack den größten Stauraum. Optimalerweise ist es das einzige Fach, an das an nur herankommt, wenn man den Rucksack abnimmt.

FRONTVERSCHLUSS

MATERIAL

Hier gibt es viele Varianten: Ob Klick-Verschluss, Haken und Ösen oder Reißverschluss bleibt am Ende auch Geschmackssache.

Leicht, an den richtigen Stellen stretchig, gleichzeitig robust- die Anforderungen an das Material sind komplex.

VOLUMEN

TASCHEN

Jeder Hersteller hat seine eigene Methode das Volumen eines Rucksacks zu bestimmen. Volumen-Vergleiche zwischen verschiedenen Marken sind daher mit Vorsicht zu genießen.

Möglichst clever konstruierte und leicht zugängliche kleine Taschen zeichnen eine gute TrailWeste aus.

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REPORTAGE PROFI PRAXISTEST Laufrucksäcke TRAILRUNNER

›› DYNAFIT ALPINE 12

›› SALOMON ACTIVE SKIN4

›› SILVA STRIVE LIGHT BLACK 10

100,00 Euro

80,00 Euro

100,00 Euro

Vorher unter dem Namen Enduro 12 bekannt, war dieses Dynafit-Modell oft nachgefragt in den letzten Jahren. In diesem Rucksack hat auch die umfangreichste Ultratrail Pflichtausrüstung Platz. Dennoch bleibt das Gewicht, dank des auf Minimalismus ausgerichteten Materials, extrem niedrig. Vor dem großen Hauptfach, gibt es die Möglichkeit Sachen in einem dehnbaren Reißverschlussfach zu verstauen, das zum Rücken hin mit einem wasserfesten Material versehen ist. Für Trinkbehältnisse gibt es zahllose Verstaumöglichkeiten. Klassische Radflaschen können seitlich verstaut werden. In der Front haben zwei 500 ml Softflasks UND zwei 250 ml Softflasks Platz. Jene sind allerdings nicht im Lieferumfang enthalten. Bei richtiger Größenwahl sitzt der Rucksack superfest, kann aber sogar noch per Schulterriemen an den jeweiligen Füllstand angepasst werden. Vielleicht gibt es Alternativen, die hochwertige Materialien verbauen, mit diesem durchdachten Allrounder ist man allerdings für TrailAbenteurer jeglicher Art perfekt gerüstet.

Es gab Zeiten wo mindestens jeder zweite Rucksack auf dem Trail von der Firma Salomon stammte. Der Marktführer hat inzwischen viele verschiedene Trail Westen im Angebot. Die Active 4 Skin ist die Preisgünstigste unter ihnen. Wer eine simple, aber dennoch hochfunktionale Weste für sämtliche Anforderungsbereiche sucht, kann hier ohne Bedenken zuschlagen. Ein perfekter und dazu noch sehr komfortabler Sitz, wird ergänzt durch ein Feuchtigkeit-geschütztes Hauptfach mit Reißverschluss, große Stretch-Fronttaschen und im Lieferumfang enthaltene Soft-Flasks. Der sogenannte Quick Link Verschluss an der Brust funktioniert hervorragend, einzig das Öffnen und Schließen ist etwas fummelig. Stock-Befestigungs-Möglichkeiten bietet der Rucksack nicht. Der Active 4 Skin ist der perfekte Allrounder für alle die auf die Expertise aus Annecy vertrauen und nach einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis Ausschau halten.

Silva und Laufrucksäcke? Ja der Spezialist für Kopflampen hat sich jetzt auch an Trailwesten gewagt. Insgesamt gibt es fünf Modell mit verschiedenen Volumina. Das schwarze Design mit reflektierenden Elementen weiß auf jedenfall zu gefallen. Besonderheit sind mit Sicherheit die Applikationen für die Lampe. Am Rücken ist extra ein kleines Fach für den Akku angebracht, das Kabel kann dann analog zum Trinkschlauch nach vorne geführt werden und Silva Lampen sogar am Riemen des Rucksack befestigt werden, wenn man das möchte. Das große Hauptfach ist wasserfest und wie ein großer Sack konstruiert, außerdem gibt es eine Meshtasche, die auch von vorne zugänglich ist. Vorne ist eine weitere wasserfeste Reißverschlusstasche für Handy oder ähnliches angebracht. Der Rucksack kommt mit zwei 260 Milliliter Softflasks, wobei in die Taschen auch 500 Milliliter Flasks passen. Der Sitz an den Schultern könnte etwas enger und fester sein. Insgesamt fällt der ansonsten sehr gelungene Rucksack eher groß aus.

Alternative

Die Active Skin 12 ist die bessere Wahl, wenn man etwas mehr Vertsaumöglichkeiten benötigt. Sie hat auch Seitentaschen an den Hüftgurten.

Alternative

Die Alpine Running Vest ist ein Hauch von nichts und die beste Wahl für Minimalisten und Skyracer.

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Alternative

Silva haben mit der Utra Light auch eine richtig minimale und leichte Race-Vest im Programm.


›› EVADICT Trailweste

›› DEUTER ASCENDER 7

›› OSPREY DURO 1,5

39,99 Euro

110,00 Euro

110,00 Euro

Man kann den Franzosen vom DiscounterRiesen nicht vorwerfen, dass sie nicht wüssten, wie man Trailrunning Produkte konstruiert. Mit Blandine L'Hirondel hat deren Eigenmarke Evadict nun sogar eine CCCSiegerin als Athletin. Auch dieser Trailweste merkt man ihre Expertise eindeutig an. Das Material ist simpel, aber gleichzeitig super leicht und stretchig. Die Weste hat alles was man von einer Trailweste erwartet. Der dreiteilige Klick-Verschluss überzeugt uns besonders, sorgt er doch für einen superfesten Sitz. Durch den Riemen am unteren Ende der Weste gefühlt sogar fast zu fest. Wir empfehlen in jedemfall eine Nummer größer als normal zu ordern, da die Weste sehr klein ausfällt. Soft-Flasks sind bei dem schmalen Preis nicht mitenthalten. Ob man für knapp 40 Euro guten Gewissens eine Laufweste kaufen kann, wagen wir hier und heute nicht zu beantworten. Rein funktionell wird man mit diesem preislichen Leichtgewicht aber auf jedenfall glücklich werden.

Alternative

Die Ultra 15 bietet deutlich mehr Stauraum und überzeugt in den technischen Details genauso wie ihr kleiner Bruder.

Die erste Trailrunning Weste vom Rucksackriesen Deuter ist da und sieht tatsächlich noch wie ein richtiger Rucksack aus. Das Hauptfach ist großvolumig und zum Rücken hin mit einem herausnehmbaren Polster abgegrenzt. Dadurch dass das Hauptfach im unteren Bereich komprimierbar ist, funktioniert es auch mit wenig Füllung. Den Ascender 7 gibt es nur in einer Standard-Größe. Durch seitliche Riemen und Schulterriemen lässt er sich aber gut an jede Körperform anpassen. Der Sitz ist absolut in Ordnung und wackelfrei. In der Front hätten wir uns ein paar mehr Verstau-Möglichkeiten gewünscht. Hier gibt es definitiv cleverere und Raum-nutzendere Konstruktionen bei der Konkurrenz. Innovativ ist die Stockhalterung mit einer Art Köcher vorne. Gefiel uns gut, da die Stöcke sehr schnell und einfach verstaut werden können. Nur wer einen engen Armschwung hat, könnte sich an dieser Konstruktion stören. Insgesamt liefern Deuter mit dem Ascender 7 ein durchaus passables Gesellenstück, dass nur aufgrund des inzwischen sehr hohen Niveaus der Konkurrenz noch leicht hinterher hinkt.

Alternative

Beim Ascender 13 ist das Volumen des Hauptfachs deutlich ehröht. In der Front ist er identisch zum Ascender 7.

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Die amerikanischen Rucksack Riesen von Osprey transportieren mit der Duro Serie von nun an auch Trailrunning Gepäck. Der Duro 1,5 ist eine klassische Race-Vest, die definitiv mehr als 1,5 Liter schluckt. Das Design ist simpel gehalten und enthält alle klassischen Features inklusive zweier Softflasks. In der Front sorgen zwei Stege aus Plastik, die als Führungen für die Klickverschlüsse dienen, für viel Stabilität und einen guten Sitz. Die seitlichen Stockhalterungen sind simpel, funktionieren aber einwandfrei. Das verwendeten Material sind eher schwer, machen dafür aber auch einen robusten Eindruck. In der Front gibt es eine gut erreichbare Reißverschluss-Tasche für das Smartphone oder den Schlüssel. Insgesamt ist Osprey mit dieser Weste ein sehr solides Debüt gelungen. Die Version für Frauen nennt sich Dyna 1,5. Insgesamt gibt es von dieser Serie zwei weitere Rucksäcke plus einen Belt.

Alternative Der Duro 6 ist die nächstgrößere Version des Duro 1,5. Der Unterschied beschränkt sich fast nur auf den Stauraum.


PRAXISTEST Laufrucksäcke ›› ULTIMATE DIRECTION

RACE VEST 6.0

›› MONTANE GECKO VP5+

›› SCOTT TRAIL RCULTIMATE TR5'

119,95 Euro

125,00 Euro

149,00 Euro

Die nunmehr sechste Version der Race Vest trägt einige Verbesserung mit sich und begleitete das Team Trail Magazin zuverlässig durch acht Etappen des Transalpine Run. Dabei fasste das Hauptfach lässig alle Ausrüstungsteile, wie Erste-Hilfe-Set, Regenbekleidung und trockene Baselayer. Auch die Passform und die in der Front angebrachten Flasktaschen lassen keine Wünsche übrig. Die Flask gleiten sanft in die Öffnung und lassen sich ebenso gut fest fixieren. Seitenfächer fassen Gels, Riegel, Brille und mehr. Besonders positiv fällt uns das gesamte Verschlusssystem auf, das sich im Klickverfahren schliessen und öffnen lässt. Individuelle Anpassungen klappen schnell und effektiv. Einzig die neue Stockhalterung, über eine Schlaufenlösung hat uns nicht überzeugt hier haben wir mit einem zusätzlichen Belt eine Zusatzoption gefunden. Die Race Vest 6.0 ist robust, leicht, lässt sich rasch von Hand auswaschen und ist der TopTipp für Ultratrail und Trainingsalltag.

Alternative

Die Ultra Vest5.0 bietet deutlich mehr Platz, hat ein verschlossenes Hauptfach und fasst mehr Ausrüstung. Das Update fürs Commuting.

Wir nehmen es vorweg: Das ist unser Testsieger dieses Tests. Hier stimmt einfach alles. Hochwertige Materialien und eine clevere Konstruktion sorgen für einen perfekten Sitz und angenehmen Tragekomfort. Die breite Bauchlasche mit Klettverschluss sorgt dafür, dass wirklich nichts wackelt. Der Stauraum in der Front scheint unbegrenzt. Neben den Taschen für die Softflasks gibt es zwei tiefe Reißverschlusstaschen und weitere kleine Stretchtaschen für Verpflegung, Multitücher und sonstiges. Der Rücken ist zweigeteilt. Oben ein kleines Fach, an das man auch während des Laufens gut herankommt. Unten ein Reißverschlussfach, dass in Richtung Rücken mit wasserfestem Material abgedichtet ist, sodass hier nichts nass und schweißig wird. Klasse! An der Außenseite ist ein Gummiband angebracht, welches den Stauraum dieser Weste nochmal erweitert. Ein kleiner Schlafsack festgespannt und die Racevest mutiert zum Tourenrucksack. Die Briten von Montane überzeugen mit der Gecko VP5+ auf ganzer Linie.

Alternative

Die Gecko-Serie gibt es in 5 verschiedenen Größen. Wer noch mehr Stauraum braucht, greift beispielsweise zur Gecko VP12+ oder VP20+

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Diese Weste ist die mit Abstand leichteste Rückenbegleitung in diesem Test. Scott arbeitet hier mit super minimalem Stoff aus dem im Prinzip die ganze Weste gefertigt ist. Geschlossen wird sie in der Front über einen Reißverschluss, was gut funktioniert, aber Geschmackssache ist. Über mangelnde Atmungsaktivät braucht man sich allerdings keine Sorgen machen, da der Stoff sehr dünn und luftdurchlässig ist. Die Weste wird mit zwei Soft-Flasks geliefert, welche dank ihrer ergonomischen Form superschnell in den jeweiligen Taschen verstaut sind. Durch die minimale Bauweise wippen sie beim Laufen allerdings mehr hoch und runter als bei robuster gebauten Konkurrenzmodellen. Die Weste sitzt insgesamt außerordentlich hoch. Stauraum ist ausreichend vorhanden und clever verteilt. Seitlich kann über zwei Riemen die Weste enger an den Körper angepasst werden. Die Trail RC Ultimate TR’5 ist ein Kauftipp für alle Lightweight-Freaks, die bei Wettkämpfen auf jedes Gramm schauen.

Alternative

Die Trail RC TR10' bietet deutlich mehr Stauraum und ein klassisches Verschluss-System in der Front. Die minimale Haptik bleibt gleich.


›› CAMELBAK CIRCUIT RUN VEST

Camelbak bleiben dran am Thema Trinkblase. Wir dachten ja eigentlich zumindest im Trailrunning hat sich dieses Konzept so langsam aufgrund geringer Praktikabilität verabschiedet. Aber wie so vieles, bleibt das wohl Geschmackssache und so wird es wohl auch im Jahr 2022 noch Liebhaber des Trinkschlauchs geben. Camelbak bedienen dieses Klientel und präsentierten beim UTMB ein neues innovatives Trinkblasensystem. Auch die Circuit Vest kommt mit Trinkblase. Man kann sie aber auch mit Soft Flasks verwenden. Dann bleibt allerdings in der Front nicht mehr viel Stauraum für weiteres übrig. Insgesamt ist der Stauraum dieser Weste eher begrenzt. Durch die Gurtkonstruktionen gibt es seitlich keinen Platz für Taschen. Hinten gibt es nur das eine Hauptfach. Was Sitz und Materialien angeht, macht dieses Modell allerdings eine gute Figur. Obwohl es die Weste nur in einer Größe zu kaufen gibt, lässt sie sich sehr gut an jeden Oberkörper anpassen. Die Materialien sind leicht und bequem. 2023 wird es ein Update der Weste geben.

Alternative

Die Ultra Pro bietet eher das klassische Trailrunning-Westen-Erlebnis und macht bis zum langen Ultratrail eine gute Figur.

Foto: Hendrik Auf´mkolk

84,99 Euro

Top-Ultratrailrunner Hannes Namberger läuft ein Race-Vest von Dynafit mit "Köcher-Lösung" für seine Faltstöcke.

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HINTERGRUND So läuft unser Sport

Wie ist unser Sport organisiert?

Was das Maultier in der Tierwelt ist, ist das Trailrunning im Sport. Esel oder Pferd? Berglauf, Ultralauf oder alpiner Bergsport? Wie das Muli tut sich dieser Sport schwer mit seiner Identität. Zu facettenreich ist das Trailrunning, ein Sport der sich entfaltet, irgendwo zwischen einem 6 Kilometer Berglauf und einem 300 Kilometer AdventureMarsch, zwischen einem Küsten-Landschafts-Ultra und einem hoch-alpinen Skyrace bis auf 4000 Meter Höhe, ja sogar zwischen den Fortbewegungsarten Laufen, Wandern und Klettern. Dementsprechend divers gestaltet sich auch die Organisationsstruktur unseres Sports. Einen zentralen Dachverband, der Lizenzen vergibt und Weltcups organisiert? Gibt es im Trailrunning nicht. Vergleichen kann man die Ausgangssituation vielleicht am ehesten mit den Sportarten Triathlon oder Mountainbiken. Ebenfalls Ausdauersportarten und Hybride aus mehreren Bewegungsformen. Beide haben in den letzten Jahrzehnten zu einer gewissen Struktur gefunden und sind nun olympisch. Triathlon hat mit der Internationalen Triathlon Union (ITU) einen eigenen Verband gegründet, der Mountainbikesport sich im Jahr 1990 dem Weltradsportverband (UCI) angeschlossen. Im Triathlon gibt es mit der Ironman World Championship auf Hawaii einen Wett-

Text: BENNI BUBLAK

Es ist kompliziert. Verbände, Rennserien, UTMB... Wer hat in unserem Sport welche Funktion? Höchste Zeit, dass wir uns der Sache annehmen und umfassend erklären, wie der Sport Trailrunning organisiert ist. kampf, der erstens älter ist als die ITU, zweitens unabhängig von ihr ausgerichtet wird und drittens deutlich mehr Aufmerksamkeit erhält, als die vom Verband ausgerichteten Meisterschaften. Ähnlich verhält es sich mit der Tour de France im klassischen Radsport. Dennoch gibt es zwischen den von privaten und kommerziellen Unternehmen organisierten Veranstaltungen (A.S.O. - Tour de France, W.T.C. - Ironman) und den jeweiligen Verbänden eine gewisse Kommunikation und gegenseitige Anerkennung. Im Trailrunning ist das noch anders. Hier haben wir etliche unterschiedliche Player, die nebeneinander existieren und um steigende, aber letztendlich begrenzte, Aufmerksamkeit ringen. Ein Großteil dieser Aufmerksamkeit beanspruchen auch im Trailrunning große, von privaten Unternehmen organisierte, Veranstaltungen (UTMB, Golden Trail Series, Skyrunner

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World Series). Daneben gibt es mehrere Verbände (ITRA, WMRA, WA, IAU, ISF), die mitreden wollen. Diesen mangelt es aber entweder an gestärkten Strukturen und der nötigen Anerkennung oder aber Trailrunning ist für sie eben nur eine kleine Randsportart von Vielen. Immerhin haben sie nun zusammen gefunden, um eine gemeinsame Weltmeisterschaft auszurichten, welche dieses Jahr erstmalig in Thailand stattfinden wird. Kurzum: Es ist kompliziert. Ob diese Vielfalt und wilde Unordnung vielleicht sogar garnicht so schlecht ist für den Sport oder ob wir ein zentraleres und einfacheres Gefüge bräuchten, ist eine spannende Frage, welche in diesem Artikel aber nicht beantwortet oder diskutiert werden soll. Stattdessen wollen wir eine kurze Übersicht geben, wie unser Sport Trailrunning aktuell organisiert ist und welche Player in welcher Form maßgeblich daran beteiligt sind.


UTMB World Series Der erste UTMB fand 2003 statt. Schon im Jahr 2006 überstieg die Anzahl der Interessenten die 2.300 verfügbaren Plätze deutlich. Ein Losverfahren wurde eingeführt und mit dem CCC ein zweites Rennen etabliert. Später kamen mit dem TDS (2009) und dem OCC (2014) noch weitere Distanzen hinzu. Organisiert wird das Event federführend von der UTMB Group, dessen Präsidentin die Französin Catherine Poletti ist. Auch ihr Mann Michel gehört der Geschäftsführung an. Unterstützt wird das Unternehmen vom Verein Trailers du Mont Blanc, der sich um die Akquirierung der vielen Freiwilligen sowie um die Umsetzung der Veranstaltung in den drei beteiligten Ländern kümmert. 2021 ging die UTMB Group mit der aus dem Triathlon-Sport bekannten Ironman Group eine sogenannte strategische Partnerschaft ein. Gemeinsam wurde die UTMB World Series ins Leben gerufen. Diese Serie ersetzt seit diesem Jahr die Ultra Trail World Tour und besteht aus 25 weltweiten Events, dessen Finale der UTMB selbst ist. Der diesjährige UTMB, über den wir in diesem Heft ausführlich berichten, stellte damit einen neuen Höhepunkt in der fast 20-jährigen Geschichte des Events dar. Zusammen mit dem neuen Hauptsponsor Hoka präsentierte sich das Mega-Event noch einmal pompöser und professioneller. Viele namhafte Trailrunning Events wie der Lavaredo Ultratrail, der Eiger Ultratrail, der Transvulcania und einige mehr gehören nun nicht nur zur UTMB World Series, sondern bekamen auch das Branding „by UTMB“ verpasst. Was nicht weniger heißt, als dass sie von der UTMB Group aufgekauft wurden. Mit der Etablierung der UTMB World Series manifestierten die UTMB-Organisatoren aus Chamonix ihr ohnehin schon hohes Standing innerhalb der Trailrunning Szene, sodass man sie wohl als die einflussreichsten Akteure des Sports bezeichnen muss.

ITRA Am 3. September 2012 fand die erste internationale Trailrunningkonferenz in Courmayeur statt. Sie zählte 150 Teilnehmer (Laufveranstalter, Hersteller, Journalisten, Verbandsfunktionäre, Trainer und Spitzensportler) aus 18 verschiedenen Nationen. Die Ergebnisse dieser Konferenz ermöglichten die Gründung der International Trailrunning Association im Juli 2013. Ziele der ITRA waren unter anderem eine einheitliche Definition der Sportart Trailrunning zu liefern, die Entwicklung eines Gesundheits-Regelwerks, um Doping zu unterbinden und die Gesundheit der Sportler zu fördern, sowie die Ausarbeitung eines international einheitlichen Ranking Systems. Letzteres mündete im Konzept des ITRA Performance Index, einem Punktesystem für Trailrunner, für welches die ITRA vorrangig bekannt ist. Wie dieser funktioniert erklären wir gesondert. Erster Präsident der ITRA, und für die nächsten 7 Jahre im Amt, war Michel Poletti (Foto oben rechts). Gleichzeitig Kopf der UTMB Group und damit in einer delikaten Doppelrolle. Im Jahr 2015 wurde Trailrunning, auf Initiative der ITRA, vom internationalen Leichtathletikverband, dem IAAF (heute WA), als eigenständige Disziplin anerkannt. Ab 2016 beteiligte sich die ITRA an der jährlich von der IAU organisierten Ultratrail Weltmeisterschaft. Im Jahr 2020 trat Michel Poletti, offiziell aus persönlichen Gründen, als Präsident der ITRA zurück. Was folgte war eine Neuorientierung der ITRA, die sich versuchte fortan unabhängiger vom UTMB zu organisieren. Präsident war für ein Jahr der Amerikaner Bob Crowley. Seit September 2021 ist Janet Ng (Foto oben links), Renndirektorin des Hongkong 100 und die Vorsitzende des nationalen Trailrunning Verbandes in Hongkong. Präsidentin der ITRA. Eine Zusammenarbeit mit der UTMB Group ist derzeit nicht ersichtlich. Stattdessen verließ der Erfinder des ITRA Performance Index, Didier Curdy, zusammen mit den Polettis die ITRA und etablierte ein eigenes, aber nahezu identisch funktionierendes Punktesystem. Dieses nennt sich UTMB Index und ersetzt fortan den ITRA Performance Index als Basis für den Zugang zum Startplatz in Chamonix. Zusammen mit der IAU und der WMRA und unter der Schirmherrschaft der WA veranstaltet die ITRA Ende November die erste „World Mountain and Trailrunning Championship“ in Thailand.

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HINTERGRUND So läuft unser Sport Golden Trail Series 2018 wurde die Golden Trail Series durch die Firma Salomon, den Marktführer im Bereich Trailrunning, ins Leben gerufen. Deren Marketing Manager Greg Vollet gilt als Kopf und Initiator dieser internationalen Rennserie, welche die ikonischsten Trailrennen bis zur Marathondistanz vereint: Darunter Zegama, der Marathon du Mont Blanc und Sierre Zinal. Das große Finale findet jedes Jahr an einem anderen, meistens eher exotischem, Ort der Welt statt. Wer sich über Top-Platzierungen qualifiziert, wird zum Finale eingeladen. Hier gibt es die Chance Preisgelder zu gewinnen. Alleinstellungsmerkmal der GTWS ist die professionelle mediale Aufbereitung der Events. Die Zuschauer zu Hause erfahren über die Highlight Videos nicht nur alles über den Rennverlauf, sondern auch viele Hintergrundinformationen und persönliche Einblicke in das Leben der Elite-Athlet:innen. Seit 2019 gibt es auch viele nationale Golden Trail Serien, welche die besten Rennen in geographisch nahegelegenen Ländern zusammenfassen. Im DACH Raum sind dies unter anderem der Zugspitz Basetrail, der Mayrhofen Ultraks und der Zermatt Marathon. Auch über die nationalen Serien kann man sich für das große Finale qualifizieren, welches dieses Jahr auf Madeira stattfinden wird (wir berichten in der kommenden Ausgabe). Mit ihrer Konzentrierung auf die kürzeren und besonders angesehenen Trail-Events ist die Golden Trail Series innerhalb weniger Jahre zu einem festen Bestandteil des Sports geworden und lockt, neben der UTMB World Series, die besten Trailrunning Athlet:innen der Welt an.

