Ultrarunning #2 Vorschau

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Das NEUE Magazin für Ultratrail, Long-distance Running & Etappenläufe Eine Sonderausgabe von

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D: € 7,90 A: € 9,80 CH: sfr 14,20 Lux: € 10,20 I: € 12,00

INTERVIEW Rickey Gates, der Ultra-Abenteurer TRAINING Mit Müdigkeit umgehen

Rodgau 50 / Deutsche Meisterschaften / Trainingstipps für Ultra-Einsteiger / 100 km analysiert

BERICHTE

Paddy Buckley Round, Barkley Marathons

Tipps

Die 12 besten UltralaufSchuhe für alle Strecken Alpine Trails / Landschaftsläufe / Straßen-Ultras und mehr ...

s e d n a S n a y R So lebt eian-Profi Ultr

Report

Wieso uns der Longrun am meisten Spaß macht

Strasse, Trail, Wüste

Laufabenteuer weltweit

San Francisco, Arizona & Wales



VORWORT

Ich habe mich in meiner Funktion als Herausgeber des TRAIL Magazins schon oft dabei ertappt, dass ich den Lesern sage: „Man muss keinen Ultra laufen um ein/e Trailrunner*in zu sein!“ Das ist die halbe Wahrheit. Die zweite Weisheit hingegen heißt: „Ihr müsst unbedingt mal einen Ultra laufen!“ Aber was sag ich überhaupt? Die Leute muss man ja längst nicht mehr zu einem Ultra überreden. Nö. Die Lust, der Wille, die Gier, einmal mehr als 50 km am Stück zu laufen ist anscheinend bei mehr Läufer*innen eingepflanzt als wir es je hätten vermuten können. Und so haben wir in dieser zweiten Ausgabe von ULTRARUNNING auch einmal versucht zu erklären, was während einer solch langen Distanz in einem vorgeht, was das mit einem macht und was rein wissenschaftlich von Kilometer 1 bis 100 geschieht. Unser Autor Clemens Niedenthal ist ab Seite 48 auf der Suche nach dem Tempo bei einem Ultralauf und stellt fest, wie sehr Tempo so einen Tagestrip auch ganz schön zerstören kann. Schnell und lange laufen. Zwei Dinge, die sich nicht immer gut miteinander verstehen. Zudem zieren zwei Typen, die uns seit Jahren begleiten und begeistern, ein paar Seiten in diesem Heft. Zum einen der US-Amerikaner Rickey Gates, der es immer wieder schafft, durch eigenwillige Laufabenteuer auf sich aufmerksam zu machen. Er lief beispielsweise jede einzelne Straße San Franciscos ab und summierte so Kilometer auf einem sehr, sehr langen Ultra mit sehr, sehr vielen Eindrücken, die man in solch einer Metropole sammeln kann. Sammeln tut auch der Südafrikaner Ryan Sandes. Er gehört vermutlich zu den professionellsten Ultratrail-Läufern der Welt - ein Profiathlet und ein Model. Uns verriet er, wie es sich als Star eines Sports lebt, der eigentlich keine Stars hat. Schuhe. Klar, auch diesmal kümmern wir uns um Laufschuhe. Unser liebstes Thema überhaupt. Diesmal haben wir sechs einzigartige Ultrawettkämpfe herausgesucht und ihnen jeweils zwei Schuhmodelle zugeordnet, die wir für passend halten. Zwölf Schuhtipps für Ultrastrecken! Da bleibt mir jetzt nur noch eines zu sagen: Schuhe an und los! Viel Spaß beim Lesen. Denis Wischniewski, Herausgeber Ultrarunning

INHALT

3 Vorwort & Inhalt 18 News/Journal 40 Training 50 History 61 Impressum 70 Even

4 Rickey Gates

24 Report: Der Longrun

56 Abenteuer: Paddy Buckley Round

Ein Ultra durch die Straßen von San Francisco

4 Geschichten zum langen Lauf am Sonntag

10 Porträt: Ryan Sandes

30 Report: 50 km von Rodgau

Eine Gruppe Deutscher wollen in Wales ein Ziel erreichen und scheitern.