Skyrunning: SWS, ISF und GSF Der Vater des Skyrunning ist der Italiener Marino Giacometti. Schon in den frühen 90ern veranstaltete er mit Sponsor Fila erste Skyraces. Diese waren sehr wild und ausgesetzt und führten auf Gipfel weit über 4000 Meter Höhe. 1995 gründete er die Federation Sport of Altitude, die später in International Skyrunning Federation umgetauft wurde. Die ISF ist nicht unter dem internationalen Leichtathletik Verband aufgehängt, sondern unter der UIAA, der internationalen Climbing and Mountaineering Federation. Ab 2003 organisierte die ISF jedes Jahr die Skyrunner World Series, welche damit wohl die älteste noch existierende Trailrunning Serie sein dürfte. Im Laufe der Jahre gab es viele Änderungen am Konzept dieser Serie. Die teilnehmenden Rennen waren immer sehr hochkarätig, variierten aber im Laufe der Jahre relativ stark: Darunter Läufe wie das Limone Skyrace, Pikes Peak, Zegama, Sierre Zinal, Dolomites Skyrace, Marathon du Mont Blanc oder Transvulcania– um nur einige wenige zu nennen. Über viele Jahre zog die Serie die weltweit besten Trail- und Skyrunner an. Erst in den letzten Jahren, als die Konkurrenz durch neue Serienformate (vor allem der Golden Trail Serie, die sich ebenfalls auf die kürzeren Distanzen konzentrierte) größer wurde, verlor die SWS etwas an Renommee. In den letzten Jahren schärfte sie ihr Profil und konzentrierte sich auf die wirklich technisch anspruchsvollen Rennen, um sich von den anderen Serien abzugrenzen. Seit 2016 wird die SWS nicht mehr von der ISF, sondern von der Schweizer Aktiengesellschaft Skyman SA, organisiert. Die ISF organisiert aber weiterhin jährlich die Skyrunning Welt- und Europameisterschaften, die SkySnow Weltmeisterschaft und die Skyrunning Youth Weltmeisterschaft. An diesen Meisterschaften nehmen dieses Jahr erstmalig auch deutsche Delegationen teil. Dies wurde durch die Gründung der German Skyrunning Federation (GSF) durch Marcel Höche und Wendall Lorenzen ermöglicht. Die Aufhängung dieses Verbandes unter dem Dach des Deutschen Alpenvereins steht noch aus.

Ultrarunning: IAU und DUV Die Deutsche Ultramarathon Vereinigung existiert schon seit ihrer Gründung 1985 in Rodenbach (bei Hanau). Neben vielen anderen Meisterschaften (100 Kilometer, 24h Lauf etc.) organisiert sie schon seit 2001 Deutsche Meisterschaften im Ultratrail (am Anfang noch unter dem Namen Cross- und Landschaftslauf). Der weltweite Dachverband ist die International Ultrarunning Association (IAU). Die IAU Trail World Championships finden schon seit 2007 statt. Stärkste Platzierungen deutscher Athleten waren ein dritter Platz von Matthias Dippacher im Jahr 2009 und ein zweiter Platz von Florian Neuschwander im Jahr 2011. Seit 2016 beteiligte sich die ITRA an diesen Weltmeisterschaften. In diesem Jahr geht diese Weltmeisterschaft in der Trail- and Mountainrunning World Championship auf, welche erstmalig unter dem Dach der drei Verbände IAU, ITRA und WMRA stattfindet.

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ASTA Die Österreicher haben einen eigenen Verband für Trail-und Skyrunning. Die Austrian Trail and Skyrunning Association (ASTA) wurde von Thomas Bosnjak, der als Organisator der Events Hochkönigman, Kat100 oder Kaiserkrone Trail bekannt ist, gegründet. Neben der Ausrichtung von nationalen Trail- und Skyrunning Meisterschaften, wurde auch ein Skyrunning Nationalteam formiert, welches an den internationalen Skyrunning Meisterschaften teilnimmt.

WMRA Die World Mountain Running Association ist der internationale Verband für Berglauf und existiert schon seit 1984. Seitdem finden auch regelmäßig Weltmeisterschaften im Berglauf statt. Am Anfang firmierten diese noch unter dem Slogan World Trophy, seit der Anerkennung durch die IAAF im Jahr 2008 aber als offizielle Weltmeisterschaften. Ab 2004 gab es auch Weltmeisterschaften über die Langdistanz. Einziger Deutscher Sieger dieser Distanz war Helmut Schießl im Jahr 2005. In diesem Jahr gehen sowohl die Kurz- als auch die Langdistanz Weltmeisterschaft in der World Trail- and Mountainrunning Championship auf, welche erstmalig unter dem Dach der drei Verbände IAU, ITRA und WMRA stattfindet. Einen deutschen Berglauf Verband gibt es nicht. Deutsche Meisterschaften im Berglauf werden aber seit 1985 von der DLV organisiert.

Der ITRA Performance Index hat das Ziel das Level verschiedener Trailrunner über einen Punktewert vergleichbar zu machen. Die theoretisch maximale Punktzahl und damit auch die theoretisch mögliche Maximalleistung wurde bei 1000 Punkten festgelegt. Für jedes Wettkampfresultat, welches bei der ITRA eingereicht wird, bekommt ein jede(r) Trailrunner:in eine Punktzahl zwischen 0 und 1000 zugeschrieben, welche die jeweilige Leistung widerspiegelt. Der sogenannte ITRA Score. Dieser Score wird über einen komplexe Formel errechnet, welche nicht öffentlich bekannt ist. Haupt-Einflußfaktor neben den Streckendaten (Kilome-

ter, Höhenmeter, Durchschnittshöhe) ist die gelaufene Zeit. Platzierungen spielen keine Rolle. Technischer Anspruch der Strecke sowie Wetter- und Streckenbedingungen werden indirekt über einen Korrektur-Koeffizienten einbezogen. Dieser Koeffizient basiert auf den bisherigen ITRA Scores der teilnehmenden Läufer:innen. Der Performance Index errechnet sich aus dem gewichteten Mittelwert (jüngere Ergebnisse haben höheres Gewicht als weit zurückliegende Ergebnisse) der fünf besten ITRA Scores der letzten 3 Jahre. Außerdem gibt es noch Performance Indices für verschiedene Distanzkategorien. Der Perfor-

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mance Index gibt inzwischen relativ zuverlässig die Leistungsfähigkeit einzelner Athlet:innen wieder. Während der Performance Index kurz nach seiner Einführung von vielen Trailrunner:innen noch belächelt wurde (Tenor: „Trailrunning braucht keine Punkte“), ist er inzwischen fast nicht mehr wegzudenken aus der Szene. Leider wurde es mit der Einführung des UTMB Index nicht übersichtlicher, da es nun zwei statt ein einheitliches Punktesystem gibt. Beide Systeme funktionieren aber ähnlich, was nicht verwundert, steckt doch mit Didier Curdy der gleiche Kopf dahinter. Kleine Abweichungen gibt es aber dennoch.

Fotos: Jordi Saragossa

ITRA Performance Index


PORTRÄT Ida-Sophie Hegemann

Text: BENNI BUBLAK Fotos: MATHIS DUMAS

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Trailrunning kennt keine Stars! Zumindest nahm ich das bis vor kurzem noch an. Wir haben in der Vergangenheit einige Elite-Trailrunner:innen porträtiert. Ein intimes Unterfangen: Ein Besuch daheim, meist ein gemeinsamer Lauf, begleitet von einem langen Gespräch. Am Ende aber haben wir immer ein ganz gutes Bild davon, wer dieser Athlet, diese Athletin….nein, wer dieser Mensch ist. Anders wäre so ein Porträt auch nicht möglich. Denn abgesehen von ihrem Auftritt in diesem kleinen Fachmagazin, hielt sich die mediale Präsenz von Top-Trailrunnern, die beispielsweise den TAR oder den ZUT gewonnen hatten, bisher eher in Grenzen. September 2022. Ich fahre nach Innsbruck. Dort wohnt Ida-Sophie Hegemann. Über mangelnde mediale Präsenz kann sie sich kaum beschweren. Ich hätte etliche Podcasts konsumieren können, um mich auf dieses Gespräch vorzubereiten. Oder Texte in Lauf-Zeitschriften, die seit neuestem prall gefüllt sind mit Trailrunning. Überall hätte ich viel über die junge The North Face Athletin aus Duderstadt erfahren. Ich habe es aber lieber gelassen. Und so schlage ich vergleichsweise unvoreingenommen bei Ida auf. Direkt an der Nordkette

und trotzdem nur wenige 100 Meter vom Uni-Campus entfernt, wohnt Ida perfekt, um die zwei großen Pole ihres derzeitigen Lebens zu vereinen. Denn wer von außen den Eindruck hegte, Ida sei Vollzeit-Trailrunnerin, die ihren Tag nur mit Training, Massage und Fotoshootings füllt, der irrt gewaltig. „Mein Leben in den letzten zwei Jahren bestand eigentlich nur aus Training, studieren, essen und schlafen.“ Berichtet die Architektur Studentin, die kürzlich ihren Bachelor in Rekord-verdächtigen zwei Jahren durchzog. Doch von vorn: Ida und ich laufen los. Es geht gleich steil eine Asphaltstraße hinauf. Nordkette eben. „Ich bin sehr behütet aufgewachsen“ berichtet mir die 25 Jahre junge Läuferin. Im Eichsfeld, der wohl katholischsten Region Deutschlands, verbringt sie als älteste von fünf Geschwistern und Tochter eines Kriminalhauptkommissars ihre Kindheit. Natürlich ist sie Messdienerin, verbringt aber schon in frühen Jahren viel Zeit mit Sport: Tennis, Fußball…Doch dass da ein großes Lauftalent in dem jungen Mädchen schlummert, bemerkt bald nicht nur sie selbst. Schnell aber ist die Trainingsbegleitung im heimischen Leichtathletik Verein zu langsam. Mit erst 14 Jahren bekommt Ida die Chance

nach Hannover ins Internat zu ziehen und in einem DLV Förderstützpunkt zu trainieren. „Meine Eltern waren dagegen, aber ich wollte das unbedingt.“ Zu Beginn läuft alles super. Ida kämpft zwar mit den kurzen Distanzen und den schnellen Trainingspartnerinnen, macht aber schnell Fortschritte. Irgendwann kommen die Verletzungen. Mit mehreren Ermüdungsbrüchen und einer langwierigen Erkrankung mit Pfeifferschem-Drüsenfieber muss Ida schon in jungen Jahren umgehen lernen. „Ich bin teilweise so viele Kilometer beim Aquajoggen gewesen, wie andere in einer normalen Trainingswoche laufen.“ Auch sonst unterschied sich ihr Leben fundamental von dem anderer Heranwachsender: „Das war schon alles sehr streng reguliert. Ich habe nie Alkohol getrunken, bin nie ausgegangen. Das gab es einfach nicht. Auch der Leistungsdruck ist enorm gewesen. Genauso wie das dadurch bedingte Konkurrenzdenken untereinander. Wenn du mich heute fragst, bin ich kein großer Freund dieser Kaderstrukturen mehr“, berichtet sie uns. Während dieser schwierigen Verletzungsphase entscheidet Ida mit dem Leistungssport aufzuhören. Aber nicht sofort. Denn schließlich ist ihr Abiturplatz mit der Sportförderstelle

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Fotos:Hendrik Aufm´kolk

IDA

Ida ist das junge Gesicht eines an Popularität gewinnenden Sports. Wir wollten wissen, wer die Norddeutsche mit den vielen Followern wirklich ist und haben sie in ihrer Wahlheimat Innsbruck besucht.


PORTRÄT Ida-Sophie Hegemann Ida-Sophie bei ihrem FKT-Run auf dem Dolorama Höhenweg.

Ja vielleicht stimmt es, dass sie viel Potential über die kürzeren Distanzen hätte. Aber vom Kopf her gefallen ihr die längeren Distanzen einfach besser. 20 36

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Alter: 25 Jahre Sponsor: The North Face Heimatort: Duderstadt Wohnort: Innsbruck Erfolge: 1. Platz Zugspitz Basetrail 2018 1. Platz Mont Blanc Marathon (U23) 1. Platz 4 Trails 2019 1. Platz Transalpine Run 2019, 2021 und 2022 1. Platz Innsbruck Alpine K110 2022 Fastest Known Times Stubaier Höhenweg 19:16h Dolorama Weg 07:13h Ziele: Teilnahme Trailrunning Weltmeisterschaft Top 3 beim UTMB

„Ich war eigentlich schon immer Langstrecklerin. Schon damals haben mir die langen Dauerläufe immer am meisten Spaß gemacht“, sagt die inzwischen zur Ultraläuferin herangewachsene Ida heute. Eigentlich sollten die 60 Kilometer beim Istrien100 Anfang des Jahres ihr erster Ultra werden. Nach einem unglücklichen Sturz muss sie das Rennen beenden und entscheidet sich ein paar Wochen

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Ihren Trainingsalltag gestaltet Ida möglichst flexibel und derzeit als Autodidaktin. Die junge Athletin hatte schon mehrere Trainer. Anfang des Jahres arbeitete sie mit DLV-BerglaufKoordinator Kurt König zusammen. Bei einer Leistungsdiagnostik von Ida anwesend, bietet er ihr, begeistert ob ihres Talents, eine Zusammenarbeit an. Ida lernt in der Folgezeit viel und spricht nur in besten Tönen vom Fachwissen ihres EX-Trainers. Inzwischen hat sie ihr Training wieder allein übernommen.

Fotos: Oriol Bastita

›› Steckbrief

verknüpft. So trainiert Ida erstmal weiter. Erst im Pool, später wieder auf Bahn und Straße. Um sich dem Stress des Bahnlaufens zu entziehen, („Wenn ich diese 5000 Meter gelaufen bin, wusste ich schon nach der ersten Runde meine Endzeit“) meldet sie sich bei einem heimischen Berglauf an und gewinnt sofort. Ein Gore Mitarbeiter meint beim Transalpine Run suche man noch talentierte Gastläufer. Ida ist dabei und soll mit einer weiteren Nachwuchsläuferin erste Trailrunning Luft bei der bekannten Alpenüberquerung schnuppern. Als diese verletzt passen muss, springt kurzfristig Kein Geringerer als Philipp Reiter ein. Und so steht sie am Ende ihres ersten richtigen Trailwettkampfs vor dem Angebot, für das Salomon Trailteam zu laufen. „Von da an, war es eigentlich um mich geschehen“ schließt die sympathische Läuferin ihre Erzählung.

später in ihrer neuen Wahl-Heimat, beim Innsbruck Alpine zu starten. Sie weiß, dass ihre Entscheidung, gleich die 110 Kilometer lange Hauptdistanz anzugreifen nicht überall auf Begeisterung stoßen wird: „Ich habe sofort meine Mama angerufen und ihr gesagt, dass sie Papa bitte möglichst schonend beibringen soll, dass ich bald 100 Kilometer laufe.“ Doch die langen Dinger scheinen der 25 Jahre jungen Läuferin zu liegen. Trotz Magenproblemen siegt sie in phänomenalen 12 Stunden und 40 Minuten. Sie komplettiert damit eine Reihe an Erfolgen in ihrer noch jungen Trailrunning Karriere. Darunter Siege beim ZUT 2018, beim Transalpine Run 2019 sowie beim Marathon du Mt. Blanc (U23). Schade, dass sie diese nicht auch noch mit einem starken Finish beim größten Event dieses Sports krönen konnte. Beim diesjährigen CCC in Chamonix läuft Ida im Anstieg hinter einem männlichen Mitläufer. Dieser entscheidet sich aufgrund des einsetzenden Regens seine Jacke anzuziehen. Die folgende ungelenke Bewegung resultiert darin, dass Ida zwei spitze Stockenden in ihrer Nase wiederfindet. Ida versucht es noch einige Zeit, muss aber irgendwann einsehen, dass es mit einer nicht zu stoppenden Nasenblutung keinen Sinn mehr macht. Ein DNF das weh tut. „Aber vielleicht sollte es so sein.“ fügt die North Face Athletin gleich hinzu. Denn schließlich wird sie kurz darauf gefragt, ob sie beim Transalpine Run kurzfristig für den verletzten Florian Reichert einspringen will. Zusammen mit Partner Sebastian Hallmann gewinnt sie eine Woche später zum dritten Mal die große Alpenüberquerung. Ein Happy End.


PORTRÄT Ida-Sophie Hegemann EVENT Mozart 100 by UTMB

"Hey, ich will, dass du mich mal einfach so beim Laufen begleitest, ohne dass du mich filmst" Auch weil sie ihren eigenen Kopf hat, sich nicht reinreden lässt. Ja vielleicht stimmt es, dass sie viel Potential über die kürzeren Distanzen hätte. Aber vom Kopf her gefallen ihr die langen Distanzen einfach besser: „Ich liebe die Abwechslung, die das lange Laufen mit sich bringt. Man kann sich nie darauf einstellen, was als nächstes vom Körper gefordert wird. Downhill, Flach, Bergauf… Bei den kurzen Distanzen, und gerade beim Berglauf hat man das nicht in dem Maße. Da ist das Konkurrenzdenken auch noch ausgeprägter, vor welchem ich ja vor einiger Zeit zum Trailrunning geflohen bin.“ Es ist nicht so, dass es Ida drauf angelegt hätte, aber allein im letzten Jahr hat sie ihre Followerzahl bei Instagram fast verzwanzigfacht. Mit über 70.000 hat sie inzwischen mehr Follower als beispielsweise Katie Schide, UTMB Siegerin, Team Kollegin und großes Vorbild von Ida. „Das war mir teilweise selber etwas unheimlich. Mein Freund hat immer Videos beim Laufen von mir gemacht, die ich dann als Reels bei Instagram hochgeladen habe. Das hat enorme Resonanz erzeugt. Irgendwann war mein Freund dann aufgeregter als ich und ich hab ihm gesagt: Hey ich will, dass du mich auch mal einfach so beim Laufen begleitest. Ohne dass du mich filmst.“ So schön die gewonnene Popularität auch ist, bringt sie auch Schattenseiten mit sich: „Am Anfang haben mich die ganzen Nachrichten schon fertig gemacht. Ich musste lernen,

nicht alles an mich heranzulassen. Inzwischen bin ich nur noch eine halbe Stunde am Morgen und eine halbe am Abend auf Instagram.“ Aber manchmal kommt es dann auch im realen Leben zu sehr merkwürdigen Szenen, wo auch wir als Magazin sagen, das ist neu in diesem Sport: „Beim Transalpine Run gibt es schon Herren, die meinen mit der laufenden Kamera an mir vorbei rennen zu müssen und zu verlauten: Ach einmal vor dir laufen, das war schon immer mein Traum.“ Idas Träume sind da von ganz anderer Qualität. Im Juni nächsten Jahres finden die offiziellen TrailrunningWeltmeisterschaften in ihrer Heimatstadt Innsbruck statt. Natürlich will sie da unbedingt dabei sein. Über

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die schwere Langdistanz versteht sich. Ida ist schon jetzt das Gesicht dieser Weltmeisterschaft, ist im offiziellen Teaser und auf allen PromotionBildern zu sehen. Ob sie für die WM nominiert wird, ist dennoch ungewiss, berichtet sie etwas besorgt. Am Ende bleibt ihr nur das zu tun, was sie bisher auch getan hat: Sportlich zu überzeugen und zu beweisen, dass kein Weg an ihr vorbei führt. Dann wird er auch in Erfüllung gehen, der große Traum vom WM-Finish vor der Haustür. Ganz sicher wieder dabei, wäre ihr größter Rückhalt und größte Motivationsquelle: Ihre Familie. Was für Emotionen! Die Resonanz im Social Media wäre phänomenal. Ida einmal mehr ein echter Trailrunning Star. Wir könnten uns wohl daran gewöhnen. Für die 25-Jährige selbst wäre dies aber nicht von großer Relevanz. Schließlich ist es vor allem eines, was Ida am Trailrunning besonders liebt: „Diese Community. Ich habe im Rennen schon öfters erlebt, dass Mitläufer ihr eigenes Ergebnis hinten an stellten, um andere Läufer:innen zu supporten. Das war eine neue, großartige Erfahrung für mich.“ Wer Star ist oder nicht, ist in diesen Momenten dann komplett egal.


SAVE THE DATE

27. - 30. JULI 2023

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Fotos: Jan Heftfleisch

OSTTIROL


Ein Sport Ein Ort. EVENT Western REPORT UTMB 2022 States 100 by UTMB

Frankreich. Chamonix. Der Ultratrail du Mont Blanc, kurz UTMB. Aus dem wichtigsten und renomiertesten UltratrailWettkampf ist längst ein Megaevent geworden, dem sich einfach niemand mehr entziehen kann.

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Chamonix und der Mont Blanc. Das ist neben den Niagara Fällen und dem Mount Fuji in Japan das beliebteste Naturwunder der Welt und einmal im Jahr, immer Ende August, das Epizentrum des Trailrunning-Sports. Man darf sogar so weit gehen und behaupten, dass das was da eine ganze Woche lang in Chamonix passiert das Größte im Laufsport überhaupt ist.

Text: DENIS WISCHNIEWSKI. BENNI BUBLAK Fotos: ULTRA TRAIL DU MONT BLANC

Wie sich der Sport entwickelt, kann man auch, aber vor allem, beim UTMB beobachten. Wie professionell er geworden ist, wie sehr sich die Industrie mit Produkten ins Spiel bringt und wie sich Grenzen über Jahre immer mehr verschoben haben. Ein Ultra über 100 Meilen zu laufen war vor 15 Jahren eine Herkulesaufgabe und heute ein fast logisches Ziel für Trailrunner und ehemalige Marathonis. Bleiben wir aber bei genau diesen 100 Meilen des UTMB, um das Mont Blanc Massiv, durch drei Länder hindurch.

Der PTL ist die längste Strecke der UTMB-Woche und fast 320 Kilometer lang. Man läuft hier im Team.

Noch nie war ich so früh und komplett beim UTMB dabei. Dadurch, dass ich selbst den MCC laufe, das erste aller Rennen, bin ich bereits rund eine Woche vor dem Start des Hauptrennens in Chamonix und erlebe hautnah, wie sich dieses Spektakel wellenartig aufbaut. An diesem Wochenende ist zwar schon alles im Ort voll und ganz auf UTMB getrimmt, aber die ganz grosse Masse fehlt noch. Die Expo wird aufgebaut, die Krieger des ultralangen PTL holen schwerbepackt ihre Startnummern und auch ich darf mich als ein Teil des Ganzen fühlen - diesmal vielleicht sogar mehr als sonst, denn dieser 40 Kilometer lange MCC ist ein besonderer Wettkampf, der von der Öffentlichkeit zwar wenig wahrgenommen wird, aber im Inneren der Mega-Organisation sehr wohl viel Beachtung bekommt. Beim MCC starten ausschliesslich Mitarbeiter, Volunteers, Menschen aus der Region und Partner. Ich bin dann wohl Partner. Dass bei aller Relativierung 40 Kilometer mit 2600 Höhenmeter ein echtes "Ding" sind, wird mir an diesem Montag Vormittag schnell klar. Im Hinblick auf allerlei Strecken, die weit über die Marathondistanz reichen, verliert man sich in diesem Umfeld schnell darin zu sagen "ich laufe den kurzen MCC oder OCC". Kurz? Was ist bitte kurz? Am Ende laufe

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EVENT Marathon REPORT UTMB 2022 Mont Blanc

Lebende Legende: Ludovic Pommeret gewinnt nach dem UTMB 2015 auch den TDS.

ich nach 6 Stunden und 20 Minuten im Ziel ein, durchgebraten von der Sonne auf dem Col de Balme und als 184er. Der MCC ist schon ein wenig mehr als ein Funrun für die Locals und Friends. Jedenfalls hab ich bevor es hier richtig losgeht mein Rennen in der Tasche und das fühlt sich durchaus gut an. Ab jetzt und mit Finisherstatus und einem amtlichen Zielsprint im Herzen von Chamonix, bin ich zu 100% als Reporter unterwegs. Als ein Beobachter. Der Ort verwandelt sich spätestens ab Dienstag in einen magischen Raum, der eine sonst so digitale Welt in einen realen, anfassbaren Zustand verwandelt. Ludovic Pommeret radelt mit einem alten Stahlrahmen-MTB an mir vorbei - ein ehemaliger UTMB-Sieger, eine lebende Legende des Sports. Uih. Am Mittag treffe ich gar Karl Meltzer zu einem Interview. Der 54-Jährige gewinnt seit 20 Jahren jährlich einen 100-Miler, siegte beim Hardrock 100 und gilt als Erfinder des aktuell erfolgreichsten

Trailschuhes. Er wird am Freitag noch einmal beim UTMB starten und, das sei schon verraten, wieder nicht ankommen. Auch so ein US-Amerikaner der sich mit europäischen Trails zwar längst angefreundet hat, aber sich schwer damit tut. Ein anderer US-Trailstar, einer aus der Generation nach Meltzer, läuft nervös und unsicher durch die Gassen von Chamonix. Er heisst Jim Walmsley und will diesen UTMB, diese 100 Meilen unbedingt und endlich gewinnen. Er hat alles, wirklich alles dafür getan. Er ist nach Frankreich gezogen, kennt die Route so gut wie ein local Runner und er macht in alle den Interviews im Vorfeld des Rennens keinen Hehl daraus, dass er hier ist um Platz 1 zu belegen. Nur Platz 1! Sein großer Konkurrent setzt hingegen keinen Fuß in die Stadt. Von Kilian Jornet gibt es nur Instagram-Posts, die ihn in einer Wohnung ausserhalb zeigen und alle Fans mit Fragezeichen zurücklassen. Wird er starten können? Corona hat Spuren hinterlassen. Der Puls zu hoch, die Form zwar gut, aber bis kurz

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Es wird die ultimative Show eines ins Alter gekommenen Stars der Szene, denn Ludovic Pommeret nimmt seinem Sponsor und Hauptsponsor des UTMB, den ersten Druck von den Schultern


Zunächst geht es hier aber um andere Wettkämpfe. Der schwere TDS beispielsweise, ein 145 Kilometer langes und technisches Rennen, mit etwas eniger Distanz als das Hauptrennen, aber dafür mit einem Mehr an Höhenmetern. Es wird die ultimative Show eines ins Alter gekommenen Stars der Szene, denn Ludovic Pommeret nimmt seinem Sponsor und Hauptsponsor des UTMB, den ersten Druck von den Schultern und siegt mit einer wiederum lässigen Renneinteilung, die ihn vom zweistelligen Rang bis zum Sieg spült. Spätestens jetzt ist der 46-Jährige Franzose in der noch inoffiziellen Hall of Fame des Sports. Katharina Hartmuth, eine junge Deutsche, die ihren Sport von Zürich aus lebt, wird bei diesem Rennen Dritte Frau und empfiehlt sich so sehr und direkt für die Zukunft und soviele andere Erfolge bei schweren und langen Trails. Ich bin fas-

Der UTMB macht vor der Nacht keinen Halt.

ziniert vom Auftritt so mancher deutschen Damen. Es wird die UTMB-Week der german girls! Das erste Aufkochen im Zielbereich geschieht beim OCC, der in Orsieres in der Schweiz startet und am Nachmittag die Elite empfängt. Manuel Merillas siegt, Sheila Avilles Castano siegt und der Ort flippt aus. Bereits viele hundert Meter vor der Ziellinie stehen in dichten Reihen die Menschen und applaudieren. All das

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ein Vorgeschmack auf Freitag, Samstag und Sonntag. Die für Adidas Terrex laufende Kimi Schreiber aus München erwischt einen nahezu perfekten Tag Rang 11. Auch Daniela Oemus haut alles raus und wird mit Platz 14 inmitten der Weltspitze belohnt. Anna Hahner - mit hohen Erwartungen - am frühen Morgen gestartet, konnte den Lauf nicht so umsetzen wie sie es sich vornahm. Sie wird es noch einmal versuchen. Zwi-

Fotos: Philipp Reiter

vor dem Start eine ständige Abwägung der Risiken. Bis sein Arzt grünes Licht gibt. Das Duell wird also Realität.


REPORT

die Diplom-Psychologin aus München haben eine ganz spezielle Beziehung zueinander entwickelt. Es ist eine Freundschaft, die auf Liebe, Enttäuschung, Verunsicherung und Leidenschaft beruht. Nach zwei DNFs ist Eva wieder am Start und hat nur ein Ziel - ankommen, mit dem was sie kann! Das Beste geben. Ein wenig hat sie eine bestimmte Platzierung aus dem Fokus gelöscht. Und noch einer ist wieder dabei und der will mehr als im Vorjahr und das aus gutem Grund. Hannes Namberger (Dynafit) hat sich seit seiner Top 10 Platzierung 2021 zu einem Top-Favorit entwickelt. Siege beim MIUT und Lavaredo Ultratrail füllten nicht nur sein ITRA Punkte Konto, sondern auch sein Selbstbewusstein. Der Polizist aus Ruhploding spielt jetzt ganz vorne mit.

UTMB 2022

Zwei Damen, die beim UTMB 2022 für Furore sorgten und bei ihren Rennen souverän mit Vorsprung siegten: Katie Schide (UTMB) und Sheila Aviles Castano (OCC).

Er läuft wie ein Uhrwerk, siegt mit Streckenrekord und läuft auch dann noch unbeirrt alleine Richtung Ziel nachdem seine Aussenbänder den Boden berühren.

schenpause. Etwas Erholung für alle und so etwas wie ein ganz bewusster Spannungsaufbau in Richtung CCC und UTMB. Die Highlights warten, Chamonix ist nun zu 100% geladen. Die Expo auf dem grossen Platz zwischen Hotel Alpina und dem Sportzentrum, presst tausende Menschen durch ihre Gassen und alles sind die da, alle Marken, die im Sport eine Relevanz haben. Im Gegensatz zu anderen Messen, findet man hier jedoch nicht nur neue Produkte, sondern auch die Athletinnen und Athleten dazu. Am La Sportiva Stand lacht einem Berglaufweltmeister Jono Wyatt entgegen, bei Hoka der Western States Sieger Adam Petermann, Hayden Hawks und Julien Chorier, bei Nnormal der ehemalige CCC-Sieger Tofol Castaner. Wer diesen Sport als Wettkampfsport liebt und verfolgt, bekommt hier erhöhten Puls. An diesem Nachmittag treffe ich Eva Sperger (Salomon) auf einen Kaffee. Dieser Ultra Trail du Mont Blanc und

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Freitag 9.00 Uhr. Courmayeur. Italien. Hier startet der CCC, diese unfassbar schnellen 100 Kilometer mit rund 6000 Höhenmetern. Da steht auch einer unter den 2100 Teilnehmern, der unbedingt sein 100 Kilometer Premiere feiern möchte. Nicht bei sich im Taunus, nicht an der Zugspitze, sondern nur hier! Benjamin Fuchs ist mit seiner ganzen Familie hier, mit Frau und Kind. Seit Tagen beobachtet er das Treiben aus dem Garten der Ferienwohnung heraus und nun geht es für ihn los. Benni am Start mit Petter Engdahl und Jonathan Albon. Vorweg: Der Mann der im Taunus trainiert, kommt natürlich an. Rang 248 und für 15 Stunden und 48 Minuten inmitten eines bewegten Traumes! Gewinnen tun andere - bespielsweise Petter Engdahl (Adidas Terrex), der für das erste massive Ausrufezeichen der Woche sorgt. Er läuft wie ein Uhrwerk, siegt mit Streckenrekord und läuft auch dann noch unbeirrt alleine Richtung Ziel als seine Aussenbänder längst Bodenkontakt hatten. Bei den Damen siegt Blondine L´Hirondel, aber eine andere junge Frau treibt mir die Freudentränen in die Augen, die längst müde sind, aber natürlich keinen Schlaf finden können. Rosanna Buchauer (Dynafit) wird bei diesem irrsinnig hochbesetzten Wettkampf Fünfte, läuft Rang um Rang nach vorne und feiert den größten Erfolg ihrer Karriere.


Eigentlich Maschinen: Kilian Jornet siegt vor Matthieu Blanchard und Tom Evans.

UTMB (Ultra Trail du Mont Blanc) Die große Schleife um den großen Berg hatte schon an Spannung aufgenommen, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Startet Kilian oder startet er nicht? Eine Corona Infektion hatte ihn kurzfristig ausgebremst. Am Freitag um 18 Uhr dann die Gewissheit: Kilian steht (mit Maske) an der Startlinie. Neben ihm Jim Walmsley, Hannes Namberger und viele mehr. Doch blicken wir zuerst auf die Frauen. Eine große Favoritin war vor dem Rennen nicht auszumachen. Vielleicht die Vorjahresdritte Mimmi Kotka? Die Weltmeisterin von 2018 Ragna Debats? Oder die TDS Siegerin von 2019 Audrey Tanguy? Schließlich war es die in Frankreich lebende US-Amerikanerin Katie Schide, die das Tempo von Beginn an vorgab. Die The North Face Athletin hatte schon in Courmayeur eine halbe Stunde Vorsprung auf ihre Konkurrenz. Doch es wurde nochmal spannend. Im Anstieg zum Grand Col Ferret schien es, als wenn Katie ihrem hohen Anfangstempo Tribut zollen musste und wurde von der Kanadierin Marianne Hogan überholt. Die Salomon Athletin schien nun die deutlich besseren Karten zu haben. Doch 170 Kilometer sind lang. Katie erholte sich von ihren Magenproblemen und Marianne begann zu humpeln (später stellte sich heraus, dass sie ein Muskelfaserriss erlitt). Nach 23:15h lief Katie Schide als Siegerin des UTMB in Chamonix ein. Über 4 Stunden schneller als bei ihren zwei bisherigen UTMB Finishs. Marianne Hogan sicherte sich über eine Stunde später dank ihres großen Vorsprungs Rang 2. Platz drei ging erneut in die USA: Kaytlyn Gerbin finishte in 25:07h. Bei den Männern ging es in der Front noch enger zu. Nach der Hälfte des Rennens verließen Kilian und Jim zusammen die große Aid Station in Courmayeur. Im Downhill nach Arnouvaz drehte Walmsley auf und übernahm die Führung. Kilian hatte ein echtes Tief und musste auf dem langen Downhill Stück nach La Fouly sogar Mathieu Blanchard passieren lassen, blieb aber an ihm dran und konnte sich wieder etwas aufrappeln. Im ersten Anstieg nach Champex Lac war es dann Walmsley der das Tempo ganz plötzlich erheblich drosseln musste– Magenprobleme. Blanchard und Kilian überholten ihn und besiegelten das erneute Scheitern der US-Männer beim UTMB. Kilian spielte im Finale seine ganze Erfahrung aus, beobachtete den jungen Franzosen lange Zeit, um zu Beginn des letzten Anstieges zu attackieren und sich seinen vierten UTMB Sieg in Streckenrekord Zeit zu sichern. Bei perfekten Bedingungen blieb auch Blanchard unter der Streckenrekord-Zeit

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Fotos: Klaus Fengler

OCC, TDS, CCC & UTMB: Die Rennen an der Spitze


REPORT UTMB 2022

Es dauert genau 22 Minuten vom Spitzenläufer bis zu den Letzten. Dann atmet Chamonix wieder aus und wartet rund 20 Stunden.

Da lag er noch an der Spitze (am Ende auf Rang 4): Jim Walmsley.

Am Abend liegt eine unwirkliche Mischung aus Ruhe, Anspannung und Nervosität in den Gassen. Mehr als eine Stunde bis zum Start des UTMB verbleibt, aber alles wirkt als ob jede Sekunde ein Startschuss fallen könnte. Die Elite im vorderen Startblock. Kilian Jor-

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net ist dabei. Jim Walmsley scheint seine Anspannung abgelegt zu haben und Zach Miller tritt hier längst wie ein alter Fuchs auf. Wird er der US-Amerikaner sein, der hier erstmals siegt? Bei den Damen fehlt seine Landsfrau, denn Courtney Dauwalter setzt aus und macht den


Fotos: Andi Frank

und sicherte sich phänomenal Platz zwei. Auf Platz drei lief UTMB Debütant Tom Evans, während Walmsley sich wieder etwas erholen konnte und noch Platz vier sicherte. Zach Miller feierte mit dem fünften Platz ein mehr als gelungenes Comeback nach langer Verletzungspause. Hannes Namberger verletzte sich leider bei einem Sturz am Fuß und musste in Courmayeur aussteigen. Deutsche Top-Platzierungen gab es dieses Jahr daher nur bei den Damen. Eva Sperger krönt ihre Karriere mit dem 10. Platz. CCC (Courmayeur, Champex, Chamonix) Petter Engdahl und Blandine L`hirondel sind die Namen dieses 100ers von Courmayeur nach Chamonix. Beide liefern eine Riesenshow ab und feiern unangefochtene Start/Ziel Siege in Streckenrekord-Zeit. Der Schwede Engdahl bleibt dabei sogar unter der magischen 10 Stunden Marke. Der vor dem Rennen favorisierte Jonathan Albon läuft ebenfalls ein bockstarkes Rennen, muss sich angesichts dieser Ausnahmeleistung aber mit Rang zwei begnügen. Der Südtiroler Florian Reiterer freut sich über Platz drei. Die große Überraschung des Rennens ist wohl die Nepalesin Sunmaya Budha, die im zweiten Abschnitt sogar Zeit auf die führende Französin gut machte und mit nur 5 Minuten Rückstand Platz zwei belegte. Terrex Athletin Abby Hall verbesserte ihre Zeit aus dem Vorjahr deutlich, und lief nach dem zweiten Platz im Vorjahr erneut aufs Podium. Sensationell auf Platz 5 läuft nach einem sehr cleveren und konstanten Rennen Rosanna Buchauer. OCC (Orsieres, Champex, Chamonix) Allie Mc Laughlin lief ihr erstes Trail Rennen in Europa. Die hier noch relativ unbekannte US-Amerikanerin legte ein wahnsinniges Tempo vor und führte lange Zeit deutlich. Erst im letzten Abschnitt brach sie komplett ein und fiel auf Rang 6 zurück. Die Spanierin Sheila Aviles übernahm die Führung und feierte mit dem Sieg ein starkes Comeback nach längerer Verletzung. Nuria Gil sicherte den spanischen Doppelsieg und Dani Moreno (USA) komlettierte das Podium. Das Männer-rennen gestaltete sich sehr dynamisch mit vielen Führungswechseln. In Argentiere vor dem letzten Anstieg hatten sich aber die beiden Spanier Manuel Merillas und Antonio Martinez schon deutlich abgesetzt. Den Zweikampf entschied letztlich der erfahrene Manuel Merillas für sich, der seine technische Stärke voll ausspielte und Martinez im letzten Downhill distanzierte. Dritter wurde Robbie Simpson mit einer etwas langsameren Zeit als bei seinem zweiten Platz im Vorjahr. Benedikt Hoffmann verliert die sicher geglaubte Top Ten Platzierung, weil er am letzten Checkpoint eine halbstündige Zeitstrafe aufgrund von unerlaubtem Support absitzen muss. Kim Schreiber verpasst unfassbar knapp die Top Ten, wird aber starke Elfte. Nur wenige Minuten dahinter läuft Daniele Oemus auf Rang 14. Die im Allgäu lebende Österreicherin Johanna Hiemer platziert sich ebenfalls in den Top 20. TDS (Sur les Traces des Ducs de Savoie) Der TDS ist einer der großen vier Rennen beim UTMB und hat doch etwas an Renommee eingebüßt, ist er doch nicht Teil der neuen UTMB World Series. Das Feld war zwar nicht vergleichbar mit der Dichte des CCC oder OCC, aber dennoch hochkarätig. Einer der Favoriten: Terrex Athlet Janosch Kowalczyk. Lange Zeit lief er vorne in der Führungsgruppe mit, kämpfte später mit Problemen ohne aber den Anschluss nach vorne komplett zu verlieren, beendete das Rennen aber letztendlich doch vorzeitig. Altmeister Ludovic Pommeret spielte am Ende seine jahrelange Erfahrung aus und siegte souverän mit einer knappen Stunde Vorsprung vor dem Ecuadorianer Joaquin Lopez und dem Franzosen Elias Kadi. Einen weiteren souveränen Start/Ziel Sieg gab es bei den Frauen. Die Italienerin Martina Valmassoi siegt in knapp 23 Stunden. Die in Zürich lebende Deutsche Katharina Hartmuth läuft hinter der Spanierin Claudia Tremps auf Rang 3 und makiert damit das beste deutsche Ergebnis der Chamonix Woche. Die 57-jährige Ildiko Wermnescher wird starke Fünfte.

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Was? Hannes ist raus? Gestürzt im Downhill. Er wird es wieder versuchen! Weg für andere frei. Inmitten der internationalen Stars, erkenne ich natürlich auch Eva und Hannes. Alles ist ruhig. Die letzten Minuten bis zum Start. Chamonix ist proppevoll. Alles hat eine gemeinsame Herzfrequenz. Es dauert genau 22 Minuten vom Spitzenläufer bis zu den Letzten. Dann atmet Chamonix wieder aus und wartet rund 20 Stunden. Es wird eine lange Nacht vor dem Rechner. Ein irres Rennen an der Spitze und am Ende wundervolle Siege von Katie Schide und Kilian Jornet. Kilian, der erste Mann, der hier in unter 20 Stunden ankommt und dabei Gedanken an eine Aufgabe hatte. Als Jornet am Samstag Nachmittag auf diesen letzten 3000 Metern durch den Ort ins Ziel läuft, erlebe ich eine Stimmung, die ich noch nie erleben durfte. Soviel Freude mit dem besten einer Sportart, soviel Empathie und Energie. Es ist Magie! Eva Sperger wird am späten Abend ankommen und alles einlösen, was sie hat. Rang 10. Eine Lebenstraum geht in Erfüllung! Ach ja, ich war dann auch dabei als Kilian Jornet das Undenkbare möglich machte und Chamonix immer näher kam und dabei die Uhr noch weit entfernt von der 20-Stunden-Marke war. Es war purer Zauber - wie sich der gesamte Ort für den Sieger aufstellte, dicht an dicht. Als wenn sich viele Tausend Menschen in unfassbarer Vorfreude die Krawatten eng ziehen, den Scheitel mit dem Kamm nachfahren oder den Hemdkragen in Form bringen. Dann kam er. Lief ganz locker durch die Menschenmassen zum Ziel und schrieb Sportgeschichte. Ein Mann. Ein Ort. Ein Moment. Der UTMB wird auch in den kommenden Jahren Geschichten schreiben - ich denke ich bin möglichst lange als Beobachter und Fanboy dabei.


TEST 7 Schuhduelle

DER ODER DA Die großen Hersteller von Trailrunningschuhen haben sich längst mit zahlreichen Modellen für unterschiedliche Anforderungen aufgestellt. Wir verraten die Vorteile im 1 zu 1 der Top-Duelle.

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Adidas Terrex Speed Ultra 240/204 Gramm, 180 Euro vs. Adidas Terrex Agravic Flow 2 320/280 Gramm,140 Euro Bei Adidas liebt man Kategorisierungen. Nicht nur, dass man mit Terrex ein eigenes Sublabel fürs Trailrunning und überhaupt den Bergsport geschaffen hat, auch die einzelnen Schuhmodelle folgen klaren Benennungen. Speed, das steht fürs Door-to-Trail und für laufbare, dynamische Schuhe, Agravic fürs Alpine, Zupackende. Wir vergleichen also unsere beiden aktuellen Lieblingsmodelle aus dem Terrex-Sortiment und stellen fest: Passt! Denn außer dem zupackenden Continental-Grip und der verlässlichen, nicht

Saucony Endorphine Edge 255/221 Gramm, 230 Euro vs. Saucony Peregrine 12 274/235 Gramm, 150 Euro Von den US-amerikanischen Laufschuhtraditionalisten hat uns Saucony auf den Trails zuletzt am meisten begeistert. Und das auch mit einem, nun ja, traditionellen Schuh: dem Peregrine, inzwischen bereit in seiner zwölften Auflage. Andererseits gibt es da den Endorphine Edge. Einen Carbonracer, unglaublich leicht und doch ein verdammt kompletter Trailschuh, von der mangelnden Resilienz des Obermaterials einmal abgesehen. Dem Endorphine Edge gelingt scheinbar Widersprüchliches. Er macht

Altra Timp 4 302/268 Gramm, 160 Euro vs. Altra Mont Blanc 280/190 Gramm 180 Euro Unterschiedlicher könnten diese beiden AltraModelle nicht sein. Und doch haben sie ein paar Dinge gemeinsam. Die breite Zehenbox etwa. Und natürlich den flachen Stand, die NullSprengungs-Philosophie. Darüber hinaus sind es die beiden Altra-Modelle, die in dieser Saison auch bisherige Skeptiker der Marke interessiert haben. Doch zu den Unterschieden: Der Timp ist ein Komfortwunder mit einer längst nicht mehr nur weiten und sehr verlässlichen Passform. Ein Allrounder für lange, nicht allzu technische Sachen und ein echter Wohlfühlschuh, dem es, zugegeben, ein wenig an Grip fehlt. Den hat der Mont Blanc dank Unterstützung von Vibram zur Genüge. Es ist das bisher technischste Modell der US-Amerikaner, konkret dosierbar und mit beinahe foliertem Upper – und, bei schmalen Fesseln, einem Manko beim Fersenhalt. Aber dagegen gibt es ja die Variante mit doppeltem Boa-Verschluss. Der Mont Blanc ist etwas konkreter und wie wir finden klasse gedämpft. Er mag durchaus ein höheres Tempo. Fazit: Racer oder Roller, Lavaredo oder Landschaftslauf, bei Altra sind die Aufgaben klar verteilt. Schuhe nicht nur für Fans der NullSprengungs-Philosophie sind der Mont Blanc wie der Timp.

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mehr nur schmalen Passform haben die Schuhe kaum etwas gemein. Der Speed Ultra, aktuell der Schuh fast aller Terrex-Athlet:innen, gleicht in Laufdynamik und Abrollverhalten beinahe einem Lightweightracer für die Straße, hier tut die Boost-Dämpfung gerade in der Ferse ihren soften Dienst. Der Agravic Flow liegt recht steif und schwer in der Hand und scheint zunächst brachial hart abgestimmt. Im wirklichen Gelände aber spendiert er Vertrauen und einen verlässlichen Tritt. Er will und kann hoch hinaus, stabilisiert und schützt, ein alpiner Trailrunner eben. Fazit: Eigentlich könnte man sich auch beide kaufen, in die Quere kommen sie sich nie.

die Tempolaune und die überzeugenden Rückstellkräfte der Plattentechnologie intuitiv spürbar und bleibt dennoch ein flexibler, die Trails adaptierender Schuh. Klasse gedämpft, aber nie zu weich. Sicher im Stand und dynamisch beim Kurvenräubern. Aber dann zeigt eben der Peregrine, er basiert ebenfalls auf dem reaktiven PWRRun-Foam, dass eine traditionelle Trailschuh-Geometrie noch immer ihre Berechtigung hat. Der flache Stand im Schuh spendiert Sicherheit und konkretes Bodengefühl, man fühlt sich gut (ein-)gepackt. Dynamisch gedämpft ist der Peregrine dabei auch. Fazit: Der Endorphine Edge macht Laune, der Peregrine aber einen verdammt guten Job.


TEST 7 Schuhduelle On Cloudultra 295/245 Gramm, 189 Euro vs. On Cloudvista 280/235 Gramm, 149 Euro On macht es sich einfach. Der Cloudultra sei, schon dem Namen nach, der Schuh für die langen, auch alpinen Dinger. Der Cloudvista ein Schuh für Einsteiger:innen und fürs Door-ToTrail, die Runden zwischen Stadt und Berg. Wir sehen die Sache komplexer, denn der Cloudvista hat uns viel zu viel Spaß gemacht. Er ist der flexiblere, dynamischere und leichtfüßigere, nein, eben nicht kleine Bruder des Cloudultra. Und vermutlich der bis dato beste Trailschuh der Schweizer. Das dynamisch rollende Speedboard, eine Kunststoffplatte in der Mittelsohle, ist in beiden Schuhen verbaut. Was ihm der Cloudultra voraus hat? Ein Extraportion ermüdungsarme Stabilität und ein wenig mehr Schutz gerade im Vorfiußbereich. Ausgewiesen soft gedämpfte Schuhe, aber das kennen wir ja von On, sind sie beide nicht. Was wir ebenfalls von ON kennen: eine überzeugende Haltbarkeit, auch nach rund 800 gelaufenen Kilometern steht unser Cloudultra noch tadellos da. Wir fühlen, dass das auch dem Cloudvista gelingt. Fazit: Zwei sehr technisch und tadellos verarbeitete Schuhe, von denen der Cloudvista mehr Spaß macht. Schwerere Läufer:innen und Leute mit dem Wunsch nach mehr Stabilität sollten zum Cloudultra greifen.

Salomon Pulsar Trail 280/238 Gramm 130 Euro vs. Salomon Ultraglide 260/220 Gramm 140 Euro Wir hätten es uns leicht machen können und den Pulsar Trail mit dem Pulsar Pro vergleichen können. Zwei Schuhe mit der neuen Energy-Plate-Technologie, eine Abwandlung der gerade populären Kunststoffplatten, die sich bei Salomon aber wie die Finger einer Hand aufspreizt und so eine gewisse und auf Trails nötige Flexibilität ermöglicht. Mit dem Pulsar Pro ist so ein tempolauniges, dynamisch-reaktives Leichtgewicht entstanden. Der Pulsar Trail mag es gemütlicher und läuft sich kaum mehr wie ein Schuh mit Plattentechnologie sondern wie ein gutmütiger Trailallrounder. Das drängt den Vergleich zum Ultraglide auf, der ja 2019 mit dem Versprechen gestartet war, ein für Salomon-Verhältnisse überraschend weich gedämpfter Rolleur zu sein. Ja, rollen, und eben nicht rennen, können sie beide. Nur ist der Pulsar noch einmal deutlich komfortabler und weicher ausgelegt und auch in Sitz und Passform entspannter und nicht ganz so präzise. Fazit: Verlässliche Schuhe mit hinreichend Stabilität für Einsteiger:innen und auch für schwerere Läufer:innen sind beide. Im Alpinen oder auf langen Strecken würden wir den Ultraglide vorziehen.