Einer der wenigen Vollprofis im Ultrarunning-Sport

Kult, Tradition und einfach total normal

16 Event: die DM im 50-km-Lauf

34 Insider

Die Besten über eine kurze lange Distanz.

Die Stationen eines 100-km-Ultratrails

20 Ultra-Outfits

40 Training: Ermüdung

Mehr als nur Laufmode: 4 Outfits für diverse Ultrarun-Formate

Die verschiedenen Arten der Ermüdung bei einem Ultra

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62 12 Ultra-Schuhe im Test Wir stellen anhand von 6 Rennen 12 Schuhe vor. Alles Tipps!

76 Barkley Marathons

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Der härteste Ultramarathon findet in den Wäldern von Tennessee statt.


FOTOSTORY Rickey Gates T E X T : C l e m e n s N i e d e n t h a l F O T O S : Wa n d e r i n g fe v e r

JEDE VERDAMMTE

Rickey Gates ist der Geschichtenerzähler unseres Sports. Ob er nun mit dem Motorrad über den amerikanischen Kontinent fährt oder im VW Bulli durch die Geschichte des britischen Fell Running. Im vergangenen Herbst ist der US-Amerikaner nun durch jede einzelne Straße seiner Wahlheimat San Francisco gerannt. Er wollte diese Stadt verstehen. Und überhaupt, warum es uns Menschen in die Städte zieht.


STRASSE 5

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THINK ULTRA! FOTOSTORY Alexis Berg

Ryan Sandes hat aus dem langen Laufen eine erfolgreiche Unternehmung gemacht. Seit 13 Jahren bereits.

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Ryan Sandes und sein Betreuer beim Tarawera Ultratrail in diesem Februar.

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EVENT DM 50 km

Nele Alder-Baerens

Rechts: Hans-Joachim Dierkopf

Almut DreĂ&#x;ler

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Flo Neuschwander, Marcel Bräutigam, Benedilt Hoffmann

Im Kreisverkehr TEXT & FOTOS: Clemens Niedenthal

Die Deutschen Meisterschaften über die 50 km führten einmal mehr im Kreis herum. Zehn Runden à 5 km. Dennoch kam die deutsche Ultra-Szene an diesem späten Märzsamstag gehörig vom Fleck: Sekundenentscheidungen und ein neuer deutscher Rekord erzählen von einem Sport, der Fahrt aufgenommen hat. Sogar das Fernsehen war gekommen. Nicht für eine Liveübertragung, zugegeben. Denn das hier ist nicht der Berliner Halbmarathon, dass sind die Deutschen Meisterschaften über 50 km in Grünheide bei Berlin. Acht Tage und exakt 42 km liegen zwischen dem Start und dem Startpunkt des einen und des anderen Rennens. Eine Marathondistanz also. Und eine Welt. Dort das Spektakel, das gleichzeitig ein Indiz der Freizeitwie auch der Leistungsgesellschaft ist. Da das Familientreffen der Ultra-Elite. Dort 36.000 Teilnehmer*innen, da 113. Und das Fernsehen, um diese Geschichte noch flink abzuschließen, war vor allem da, um den Lauf des Lokalmatadors Hans-Joachim Dierkopf zu dokumentieren, der schließlich Vizemeister in der Altersklasse M70 werden sollte. Ein bunter Beitrag zwischen einem bunten Beitrag über den Beginn der Spargelsaison und einem anderen über ein Ehepaar, das immer mit dem Traktor in den Urlaub fährt. Auch das ist der Status quo des Ultralaufsports im Jahr 2019: Während es beispielsweise ein Ironman® längst ins Hauptprogramm der Sportberichterstattung geschafft hat, findet das lange und ganz lange Laufen immer noch auf den Panoramaseiten und in den Regionalnachrichten statt. Rubrik: Kurioses. Dabei war dieser Samstagmorgen auf diesem aus der DDR übrig gebliebenen Freizeitgelände am Störitzsee südöstlich von Berlin alles andere als, nun ja, kurios. Davon