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The North Face Vectiv Flight 265/230 Gramm 200 Euro VS. The North Face Vectiv Infinite 306 Gramm / 270 Gramm 160 Euro Das Bessere, so heißt es, sei des Guten Feind. Aber man tut dem Vectiv Infinite Unrecht, ihn auf das Fehlen jener Carbon-Platte zu reduzieren, die im 40 Euro teureren Topmodell von The North Face zum Einsatz kommt. Klar, nur der Flight Series darf sich das Siegel „Carbonschuh“ geben. Wir fanden die ebenfalls über die gesamte Sohle gezogene Kunststoffplatte des Infinite im Alltagstest aber sogar angenehmer. Einerseits, weil sie nach einer kurzen Einlaufphase die Fussform und den Laufstil adaptiert. Andererseits, weil der Infinite nicht überdämpft, aber doch merklich gedämpfter ist. Das passt zu seinem Charakter als tempolauniger Rolleur für lange Landschaftsläufe. Der Flight Series läuft sich straffer und direkter. Er ist der merklich schnellere, reaktivere Schuh, fordert dieses Tempo aber auch ein. Beide sind tadellos und sehr schlank und präzise gearbeitet, am Infinite gefiel uns das dünne Kevlar-Upper ausnehmend gut, stabiler, gerade an der Ferse, sitzt aber der Flight Series mit seinem gestrickten Obermaterial. Fazit: Schnelle, ausdauernde Schuhe fürs (eher) moderate Terrain sind beide. Der Flight Series animiert und fordert, während der Infinite auch das ermüdungsarme Dahinrollen goutiert.

HOKA SPEEDGOAT 5 290/258 Gramm 150 Euro vs. HOKA TEcTON X 240/220 Gramm 210 Euro Ein wirklich interessantes Duell zwischen einem Klassiker in seiner fünften Saison und einem gänzlich neuentwickelten Schuh mit Carbon-Platte in der Mittelssohle. So unterschiedlich der neue Speedcross 5 und der Tecton X (5 mm Drop) auch sind, so sehr mag man sie doch für ein und das selbe anziehen - für mittlere bis lange Trails, für alpine Trails und irgendwie auch alles was mit Trailrunning zu tun hat. Auf den 8 Etappen des Transalpine Runs nutzte ich den Speedgoat 5 (4 mm Drop) für die ganz langen Etappen und den Tecton X für die eher kürzeren, die dann auch mal vier Stunden lang waren. Beide Modelle überzeugen mich durch ihre enorme Stabilität, durch Dämpfung, die dennoch Kontakt zum Untergrund erlaubt und einem Fit, der in Punkto Bequemlichkeit in Hausschuhnähe zeigt. Durch sein Update wurde der neue Speedgoat mehr "Evo" und rückt damit auch näher an ein Lightweight-Wunder wie den Tecton X, der jedoch agiler und leichter ist sowie weniger Halt bietet. Fazit: Beide Modelle können lange und technisch anspruchsvoll, doch der Speedgoat 5 vermag mehr Stabilität zu leisten, der Tecton X begeistert durch mehr Vortrieb und Laufdynamik.

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RISIKO RISIKO

HINTERGRUND Pauli Trenkwalder

Text: CLEMENS NIEDENTHAL Foto: THOMAS GRIESBECK

Woran denken wir, wenn wir auf den Trails unterwegs sind? Auch an die Gefahr? Und was ist das, was uns am Riskanten manchmal so reizt? Eine Spurensuche im Grenzgebiet zwischen Selbsterfahrung und Selbstüberschätzung

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Am Dienstag, dem 7. Juni dieses Jahres kam es auf dem Heuberggrat bei Hirschegg im Kleinwalsertal zu einem Zwischenfall, der es einzig deshalb nur auf die bunten Seiten der regionalen und überregionalen Presse bringen sollte, weil glücklicherweise dann doch nicht wirklich viel passiert war. Außer einem Hubschraubereinsatz der Bergwacht, Kostenpunkt rund 18.000 Euro. 99 Schüler:innen aus dem Raum Ludwigshafen mussten aus halbhöchster Bergnot gerettet werden. Erschöpft, durchnässt und buchstäblich verstiegen. Was war passiert? Einer der Lehrer hatte zuvor auf dem Routenportal Komoot eine passende Wanderung für die Jugendlichen gefunden. Zweieinhalb Stunden Gehzeit und als „Feierabendrunde“ angepriesen. Nun ahnen wir, und inzwischen weiß das auch der Lehrer: Feierabendrunde ist ein recht dehnbarer Begriff. Tatsächlich war besagte Wanderung in den offiziellen Tourismusprospekten nicht mehr aufgeführt, der Boden sei erodiert, der Pfad teilweise schwer zu finden. Anruf Im Eisacktal in Südtirol bei Pauli Trenkwalder, Bergführer, Coach und Psychologe. Wie es denn nun bestellt sei, um das Verhältnis von uns Menschen, den Bergen und dem Internet? Und was das alles mit unserem Risikobewusstsein zu tun habe? Nehmen wir die Berge, als Erlebnisund mehr noch als Erfahrungsraum,

vielleicht einfach nicht mehr ernst? „Ich mag das gar nicht gegeneinander ausspielen“, sagt Trenkwalder, „auf der einen Seite erfahrene Alpinist:innen, die vielleicht ein wenig zu lässig mit ihrem Können und ihrem Zutrauen prahlen. Auf der anderen Seite bergunerfahrene Menschen, die gar nicht in der Lage sind zu reflektieren, was die Berge überhaupt sind, die eine Story etwa in den Sozialen Medien finden und sagen: Das will ich auch.“ Problematisch werde es spätestens, wenn sich diese beiden Phänomene gegenseitig verstärken. Wenn die Heldengeschichten der einen, auf den Event- und Experiencehunger der anderen treffen. Wenn also der GoProFilm von Kilian Jornet (nicht jede:r weiß ja, dass der extreme Weitwinkel dieser Actionkameras, eine Gratüberquerung noch einmal todesmutiger ausschauen lässt) in den Sozialen Medien als ein cooles Beispiel dafür gelesen wird, wie lässig doch dieses Trailrunning sei. Das jedenfalls hat auch Pauli

„Von Null auf Viertausend“: Bergführer und Psychologe Pauli Trenkwalder

MUSS SEIN

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Trenkwalder notiert: „Viele nehmen sich heute gar nicht mehr die Zeit, sich auf neue Herausforderungen, auf neue Erfahrungen einzulassen und sich die Zeit dafür zu nehmen. Früher kamen zu uns Bergführern Leute mit wirklicher Erfahrung, um den nächsten Schritt zu wagen. Heute wollen manche von Null auf Viertausend, mindestens. Im nächsten Jahr sind sie dann schon wieder beim nächsten Lifestyle-Trend angekommen.“ Sich spüren müssen Unsere Leidenschaft für die Berge, sagt Philipp Felsch, Kulturphilosoph aus Berlin und als solcher vor einigen Jahren etwa mit einer Ausstellung zur Geschichte des Deutschen Alpenvereins betraut, sei eben immer auch eine Reaktion auf einen zunehmend modernen, abstrakten Alltag gewesen. „Eine Suche nach dem Archaischen, das ein Bürojob nicht mehr bieten kann.“ Vielleicht sei diese Sehnsucht, dieses „Sich spüren müssen“ ja immer noch mit uns unterwegs – wenn vielleicht nicht bewusst, aber unbewusst. Deshalb eine Mail an Jonathan Albon, einem der weltbesten Trail- und Obstaclerunner und etwa Sieger der Glen Coe Skyline, mit dem ich vor rund drei Jahren ein sehr erhellendes Interview über die Unterschiede der

Was eine Kernkompetenz in den Bergen ist? Die Reflexion und der Mut, Nein zu sagen. beiden Sportarten, zwischen eben der Glen Coe Skyline und einem Spartan Race geführt habe. Jonathan Albon schreibt mir: „Die Leute hängen bei einem Hindernisrennen an irgendwelchen Seilen, tauchen durch den Schlamm, hangeln sich über vermeintliche Abgründe, erleben den Thrill ihres Lebens … und betreiben letztlich ein aufwendig inszeniertes Spektakel mit Sicherheitsnetz und

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HINTERGRUND Pauli Trenkwalder doppeltem Boden. Dann laufen sie auf einem Trail nur ein, zwei Meter an einer Stelle vorbei, an der sie schwer, ja sogar tödlich stürzen könnten, und bekommen es vermutlich gar nicht mit.“ Andrea Huser, kreuzsympathische Schweizerin und nicht im Ansatz bekannt dafür, die Risiken ihres Sports und des alpinen Terrains zu unterschätzen, hatte auf einer alltäglichen Trainingsrunde im November 2020 in einem offensichtlich vereisten Bachbett den Halt verloren und war 140 Meter tödlich in die Tiefe gestürzt. „Das solche Unfälle passieren können, egal wie versiert oder wie achtsam wir unterwegs sind“, sagt Pauli Trenkwalder, „ist eine Erkenntnis, die jeder und jede haben sollte, der oder die in den Berge unterwegs ist. Ich glaube aber nicht, dass sich alle die Zeit oder die Muße für diese Erkenntnis nehmen.“ Was also eine Kernkompetenz für den Sport in den Bergen sei? „Die Reflexion und das Selbstbewusstsein, auch Nein sagen zu können.“ Nein, dieses Kletterstück ist mir zu schwer. Nein, dieses Tempo zu hoch. Ja, jetzt ist es an der Zeit für mich umzukehren. Eine immerhin beruhigende Feststellung: Die auch aufgrund der nicht wegzuredenden Wettereskapaden zunehmend häufigere Entscheidung von Rennveranstaltern, Strecken umzulegen, zu verkürzen oder ein Rennen abzubrechen beziehungsweise

ganz abzusagen, wird von den Teilnehmenden vor Ort und in den Sozialen Medien inzwischen entspannt bis verständnisvoll kommentiert. Nicht nur, weil es zuletzt zu einigen tragischen Unfällen kam. So wurde auf dem exponierten Kurs des Südtirol Skyrace 2019 eine norwegische Teilnehmerin tödlich von einem Blitz getroffen – kurz nachdem das Rennen bereits wetterbedingt abgebrochen war. Leider hatte sie die diesbezügliche SMS aber noch nicht gelesen. Mögen Einzelne vielleicht immer noch glauben, diese Gefahren seien ein Teil des Spiels (oder einfach nicht der Rede wert), scheint unsere Community also doch sehr gut aufeinander aufzupassen. Einmal habe ich mich wissentlich, also willentlich, in Gefahr begeben. Auf dem Pfunderer Höhenweg in Zillertaler Alpen, noch immer einer der schönsten Trails, die ich je gelaufen bin. Ich hatte die Tour von Berlin aus geplant, im Internet. Ich kannte die Gegend. Also grob. Den Pfunderer Höhenweg kannte ich nicht. Also mit dem Nachtzug nach München und weiter mit dem Eurocity. Morgens um 10 Uhr war ich in Brixen und eine Stunde später schon auf den Trails. Am zweiten Tag und nach gut fünfeinhalb Stunden Laufzeit zwänge ich mich durch einen Spalt in den Felsen, die Gaisscharte, und werde mit einem traumhaften Panoramablick belohnt. Vor und auch unter mir, die Edelrauthütte, mein Nachtquartier,

es sind allenfalls noch 50, 60 Minuten. Nur: Erst einmal geht es senkrecht hinunter. Eine blanke Wand und einige versetzt angebrachte Tritte, darüber ein Stahlseil, zum Festhalten und vor allem zum Einhaken. Nur habe ich nichts zum Einhaken dabei. Was tun? Umkehren und irgendwann im Stockdunklen wieder die Brixener Hütte erreichen, meine heutige Mittagsrast? Und: Habe ich dafür überhaupt genug Energie? Finde ich noch irgendwo einen Riegel? Was traue ich der halben Schinkensemmel in meinem Trailrucksack zu? Ich habe mich stattdessen auf einen Felsvorsprung gesetzt. Habe drei, vier Minuten ruhig ein und vor allem ausgeatmet. Und mich dann in die Wand gewagt. War letztendlich gar kein Problem. Bis heute bin ich nicht stolz auf diese Aktion.

Strecken umzulegen, zu verkürzen oder ein Rennen abzubrechen beziehungsweise ganz abzusagen, wird von den Teilnehmenden vor Ort und in den Sozialen Medien inzwischen entspannt bis verständnisvoll kommentiert

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EVENTS www.myvirtualtrail.com

Zeigs uns nochmal! Das war ein toller MVT-Sommer 2022. Viele von euch waren auf den 15 Strecken unterwegs, viele haben persönliche Rekorde aufgestellt und sich für Wettkämpfe in Form gebracht oder haben sich mit anderen Zeiten gemessen. Eine letzte Challenge wartet nun auf Euch ...

Siebengebirgsumrundung von Sebastian Maier Sebastian Maier wollte es wissen. Analog zum Vorbild UTMB umrundete er nicht nur einen Gipfel, sondern einen ganzen Gebirgszug. Und zwar das Siebengebirge. Satte 27 Kilometer mit 1000 Höhenmetern kamen bei der Umrundungen dieses rheinischen bis zu 461 Meter (Ölberg) hohen Gebirges zusammen: „Schön war’s mal wieder, habe alte Ecken seit Jahren mal wieder gesehen und ein paar, zumindest gefühlt, neue Wege erlaufen.“

Text: BENNI BUBLAK

Das Myvirtualtrail Jahr neigt sich dem Ende zu. Noch bis zum 30.11. habt ihr die Chance eine oder mehrere unserer 15 Strecken zu laufen. Vielleicht rückt ihr dadurch auch noch den ein oder anderen Platz in unserer Jahresbestenliste hinauf. Zumindest die ersten Plätze, sowohl bei Herren und Damen scheinen

aber schon vergeben zu sein. So immens ist der Vorsprung von Rene Strosny (362 Punkte) und Helen Schrötter (237 Punkte). Gesammelt haben sie diese Punktzahl über insgesamt 32 Aktivitäten (22 – Rene; 10– Helen). Respekt! Rene, der sich schon letztes Jahr ganz oben in der Jahresbestenliste platzierte, fehlen aktuell nur noch zwei Strecken, bis er alle 15 Strecken unserer Lauf-Plattform absolviert hat. Die Strecken sind alle zu weit weg von deiner Heimat und sowieso gibt es die besten Trails eh vor deiner Haustür? Dann zeig uns unbedingt deine Premium-Trailrunde bei dir daheim (siehe

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Oktober Challenge). Denn wir suchen für das kommende Jahr wieder wunderschöne Strecken zwischen Flensburg und Zugspitze, Saarschleife und Zittauer Gebirge. Im August drehte sich alles um den Ultratrail du Mont Blanc. Wir wollten im Rahmen unserer August-Challenge, dass ihr eure eigene Gebirgsumrundung lauft. Sei sie auch noch so unvergleichbar mit der großen Runde um den weißen Eisriesen. Vier schöne Umrundungstouren aus eurer Feder, ääh Füßen, möchten wir euch daher an dieser Stelle vorstellen.


Muppbergumrundung von Patrick Engelhardt Neustadt bei Coburg hat einen ganz prächtigen Hausberg. Diesen zu umrunden fiel Patrick nicht ganz leicht, kostete ihn aber nur schlappe 12 Kilometer: „Es fällt zwar nicht leicht die schönen Trails auf dem Muppberg zu ignorieren, aber eine Runde um den “Mount Neustadt” mit ständigen Blick auf unseren Hausberg hat auch seinen Reiz.“

Glessener Höhe Umrundung von Christof Wilczek

Spitzfels und Wolfsberg Umrundung von Armin Eichenhofer Mitten im Schwarzwald ausgehend von Wolfach umrundete Armin auf einer 11 Kilometer langen Runde zwei vertraute Gipfel auf ungewohnten Pfaden: „Auf dem Spitzfelsen bin ich schon einige Mal gewesen aber umrundet habe ich ihn noch nie. Danke für die Challenge und die Idee die Dinge mal anders zu erlaufen.“

Den höchsten Berg Europas und den höchsten Berg des Rhein-Elft-Kreises, trennen nur schlappe 4600 Höhenmeter. Streng genommen ist die Glessener Höhe (205 m) nichtmal ein richtiger Berg, zumindest kein Natürlicher. Christof hat es nicht so genau genommen und ihn während eines 33 Kilometer Longruns umrundet: „Abraumhalde = Berg? Auf der Glessener Höhe steht ein Gipfelkreuz und deswegen ist er mein Hausberg ohne Anfahrt (door to trail)“

Oktober Challenge: Deine Strecke für 2023! Du hast eine Strecke in Deinem vertrauten Trail-Gebiet, die unbedingt überregionale Aufmerksamkeit verdient hätte? Im Rahmen der Oktober Challenge wollen wir schon nach geeigneten Routen für das kommende MyVirtualTrail Jahr suchen. Vielleicht wird deine Trainingsrunde 2023 eine der 15 neuen MVT-Strecken. Die Strecke sollte zwischen 15 und 40 Kilometern lang sein und möglichst viele und attraktive Trails Deiner Region enthalten. Laufe die Route ab und lade im Bereich Competitions deine gpx Aktivitäts-Datei, ein paar Streckenbilder und eine kleine Streckenbeschreibung hoch und Du bist dabei.

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REISE Bornholm Text & Fotos: CLEMENS NIEDENTHAL

Das geschlossene System

Auf Bornholm bin ich meinen ersten Ultra gelaufen. Damals 2013. In diesem August komme ich als Urlauber zurück. Sieben Tage in einem Sommerhaus hinter den Dünen. Und auf Trails, wie sie diverser kaum sein könnten. Auch, weil es auf Bornholm Felsen gibt, wie sonst nirgends in Dänemark. Eine Liebeserklärung

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REISE Bornholm

Ich mag Inseln. Ich mag die Logik, der sie folgen. Die klare Kante zwischen Land und Meer, die meistens auch ein Trail ist. Ich mag das Wetter, dem man entlang dieser Kante noch einmal intensiver folgt. Ich mag die Eindeutigkeit einer Insel. Es gibt keine Übergänge. Alles auf dieser Insel ist für die nächsten sieben Tage potenziell interessant. Alles andere liegt auf der anderen Seite des Meeres. Ich mag Bornholm. Ganz besonders Bornholm. Hier bin ich 2013 meinen ersten Ultra gelaufen. Den Hammertrail. Hier habe ich Kim Rasmussen kennengelernt. Läufer. Laufveranstalter. Lauftrainer. Weswegen diese Geschichte über eine Augustwoche auf dieser dänischen Insel, die doch dem schwedischen Festland so viel näher liegt, an einem Donnerstag, Punkt 17 Uhr, auf dem Sportplatz von Tejn beginnt. Intervalltraining mit dem Tejn IF, Dänemarkts vielleicht bekanntestem Trailrunningverein. Tim Rasmussen wird uns in den kommenden zweieinhalb Stunden über eine knackige, tückische Schleife schicken. Dreimal im Uhrzeigersinn, dann dreimal in umgekehrter Richtung. Den Schotterweg zwischen den Sommerhäusern hinunter, den kleinen Pfad mit Blick auf das Meer, scharf rechts den Wurzeltrail und dann als Gegenanstieg die lange Treppe. Wir schenken uns nichts. Und nach sechs Runden weiß ich, dass mich der Hammertrail im kommenden Mai wiedersehen wird. Dass ich auf Bornholm einfach sehr, sehr gerne renne. Viele, die man hier auf Bornholm trifft, sind irgendwann zurückgekommen. Wie Martin Barslund Jensen, der in guten und sehr guten Restaurants auf dem dänischen Festland und in der Welt gearbeitet hat, um dann auf Bornholm selbst Wein anzubauen. So wie Pia Bajlum und Kasper Bajlum Müller, denen

während eines Besuches bei seinen Eltern das leerstehende Strandhotel, tatsächlich heißt es auf dänisch Strandhotellet, in Allinge aufgefallen war. Und die dann tatsächlich einen Millionenbetrag zusammenkratzen konnte. Und noch einmal einen für die sehr geschmackvolle Sanierung des luftigen Hotelbaus aus dem späten 19. Jahrhundert. Mit den Zimmern im zarten Blau, das weder mit dem Blau der Ostsee konkurrieren sollte, noch mit jenem des Himmels und das darüber hinaus ganz unbedingt nicht kitschig sein durfte. So wie Nicolai Nørregaard, der in Kopenhagen die New Nordic Cuisine miterfunden und später einen Ableger seines mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Res-

taurants Kadeau in die Dünen von Ostre Somarken gestellt hat. Der schlichte schwarze Holzbau wirkt dabei wie eines der typischen, legeren Strandlokale und kaum wie eines der wichtigsten Restaurants Nordeuropas. Kein Logo, ja nicht einmal ein Türschild. Dänisches Understatement. Helle Morgensen, die Frau vom Tourismusverband, hat festgestellt, dass solche Rückkehrer:innen jetzt häufiger kommen. Und früher. Bereits in den Dreißigern. Das mag am zunehmend ortlosen Arbeiten liegen, am Internet. Vor allem aber liegt es an dem Versprechen dieser Insel, ein besonderer Ort mitten im Meer zu sein. Groß genug, um ein hinreichendes Repertoire an Orten, Landschaften und Stimmungen bereitzuhalten. Aber klein genug, um noch auf Leute mit wirklich guten Ideen zu warten. Wie auf Jessica und Christian Andersen von der Microbrauerei Pennylan in der alten Fischfabrik von Tejn. Sie kam sogar den weiten Weg aus Australien auf die Insel. Es gäbe doch keinen schöneren Ort zum Leben, „auch im Winter, nein, vor allem im Winter.“ Was Jessica Andersen auch festgestellt hat: Die Menschen entdecken die Kliffe. Die felsigen, beinahe gebirgigen Küstenpassagen, die es in Dänemark tatsächlich nur auf Bornholm gibt: „Das hat in der Pandemie angefangen, als die Leute eben nicht mehr nur vier Wochen im Jahr in ihren Sommerhäusern waren. Plötzlich hat einer nach dem anderen sein Haus im Süden verkauft und sich etwas hier im Norden gesucht. Spazierengehen, ja Wandern war auf ein-

Infos Bornholm Ab Sassnitz auf Rügen verkehren die Fähren in die Inselhauptstadt Rønne endlich ganzjährig (Fahrzeit dreieinhalb Stunden). Wer ohnehin durch Schweden reist, kommt mit den Tragflächenfähren ab Ystadt merklich schneller ans Ziel. Als Basislager für einen Trailurlaub empfiehlt sich neben dem hügeligen Norden (von Hasle bin Tejn), die gesamte Ostküste mit den pittoresken und belebten Dörfern Gudhjem und Svaneke und exponierten Küstentrails. Spätestens im Sommer und mit Familie kommen auch die Sandstrände bei Dueodde und Balka ins Spiel, zumal es dort die meisten Ferienhäuser und Campingplätze gibt. Abseits der Hauptsaison macht sich der öffentliche Nahverkehr rar, eine Empfehlung hingegen, Bornholm nur mit dem Rad (und Laufschuhen) zu bereisen. Die guten, landestypisch sehr geschmackvollen Hotels sind relativ teuer, eine Nacht im traumschönen Strandhotellet in Allinge könnte man sich dennoch gönnen. Ferienhäuser sind nicht teurer als hierzulande und zumeist recht groß (drei Schlafzimmer), perfekt für eine Laufgruppe. Gerade innerhalb der Orte finden sich aber auch kleinere Wohnungen. Manche Restaurants, Campingplätze etc. sind nur während der Sommersaison geöffnet, die inzwischen aber immerhin bis weit in den Dezember reicht. Recht voll, aber nie zu voll, ist es von Anfang Juli bis Mitte August, der dänischen Hochsaison. www.bornholm.info/de

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mal das Ding.“ Bornholm, das sind die Alpen Dänemarks. Was man auf Bornholm gerade auch entdeckt: Die Fischerei- und Industriehäfen mit ihrer pragmatischen, manchmal fast brutalistischen Architektur. In solchen Zweckbauten entstanden die Microbrauerei Penyllan oder das Weinlokal Kanteen (beides in Tejn) und Pia Bajlums mexikanisches Restaurant Paloma (in Nexø). Die Dän:innen, ausgerechnet die Dän:innen, scheinen plötzlich keine Lust mehr drauf zu haben, dass alles immer nur hygge ist.

Ich mag Inseln. Ich mag die Logik, der sie folgen. Die klare Kante zwischen Land und Meer.