war bereits Paul Schmidt-Hellinger überzeugt, der die Spannung vor dem Rennen vom fernen Flagstaff aus anzuheizen verstand. Schmidt-Hellinger – Mannschaftsarzt der deutschen Mittelstreckler*innen, die sich eben dort im Trainingslager befanden, und vor allem aktueller deutscher Rekordhalter über die 50 km – wähnte gar seine drei Jahre alte Bestzeit von 2:49 Stunden in Gefahr. In der Tat: Mit Ultra-Debütant Marcel Bräutigam, einer der am meisten ernst zu nehmenden Marathonhoffnungen der vergangenen Jahre, mit dem im Berg- und Ultralauf talentierten Benedikt Hoffmann und mit dem – sorry, Arne Gabius! - prominentesten deutschen Langstreckenläufer Florian Neuschwander waren gleich drei Athleten nach Grünheide gekommen, die das mit den langen und schnellen Läufen durchaus ernst meinen. Stellt sich nur die Frage: Beschleunigt so ein Dreikampf das Tempo noch einmal oder werden Rekorde - wie eben der von Paul Schmidt-Hellinger im Berliner Plänterwald - nicht eher in Rennen gelaufen, die gezielt gegen die Uhr und nicht Konkurrenz angegangen werden können? Apropos Konkurrenz: Mit eben dieser, namentlich mit der jungen Berlinerin Almut Dreßler, musste sich auch Nele Alder-Baerens beschäftigen. Mindestens auf nationaler Ebene eine ungewohnte Situation für die amtierende Vizeweltmeisterin über die 100 km. Almut Dreßler siegte nach furiosem Schlussspurt und mit gut 20 Sekunden Vorsprung nach 3:29 Minuten. Paul Schmidt-Hellinger, Almut Dreßler, Hans-Jo-

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achim Dierkopf, Nele Alder-Baerens: Der Ultralaufsport ist schon auch eine Berliner Kompetenz. Der deutsche Rekord, er wackelte indes nur für zwei, drei Runden. Auch, weil Ballermann Neuschwander das wahnsinnige Tempo von Marcel Bräutigam lustvoll zu erwidern wusste. Wenngleich dem Flow doch da schon klar war, „dass Form und Vorbereitung nur für eine 2:54 reichen, allenfalls“. Warum also den ersten Zehner in einer tiefen 34? Er ballert halt so gerne. Dass Neuschwander mit 16:35 Minuten auf den letzten 5 km auch noch die absolut schnellste Runde des Tages auf den Asphalt und die rund 750 m Forstweg legen sollte, machte ihn dann einmal mehr zum Sieger der Herzen. Und zum Bronzemedaillengewinner Benedikt Hoffmann konnten nach 2:54 Stunden knappe zehn Sekunden Vorsprung über die Ziellinie retten. Vorne lieferte Marcel Bräutigam ab: jede Runde zwischen 17:05 und 17:30 Minuten und in der Addition 2:51:55 Stunden bei seiner Ultra-Premiere. Wir gehen jetzt mal davon aus, dass der Mann vom GutsMuths-Rennsteiglauf-Verein spätestens im nächsten Jahr auch den Streckenrekord beim Rennsteiglauf angreifen wird. Übrigens: Einen deutschen Rekord sollte es dann auch noch geben. Frank Merrbach, der kurzfristig eingesprungene Alexander Dautel und Enrico Wiessner vom LG Nord Berlin Ultrateam legten in knapp 9:22 Stunden einen neuen Mannschaftsrekord in der Brandenburger Landschaft hin.


Es gibt Rennen, die sind ziemlich lang. Und es gibt Rennen, die sind eine Legende. Die 50 km von Rodgau gehören zu letzterer Kategorie, mindestens in bestimmten Kreisen. Zu Besuch bei einem Rennen, bei dem schon mal am Stock gegangen wird. Ein Rennen, das Fragen aufwirft – und Antworten gibt

MAL NEN FUFFY

Menschen brauchen Rituale. So sagte es einmal der Ethnologe Claude Lévi-Strauss. Weihnachten. Karneval. Samstagmorgens Auto waschen. Termine halt, die immer wiederkehren, und bei denen man schon im Vorhinein weiß, was und wer einen erwarten wird. Apropops Wiederkehren: In Rodgau-Dudenhofen braucht es dafür gerade einmal 5 km. Diese 50 km, man mag das Paradox finden, werden auf einer 5-km-Schleife gerannt. Aber es gibt ja sogar 24-Stunden-Läufe auf der 400-m-Bahn. Mindestens das sollte man also wissen, wenn man über ein Rennen berichtet, bei dem manch eine Teilnehmerin sogar am Krückstock startet, Kniebandagen so präsent sind wie Schienbeinschoner beim Kreisligafußball und die Altersklassen – gefühlt zumindest – nach hinten raus immer dichter besetzt sind: Rodgau, das ist der Neujahrsempfang der deutschen Ultra-Community.

Markus Meinke

Pott Kaffee, hart gekochtes Ei Beim Frühstück im radikal schmucklosen Businesshotel - am Abend zuvor hatte sich hier auch die Deutsche Ultramarathon-Vereinigung zur Jahreshauptversammlung getroffen - sitze ich mit Werner Stöcker am Tisch. Der Mann aus dem Wittgensteiner Land ist ein Spätentwickler in läuferischen Dingen und blickt dennoch bereits auf eine rund 40-jährige Marathonlauf-

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Von links: Jan Kerkmann, Frank Merrbach

karriere zurück. In 5:11 Minuten wird er seine Altersklasse souverän gewinnen. Ach ja, Stöcker, Jahrgang 1939, tritt an diesem Januarsamstag erstmals in der M80 an. Schnell noch einen Pott Kaffee und ein hart gekochtes Ei. Hart gekocht sind sie irgendwie alle hier. Nicht nur der auffällige Joe Kelbel. Der gewesene Börsenmarkler, der längst nicht mehr trainiert, sondern nur noch Zieleinläufe sammelt, wird sich also auch wieder auf die Wanderschaft machen. Kelbel wird an diesem 26. Januar seinen 435. (Ultra-)Marathon beenden. Und bereits den dritten im noch jungen Jahr 2019. Er wird rund eine Stunde hinter Werner Stöcker ins Ziel kommen. Der Rodgau Ultramarathon also. Angefangen hat diese Geschichte mit der Jahrtausendwende. Das neue Millenium wollte der Rodgau-Lauftreff 1983 e.V. mit einem Ultralauf feiern. Eine einmalige Idee, eigentlich. Weil es dann aber allen so gut gefallen sollte - den Teilnehmer*innen natürlich, aber genauso den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, von denen noch fast alle auch im 20. Jahr bei der Stange geblieben sind -, wurde eine jährliche Routine draus. Der Mensch braucht eben, wir hatten es bereits davon, Rituale. Geschenkt, dass es jeder strukturierten Saisonplanung widerspricht, einfach mal so im Januar schnelle 50 km auf südhessische Wald- und Wirtschaftswege zu legen. Dass man da doch eigentlich, wenn überhaupt, erst im Grundlagentraining ist. Immerhin das aber können wir vermutlich von Joe Kelbel lernen: Dabei sein ist eben alles. Ein zweisames Rennen Und dann sind da plötzlich doch noch zwei, die sich gar nichts schenken, die in ihrem eigenen Film rennen und 45 km lang kaum eine Schrittlänge voneinander weichen werden. Frank Merrbach (LG Nord Ultrateam Berlin) und Jan Kerkmann (TSVE Bielefeld) sind an diesem Tag schnell und schneller. Knapp zwei Minuten Vorsprung


Was passiert eigentlich mit uns auf 100 km zu Fuß?