Tatsächlich, als ich am Osterwochenende 2013 zum ersten Mal auf Bornholm war, war der Norden der Insel noch doppelt verschlafen. Einerseits, weil sich der Tourismus noch auf die fast weißen Sandstrände bei Dueodde konzentriert hatte, die verlässlich unter die „Top 50s Beaches of the World“ gewählt werden. Und auf die pittoresken Hafendörfer an der Ostküste, Svaneke und Gudhjem vor allem, in denen sich der Charme des vorvergangenen Jahrhunderts bewahrt hat. Andererseits, weil die Tourismussaison auf der Insel sowieso ein kurze war. An Mittsommer ging es los und bereits im August leerten sich die Strände und Campingplätze wieder. Beides ist heute anders. Bornholm hat sich, mit Hilfe des Tourismusmarketings, aber mehr noch

Neu belebte Hafenareale: Die Weinbar Kanteen in Tejn, das mexikanische Paloma in Nexø

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REISE Bornholm durch lokale Initiativen und dem, was man gemeinhin den Zeitgeist nennt, als Outdoorinsel neu erfunden. Seit diesem Jahr fährt auch die Fähre von Rügen ganzjährig. „Gerade an Weihnachten und Neujahr“, sagt Helle Morgensen, die Touristikerin, „kommen viele aus Berlin oder Hamburg, die die ruhigste Zeit im Jahr tatsächlich als eine ruhige Zeit verbringen wollen.“ Auch viele der jungen, handwerklichen Gastronomien, die ursprünglich als Saisongeschäft gestartet waren, haben inzwischen ganzjährig geöffnet. Nur im November und ab Mitte Januar gönnt sich die Insel noch eine kleine Auszeit Anders Heindorff ist einer dieser handwerklichen Köche, die nach Bornholm gekommen sind. Obwohl er diesen Beruf genau genommen nie wirklich gelernt hat. Und genau deshalb schmeckt es im Provianten an der Hafenkante von Gudhjem eben so wie es schmeckt. Heindorff serviert eher gut kuratierte Produkte als wirklich gekochte Teller. Einen Blauschimmelkäse aus dem Norden Dänemarks mit einer selbstgemachten Brombeermarmelade, was dann zusammen beinahe wie ein säuerlicher Cheesecake schmeckt. Oder eine alte Karottensorte mit angegrillten Salatherzen. Nur unter den raspeldünnen Scheiben von der Rosa Bete finden sich selbstgemachte Hackfleischbällchen, der skandinavische Klassiker. Jeder Teller kostet rund 6 Euro. Zu zweit oder

zu viert lädt man sich einfach den Tisch voll und isst kreuz und quer. Sharing is caring. Hin und wieder sei es noch immer schwer, ein solches Restaurant, eigentlich ist auch das Provianten eher eine Weinbar, zu führen, erzählt Anders Heindorff. Gerade mitten im Hafen mit seinen Tourist:innen, die dann doch immer nach einem klassischen Hauptgericht verlangen. Oder nach einer Pizza. Heindorff aber gehört zu jenen, die sich in den Kopf gesetzt haben, den Geschmack Bornholms zu verändern. Nicht didaktisch und von oben herab. Sondern mit viel Geschmack und einem Gespür für die Region, die Saison und die Atmosphäre. Gerade hat er sich in ein neues Projekt gestürzt. Er macht Cidré, also Apfelwein. Aber nicht, wie wir ihn aus Deutschland kennen, sondern beinahe so, wie man auch Champagner macht. Mit Flaschengärung und langer Lagerzeit auf der Hefe. Aber gutes Essen geht auf Bornholm auch mal ganz schnell. Im kleinen Hafen von Allinge etwa, gleich gegenüber des Strandhottelet, wo zwei Mitzwanziger:innen unter dem Wohlklang einer merklich älteren Playlist (Kinks, Love, Fleetwood Mac) im Zweieinhalbminutentakt Pizzen backen, die dann die Tourist:innen, und offensichtlich auch das halbe Dorf auf der Hafenmauer sitzend essen. Gut, dass mein Lauf heute hier endet. Und dass es da diese Sauna

Anders Heindorff ist aus Kopenhagen auf die Insel gekommen. Im Provianten in Gudhjem kuratiert er beste Produkte zu unglaublich köstlichen Tellern.

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Die Sandstrände bei Dueodde werden verlässlich unter die „50s best Beaches of the World“ gewählt

gibt, ein Betonkubus, fast unsichtbar in die Kaimauer integriert. Das Dorf hat sich die Sauna selbst geschenkt und jeder, der mag, kann sie in der dunklen Jahreshälfte für 50 Kronen (gut 6 Euro) anfeuern. Im Sommer ist die Benutzung umsonst. Und das Bad im Hafenbecken auch an diesem späten Augustabend noch eher wohlig warm als allzu erfrischend. Trails, die man auf Bornholm unbedingt rennen sollte: Die 25k-Schleife des Hammertrail hier im Norden der Insel mit seinen exponierten Trails, einen Fuß beinahe im oder hoch über dem Meer. Vorbei an der Ruine des Hammerslots und durch den großen Granitsteinbruch. Entlang der beiden Leuchttürme, es gibt sogar einige ausgesetzte Passagen. Und dann die 340 Stufen jener Holztreppe hinunter, die vor gut 150 Jahren einmal angelegt worden war, damit Schiffbrüchige an der zerklüfteten Steilküste überhaupt die Chance hatten, das rettende Ufer zu erreichen. Die GPS-Daten des Kurses mit rund tausend positiven Höhenmetern, gibt es auf der Hompage der Veranstaltung (www.hammertrail. dk). Und den Ufertrail von Bornholmer Kunstmuseum über Gudhjem und Svaneke nach Nexö (rund 30 Kilometer).


Bornholm Hammertrail

Der schönste Trail Bornholms: Die 25k-Schleife des Hammertrail, mit einem Fuß immer im oder über dem Meer. Am besten an einem raueren Morgen, wenn der Ostwind die Wellen gegen die Felsen peitscht. Und das Meer so grau ist wie der Himmel und die Felsen. Der Weg ist radikal logisch, immer am Wasser lang, und auch in einzelnen Etappen laufbar, zumal der öffentliche Nahverkehr im Gegensatz zum Inselinneren auf der zumeist parallel zum Trail verlaufenden Küstenstraße recht rege funktioniert. Die Dünen im Süden bei Dueodde und Somarken, mit dem Strandhafer, den Heidegewächsen und dem feinen, fast weißen Sand, einfach immer der Nase nach. Und das Ekodalen, das Echotal, im Inselinneren, das so heißt, weil es in dieser eiszeitlichen Senke tatsächlich ein Echo gibt. Probiert es einfach aus. Ruft Trail Magazin.

Dieses Rennen ist so gut, und ich spreche aus Erfahrung, dass es gleich zweimal im Jahr veranstaltet wird. Im Januar als Winter Edition ­­– falls nicht wie im letzten Jahr ein Wintersturm die kompletten Fährverbindungen zum Erliegen bringt. Die, die schon auf der Insel waren, sind dann aber trotzdem gelaufen. Und einmal Ende Mai. Auf einer traumschönen, stets kupierten 26k-Runde geht es durch den felsigen Norden der Insel. Die Distanzen: von ganz kurz bis zu bis zu 50 Meilen. Für das bekannteste und anspruchsvollste dänische Ultrarennen gibt es bis zu drei ITRAPunkte. Die Sommer Edition ist zudem Teil der skandinavischen Golden-Trail-Series (Distanz 33 Kilometer). Veranstaltet werden beide Rennen, und noch einige mehr, von Lene Møller, Kim Rasmussen und dem umtriebigen Dorfverein Tejn IF. Wenn Ihr also nach Bornholm vorbeischaut: . Donnerstags um 17 Uhr am Sportplatz in Teijn und Samstags, 13 Uhr, auf den Hammertrails, Start im beschaulichen Hammerhavn (man kann sich nicht verpassen). Sagt dennoch vorher via Mail Bescheid. www.hammertrail.dk www.tejnif.dk

Kim Rasmusssen (Mitte) ist Läufer und Laufveranstalter. Und als Trainer ein sympathischer, aber harter Hund.

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REPORT Dynafit Transalpine Run Text: DENIS WISCHNIEWSKI Fotos: ANDI FRANK, KLAUS FENGLER, PHILIPP REITER

Im Finale.

In meinem Sport gibt es diese festen Säulen: Kilian Jornet siegt immer, ich vertrage keine Energy-Gels, ich starte immer zu schnell. Und - es gibt den Transalpine Run, seitdem ich ein Trailrunner bin. Grund genug zum dritten Mal dabeizusein. Eine Alpenüberquerung mit allen Konsequenzen, Emotionen und Umwegen.

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Mindestens drei der acht Etappen führten durch hochalpines Terrain und liessen die Luft merklich dünner werden.

Als der Transalpine Run im Jahr 2005 zum ersten Mal seinen Weg als Wettkampf über die Alpen fand, stellte Gerhard Schröder die Vertrauensfrage, verkaufte Adidas Salomon und starb Modezar Rudolph Mooshammer. Schröder und Mooshammer hätten es niemals zu Fuß über die Alpen geschafft, mit Adidas und Salomon wäre man auch heute noch gut ausgerüstet, wobei aktuell Dynafit als Hauptsponsor des „TAR“ dem Event und auch der neuen Route seinen alpinen Stempel aufdrückt. Die Route über 290 Kilometer und 17.500 Höhenmeter sollte die anspruchsvollste in der Historie des Team-Wettbewerbs werden. Über den Transalpine Run zu berichten ist von außen betrachtet fast unmöglich. Das Rennen, welches sich in 8 Etappen und 8 Tagen von Garmisch bis nach Vals in Südtirol fortbewegt, wird nach nur wenigen Tagen zu einer Glocke und eingeschworenen Gemeinschaft. Wer also wissen möchte, was oder wie der TAR ist, muss sich die Mühe machen, selbst teilzunehmen. Es gibt schwere Bergläufe, epische Ultratrails, den UTMB, Skyraces oder Adventureruns, aber eben nur einmal den „TAR“. Kein anderer Trailrun auf der Welt bringt seine Teilnehmer so sehr an spezielle Grenzen, denn am Ende ist es die pure Dauer über eine ganze Woche in Verbindung mit Tagesstrecken, die an die Marathondistanz heranreichen und dabei oft bis zu 3000 Höhenmeter schwer sind. Eine Woche lang sind wir eine Person. Till und Denis. Ein Team. Für 8 Tage. Kategorie: Senior Master Men. Addiert über 100 Jahre jung. Wir starten als Team „Trail Magazin“. Für Till wird es nach vielen tollen Wettkämpfen, einem UTMB Finish, Altersklassen-Siegen beim ZUT oder im Oman, der erste Transalpine-Start sein. Ich weiß zumindest was auf mich zukommen kann, denn es wird meine dritte Teilnahme sein. Immer hin kam ich immer gesund und zufrieden an. Das soll mit Till natürlich genauso ablaufen. Ich erinnere mich an meine beiden Teilnahmen 2015 und 2017. Zunächst lief ich mit Tom Wagner, einem viel, viel stärkeren Partner. Eigentlich vollkommen inkompatibel, aber dadurch, dass Tom sich damals zu 100% auf mich einließ,

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REPORT Dynafit Transalpine Run

Ida-Sophie Hegemann (The North Face) gewinnt gemeinsam mit Sebastian Hallmann (Brooks/VWR) die hochklassige Mixed-Wertung.

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mich zog, schob und sich kümmerte, waren wir eine echte Einheit - ohne Stress, ohne Streit oder Befindlichkeiten. Er hätte viel schneller sein können, aber darum ging es nicht. Ihm nicht und mir erst recht nicht. Zwei Jahre später stand ich am Start der Westroute mit Gerald Blumrich, einem 15 Jahre älteren Läufer. Wir waren auf dem ein und selben Niveau. Wir hatten den gemeinschaftlichen Sinn, einfach eine nette Woche laufenderweise zu verbringen und kamen mehr als glücklich in Italien an. Mit Till ist es diesmal ein wenig anders. Wir sind auch außerhalb des Events ein Trainingsteam, leben im selben Ort, kennen einander gut und waren in Coronazeiten auch ein wenig zu langen Trails ohne Startnummer verdammt. Dass wir beide als Duo hier mitmachen ist mehr als nur logisch, konsequent und sinnvoll. Seit Monaten reden wir darüber, studieren die Startliste, um zu eruieren, wer uns in Konkurrenz steht. Jeder Trainingslauf im Vorfeld ist so etwas wie eine Trockenübungs-Etappe. Nun ja, irgendwann ist es dann jedenfalls soweit. Start. Erste Etappe. Wir holen unsere Startnummern, bekommen riesige Taschen, die für eine Woche von Ort zu Ort, Hotel zu Hotel wandern. Dass das auch mal holprig ist, erfahren wir später. Wieso sollte unser Gepäck problemlos vorankommen, wenn wir es auch nicht tun? Am Vorabend checken wir im Hotel ein, holen uns die letzte Speisung, breiten die Ausrüstung für den frühen Morgen, die erste Etappe von Garmisch nach Nassereith auf den Betten aus und kommen anschließend nicht in den Schlaf. Zwei gestandene Männer, ein Jurist, ein Journalist sind nervös und zappelig, wie Teenager vor der Abschlussfahrt nach Paris. Um 8 Uhr fällt der Startschuss. Wir rennen mit 300 anderen Teams in einem 4:15er Schnitt aus dem Ort hinaus in Richtung Eibsee. Wir sind zu schnell. Viel zu schnell. 43 Kilometer und 2500 Höhenmeter später wissen wir das natürlich. Am Nachmittag liegen wir wieder im Hotel. In einem anderen, einem Hotel, das ich seit Jahrzehnten kennen und nie und nimmer auf die Idee gekommen wäre, dort einzuchecken. Vom

Balkon aus blicken wir auf den Stau der Fernpaßstraße, auf viele holländische KFZ-Kennzeichen. Alles nach dieser schweren Etappe wirkt skurril. Till und ich sind noch nicht im Rennen angekommen. Wir meiden am Abend die Pastaparty - wie so oft in den kommenden Tagen, denn die Wege dorthin erscheinen uns mit dem Shuttlebus zu weit und wir sind müde. Sehr müde. Im Prinzip nutzen wir jede Sekunde nach den Läufen für unsere Regeneration. Früher war das anders. Ich sag es wie es ist: Mit 49 und 53 kann man noch sehr flott die Berge hoch und wieder runter, aber man braucht Erholung und Ruhe und die Zeit, dies zu tun. Am nächsten Morgen vergisst der Shuttlebus, dass rund 20 Teilnehmer im Hotel Fernsteinpass darauf warten, um 5.30 Uhr abgeholt und zum Start nach Imst gebracht zu werden. Er kommt einfach nicht. Wir frieren. Eine Stunde lang und dann wird der Start wegen uns um 10 Minuten verschoben. Der Tag am Tschirgant wird dennoch großartig und von einzigartigen Panorama-Blicken geprägt. Wir sind im Flow, erkennen im Ziel aber doch sehr, dass wir hier darum kämpfen in den Top10 unserer Klasse zu landen. Die Teams vor uns erscheinen heldenhaft, bärenstark und zäh. Platz 10 ist unser Ziel. Unser Traum, einmal auf diesem Podium zu stehen und sei es nur auf einer einzigen Etappe, wird unerreichbar bleiben. Überhaupt fällt mir auf, dass dieser Transalpine Run eine Entwicklung hinter sich hat - zwar mögen internationale Top-Teams fehlen, große Namen dem Event fern bleiben, aber in der Breite und im ersten Gesamtdrittel ist alles ein großen Schritt nach vorne geschritten und zusammengerückt. Es ist beeindruckend, wie schnell der sogenannte „Breitensport“ hier über

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die Alpen rennt, wie professionell das alles angegangen wird. Die meisten hier haben sich seriös, mit Trainingsplan und persönlicher Trainingsunterstützung auf diese Woche vorbereitet. Till und ich übrigens nicht. Hätten wir mal sollen. So, bleibt uns nur unsere Erfahrung, das Zurückgreifen auf alte Leistungen und das Wissen, daß wir es irgendwie schon können. Die dritte Etappe ins Pitztal treibt allen, wirklich allen den höchsten Respekt in die Beine. 54 Kilometer. 2700 Höhenmeter. Ein mächtiges Ding, irgendwie unvermittelt am Anfang des Rennens, früh genug, um es zu laufen, aber mit soviel Restdistanz, dass man sich viel Gedanken darum macht, wie man mit dieser Ultrastrecke die folgenden Tage überstehen soll. Es wird meine persönliche Qual und auch eine Prüfung für Till. Bei Kilometer 21 von 54 drückt der Magen. Alles muss raus. Ich hänge über dem Zaun. Teams laufen an uns vorbei, fragen nach dem Befinden, das ja keinerlei Interpretationsspielraum bietet. Irgendwann sind wir bei Halbzeit. In Mandarfen wartet ein Ruhetag auf uns, der keiner ist. Ruhetag bedeutet beim TAR nämlich Bergsprint. 800 Höhenmeter hinauf zum Rifflsee, eine Runde flach ums Wasser und nach 7 Kilometern Ende. Ein Laktatmonster, das einem immerhin jegliches Bergablaufen und etwas Muskelschonung verspricht. Diese kurze Qual ist jedenfalls nicht so ganz unser Ding. Wir landen auf Rang 14, bleiben jedoch solide auf Gesamtplatz 10. Wer nun wissen möchte, was wir bei diesem TAR vor und nach dem Laufen erlebt haben, sei gesagt, dass sich das kurz beantworten lässt - schlafen, essen, altersgerecht Blödsinn daherreden, Beine mit Latschenkieferöl einreiben, Lanz in der Mediathek schauen und dabei schimpfen. Auf der fünften Tagesetappe verlassen wir das Pitztal und überqueren die 3000er Marke, um über beeindruckende Restgletscherwelten und hochalpin ins Ötztal zu laufen. Ein Steinschlag Felsstück rast Zentimeter an meinem Kopf vorbei, ich bleibe geschockt stehen, habe butterweiche Beine, will alle Gedanken um mein Glück manifestieren, kann für 10 Sekunden keinen Schritt tun, um danach mit zwei lauten Ausatmungen die Lücke zu Till wieder zu schließen.


REPORT Dynafit Transalpine Run Inmitten des TAR angekommen, fühlen wir uns als Teil eines großen Ganzen, als Mitglieder einer echten Gruppe. Längst laufen wir Tag für Tag mit den selben anderen Teams, mal sind wir vor Ihnen mal hinter ihnen. Man kennt sich, man findet gute Worte. Ich weiß nicht, ob „Konkurrenz“ der richtige Begriff ist. Vermutlich nicht. Der TAR ist auch das Resultat der Umstände. Die von Rennchef und Bergführer Martin Hafenmaier geplante neue Route ist alpiner und attraktiver denn je, aber auch anfälliger als früher. Schlechtes Wetter lässt keinen Plan B zu - es geht direkt zu Plan C. So auch am sechsten Tag. Die Etappe, wie ursprünglich geplant fällt aus und wir finden uns, wie alle anderen auch, in einem Shuttlebus wieder. Die Überfahrt ins Stubaital bei grausamer Witterung und Regen erinnert an eine Klassenfahrt. Die Vorstellung heute bei Neuschnee an der 3000er Marke zu laufen, ist keine sonderlich Schöne. Stattdessen bekommen wir bis zum Nachmittag Zeit und finden uns überrascht in einem Rennformat, das mit der geplanten Strecke zwar nichts zu tun hat, aber doch hochspannend klingt. Wir laufen 6,5 Kilometer auf der Berglauf WM Strecke 2023 nach oben, um von dort in einer Schleife wieder nach unten zu ballern. Der Veranstalter nennt das heute „Berglauf Up und Down“, ich kenne es als klassisches Skyrace. 13 Kilometer und 1000 Höhenmeter. Till und ich schenken uns voll ein. Laufen hoch was geht und runter ebenso. Rang 9 und das Wissen, daß nach so vielen Tagen die Beine noch immer, oder endlich gut sind. Am Abend überkommt uns die Ehrlichkeit. Till gibt zu, dass er mit fünf oder sechs Etappen auch ganz happy gewesen wäre und ich füge sehr beruhigt hinzu, dass es mir genauso geht, dass die Angelegenheit hier ein ganz schönes Brett ist und das Ziel in Südtirol noch so fern scheint. Tag 7. Es ist zu früh. Schon wieder ein Start um 6.30 Uhr. Es wird der ungemütlichste Tag aller Tage und ist durchzogen von einer gewissen Härte, Schwere und viel Regen. Es wird nie hell. Laut Rennchef die technisch schwerste Etappe und wohl so etwas wie eine

Der TAR, auf gänzlich neuer Route, war anspruchsvoll und hielt was er versprach.

Strecke, die er seit Jahren unbedingt haben will. Für uns. Für sich. Es wird nicht klappen. Nach 2 Stunden und 30 Minuten überschreiten wir das Simmingjöchl und werden vom Rennchef begrüßt, der in einem schicken Regen-Poncho gekleidet darauf hinweist, dass die Etappe in 2 Kilometern bei der Bremer Hütte endet. Abbruch. Till:“ Ähh. Wie? Meint er das ernst, Denis?“ „Ja, klar, meint der Hafenmaier das ernst. Der Rennchef macht doch mit einem Rennabbruch keine Ironie und Comedy auf 2740 Meter Höhe bei Pisswetter.“

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Doch das Rennen ist nicht wirklich zu Ende an der Hütte auf 2400 Meter, sondern lediglich von der Zeitnahme ausgeklammert. Wir müssen 8 schwere Kilometer ins Tal absteigen. Im Matsch, auf Trails, die längst Bäche sind. Es wird ein 2 Stunden Hike, der mir schwerer in die Beine geht als der Rennmodus. Unten warten in einem vom Veranstalter rasch aufgebauten Lager warme Suppe und Brote und wieder einmal Shuttlebusse. Dieser Tag zerrt vielen an der Substanz - es gibt einige, die das Rennen heute beenden. Entweder weil sie schlicht keine Lust mehr haben, müde sind, verletzt sind oder erkältet. Hier auszusteigen ist


bitter, denn die letzte Etappe soll mit allem versöhnen was war. Die letzte Etappe, wird für Till und mich etwas ganz besonderes, ein harter Kampf, der dennoch Flow hat und einen Zielort, der uns irgendwann einfach magisch anzieht.

Miteinander: An solchen Stellen ist Rücksicht gefragt und Kampf um Sekunden unangebracht.

Der Autor lief mit: Denis mit Teampartner Till Kürschner im Ziel nach acht Etappen.

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Wieder Samstag. Es ist wieder Samstag. Die Stimmung im Startbereich der letzten Etappe ist positiv aufgeladen. Alles hat heute Energie. Eine Erleichterung, daß das Ziel so nahe ist. Es erinnert auch an die erste Etappe, vor genau einer Woche. Es kommt mir länger vor. Es scheint irgendwie so als ob wir für viele Wochen in diesem Trupp voranziehen, als ob wir seit Monaten über die Alpen laufen. Zwar ist jede Etappe anders, jede Landschaft besonders, aber doch fällt man hier in eine Art Tagesroutine, die es schwer macht, die einzelnen Tage als eigenständige Erlebnisse wahrzunehmen. Ein Geschenk ist dieser letzte Tag eben auch nicht. Die Strecke ist wundervoll, nochmals mit zwei Anstiegen gespickt, die nahe der 3000 Meter gipfeln, aber fast alles ist laufbar und durchzogen von Sonne und Spätsommer-Licht. Till und ich geben alles. Mehr geht nicht. Wir wuchten uns mit wütendem Stockeinsatz die letzten Höhenmeter, durch ein Irrsinnig steiles Geröllfeld nach oben. Es geht ab hier nur noch nach unten. Alle 15.000 Höhenmeter sind im Sack. Till weiß das, ich weiß das. In uns steigt alles an Energie auf, was es geben kann und wir stürzen uns in den 12 Kilometer langen Downhill, der nur ein Ende hat - das Ziel in Vals. Auf den letzten flachen 2000 Metern reduzieren wir das Tempo, wollen alles, absolut alles genießen und versuchen den Moment so bewusst wie nur möglich zu erleben. Es gelingt uns ganz gut. Der Augenblick der unsere letzten Schritte in die große Festhalle über den Zielstrich markiert, bleibt unvergesslich. Wir fallen uns in die Arme, lassen uns von all denen, die vor uns finishten bejubeln und begreifen für Minuten nicht, was mit uns los ist. Das wars? So plötzlich? Vorbei? Meine lieber Herr Gesangsverein - was für ein Trip. Was eine Woche und was für ein Ende. Ich war mir so sehr sicher, dass 3 Teilnahmen reichen, dass ich das nun nicht mehr brauche. Oder?


INTERVIEW Lina El Kott Helander / Sana El Kott Helander Text: CLEMENS NIEDENTHAL Fotos: ALEXIS BERG

Sana

Besser zusammen


Wie ist das eigentlich, eine Schwester, nein, eine Zwillingsschwester zu haben, die genau das gleiche macht? Und auch noch genauso gut. Wir haben die schwedischen Trailrunning-Twins Sana und Lina El Kott Helander getroffen und sind uns seit dem sicher, dass ihr Leben, trotz der Erfolge beim Transalpine Run, beim Pitz Alpine Glacier Trail oder dem Monte Rosa Sky Marathon kein permanentes Wettrennen ist

Lina

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INTERVIEW Lina El Kott Helander / Sana El Kott Helander Hierzulande kennt man Sanna und Lina El Kott Helander, seit sie 2017, und im Folgejahr gleich noch einmal, als Team den Transalpine Run gewonnen haben. Dabei laufen die schwedischen Zwillingsschwestern genauso gerne gegeneinander. Und noch lieber, wie bei der Erstaustragung der gemeinsamen Berglauf- & Trail-WM ab dem 3. November in Chiang Mai, Thailand, gegeneinander in einem gemeinsamen Team, der schwedischen Nationalmannschaft. Auf dem Weg dorthin geht es für die beiden 28-Jährigen noch nach Nepal. Höhenluft schnuppern und Erfahrungen sammeln. Sanna und Lina El Kott Helander haben gelernt, die Dinge zu nehmen, wie sie kommen. Gerne mit Vollspeed, aber doch auch mit einer entschleunigten Gelassenheit. Ein Gespräch über professionelles Herumrennen und das Älterwerden, übers Pilze suchen und das richtige Gefühl für den Trail.

Sana und Lina El Kott Helander, Wir alle kennen Laufen als einen oft auch einsamen Sport. Nur ihr beide nicht, oder? Gibt es auch Zeiten oder auch nur einzelne Läufe, in denen jede von Euch allein trainiert? Sana (lacht): Tatsächlich nicht, nein. Wir sind eigentlich immer gemeinsam unterwegs. Lina: Ich war 2019 lange verletzt, da musste Sana notgedrungener Weise alleine los. Sana: Wir haben ja auch eine gemeinsame Wohnung nicht weit vom Haus und dem Garten unserer Eltern in Östersund in der Provinz Jämtland, der gebirgigsten Region Schwedens.

Ihr lebt also schon immer am selben Ort? Sana: Direkt nach der Schule waren wir gemeinsam zum Studium ins nordschwedische Umeå gegangen … Lina: … und haben uns dort echt seltsam gefühlt. Es gab keine Berge und zudem waren wir die Freaks, die immer nur über Sport geredet und an Sport gedacht haben, nicht an die Uni-Seminare, die Partys …

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Sana: … bis wir draufgekommen sind, dass all die anderen vielleicht die Freaks sind. Wir sind nach vier Monaten jedenfalls zurück nach Östersund …

… und seit seitdem professionelle Trailläuferinnen. Sana: Mit dem professionell ist das so eine Sache. Abgesehen vom Sponsoring durch Merrell, unseren Ausrüster, sind die Einnahmen ja rar. Es gibt kaum nennenswerte Preisgelder, keine Förderung durch die Verbände. Wir geben noch Workshops, veranstalten selbst Rennen, haben vegetarische Kochbücher geschrieben. Und wir brauchen abgesehen von dem Geld, das der Sport nun mal kostet, nicht viel. Lina: Ich will irgendwann hier in den schwedischen Bergen ein Bed’n’Breakfast eröffnen und meine Leidenschaften verbinden, den Sport, Food, den Kontakt mit Menschen, dazu ein paar Tiere. Aber noch liegt der Fokus ganz klar auf dem Laufen.

Essen scheint Euch sehr wichtig zu sein. Sana: Das bringt ein Ausdauersport


mit sich, würde ich sagen. Ohne die richtige und ausreichende Ernährung gelingt Dir nichts … Lina: Und wir sind so aufgewachsen, mit dem Garten unserer Eltern mit der ganzen Natur um uns herum.

Wir reden jetzt also nicht von Gels, Shakes und Proteinriegeln? Sana: Abgesehen vom Wettkampf, wo es oft eine effiziente, schnelle Energieaufnahme braucht, versuchen wir auf intensiv verarbeitete Lebensmittel zu verzichten. Lina: Mit dem Essen ist es ja wie mit dem Laufen, es soll Spaß machen. Wir sind leben seit sieben Jahren vegetarisch, schreiben das aber niemandem vor. Wir sagen nur, was die Natur doch alles für leckere Sachen bietet. Sana: Jetzt beginnt zum Beispiel gerade die Pilzsaison. Warst Du schon Pilzesammeln?

Stärkt Eure permanente Zweisamkeit den Zusammenhalt oder fördert es die Konkurrenz? Sana: Beides. Wobei die Beziehung zwischen uns über Jahrzehnte gewachsen und ziemlich unerschütterlich ist. Lina: Wenn aber eine im Training einen schlechteren Tag hat und permanent hinterher hechelt, nagt das schon an der Laune. In Wettkämpfen können wir hart gegeneinander fighten und uns dennoch gegenseitig die Erfolge gönnen.

Sana: Es ist dann eher so, dass die jeweils Schwächere mit der eigenen Leistung hadert.

Wie wird es sein, in diesem Sport alt zu werden? Lina: Super, vorausgesetzt, der Körper spielt lange genug mit. Wir messen uns im Wettkampf ja häufig mit Athletinnen und Athleten, die schon Ende 30 oder Mitte 40 sind. Sie zeigen uns, dass man Trail- und Skyrunning wirklich lange mit Spaß und auf einem hohen Niveau machen kann.

Und was gelingt Euch heute, was vor vier, fünf Jahren vielleicht noch nicht so einfach war? Lina: Ruhig zu bleiben, oder Ruhe zu geben. Es gab Zeiten, da habe ich sehr viel und auch zu viel trainiert. Ich habe buchstäblich schmerzlich erfahren müssen, dass das nicht der Königsweg ist. Aus Fehlern lernen zu können, für diese Erkenntnis habe ich eine Weile gebraucht, aber dann hat sie mich unheimlich befreit. Sana: Genau, man muss Dinge abhaken können, die vielleicht nicht so gut gelaufen sind. Früher habe ich über ein für mich enttäuschendes Rennen noch Monate gegrübelt. Heute sage ich mir, Mensch, ein Rennen ist auch nur ein Rennen. Lina: Ein Did-Not-Finish ist zum Beispiel etwas, worüber ich mich natürlich immer noch nicht freue, was ich aber inzwischen annehmen kann.

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Wir motivieren uns gegenseitig, kritisieren uns, kennen uns viel zu gut. Vielleicht ist da einfach kein Platz für einen Trainer


INTERVIEW Lina El Kott Helander / Sana El Kott Helander Wie sieht Euer Training heute aus? Sana: Noch immer sehr zeitintensiv, aber wir gehen nicht mehr so sehr an unsere Grenzen. Intervalle zum Beispiel trainiere ich gar nicht mehr. Lina: Wir gehen einfach raus und sind lange Tage draußen, rennend, wandernd, auf Skiern oder auf dem Rennrad. So ein Tag darf dann gerne auch morgens um fünf Uhr beginnen. Sana: Über den Sommer, während der Saison, geht man in den Rennen ja ohnehin an seine Grenzen. Die Zeit dazwischen ist dann eine Mischung aus Grundlagentraining und Regeneration. Lina: Und Spaß am Draußen sein.

Leidenschaft war.

zu verdienen. Beschreibt einmal Eure Partnerschaft mit Merrell.

Sana: Ich finde es einerseits faszinierend und anspornend, dass da jetzt neue und junge Sportler:innen in der Szene auftauchen. Andererseits sehe ich schon die Gefahr, das Trailrunning seine Leichtigkeit verliert. Dass dieses Gefühl von Freiheit, dass ich immer mit dem Sport verbunden habe, verloren gehen kann.

Sana: Ich empfinde die als super angenehm, weil unser Ausrüster keine Forderungen stellt. Wir müssen nicht bei bestimmten Rennen starten oder zu irgendwelchen Events fliegen. Vielleicht ist das der Vorteil einer kleinen Marke, sie ist näher an den Athlet:innen. Und ich mag die Gemeinschaft mit den anderen Läufer:innen sehr, etwa mit Alex Dautel aus Deutschland, auch wenn wir uns jetzt nicht jeden Monat sehen.

Euer Lieblingsschuh? Lina: Das ist jetzt ein bisschen gemein, weil den kann man noch gar nicht kaufen. Es ist die zweite Generation des Merrell Skyfire, die im Frühjahr auf den Markt kommt. Sana: Definitiv ja, das wird ein superleichter, sehr schneller Schuh mit einem tollen Gefühl für den Untergrund.

Ein Trainer, eine Trainerin, könnte das eventuell anders sehen? Lina (lacht): Deswegen haben wir auch keinen. Sana: Das hat auch wieder mit dieser besonderen Konstellation zwischen uns beiden zu tun. Wir motivieren uns gegenseitig, kritisieren uns, wir kennen uns gut. Vielleicht ist da einfach kein Platz für jemanden Dritten. Lina: Wir wollen uns unseren Spaß einfach nicht nehmen lassen. Sana: Und das ist absolut ernst gemeint. Wir haben mit der Zeit gelernt, in den Dingen gut zu sein, die wir von ganzem Herzen machen.

Wie seht Ihr aus dieser Perspektive die zunehmende Professionalisierung des Trailrunnings. Inzwischen gibt es junge und sehr junge Athlet:innen, die so intensiv trainieren, wie es auch Leichtathlet:innen oder Skisportler:innen tun und die schon als Jugendliche mit dem Trailrunning beginnen. Lina: Tatsächlich haben wir mit 16, 17 Jahren sogar ähnlich intensiv trainiert, nur eben nicht in irgendwelchen Nachwuchskadern oder Akademien. Wir haben es gemacht, weil es unsere große

Dabei setzen doch selbst Wettkampfschuhe gerade gerne auf viel Dämpfung, Plattentechnologie und eine Rocker-Geometrie. Sana: Ich brauche einen Schuh, der mir ein klares Feedback gibt, der mich connected mit den Trails. In diesen neuen, sehr weichen Schuhen fühle ich mich richtiggehend unsicher und kippelig.

Lina: Dennoch ist diese Professionalisierung auch wichtig. Ich begrüße es zum Beispiel, dass die Berglauf- und Trail-WM in Thailand, bei denen wir im November ja starten werden, einen größeren Stellenwert bekommen hat. Weltmeisterschaften, Olympische Spiele, das sind die großen Fixpunkte, auf die man als Sportlerin hinarbeitet.

Ihr habt die Schwierigkeiten angesprochen mit dem Trailrunning Geld

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Mimmi Kotka, Ida Nilsson, natürlich Emelie Forsberg, ihr beide: Trailrunning ist in Schweden ein sehr feminines Thema. Was können wir in Deutschland da von Euch lernen? Lina: Ich glaube gar nicht, dass das spezifisch mit Trailrunning zu tun hat. Die schwedische Gesellschaft hat früher als andere gelernt, Frauen die gleichen Chancen und die gleiche Präsenz zu geben, im Beruf, in der Politik, eben auch im Sport. Wir hatten in unserer Jugend jedenfalls nie das Gefühl, dass es da etwas gibt, dass nur die Jungs machen durften.


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PERFEKT GERÜSTET FÜR DEN SCHNEE: ZWEI WINTERTRAILNEUHEITEN MIT BOA® LA SPORTIVA CYKLON CROSS GTX UND SCARPA RIBELLE RUN KALIBRA G MIT DEM BEWÄHRTEN BOA® FIT SYSTEM FÜR BESTLEISTUNGEN IM WINTER LA SPORTIVA CYKLON CROSS GTX®

Der Cyklon Cross GTX® von La Sportiva ist ein technischer Mountain Running® Schuh. Dieser Trailschuh wurde fürs Training und für Wettkämpfe im Gelände in den Wintermonaten entwickelt und ist auch mit Schneeschuhen kompatibel. Seine integrierte, wasserabweisende Gamasche aus Zwei-Wege-Stretch-Mesh und dem L6 BOA® Fit System hält gemeinsam mit der wasserdichten aber atmungsaktiven GORETEX ®-Membran Matsch und Schnee zuverlässig draußen. Dank dem „Easy-in"-System lässt sich der Schuh schnell und einfach anziehen, was zum allgemeinen Komfort beiträgt. Das BOA® Fit System sorgt für eine schnell, mühelos und präzise einstellbare Passform. Zur Sohle aus FriXion® White – einem Materialmix mit herausragenden Grip-Eigenschaften – können AT Grip Spikes für eine noch bessere Traktion auf schneebedecktem oder vereistem Untergrund verwendet werden. Damit ist der Schuh die ideale Wahl für alle, die auch in den Wintermonaten gerne im Gelände laufen und Wettkämpfe bestreiten.

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REISE Wien Laufen mit Gips KOLUMNE Text & Fotos: CLEMENS NIEDENTHAL

Ein Armbruch ist doch kein Beinbruch? Oder doch? Notizen aus einem Laufsommer mit Gipsverband

Radiushals über Kopf Radiushalsfraktur. Und da bin ich noch mit einem blauen Auge davongekommen. So hat es mir zumindest meine offensichtlich mit Erfahrungswerten gesegnete Chirurgin erklärt. Nach einem Sturz – in meinem Fall: Rennrad, Mensch von rechts, Ausweichmanöver, Straßenbahnschiene – wandert die Energie so

durch den Arm und denkt sich, dass sie irgendwo ja hinmuss. Mit Pech kommt sie bis in die Schulter. Eckgelenksprengung, Bänderschlamassel, Operationstisch. Ich hatte Glück. Ich habe mir nur den Radiushals gebrochen. Die Speiche knapp vor dem Ellenbogen. Vier Wochen Gipsschiene. Ausgerechnet im August. Zum Glück im August. Denn langärmelige Klamotten passen keine über den Gips. Es sei denn, ihnen würde vorher Gewalt angetan. Immerhin, es stehen keine Rennen an, die abgesagt werden müssten. Und in den Urlaub, nach Bornholm, kann man ja auch mit Gipsarm fahren. Ob und wann ich denn wieder Laufen dürfe? Ich

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hätte ja kein gebrochenes Bein, meint die Ärztin. Eine so schwammige wie versöhnliche Antwort. Dinge, die mit einem Gipsarm überraschend gut funktionieren: Duschen (tatsächlich), Schlafen (noch überraschender), mit wildfremden Menschen ins Gespräch kommen. In der Berliner U-Bahn zum Beispiel. Von wildfremden Menschen angerempelt werden. Ebenfalls in der Berliner U-Bahn, die ich fortan lieber doch so wenig benutzen werde wie irgend möglich. Also Plan B. Wenn ich schon nicht wirklich laufen kann, zumindest für die ersten Tage bis Wochen, wird eben gegangen. Einmal sogar die elf Kilometer bis ins Büro. Ein Fest der Entschleunigung. Leider habe ich keine Zeit für sowas. Es muss wieder mehr Tempo in mein Leben. Fürs erste entscheide ich mich fürs Bergtraining in meinem Reihenhaus. Einmal von unten nach oben sind auch rund sieben Höhenmeter. Die 30 Wiederholungen erweitere ich später auf 50. Nicht nur die Gipsschiene ist danach nass geschwitzt. Und das Treppenhaus eine Saunalandschaft. Ich muss wieder raus. Laufen. Dinge, die mit Gipsarm überraschend schlecht funktionieren: Schuhe binden. Die behelfsmäßige Schleife dröselt sich alle zwei, drei Kilometer auf. Notiz an mich: Vom nächsten Schuhtest unbedingt ein Modell mit Boa-Verschluss abstauben. Dinge, die mit Gipsarm überraschend hilfreich sind: das Weather Shirt von Houdini. Eine kurzärmelige Regenjacke quasi. Die passt auch über den Gips. Im Urlaub auf Bornholm packt mich dann der Übermut. Ohnehin meinte die Ärztin ja, ich solle die Gipsschiene jetzt nach gut drei Wochen täglich abnehmen und den Arm vorsichtig bewegen. Aus den Übungen auf der Ferienhausterrasse wird ein kurzer, freiärmeliger Lauf. Er endet mit der Feststellung, dass sich mein Gehirn leider sehr an die Vorstellung gewöhnt hat, dass da ein Knochen gebrochen ist. Es mahnt mich zur Vorsicht und bremst mich schon im kleinsten Downhill aus. Ist wohl gut gemeint, von meinem Gehirn. Irgendjemand muss ja auf mich aufpassen.


Bild: Lukas Dürnegger | Läuferin: Freya Orban | Projekt: “Present”

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MEINUNG Sport zum Anfassen?

Trailrunning-

ein Sport zum Anfassen? Wir hielten Trailrunning bisher immer für einen ausgesprochen nahbaren Sport. Ein Sport, dem Star-Kult fremd ist und der keine Distanz zwischen Normalos und Profis kennt . Wir waren beim diesjährigen UTMB und fragten uns, ob das noch zutrifft.

Text: BENNI BUBLAK Fotos: ULTRA TRAIL DU MONT BLANC

Ein Raunen, gefolgt von Klatschen und Anfeuerungsrufen geht durch die Menge, die dicht gesäumt am letzten Anstieg des Ultra Trail du Mont Blancs steht. Kilian kommt. Kilian Jornet. Eine Legende, ein Held, eine Lichtgestalt? Oder doch einfach nur einer von uns? Ein Trailrunner eben. Auch ich stehe an jenem Col du Montet, rufe und klatsche. Kilian stürmt vorbei. Ok er stürmt nicht, auch ein Kilian Jornet rennt nach 150 Kilometern und 9000 Höhenmetern in den Beinen keinen supersteilen Anstieg mehr hoch. Er ist doch sichtlich gezeichnet von den Strapazen. Eben noch hat er mit einem Kraftakt Mathieu Blanchard ein paar Minuten hinter sich gelassen. Mir reicht die kurze Stippvisite mit dem Superstar nicht aus und so renne ich ihm hinterher. Ich bin nicht der einzige mit diesem Plan. Der Füh-

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rende des UTMB 2022 zieht den kompletten Anstieg zum Tete Aux Vent eine Menschenschar von 5 bis 10 Leuten hinter sich her. Ein bisschen albern fühle ich mich schon. Aber hey in welchem Sport kannst du deinem großen Idol aus wenigen Zentimetern Entfernung bei der Arbeit zuschauen, ohne Barrieren, ohne Hindernisse? Trailrunning ist ein ziemlich egalitärer Sport. Wir stehen alle an derselben Startlinie, laufen dieselbe Strecke und erleiden dieselben Schmerzen. Ok einige sind schneller als andere. Deutlich schneller. Haben Sponsoren und verdienen inzwischen sogar ihren Lebensunterhalt mit diesem Sport. Dennoch hatte ich immer das Gefühl, dass in diesem Sport die Distanz zwischen 6/2022


Ja auch ich bin Kilian hinterher gerannt. Ein kleines bisschen wie ein Teenie seinem Boy-Band Schwarm. Dabei habe ich auch die Menschen am Streckenrand beobachtet. Die meisten von ihnen haben Kilian nur durch ihr Smartphone gesehen. Jetzt besitzen sie zwar ein persönliches Bild oder Video vom katalanischen Trail-Star, haben aber gleichzeitig die Distanz zu ihm erhöht. Profis und vermeintlichen „Normalos“ kaum existent ist. Dass es eine unausgesprochene Übereinkunft darüber gibt, dass es das selbe Feuer ist, was wir spüren, die selben Dinge, die uns beschäftigen und die selben Probleme, die uns quälen. Die typische Distanz, hier der Bratwurst essende Fan und dort der durchtrainierte Vollzeit-Sportler, getrennt durch mehrere Stadion-Ordner, existiert nicht. Ich erinnere mich noch an Chamonix vor ein paar Jahren. Natürlich haben die Leute sich umgeguckt und ihre Begleitung angestupst, wenn Anton Krupicka oder Jim Walmsley über die Straße liefen. Aber im nächsten Moment ist man halt hingegangen und hat einen kleinen Smalltalk gehalten. Als wär der Typ einfach nur ein alter Bekannter, den man lange nicht gesehen hat. Trailrunning ist und war eben doch immer ein Sport ohne Distanz, ein Sport zum Anfassen. Seit dem diesjährigen UTMB habe ich das Gefühl, dass sich dieser Zustand allmählich auflösen könnte. Wir treffen die Trailrunning Elite nicht mehr zufällig auf der Straße, sondern eher am Stand ihres Sponsors, wo sie zwischen Schuhen und Werbeslogans sitzen und Autogrammkarten unterschreiben. Wir sind unseren Trailrunning Ikonen näher als jemals zuvor. Aber nicht, weil wir vor oder nach einem Lauf mit ihnen Bier oder Startlinie teilen, sondern weil ihre Geschichten über großartig aufbereitete Highlight-Videos oder spektakuläre Live-Bilder in unser Wohnzimmer transportiert werden. Das ist einerseits klasse. Andererseits sind Autogrammkarten und das Phänomen ‚Menschen nur aus dem Fernsehen‘ zu kennen, doch ziemlich Distanz-erhöhend. Ja auch ich bin Kilian hinterher gerannt. Ein kleines bisschen wie ein Teenie seinem BoyBand Schwarm. Dabei habe ich auch die Menschen am Streckenrand beobachtet. Die meisten von ihnen haben Kilian nur durch ihr Smartphone gesehen. Jetzt besitzen sie zwar ein persönliches Bild oder Video vom katalanischen Trail-Star, haben aber gleichzeitig die Distanz zu ihm erhöht, indem sie das digitale Endgerät zwischen Kilians und ihre eigene Nase schoben. Kilian selbst dürfte der ganze Hype um seine Person eher unangenehm gewesen sein, hat man bei ihm doch immer den Eindruck, dass er gerade deshalb Bergsportler geworden ist, weil Gipfel und Wildnis die beste Mög-

lichkeit sind, sich dem sozialen Leben zu entziehen. Spätestens beim Zieleinlauf hat man ihm sein Unwohlsein auch angesehen. Wie er sich unbeholfen durch die Menschenmassen drückte und schüchtern winkte. Man mag da niemandem einen Vorwurf machen. Natürlich will jeder den Sieger des UTMB ins Ziel einlaufen sehen. Natürlich will ihm jeder so nah wie möglich kommen. Dennoch scheint mir das Konzept: „Trailrunnning– ein Sport zum anfassen“ an diesem Tag in Chamonix an seine natürlichen Grenzen gestoßen zu sein. Das ist so ein bisschen, wie bei einem Touri oder Insta Hotspot. Es kann der schönste Fleck der Erde sein, ist eine gewisse Menge an Besuchern überschritten, stehlen jene ihm genau die Faszination, die ihn vorher ausgemacht hat. Beim Zieleinlauf von Kilian, aber auch schon vorher an der Strecke, war diese kritische Masse definitiv erreicht. Der Sport gewinnt mehr und mehr an Popularität. Es werden in Zukunft daher wohl nicht Weniger werden. Die Frage die sich da natürlich stellt, ist, wie lange können die UTMB Organisatoren diesen Zustand aufrecht erhalten? Denn noch mehr Menschen haben einfach keinen Platz im Zentrum von Chamonix. Noch mehr Menschen am Rand der Strecke und der Berg ist irgendwann ausgetrampelt, wie der Wacken Acker. Werden wir also zukünftig Zugangsbeschränkungen zum Start-Ziel Gelände und vielleicht sogar zur Strecke, also zum Berg, erleben? Große Zuschauertribünen, für die man Eintritt zahlen muss? Abgesteckte Routenabschnitte am Berg, die nur Kameraleute betreten dürfen? Trailrunning-Superstars, die von Ordnern durch die Menschenmassen zum Start oder vom Ziel weg eskortiert werden? Kennen wir alles von anderen Sportarten. Aber vom Trailrunning? Manche Entwicklungen wird man wohl nicht aufhalten können. Gut möglich, dass aus einem Sport zum anfassen ein Sport zum zuschauen wird. Um die Eingangsfrage zu beantworten: Ja, Kilian ist, zumindest für den Autor dieser Zeilen, so etwas wie ein Idol. Und das nichtmal wegen seiner sportlichen Leistungen allein. Autogrammkarten sind mir von dem zurückhaltenden NNormal Athleten und größten Trailrunner aller Zeiten allerdings noch nicht zu Gesicht gekommen. Zumindest etwas was Hoffnung macht.

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REISE Wien REKORDLAUF Bob Graham FKT

THE BOSS

Fastest Known Time oder Trail-Rekord. Wie auch immer man es nennen mag, die Bob Graham Round ist die Prestige-trächtigste Route jenseits von Events. Nun mit neuer Bestzeit.