100 Kilometer sind lang. Für Profis 7, 8, 9 oder 10 Stunden, um sich komplett leerzulaufen, für andere 20 Stunden, um dabei viel oder eben mal gar nichts zu denken. Wir haben die Stationen eines Ultras in Wissenschaft und Gefühl aufgeteilt ... T E X T : D e n i s W i s c h n i e w s k i , A n n i k a R ö c k e r, E v a S p e r g e r

Eine Stunde vor dem Start Ich bin guter Dinge. Der letzte lange Lauf war wundervoll. Ich lief 45 km durch die Hausberge, hatte am Ende 2.600 Hm auf der Uhr und die letzten 5 km taten bergab weh, aber ich drückte die schlechten Gedanken einfach weg. Immer wieder dachte ich an diesen 100-km-Trail in einer Woche und daran, was ich tun würde, wenn ich dort bei Kilometer 45 so fertig bin. Das wäre grausam. Das wäre ja noch nicht einmal die Hälfte der Distanz. Mein Zustand, eine Woche vor dem Start, ist divers. Ich bin motiviert, aber unsicher, ob ich ausreichend darauf vorbereitet bin. Freunden sage ich, dass ich solche Strecken mehr mit dem Kopf als mit den Beinen renne. Eine super Ausrede, die immer hilft. Alles tipptopp: Grundlagenausdauer satt durch die „langen Langsamen“, die Muskeln wohltrainiert mit Stabi, der Fettstoffwechsel läuft dank ein paar Nüchternläufen auf Hochtouren und ein paar knackige Tempoeinheiten haben dafür gesorgt, dass es auch nicht an der Schnellkraft hapert. Weniger ist jetzt mehr. Der Körper sollte genügend Kraft schöpfen können für die große Anstrengung. Übrigens: Viel wichtiger als der Schlaf in der Nacht vor dem Wettkampf sind die Nächte davor. Also keine Panik, wenn ihr in der Nacht davor gefühlt kein Auge zubekommt. Erholt man sich die Woche davor gut, dann wirft einen die miese Nacht vor dem Wettkampf nicht aus der Bahn. Grundsätzlich sollte man sich aber nachts generell gut erholen. Es gibt genügend Studien die belegen,

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dass Schlafmangel uns psychisch und physisch schadet. Im Schlaf werden Muskeln und Knochen repariert und bestimmte Wachstumshormone ausgeschüttet. Fehlen diese, weil man nicht genügend schläft, erhöht sich die Körperfettmasse. Zu wenig Schlaf bedeutet außerdem Stress für den Körper - der Kortisolspiegel (= Stresshormon) steigt. Das beeinflusst unter anderem unseren Kohlenhydratstoffwechsel. Was tun wir? Mehr futtern. Gleichzeitig wird die Muskelmasse und die Knochendichte reduziert. Hilfe, nein, aufhören! Das will doch keiner. Also: öfter mal früher ins Bett.

Der Tag vor dem Start Alles, was ich will ist loslaufen. Am besten sofort. Ich bin extrem ausgeruht. Ich habe viel geschlafen und bin in den letzten Tagen nur zweimal für eine Stunde sehr locker laufen gewesen. Gestern gönnte ich mir einen schnellen Kilometer, um etwas Spannung aufzubauen. Mein Rucksack ist gepackt, ich habe mir die Beine rasiert, eigene Energy-Riegel gebacken und treibe in einem Zustand aus purer Angst, purer Freude und viel Anspannung. Ein geiles Gefühl, das ich im normalen Leben so eigentlich nie habe. Klar, die letzte große Mahlzeit sollte man drei bis vier Stunden vor dem Start zu sich nehmen. Am besten mit vielen Kohlenhydraten und viel Flüssigkeit. Wer dann aber vor dem Start schon Hunger hat oder sichergehen will, dass sein Blutzuckerspiegel nicht gleich in den Keller geht, kann z. B. noch eine Banane oder einen Riegel essen. Allerdings sollte dieser gut


verdaulich sein - Vollkorn und Haferkleie können beispielsweise zu Magen-Darm-Beschwerden während des Laufens führen. Idealerweise hat der Riegel einen hohen Anteil an komplexen Kohlenhydraten wie Isomaltose oder Trehalose. Sie werden langsam und nachhaltig abgebaut. Folge: Der Blutzucker bleibt lange konstant, und auch der Fettstoffwechsel ist auf hohem Niveau aktiv.

Vor dem Wettkampf erreicht die Anspannung - ob mehr ängstlich oder freudig - ihren Höhepunkt. Das sogenannte sympathische System, ein Teil unseres autonomen Nervensystems, mobilisiert dabei alle Energien im Körper. Der Herzschlag und die Atmung beschleunigen sich, der Blutzuckerspiegel steigt, die Gedanken drehen sich schneller und fokussieren sich auf die bevorstehende Herausforderung. All dies - selbst Zweifel, plötzlich auftretende körperliche Symptome wie Magenprobleme oder schwere Beine ist normal und dient letztendlich dazu, dass der Körper maximale Leistung abrufen kann, die im Training oft undenkbar wäre. Hilfreich ist in diesem Moment, diese Symptome und die Nervosität als dazugehörig und sogar nötig zu begreifen. Eine weitere effiziente Strategie ist, das vorhandene Leistungsziel in den Hintergrund treten zu lassen, wie zum Beispiel die Zeit, die man laufen möchte, die Platzierung, die man erreichen will, oder welche Erwartungen an einen gestellt werden.

Kilometer 1 Haaa! Was tu ich da? Ich muss von Sinnen sein. Vollkommen. Ich renne los wie bei einer Winterlaufserie über 5 km. Ganz stumpf der Spitze hinterher. Die Uhr zeigt nach 1.000 m einen Schnitt von 4:00. Mein Puls am Anschlag. Als ein Mitläufer neben mir anfängt zu reden und ich nur sehr kurze Antworten gebe, merke ich, dass da was ordentlich schiefgeht, und ich reduziere mein Tempo.

Km 10 von 100: Ahhh, es rollt. was soll da schon schiefgehen? Ich notiere: Ich fühle mich super, unterhalte mich angeregt mit anderen und komme voran. Voll lässig!

Jeder kennt das Gefühl, wenn Adrenalin durch unseren Körper rauscht. Dieser Zustand ist ein Erbstück unserer jagenden Vorfahren. „Hilfe, ich werde von einem Löwen verfolgt! Nix wie weg!“ Das Hormon wird ausgeschüttet und weckt ungeahnte Kräfte. Es ist ein Überlebensmechanismus. Das Herz schlägt schneller und stärker, es wird mehr Sauerstoff in die Muskeln gepumpt und wir sind wacher und leistungsfähiger. Cool, dann läuft es ja. Zunächst: ja. Die schlechte Nachricht: Dieser Adrenalin-Rausch erschwert es uns, unsere Ressourcen richtig einzusetzen. Außerdem nehmen wir Schmerzen weniger wahr als sonst. Das birgt ein hohes Risiko

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Haaa! Was tu ich da? Ich muss von Sinnen sein. Vollkommen. Ich renne los wie bei einer Winterlaufserie über 5 km.


TRAINING Ermüdung Fehler vermeiden im Ultralauf

Zentrale Ermüdung

„Fatigue is a brain derived emotion“ sagt der Erfinder der „Central Governor Theory“ Tim Noakes und will damit sagen, dass die Ermüdung eine reine Interpretation von Signalen ist. Dass dies nicht ganz stimmt, wurde bereits gezeigt. Womit er allerdings recht hat, ist, dass das zentrale Nervensystem meist deutlich früher herunterregelt, als es allein von der Muskulatur notwendig wäre. Neben der rein lokalen Steuerung erfolgt auch immer eine meist zeitgleiche Weitergabe der Informationen an den Gesamtorganismus in Form von Hormonen, die an der richtigen Stelle erkannt und interpretiert werden. Oft geht dieser Weg nicht über das Gehirn, sondern ist eine Kommunikation von z.B. Muskulatur und Leber. Im Falle der Ermüdung ist es aber häufig das Gehirn und dort u.a. der Insula Cortex, der auch für die emotionale Interpretation von Schmerz zuständig ist, der den Körper steuert. Genau hier steigt die Hirntätigkeit vor Abbruch einer Tätigkeit stark an. Der Teil des Hirns kommuniziert dabei häufig unbewusst z.B. mit dem Motor Cortex. Nur weil das Gehirn also beteiligt ist, ist die zentrale Ermüdung lang noch keine bewusste Entscheidung. Durch Hemmung dieses Teils des Gehirns durch transkranielle Magnetstimulation (TMS), lässt sich bei einem Ausbelastungstest die maximale