Text: BENNI BUBLAK Fotos: STEVE ASHWORTH

eben hat er die prestige-trächtigste aller FKT-Routen (Verzeihung liebe Briten) in nur 12 Stunden und 23 Minuten absolviert. Der Kellner der anliegenden Bar, namens „The Round“, reicht ihm daraufhin unverzüglich ein Pint. Fellrunning Legende und 36-jähriger Rekordhalter auf der BGR Billy Bland gratuliert als einer der ersten. Wer also ist dieser Typ namens Jack Kuenzle? Wer tief in der FKTSzene steckt, mag den Namen des US-Amerikaners vielleicht schonmal gehört haben, schließlich läuft Jack keine Rennen, sondern hat sich ganz auf das Aufstellen von Fastest Known Times spezialisiert. Und wahrscheinlich ist es auch genau diese Spezialisierung und Fokussierung, die es braucht, will man einen vermeintlich unerreichbaren Rekord brechen, wie den von Kilian Jornet, aufgestellt im

Jack Kuenzle? Noch nie gehört? Ja auch uns war dieser Name bis vor kurzem noch völlig unbekannt. Aber am 10. September breitet sich eine Nachricht wie ein Lauffeuer aus. Zumindest wenn man, wie der Autor dieser Zeilen, in mehreren Bob Graham und Fellrunning Gruppen auf Facebook Mitglied ist. Sie lautete wie folgt: Neuer Rekord (auf das Kürzel FKT reagiert man im Lake District eher allergisch) auf der Bob Graham Round! Kilians Fabelrekord um eine halbe Stunde gebrochen! Aber von wem? Auf den Treppen der berühmten Moot Hall in Keswick sitzt ein Typ mit breitem Grinsen und lockigem Haar– welches sich von Kopf bis Brust erstreckt. Mehr als eine schwarze Splitshorts und Vaporfly-Schuhe (trug er nur die letzten 6 Straßenkilometer der BGR) hat er nicht am Körper. Gerade

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Die Geschichte der Bob Graham Round Die Briten nennen ihre Berge Fells. Das Laufen und auch das Rekorde aufstellen in eben jenen Fells hat auf der Insel eine äußerst lange Tradition. Im englischen Lake District erdachten sich schon vor über 100 Jahren einige Verrückte eine interessante Challenge: Wer schafft es in 24 Stunden am meisten Fell-Gipfel zu erklimmen. Diese Challenge gibt es bis heute (der Rekord liegt bei 78 Gipfeln), viel populärer wurde allerdings eine Runde, die ein gewisser Bob Graham im Jahre 1930 lief, um sich diesen Rekord zu sichern. Ausgehend von der idyllischen Kleinstadt Keswick verband jener Bob 42 Gipfel in einer Runde, die so schön und logisch war, dass sie bis heute unzählige Male nachgelaufen wurde. Sogar ein eigener Club wurde gegründet, in den man nur aufgenommen wird, wenn man die BGR unter 24 Stunden finisht. 1982 lief ein gewisser Billy Bland die Runde in 13 Stunden 53 Minuten. Diese Zeit galt mehr als 30 Jahre als unangreifbar. Erst 2018 schaffte es Kilian Jornet die Zeit nochmal um fast eine Stunde zu verbessern. Eine festgelegte Route gibt es nicht. Die einzigen Fixpunkte sind die 42 Gipfel und die Moot Hall in Keswick, welche als Start und Zielpunkt fungiert. Die ungefähre Streckenlänge sind 100 Kilometer und 8000 Höhenmeter. Wobei das Gelände oft rau und weglos ist. Üblicherweise wird die BGR in Begleitung von Pacern gelaufen, welche sich um Streckenfindung, Verpflegung und weiteres kümmern. Aber auch bezeugen, dass alle Gipfel passiert wurden. Die Runde unterteilt sich in 5 Legs, die jeweils durch Straßenquerungen markiert sind.

Jahr 2018. Nach unzähligen FKTs in den USA, ist Jack, der als Lauf-Coach arbeitet, also nach Großbritannien gereist, hat sich einen Van gekauft und den ganzen Sommer dort verbracht. Die Route bis ins Detail zu studieren und ganz genau zu analysieren, wo Kilian vor vier Jahren Zeit liegen gelassen hat, war noch die einfachste Aufgabe seiner akribischen Vorbereitung. Schließlich fährt man nicht einfach so ins Lake District und läuft die Bob Graham Round. Nein, das wäre erstens naiv und zweitens respektlos. Jack knüpft Kontakte, zeigte sich bei lokalen Fell-Races und macht sich einen Namen, indem er die Trantor Round FKT (Teil der Ramsay Round) brach. Wichtig, um schnelle Pacer für die Bob Graham Round zu finden und sich Akzeptanz zu verschaffen in der manchmal etwas schrullig

wirkenden, aber immer wunderbar authentisch-unverstellten, Fellrunning Szene Englands. Und dann lief er also. Von Leg eins Zeit auf Kilian gut machend, passiert er einen klangvollen Gipfel nach dem anderen. Skiddaw, Clough Head, Dollywagon Pike, Sergeant Man, Scafell Pike… irgendwann sind alle 42 Gipfel geschafft und nur noch die letzte und einzige Asphalt-Passage zurück zur Moot Hall in Keswick liegt zwischen Jack Kuenzle und seinem Eintrag in die Trailrunning Geschichtsbücher. Ob der unkonventionelle Ami ohne Sponsorenverpflichtungen sich an diesem historischen Tag noch ein T-Shirt übergezogen hat, ist leider nicht überliefert.

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TRAINING Ernährung während des Laufens Text: LARS SCHWEIZER Fotos: NO LIMITS PHOTOGRAPHY

IT ´ S ALL

Ohne Kohlenhydrate geht nix! Aber wie sieht eigentlich die einfachste Energieversorgung für Ausdauersportler im Detail aus und worauf müssen wir dabei besonders achten?

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ABOUT

Ein schwäbischer Laufpodcast bezeichnet in seiner aktuellen Ausgabe die Verpflegung von Trailläufer*innen als verwahrlost und rückständig im Vergleich zu den Triathleten. Aus meinen eigenen Erfahrungen, sowohl als Trainer wie auch als Athlet, kann ich das durchaus bestätigen. Aber es findet bereits ein Umdenken statt. Aber wie wichtig sind Kohlenhydrate überhaupt? Wie viele sollte man zu sich nehmen und wie trainiert man die Aufnahme von Kohlenhydraten? Es ist schwer von der Hand zu weißen, dass Kohlenhydrate wichtig sind für den Ausdauersport. Diese gehören zusammen mit Fett und Eiweiß zu den Makronährstoffen. Kohlenhydrate werden nach dem Verzehr, sofern sie

CARBS nicht direkt wieder verbraucht werden, im Körper als Glykogen in Leber und Muskeln gespeichert. Bei einer sportlichen Aktivität wird dieses Glykogen dann in Glukose zerlegt und vom Körper als Energiequelle genutzt. Kohlenhydrate stellen für den Körper mit die einfachste Energieversorgung dar, da der Körper zur Verwertung weniger Sauerstoff benötigt als vergleichsweise für die Energieerzeugung aus Fett oder Eiweiß. Dieser Mix aus Kohlenhydraten,

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ein Teil gespeichert im Muskel und die anderen zugeführt während der Aktivität, stellen die maximale verfügbare Menge an verwertbaren Kohlenhydraten für den Körper dar. Bevor wir uns aber anschauen, wie die optimale Kohlenhydratversorgung aussehen sollte, betrachten wir erstmal die aktuelle Situation: Eine 2021 veröffentlichte Studie, welche untersuchte wie sich Trailläufer*innen während eines Wettkampfs verpflegen. Das Ergebnis


TRAINING Ernährung während des Laufens war eine Kohlenhydratversorgung zwischen 15 und 32 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde. Vergleicht man das mit der Versorgung der Elite, Kilian nahm beim aktuellen UTMB circa 80g/h zu sich, dann zeigt sich hier eine deutlich reduzierte Versorgung im Breitensport. Teilweise wird bei kürzeren Distanzen oder im Triathlon auch mit noch höheren Kohlenhydratmengen gearbeitet. Die Menge wird dann auf 100g/h oder bis zu 120g/h gesteigert. Doch wie viele Kohlenhydrate machen überhaupt Sinn? Zunächst ist es einmal interessant zwischen Glucose und Fructose zu unterscheiden. Beide verwenden im Körper verschiedene Transporter, um aus der Nahrung aufgenommen zu werden. Aus diesem Grund sollte immer eine Kombination aus Glucose und Fructose zu sich genommen werden. Dies ermöglicht dem Körper eine höhere Menge an Kohlenhydraten aufzunehmen, als wenn man nur eine der beiden Arten supplementiert. Über das optimale Verhältnis streitet sich aktuell wieder die Wissenschaft. Ging man bisher von von 2:1 Glucose zu Fructose aus, tendieren aktuelle Studien hin bis zu einem 1:1 Verhältnis. Untrainiert kann der Körper laut Studie circa 60g Glucose und 30g Fructose pro Stunde aufnehmen (zumindest beim Radfahren). Will man mehr Kohlenhydrate pro Stunde aufnehmen ohne Magenprobleme zu bekommen, sollte das trainiert werden. Die Hauptursache für DNFs bei Ultraläufen sind laut mehrerer Studien immer wieder Magen-Darm Probleme wie Durchfall, Bauchkrämpfe oder Übelkeit. So gut wie jeder von uns Läufer*innen hat das Problem wohl schon erfahren. In so gut wie allen Fällen ist hier die Ernährung die Ursache. Gerade beim Laufen kommt die mechanische Belastung des Magens durch die Laufbewegung noch dazu. Diese führt dazu, dass die Magenwände aneinander reiben bzw. die Magensäure in Bewegung kommt. Auch eine untrainierte zu hohe Kohlenhydratzufuhr oder ein zu hoher Anteil an Proteinen, vor allem aus Milcheiweiß, kann zu Problemen mit der Verdauung

führen. Untrainiert sollten Mengen von 60g Kohlenhydraten aus Glucose und Fructose pro Stunde normalerweise ohne Probleme zu konsumieren sein. Will man darüber hinaus gehen, dann sollte, gerade für längere Ultraläufe, das Gefühl mit vollem Bauch zu laufen, trainiert werden. Das Training hierzu funktioniert am besten in sechs Phasen und sollte in der der direkten Vorbereitung auf einen Wettkampf stattfinden. In der ersten Phase wird der Körper generell auf die erhöhte Kohlenhydrataufnahme vorbereitet. Solltest du dich also im Alltag eher Low-Carb ernähren, gilt es jetzt den Körper wieder auf die vermehrte Aufnahme von Kohlenhydraten vorzubereiten. Dazu solltest du in dieser Phase bis zu 6g Kohlenhydrate pro Kilo Körpergewicht pro Tag an bis zu drei Tagen pro Woche zu dir nehmen. Die „eingeschlafene“ Aufnahme von Kohlenhydraten wird wieder aktiviert. In der zweiten Phase geht es darum, die Fructose Transporter im Training zu trainieren. Hier nimmst du bis zu 45g Kohlenhydrate pro Stunde, bestehend vorrangig aus Fructose, zu dir. Die Phase kann parallel zur ersten Phase stattfinden. Dieses Training sollte mindestens zwei Mal pro Woche stattfinden. Ab der dritten Phase wird dann die Kohelenhydartaufnahme im Training gesteigert. Du solltest mit 45-60g Kohlenhydraten pro Stunde starten und dann in der vierten Phase auf bis zu 90g steigern. Achte bitte darauf deine Laufrunden entsprechend so zu legen, dass du jederzeit abbrechen kannst bzw. ein stilles Örtchen findest. Die letzten beiden Phasen beschäftigen sich dann mit der direkten Vorbereitung auf den Wettkampf. Teste aus, was du essen wirst, welche Produkte du einsetzt und ob du die geplante Menge an Kohlenhydraten verträgst. Wie schaffst du so viele Kohlenhydrate zu dir zu nehmen? Geht man von den bisher geläufigen Gel Herstellern aus, so findet man hier meistens 60-70% Kohlenhydrate auf 100g Gewicht. Sprich auf 40g Gel kommen ca. 25g Kohlenhydrate. Allein nur

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damit den Bedarf an Kohlenhydraten zu decken, kann in längeren Rennen in viel Stress ausarten bzw. auch zu ungeheuren Mengen führen, welche man mitschleppen muss. Als Rechenbeispiel soll ein 50 km Traillauf mit ca. 2500 Höhenmeter dienen. Im Mittelfeld ist man hier gute 7:30 Stunden unterwegs. Will man sich zumindest mit 60g Kohlenhydrate pro Stunde versorgen, würde das 450g bedeuten, sprich man müsste ohne externe Verpflegung 18 Gels mitschleppen, was gleichbedeutend wäre mit 720g Gewicht im Rucksack. Zum Glück haben sich inzwischen die Produkte weiterentwickelt und es gibt auch Energiegels mit höherer Energiedichte. Anbieter schaffen es inzwischen verträgliche und schmeckende Produkte mit 80-90% Kohlenhydraten herzustellen. Auf 54g Gewicht kommen dann beispielsweise 45g Kohlenhydrate. Dies


dann jeweils eine Flasche mit Kohlenhydraten leer. Die leeren Flaschen kann man dann an der Verpflegungsstation entsprechend mit Wasser oder Iso wieder auffüllen. Die dritte Flask füllt man für Stunde drei ebenfalls mit Wasser auf. Zusätzlich zum Getränk nimmt man in den ersten drei Stunden noch ein normales Gel dazu. So kommt man die ersten drei Stunden auf 50g durch die Getränke und noch 20-25g durch das Gel. Anschließend ab der vierten Stunde setzt man auf ein Gel mit hohem Kohlenhydratanteil und ein Gel mit normalem Anteil. Das bringt die Menge an Kohlenhydraten dann immer noch auf 65g pro Stunde. In der letzten Stunde setzt man entweder auf ein Gel mit hohen Kohlenhydraten oder auf ein normales Gel. Diese Vorgehensweise wäre, bis auf Wasser, komplett unabhängig von externer Verpflegung. Sollte schon im Vorfeld bekannt sein, dass es Gels an den Verpflegungsstationen gibt, kann man die Menge im Startrucksack verringern. Wie sieht nun aber eine mögliche Strategie über noch längere Distanzen aus? Solltest du aber mehr als 12 Stunden unterwegs sein, wird die reine Ernährung über Energiegetränk und Gel immer schwieriger. Die oben genannten

allein würde das Gewicht aus oben genanntem Beispiel von 720g auf 540g (bei 10 benötigten Gels) reduzieren. Aber auch das ist nicht die alleinige Lösung, wenn man mehr als 60g Kohlenhydrate pro Stunde zu sich nehmen will. Es bietet sich an zusätzlich mit Kohlenhydratgetränken zu arbeiten. Gängige Hersteller ermöglichen es ca. 50g Kohlenhydrate in einer 500ml Softflask aufzunehmen. Sprich, statt in der Flask nur Wasser mitzunehmen, können gleichzeitig Kohlenhydrate zugeführt werden. Eine Strategie für die 50km könnte also wie folgt aussehen: An den Start gehen mit zwei Softflasks a 50g Kohlenhydrate. Im Rucksack noch eine dritte Softflask mit Kohlenhydrat-Pulver. Dazu zwei Gels mit hohem Anteil an Kohlenhydraten und sechs normale Gels. In den ersten zwei Stunden trinkt man

Eine Strategie für die 50km könnte also wie folgt aussehen. An den Start gehen mit zwei Softflasks a 50g Kohlenhydrate. Im Rucksack noch eine leere Softflask mit nur Pulver drin.

Produkte haben zwar den Vorteil, dass die Verfügbarkeit von Kohlenhydraten hoch ist, gleichzeitig aber den Nachteil, dass du relativ wenig Volumen an Nahrung im Magen hast. Die Magenwände beginnen durch die Bewegung beim Laufen, gerade auch im Downhill, aneinander zu reiben und können zu Übelkeit und Bauchkrämpfen führen. Auch eine Übersäuerung des Magens kann entstehen. Außerdem kann der übermäßige Konsum der zuckerhaltigen Gels und Getränke zu Problemen mit dem Darmtrakt führen und Durchfall verursachen. Alles in allem führt das dazu, dass sich eine hohe Müdigkeit einstellt, weiterhin Nahrung zu konsumieren. Hier gibt es zwei Möglichkeiten, um dem Problem Herr zu werden. Entweder man hat wie Kilian Jornet jemand an den Verpflegungsstationen stehen, der einen zwingt sich die Gels und Kohlenhydrate weiter reinzuzwingen oder man hat sich Alternativen bereitgelegt. Hat man sich nach dem UTMB die Videos aus den Verpflegungsstationen angeschaut, so fällt auf, dass auch die Profis beim UTMB über 20 Stunden nicht nur auf Gels, sondern auch feste Produkte, setzen. Wenn Du weißt, dass Du über eine solche lange Zeit unterwegs sein wirst, dann lege dir Alternativen zurecht. Am besten wechselst Du dann auf Bananen, Cookies oder Riegel. Du musst aber aber daran denken, trotzdem genug Wasser zu dir zu nehmen, sodass die aufgenommene Nahrung verarbeitet wird. Über alternative Ernährung, wie beispielsweise Suppe mit Reis, kann man auch gut Natrium aufnehmen. Wenn du die Möglichkeit hast dich extern betreuen zu lassen, sprich mit deinen Supportern ab, was


TRAINING Ernährung während des Laufens

Vor Abschnitten auf denen er intensiver unterwegs sein wollte, vor allem in den ersten Stunden, nahm er zusätzlich noch ein Gel ein. An den Verpflegungsstationen setzte er auf eine Mischung an fester Nahrung mit Fett, Kohlenhydraten und Ballaststoffen.

du zu dir nehmen willst. Meine Tipps sind oben genannte Brühe mit Reis oder instant Kartoffelbrei mit weichen Backerbsen. Kilian hat beim UTMB auf folgende Verpflegung gesetzt: Zwischen den Verpflegungsstationen konsumierte er 80g Kohlenhydrate pro Stunde über ein 0,5 Liter Getränk. Zusätzlich einen Riegel pro Stunde. Vor Abschnitten auf denen er intensiver unterwegs war, vor allem in den ersten Stunden, nahm er zusätzlich noch ein Gel ein. An den Verpflegungsstationen setzte er auf eine Mischung an fester Nahrung mit Fetten, Kohlenhydraten und Ballaststoffen. Vor allem Kartoffeln, Avocado Burritos oder Reis mit Avocado standen hier auf seinem Speiseplan, um den Magen zu füllen und gleichzeitig Kohlenhydrate zu konsumieren, welche über längere Zeit ihre Energie freigeben. Diese benötigen zwar mehr Blut im Magen, welches dann nicht mehr in den Muskeln oder zur Kühlung der Haut zur Verfügung steht, das spielt aber bei der Intensität des UTMB und dem diesjährigen Wetter keine entscheidende Rolle.

Wie sieht es mit natürlicher Nahrung statt künstlichen Kohlenhydraten aus? Hier könnte man ein großes Fass aufmachen, inwiefern natürlicher Zucker im Vorteil gegenüber von raffiniertem Zucker steht. Es gibt durchaus prominente Lauftrainier, welche die rein natürliche Ernährung in jeder Art von Wettkampf lobpreisen. Die Möglichkeit sich rein natürlich auf Trainingsläufen zu ernähren, besteht durchaus und mag auch Sinn machen, bzw. keine Nachteile mit sich bringen. Auch ist diese Methode etwas günstiger, als sich nur mit teureren Gels zu ernähren. In Wettkämpfen unter Belastung bringt sie aber auch Nachteile mit sich. Betrachtet man zum Beispiel die beliebte Dattel: Wird diese unter Höchstbelastung zu sich genommen, muss sie zunächst ordentlich gekaut werden. Außerdem braucht man mehr Flüssigkeit. Die ersten Kohlenhydrate werden zwar auch über die Mundschleimhaut bereits aufgenommen, aber dieser Prozess findet später statt, wie bei Kohlenhydraten oder Gels. Der Nachteil von so gut wie allen natürlichen Lebensmitteln ist aber vor allem die Energiedichte. Bleiben wir beim Beispiel der Dattel: Diese hat auf 100g Gewicht 68g Kohlenhydrate. Das Verhältnis ist also vergleichbar mit einem Energiegel. Auf 40g kommen beim Gel 25g Kohlenhydrate. Bei der Dattel 27g. Pro Stück hat eine Dattel aber nur 5-6 g Kohlenhydrate. Um also die gleiche Menge Kohlenhydrate wie beim Gel zu erreichen, müsste man 5 Datteln essen. Bei 60g Kohlenhydraten pro Stunde wären wir bei 10-12 Datteln pro Stunde. Neben der reinen Menge, ist auch die schon im Abschnitt davor erwähnte größere Menge an benötigtem Blut im Magen ein Nachteil. Jenes steht dann nicht mehr für den Sauerstofftransport in die Muskeln oder zur Kühlung zur Verfügung. Gerade bei intensiveren Wettkämpfen oder in heißer Umgebung ist das nicht zu vernachlässigen. Dieses Beispiel zeigt, dass es durchaus Sinn macht, sich im Wettkampf auf

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Ernährung mit „künstlichen“ Gels und Getränken zu konzentrieren. Im Alltag kann man trotzdem auf eine möglichst natürliche Ernährung Wert legen, sollte die Ernährung mit künstlichen Produkten aber trotzdem vorher trainiert haben. Ansonsten lohnt sich auch der Blick auf die Zutatenlisten der Hersteller. Auch hier findet sich unter den Herstellern einige, welche ausschließlich auf natürliche Zutaten ohne Konservierungsstoffe setzten, aber dennoch eine höhere Kohlenhydratdichte als beim eigentlichen Naturprodukt erreichen. Wer dem Mann mit dem Hammer schon mal begegnet ist bzw. in einem längeren Wettkampf wirklich leer gelaufen ist, weiß, dass die Ernährungsstrategie neben dem Training und Pacing, die wichtigste Säule darstellt. Ohne Kohlenhydrate funktioniert die Energiebereitstellung im Körper nicht mehr ausreichend und das bedeutet früher oder später das Aus im Wettkampf. Um dies zu verhindern, stehen inzwischen hunderte verschiedene Produkte in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen zur Verfügung. Zu einer optimalen Rennvorbereitung gehört inzwischen genauso, dass man sich eine Ernährungsstrategie zurechtlegt. Hier ist es vor allem entscheidend, sich zu überlegen, wie lange man unterwegs sein wird, wie viele Verpflegungsstationen in welchen Abständen es geben wird, wie viel Kohlenhydrate man zu sich nehmen will und wie sich das am besten mit den zur Verfügung stehenden Verpflegungsstationen kombinieren lässt. Macht auf keinen Fall den Fehler und riskiert ein erfolgreiches Rennen durch eine vernachlässigte Verpflegungsstrategie. Denkt immer daran: CARBS ARE KING!


Photo by F. Monot

Super dämpfender trail-running Schuh, konzipiert für lange Distanzen, garantiert er totalen Komfort und Stabilität. Cushion Platform™ Fußbett, aktive Dynamic ProTechTion™ Verstärkungen und Trail Rocker™ Sohle, welche die natürliche Abrollbewegung des Fußes begünstigt. Entwickelt und getestet im Fleimstal - Dolomiten.

Akasha II: du kannst tagelang damit laufen.

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MOMENT Dieser Ausgabe

Texti: DENIS WISCHNIEWSKI Fotos: JORDI SARAGOSSA

›› Doch ein Rekord! Dass der Streckenrekord beim Pikes Peak Ascent in den USA fällt, war Wunschgedanke, aber wenig realistisch - im Vorfeld des Rennens fiel aber eine andere Marke ganz eindrucksvoll ... Wenn ich denn schonmal in Colorado bin und den Pikes Peak Ascent laufe, dann kann ich mich an den berühmten Incline-Treppen (nahe der Rennstrecke) ja schon einmal warmlauafen, dachte sich Remi Bonnet und liess die Stoppuhr auf den 1400 Metern und 615 Höhenmetern laufen. Neuer Rekord! 20 Sekunden schneller als Joseph Gray im Jahr 2015, der damals 17 Minuten und 45 Sekunden unterwegs war. Für Bonnet war der Rekord offenbar eine gute Vorbereitung auf das eigentliche Ziel der USA-Reise - die fünfte Etappe der Golden Trail World Series, den PIKES PEAK ASCENT, der im Rahmen des legendären Marathons einen Tag zuvor stattfindet und nach 21 Kilometern auf dem Gipfel endet. Die Uhr blieb bei 2 Stunden und 7 Minuten stehen, was den Sieg für den Schweizer bedeutete. Ein zweiter Rekord war es indes nicht, denn die schnellste Zeit für den Run zum höchsten Punkt bleibt souverän unberührt. Matt Carpenter setzte 1993 die Bestmarke mit 2:012:06.

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PRAXISTEST Dynafit Sky DNA Gewicht: 239 Gramm Sprengung: 4 mm Preis: 170 Euro Lange haben wir auf dieses neue Modell aus dem Hause der Alpinsportler von Dynafit gewartet. In Zeiten in denen die Mittelsohlen immer dicker und die Dämpfungsschäume immer softer werden, ist es ganz erfrischend mal einen direkten und minimalen Skyracer zu testen. Tatsächlich fehlte im Portfolio von Dynafit solch ein Schuh, nachdem der Feline Up Pro aus dem Sortiment genommen wurde. Dabei verzichtet der Sky DNA nichtmal auf den weichen Dämpfungsschaum. Im Vorfuß ist ein hochwertiger und leichter Pebax Schaum verarbeitet, welcher für hohe Energierückgabe sorgen soll. Das Volumen des Schaums bleibt aber überschaubar, sodass sich der Schuh sehr direkt und mit viel Bodengefühl läuft. Auch dank einer schützenden Platte zwischen Schaum und Außensohle. Auf eine Einlegesohle wurde zu Gunsten des Bodengefühls verzichtet. Komfort darf man ob dieser Eigenschaften vom Sky DNA natürlich nicht erwarten. Wir sehen ihn daher wirklich nur auf den kurzen Distanzen, und auch hier eher an den Füßen gut trainierter Läufer:innen. Vibram Litebase ist die bewährte Technologie, die bei der Außensohle zum Einsatz kommt. Der Grip ist, wie es sich für einen Skyrunning Schuh gehört, sensationell. Das Hineinschlüpfen in den Schuh ist etwas schwierig. Dafür haben wir noch nie einen Schuh erlebt, wo der Fuß so bombenfest sitzt. Auch dank des innovativen Double Speed Schnellschnürsystem (nur das Verstauen in der Schnürsenkeltasche ist etwas fummelig) bewegt sich wirklich garnichts zwischen Ferse und Mittelfuß. Im Vorfuß ist aber genügend, für einen Dynafit Schuh sogar überraschend, viel Platz. Der Sky DNA liebt die Vertikale sowie dank seiner herausragend präzisen Passform schnelle und dynamische Bewegungen. Er ist damit ideal gemacht für kurze Skyrunning Abenteuer. Die rollende Ebene oder gar die Straße ist nicht sein Metier. Tipp: Eine Einlegesohle reinlegen, um den Komfort zumindest etwas zu erhöhen.