Wenn das Gehirn nämlich so linear reagieren würde wie es der „Hazard-Score“ suggeriert, dann gäbe es bei wichtigen Wettkämpfen keinen Führungswechsel.

Kraft deutlich steigern, was John Temesi, dem Forscher hinter dieser Studie, sich fragen lässt, wie lange es wohl noch dauert, bis „Hirndoping“ ausprobiert wird. Die Notwendigkeit, „das Hirn auszuschalten“, um an seine Grenze zu gehen, ist also gar nicht so weit von der Realität entfernt. Tatsächlich fungiert das Gehirn als Vernunftsorgan und steht damit so mancher Grenzbelastung im Weg. Ein offensichtliches Beispiel zeigt sich beim Training unter großer Hitze. Schon zu Beginn der Belastung, wenn weder Körperkerntemperatur noch die Temperatur der Muskulatur gefährlich erhöht ist, wird vom Gehirn die Leistung bereits gebremst. Es antizipiert dazu den voraussichtlichen Temperaturanstieg und regelt vorsorglich die von ihm „erlaubte“ Leistung herunter. Den gleichen Mechanismus beschreibt Jos de Koning mit dem von ihm 2011 erfundenen „Hazard-Score“. Als Grundlage dieses „Katastrophenwertes“ dient die RPE, welche die momentane Belastung zwischen 1 (sehr leicht) bis 10 (maximale hart) einteilt. Er unterstellt dem Körper einen ständigen Abgleich zwischen momentan empfundener Härte (RPE) und der noch verbleibenden Dauer des Wettkampfes. Eine RPE von 7 wäre demnach bei 70% der Wettkampfentfernung noch verträglich, wogegen der Körper bei der RPE von 7 zu Beginn des Rennens herunterregeln würde. Ein sehr vereinfachtes Modell, welches sich in der Realität als brauchbar erwiesen hat. Es würde auch erklären, wieso der Körper bei völliger Erschöpfung noch Energie freigeben kann, wenn das Zielband in Sicht kommt. De Koning zeigt aber auch, dass der Körper sich selbst nur dann so zutreffend steuern kann, wenn er die Gesamtbelastung auch einschätzen kann. Jemand, der noch nie 10 Stunden gelaufen ist, überpaced also deutlich schneller, als ein erfahrener Läufer und dies nicht nur aufgrund bewusster Entscheidungen. Der Hazard-Score erklärt auch, wieso in den meisten Läufen, egal bei welcher Distanz, das mittlere Drittel das Härteste ist. Der Körper hält dort noch bereits notwendige Reserven zurück. Für Ultraläufe ist sicherlich dieser mittlere Teil etwas länger und erst die letzten 10km werden langsam leichter. So linear, wie bisher beschrieben, funktioniert der Bereich der zentralen Ermüdung aber dann doch nicht. Samuele Marcora, einer der führenden Forscher im Bereich der Ermüdung im Ausdauersport, beschreibt Ermüdung als „die Balance zwischen Anstrengung und Motivation“. Wenn das Gehirn nämlich so linear reagieren würde, wie es der „Hazard-Score“ suggeriert, dann gäbe es bei wichtigen Wettkämpfen keinen Führungswechsel. Marcora zeigte beispielsweise, dass Sportler, welche 90 Minuten eine mental anstrengende Tätigkeit an einem Bildschirm verrichteten (Erkennen von kurz eingeblendeten Buchstaben), im Anschluss deutlich weniger leistungsfähig waren, als die Kontrollgruppe, welche eine einfache Dokumentation anschauen durfte. Obwohl alle Vitalwerte und Ausdauerwerte gleich waren, brachen diese den Ausdauertest