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Hoka Mafate Speed 4 Gewicht: 295 (Herren 42) Sprengung: 4 mm Preis: 180,00 Euro Das beste Gewissen in Sachen alpiner Langstreckentauglichkeit heisst ab jetzt MAFATE SPEED 4. Die neueste Version trägt ein Update in sich, das viele Verbesserungen mit sich bringt. Das beginnt mit einer reaktiven Mittelsohlenkonstruktion, die den Bergschuh trotz stabiler und robuster Elemente sehr lauffreudig ausstattet und ihn in flachem Terrain unbedingt ins Tempo schickt. Das Jacquard-Mesh als Upper steht dem Mafate Speed 4 gut, reduziert Gewicht, macht ihn atmungsaktiver und flexibler. Das vielleicht dennoch Wichtigste: die Aussensohle überzeugt mit einer groben VibramLösung, die 5 mm Stollen tun ihren Dienst ohne jeden Zweifel und in jedem Gelände der Natur. Der Fit, die Passform, der Tragekomfort bekommt von uns die volle Punktzahl - nichts stört, nichts drückt oder kneift. Zudem finden auch breite Fußformen auch im Vor- und Mittelfuß genug Raum. Fazit: Wer auf der Suche nach einem verlässlichen Ultratrailschuh für lange Strecken, grobes Gelände und alpine Einsätze ist, muss hier ins Geschäft kommen. Zudem ist er eine gute Alternative zu all den schweren Bergschuhen, also ein Hiker und sportlicher Wanderer, der dabei ein technisch anspruchsvoller Trailrunningschuh ist. Ganz schön viel!


Nike ZoomX Zegama Preis: 159 Euro Gewicht: 317 Gramm (M), 265 Gramm (W) Nike hat ein komplett neues Trailmodell. Das erste seit vier Jahren. Und ihm einen klingenden, nein, brüllenden Namen gegeben. Nike ZoomX Zegama. Ihr wisst schon diesen legendäre, vom Publikum geflutete Skyrace in den spanischen Pyrenäen. Das passt, schließlich hat Nike-Atheltin Nienke Brinkmann eben dieses Skyrace doch gerade erst gewonnen. Muss also ein Hammerschuh sein. Muss er? Die Grundidee leuchtet ein. Nike hat die Kernkompetenzen seiner bisherigen Trailmodelle in einen neuen Schuh gepackt. Den Komfort des Wildhorse, Agilität und Lauffreude des Pegasus Trail sowie die technische Versiertheit des Terra Kiger. Letzteres klappt nur bedingt. Aber dass eine beefige, komfortabel gedämpfte Mittelsohle viel vom direkten Kontakt zum Untergrund raubt, diese Erfahrung haben auch schon andere Hersteller machen müssen. Überraschender ist das dennoch verlässliche Laufgefühl auf dem Trail. Das mag an der flachen Sprengung liegen, einer überzeugenden Passform und dem reibungslosen Sitz. Es liegt aber auch daran, dass Nike erstmals eine zumindest durchschnittlich performende Außensohle hinbekommen hat. Unklar nur, warum diese Außensohle unter dem Mittelfuß so großzügig ausgespart worden ist. Das mag dem Abrollverhalten dienen, aber nicht der Trittsicherheit. Apropos Abrollverhalten, hier muss man wissen, dass Nike seinen Wunderschaum ZoomX genauso in Carbonracern verbaut und in ultimativen Komfortschuhen: Der Zegama gehört eher zur letztgenannten Kategorie. Wir trauen im absolut einen Ultra zu, eher aber keine Bestzeiten. Der Schuh rollt gut, auch ermüdungsarm, überproportional reaktiv, gar explosiv läuft er sich aber nicht. Sieht wohl auch Nienke Brinkmann so. Sie hat Zegama im Nike Terra Kiger gewonnen.

Houdini Activist CrewBaselayer Preis: 90 Euro Zunächst die Daten: dieses Longsleeve der schwedischen Outdoor-Bekleidungs-Profis HOUDINI besteht aus 60% Merinowolle und 40% Tencel, einem EU Ecolabel aus Österreich, eine natürliche Faser auf Zellulosebasis. Ein wahrlich interressanter Mix der "Fabrics". Und wie flott dieses Teil doch zu einem meiner Favoriten wurde. Ich trug es beim Transalpine Run die ganze Woche über, hatte es als Pflichausrüstung immer im Rucksack dabei, zog es am kalten Gipfel unter der Regenjacke, wusch es am Abend im Hotel kurz aus, um es am frühen Morgen wieder trocken und wohlriechend einzupacken. 90 Euro ist ein stolzer Preis. Ja. Und doch am Ende wert es auszugeben, denn von der Haltbarkeit aller HOUDINI Produkte sind wir mehr als überzeugt.

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PRAXISTEST

Salomon S-Lab Genesis Gewicht: 258 Gramm (42) Sprengung: 8 mm Preis 190,00 Euro

Die Hersteller-Beschreibung zum neuen S-LAB GENESIS weiß nicht so ganz eine eindeutige Richtung einzuschlagen. Was denn nun bitte? Wettkampfschuh? Adventureschuh? Bestzeitenjagd oder Genuss-Trailtour? Gut, dass wir ihn gelaufen sind, den Schuh, der beim UTMB an den Füßen von Matthieu Blanchard in unter 20 Stunden auf Rang 2 lief und lange gemeinsam mit Kilian Jornet unterwegs war. Fakt: der Genesis legte eine Fabelzeit, einen Lauf für die Ewigkeit rund um den Mont Blanc hin. Bereits nach den ersten Metern auf den Hometrails sind wir wohl so sehr begeistert wie Blanchard es gewesen sein muss, als er den Genesis erstmals trug ein Profi wie er überlegt sich gut, sehr gut, was er beim wichtigsten Wettkampf seines Lebens läuft. Seine Wahl war goldrichtig, denn der Genesis ist für mich tatsächlich der beste Salomon der Saison! Er hat mich überzeugt und überrascht. Wieso? Er bringt alle klassischen Attribute des Marktführers mit sich, alles was Salomon seit zwei Jahrzehnten qualifiziert. Er ist unfassbar stabil am Fuß, im technischen Gelände ein Macht, eine Sicherheit, die kaum Vergleiche kennt. Dass Ryan Sandes darin in Südafrika die weglosen Highlands rennt, ist kein Wunder. Beste Wahl. Bei aller Direktheit und der massiven Protektion bleibt er leicht und flexibel. Meine ersten Bedenken, dass er ein reiner Geländemeister ist und die Laufdynamik fehlt, ist schnell verflogen, denn ein sehr reaktiver Schaumstoff aus EVA und Olefin (OBC) sorgt für eine dauerhafte, straffe Dämpfung und eine spürbare Energierückführung. Features wie integrierte Gamaschen, die bewährte Innenschuh-Lösung oder das perfekte Schnürungssystem runden einen komplett makellosen Trailschuh ab. Fazit: Sein Einsatzgebiet ist tatsächlich breit und so kaum von anderen Modellen abgedeckt. Er kann für Experten ein Ultratrail-Schuh sein (üppig gedämpft), für andere ein echter Allrounder im alpinen Gelände und ein komplett bergfester Meister für alle Höhenlagen im Sinne des Laufsports. Sein Grip der All Terrain Contagrip® Sohle ist durch die weiche Gummimischung und ca. 4 mm tiefen Stollen auf nassen und trockenen Untergründen ideal.

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PRAXISTEST

On Performance Bra Preis: 74,95

Yeti: Hopper Flip 8 Preis 230 Euro Ach, amerikanische Verhältnisse? Zumindest, wenn es um eine Kühlbox geht, haben wir da gar nichts dagegen. Und begrüßen es sehr, dass diese us-amerikanische Institution nun also auf dem deutschen Markt angekommen ist: Yeti, ein Unternehmen, das selbstbewusst behauptet, dass seine Kunststoffkühlboxen innerhalb der Familie vererbt werden. So robust sind sie. Und so sehr werden sie geliebt. Wir haben uns für den ersten Praxistest dennoch für eine Kühltasche entschieden. Denn die Hopper Flip 8 ist kompakt und komfortabel genug, um ihr und Euch auch mal eine kleinere Wanderung zum See oder zum Basislager zuzumuten. Das Fassungsvermögen gibt Yeti ganz amerikanisch in Bierdosen an, statt acht Dosen passt aber auch ein opulentes Picknick samt Wein- und Saftflasche hinein. Das Mischverhältnis von Eis (bzw. Coolpacks) zum gekühlten Inhalt von 1:2 sollte unbedingt ernst genommen werden. Meint man es nämlich zu gut, kann aus dem gekühlten Bier schon mal ein gefrorenes werden. Die Tasche ist robust und, innen wie außen, easy abwaschbar. Kurzum: kein preiswertes, aber eben ein Produkt, mit dem man über Jahre glücklich sein wird. Und das im Alltag besser und hygienischer funktioniert als diese günstigen elektrischen Kühlboxen, die kaum mehr können als ein Autobatterie leerzusaugen.

On ergänzt seine Apperal-Kollektion um ein buchstäblich elementares Kleidungsstück: den Sport-BH. Genauer um zwei Sport-BH-Modelle, deren Namensgebungen durchaus wörtlich zu verstehen sind. Weshalb der Performance von uns also tatsächlich auf seine Performancequalitäten getestet worden ist. Für aktive Tage zwischen Radtouren, Walkingrunden oder einfach einen bewegten Alltag gäbe es nämlich noch den weniger rigide gestützten, eben, Active Bra. Obwohl so rigide trägt sich der Performance Bra gar nicht. Dafür ist er viel zu gut und vor allem viel überlegt ge- und verarbeitet. Mit einer Ausnahme: Sehr große Menschen (unsere Testerin misst 1,80 Meter), die dennoch Größe S benötigen, könnten nach langer Tragezeit einen dezenten Druck auf der Schulter spüren. Die allerdings gut elastischen Träger sind dann wohl etwas zu kurz. Darüber hinaus überzeugt der Performance Bra mit einer sehr flächigen Druckverteilung, gerade die Abschlüsse oder auch die über den Rücken verlaufenden Bänder nerven nie. Zudem sorgt das dezente Innenpolster für das sichere Gefühl, das Privates wirklich privat bleibt. Zumal der Performance Bra (es gibt ihn in violett, mintgrün und, na klar, schwarz) so überzeugend sitzt und so smart aussieht, dass er des Sommers durchaus zum Laufoberteil taugt. Auch das ist ja ein Trend, den die gewohnt trendsicheren Schweizer:innen von ON mitgeschnitten haben. Tolles, hochwertiges Produkt, das tatsächlich in Form und Funktion überzeugen kann.

Montane: Dart Zip Neck Preis 49,95 Euro Dieses Produkt der Briten von Montane kann man als Baselayer oder als einfaches Oberteil für kühler werdende Herbst-Lauftage nutzen. Es ist dabei sportlich, aber überhaupt nicht eng anliegend oder anderweitig einengend, geschnitten. im Gegenteil: Durch das sehr weiche und bequeme Material trägt sich das Shirt sehr angenehm. Der hohe Kragen schützt vor steifen Brisen. Wenn die Sonne rauskommt, kann der Reißverschluss geöffnet werden. Die hohe Atmungsaktivität und die geruchsneutrale Polygiene Behandlung runden das Gesamtpaket ab. Wem das abgebildete orange nicht zusagt, kann das Shirt in unzähligen anderen schönen Farben erwerben. Ein echter Kauftipp für einen vergleichsweise schmalen Taler.

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I M P R E S S U M

TRAIL MAGAZIN MESNERWEG 5 83246 UNTERWÖSSEN, TELEFON 08641/9521494 REDAKTION@TRAIL-MAGAZIN.DE ABO-FRAGEN AN: A B O @T R A I L-M A G A Z I N . D E CHEFREDAKTEUR & HERAUSGEBER

Denis Wischniewski REDAKTION

Platz 2 beim Osttirol Trail (GGUT) über 84 Kilometer - jetzt wird es Zeit für den UTMB.

Benni Bublak Clemens Niedenthal REDAKTIONSASSISTENZ

Marie Meixner-Brunnhuber ART DIREKTION & LAYOUT

Denis Wischniewski STÄNDIGE MITARBEIT REDAKTION

Carsten Drilling, Lars Schweizer FOTOGRAFIE

Harald Wisthaler, Philipp Reiter, Philipp Freund, Alexis Berg, Leo Francis, Jordi Saragossa, Andi Frank, Ian Corless, Wandering Fever

›› "Ich möchte gerne mal zum UTMB!"

TITELBILD

Silvano Zeiter

Hekmatullah Darwishi gehört eindeutig zu den besten österreichischen Ultratrailläufer, vielleicht sogar der Beste, wenn man so etwas wie "Perspektive" in die Bewertung einbezieht. Der Mann aus Salzburg hat 812 ITRA Punkte und eine spannende Lebensgeschichte. Am Vorabend des Großglockner Ultratrail treffe ich Hekmatullah Darwishi in einem schicken "Roof Top Cafe" hoch über Kaprun. Dass er nur einen Tag später für viel Aufmerksamkeit beim wichtigsten TrailWettkampf Österreichs sorgen wird weiss ich zu Beginn unseres Gespräches noch nicht, denn der Mann der in Salzburg lebt und trainiert ist mir dato ein Unbekannter. In nur 15 Minuten erfahre ich beeindruckend viel über sein Leben. Vor rund 10 Jahren flüchtete er aus Afghanistan, war 7 Monate unterwegs und landete in Österreich, wo er schnell ein neues Leben fand, ein Umfeld und Freunde. Mit dem Beruf als Maurer und dem Alltag, entdeckte er den Laufsport für sich, startete bei einem Straßenmarathon um nur wenig später auf den Mozart 100 Ultratrail zu stoßen. "Da wollte ich mitmachen. 63 Kilometer und dazu noch im Gelände!" Er startete und wurde sensationell Dritter. Nur drei Jahre später gehört Hekmatullah mit 812 ITRA Punkten zu den besten Ultratrail-Läufern in Österreich und träumt von einer Teilnahme beim UTMB, einem Sponsor und etwas bessere Bedingungen im Training. "Ein Sponsor, ein wenig Support wäre toll um weiter besser zu werden!" Seine Leistungen bestätigen jedenfalls seinen Aufruf - beim OTT (Osttirol Trail 84 km) am Glockner, wurde er schließlich Zweiter nur knapp hinter einem Profi, dem Spanier Jordi Gamito. Mit 30 Jahren ist Hekmatullah ein Ultrarunner mit Zukunft. Ob das sein Chef auch weiss? "Der ist nicht immer begeistert von meinem Sport, denn ich bin manchmal müde bei der Arbeit, weil das Training Spaß macht. Er sagt dann, dass ich weniger laufen sollte und mehr arbeiten."

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TRAIL MAGAZIN erscheint im Trail-Magazin-Verlag ABO-SERVICE

abo@trail-magazin.de VERTRIEB

MZV - Moderner Zeitschriften Vertrieb GmbH & Co. KG Ohmstraße 1, 85716 Unterschleißheim DRUCK

Fink GmbH Druck & Verlag Sandwiesenstr. 17 72793 Pfullingen

ALLE RECHTE DER INHALTE LIEGEN BEI TRAIL MAGAZIN, DENIS WISCHNIEWSKI. NACHDRUCK NUR AUF ANFRAGE!

VORSCHAU TRAIL 1/2023 AB DEM 9. DEZEMBER 2022 AM KIOSK -Report: Faszination kurze Trailrennen - Training: Neustart nach Highlights - Produkte: Was ist nachhaltig? - Tipps: Der erste Ultratrail


PORTRÄT Die Müllers

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Das Ehepaar Müller hat keine Lust mehr auf der A7 zu stehen, aber sie müssen! Die Berge haben nämlich mittlerweile eine solch große Anziehungskraft auf die bei Bremen lebenden Transalpine-Run-Finisher, dass Sie mehrmals pro Jahr den langen Weg in Richtung Süden auf sich nehmen. Das soll ein endlicher Zustand für Team Nr. 96 sein. Text: DENIS WISCHNIEWSKI Fotos: SPORTOGRAF

Antje Müller hat eine To-Do-Liste gemacht. Dabei geht es nicht um Arbeiten am Eigenheim, nicht um ihren Job als Steuerfachwirtin, sondern rein um Wettkämpfe und Abenteuer. Grossglockner Ultratrail, Eiger Ultratrail und Monte Rosa Ultratrail. Alles abzuarbeiten. Ein Hochgenuss für das Ehepaar, das gerade noch dabei ist, sich vom TAR-Finish zu erholen. Peter war es, der vor rund 15 Jahren mit dem Laufsport-Dings anfing. "Es ging damals um eine Wette bei der Arbeit. Ich sollte bei einem 20 Kilometer langen Stadtlauf mitmachen. So wie wohl die meisten von uns dazugekommen sind." Schnell bog Peter irgendwann in die Landschaft ein, lief bei Rennen mit, die sich "Kill" und "Hill" nannten, entdeckte kleine Einladungsläufe für sich und hatte mit Frau Antje immer eine interessierte Beobachterin dabei, die sich wunderte, dass da so wenig Frauen mit dabei sind. Sie erinnert sich: "Die wenigen Mädels die mitliefen, beeindruckten mich ungemein. Ich wollte das auch machen und meldete mich zögerlich bei einem 54 Kilometer Lauf in der Lüneburger Heide an. Von Beginn an lief ich mit einem gleichaltrigen Mann, den ich fragte, ob er denn so etwas schon einmal gemacht und darauf trainiert hätte." Der verneinte das. Antje ebenso und damit war ein Schicksalsduo mit dem selben Ziel unterwegs. Beide liefen gemeinsam ins Ziel. Ab da hatten die Müllers ein gemeinsames Hobby, das sich mehr und mehr in Richtung Alpen und Trailrunning verschob. 2012 standen sie zusammen beim Karwendel Lauf in Mittenwald am Start und wurden ins kalte Wasser geworfen. 1000 Höhenmeter nach oben, in einem Gelände, das sie so nicht kannten. "Ich wurde von einer 20 Jahre älteren Dame, auf deren Trikot irgendwas mit Kitzbühel stand, ganz locker überholt und konnte es nicht fassen." sagt Antje. Das war so etwas wie der erste Kontakt zum Laufen in echten Bergen für die Müllers. Doch es ging immer weiter. 2015 waren sie bei einem alpinen Lesercamp im Wilden Kaiser von Hütte zu Hütte dabei und entdeckten die Magie dieser Landschaft. Peter: "Da haben wir total Blut geleckt und stellten auch fest, wo unsere Defizite lagen." Heute ist das Leben der Müllers fest im Griff der Berge. Der Sohn lebt mit Familie in Berlin, Peter ist auf der beruflichen Zielgerade in seinem Job, der mit Zigaretten-Verpackungsmachinen zu tun hat und Antje hat längts Home Office für sich entdeckt. Die Idee vom Norden in den Süden der Republik zu ziehen, ist längst zu einer ernsthaften Suche nach Baugrund geworden. "Uns hält hier im Norden nichts. Wir wollen nicht den Rest des Lebens auf der A7 verbringen." stellt Peter fest. "Als wir damals von Chemnitz nach Bremen sind, hatten wir auch schnell Kontakt zu den Leuten und neue Freunde gefunden - das wird auch diesmal so sein." Dass die beiden spät im Eheleben solch ein Hobby für sich gefunden haben, sei ein großes und wundervolles Glück. Es würde sie verbinden, aber hier und da auch mal für kleine Streitigkeiten sorgen - wenn Peter vorne weg läuft und nicht wartet. Alles nicht ernsthaft ein Potential für echte Krisen. Spätestens das gemeinsame Finish beim TAR als Senior Master Mixed Team sollte so etwas wie eine zweite Hochzeit für die Müllers gewesen sein, denn mit der Erfahrung all ihrer vergangenen Trails, liefen sie richtiggehend routiniert bei der Alpenüberquerung mit. "Das war überhaupt kein Problem für uns! Weder die lange 54 km Etappe noch die Cut Offs. Wir hatten diesmal sogar Zeit für Fotos und den Ausblick." stellt Peter zufrieden fest. Mit diesen Voraussetzungen, dieser Form dürfen Antje und Peter ihre To-Do-Liste mit Selbstsicherheit abarbeiten. Vom neuen Holzhaus im Süden aus wäre die Anfahrt ins Monte Rosa Massiv bedeutend kürzer.

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MORAL Startgebühren

So gleich und doch etwas anders Im Ultratrail-Sport machen sich soziale Unterschiede eben doch bemerkbar, denn Startgebühren um 150 Euro, Anfahrt und Unterkunft, können sich nur Leute mit hohem Einkommen, Sponsoren oder Erbe leisten. Ein Sport für eine elitäre Gruppe?

Liebe Redaktion, mich plagt ein wenig das Gewissen. Ich laufe seit vielen Jahren auf Trails und sehr gerne Wettkämpfe über die Ultradistanz. Dabei bin ich in den letzten 15 Jahren um die halbe Welt gekommen. Bei einem guten Einkommen kann ich mir die Reisen und teils hohen Teilnahmegebühren leisten. Ein lokaler Händler unterstützt mich sogar noch mit Ausrüstung und bei Flug- und Benzinkosten. Obwohl ich bei den Rennen nie weit vorne lande und eher mit den Cut-Offs ringe denn mit Top10-Plätzen bin ich stolz auf meine Leistungen, weiss aber wohl, dass es in meiner Trainingsgruppe Leute gibt, die viel schneller sind, von solchen Rennteilnahmen träumen, es sich aber nicht leisten können. Ich fühle mich als ein offensichtlicher Teil einer elitären Gruppe zunehmend unwohl. Wie kann ich damit weiter umgehen? Rainer U. aus Darmstadt

Lieber Rainer, zunächst einmal darf ich Dir zu den vielen Erlebnissen gratulieren - ob als Sieger oder Finisher ist völlig egal. Es zählt das Abenteuer und das Überqueren der Ziellinie. Deine Feststellung, dass der Wettkampfsport exklusiver und elitärer wird, ist richtig. Wer heute beim UTMB teilnehmen möchte, kann sich künftig nur noch über Running Stones qualifizieren, die es wiederrum nur bei Rennen der UTMB-Serie gibt. Dies erfordert mehr als zuvor weite Anreisen und hohe Startgebühren. Ein Freund von mir flog für Qualifikationspunkte letztlich bis in den Oman - eine durchweg irrationale Aktion. Er wusste das natürlich selbst. Ich kann Dir letztlich nicht sagen, wann genau die Linie überquert wird, die den ganz "normalen" Ultratrailrunner vom "elitären" Trailrunner trennt. Mit einem Flug? Mit einer langen Autofahrt von Hamburg ins Val di Fiemme zum Lavaredo Trail. Keine Ahnung. Klar hingegen ist, daß Du in der Situation bist den Sport so auszuleben, wie du es eben gerne magst und es andere gerne hätten. Das stellst du gerade selbst so fest und spürst ein gewisses Unwohlsein. Meine Idee mag etwas unkonkret sein, könnte aber ein Lösungsansatz mit

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sich bringen: Gründet in Eurer Laufgruppe eine Art Spendenkasse, die es der oder dem einen anderen künftig ermöglicht, bei einem Event teilzunehmen, den er sich sonst nie leisten könnte. Dein Händler, der Dich supportet, könnte sich ja auch an solch einem "Talent fonds" beteiligen. Ich denke niemand erwartet, daß Du Deine Aktivitäten aufgibst, aber es fühlt sich vermutlich besser an zu wissen, dass man etwas dafür tut es anderen auch zu ermöglichen. Am Ende ist es ganz grundsätzlich eine persönliche Herangehensweise wie man diesen Sport auslebt und betreibt. Wer wie Du, mehrmals im Jahr zu internationalen Events reist, dort im Hotel eincheckt, im Restaurant seine Pastaparty feiert, darf sich ganz sicher einer eher elitären und begnadeten Gruppe zugehörig fühlen. Es gilt wohl künftig, mehr denn je, Maß zu halten, auf andere zu achten und das was man hat als Privileg zu schätzen.



www.adidas.de/terrex


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