bereits nach 640 Sekunden und damit mehr als 90 Sekunden vor der Vergleichsgruppe ab. Forscher der University of Bangor in Wales zeigten, dass Athleten, die während der Belastung glückliche Gesichter sahen, 10% länger durchhalten, als jene, die in traurige Gesichter blickten. Aber auch persönliche positive Selbstgespräche führen bei so gut wie jedem Sportler zu einer höheren Durchhaltefähigkeit. Diese vielversprechenden Forschungsergebnisse veranlassen Samuel Marcora zu der Verallgemeinerung, dass Ermüdung fast ausschließlich eine Sache der empfundenen Anstrengung ist. So, dass Sportler mit genügend Motivation und Willen bis zum eigenen Kollaps weiterlaufen könnten. Aber auch dies, so sagt LJ Gibson, sei nur die letzte Maßnahme des Gehirns, die eigene Durchblutung sicherzustellen, die im Liegen eben deutlich erleichtert sei. Ermüdung ist also immer ein Zusammenspiel aus körperlicher Belastung und Interpretation. Für uns Ultraläufern ist es sehr wahrscheinlich eher die zentrale Interpretation, die zur Leistungsminderung führt, als periphere Notmechanismen. Das bedeutet aber nicht, dass nur langsame lange Läufe das Mittel sind, um die Ermüdungsresistenz zu verbessern. Ein Körper, der häufiger an seine Belastungsgrenze geführt wird, gerade durch intensive Läufe, ist auch eher bereit, trotz Erschöpfung weitere Reserven freizugeben. Zudem ist es meist deutlich einfacher den körperlichen Grund der Ermüdung zu verzögern, als bewusst die Reaktion des Gehirns. Und dennoch lohnt es sich, nicht nur im Wettkampf, alle Register zu ziehen, um akut den Leistungsverlust zu verhindern. Sei es die Einnahme von Koffein, positive Selbstgespräche oder das Anlächeln oder Anfeuern von Zuschauern, um gleiches zurückzubekommen. Auch bewusste mentale Hilfsmittel, wie das Setzen von kleinen Zwischenzielen, um den „Hazard-Score“ zu verwirren oder das Nutzen von Musik, kann das Gehirn dazu veranlassen ein paar mehr Reserven freizugeben. Auch wenn die Erforschung von Ermüdungsprozessen im Ausdauersport noch in den Kinderschuhen steckt, lohnt es sich, sich dem Umfang der Mechanismen bewusst zu sein und selbst daran zu arbeiten, diese stetig ein wenig zu verschieben.

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Bitte, keine Ultras mehr! Ultrarunning ist auch Wettkampfsport. Muss es aber nicht. Vielleicht sollten wir ja eine neue Form finden, die uns auch ohne Rennen titelt und adelt.

Wieso Ultrarunning keine Wettkämpfe braucht und öfters umso mehr Immer wieder UTMB®. Ultra-Trail du Mont-Blanc. Immer wieder Transvulcania. 170 km um den Mont Blanc. 70 km über die Vulkaninsel La Palma. Am Start: die besten ihres Sports. Profi-Läufer*innen, die von ihren Sponsoren unterstützt trainieren,

Flugkosten erstattet bekommen und perfekt ausgerüstet sind. Sie kämpfen um Platzierungen, um ganz bestimmte Zielzeiten und Siege. Für Zuschauer kann das richtig spannend sein und der UTMB beweist mit einer aufwendigen, 300.000 Euro teuren Liveübertragung als Stream, dass Ultratrail auch ein attraktiver TVSport sein kann. Mit aller Kritik, die man an großen Sportereignissen haben darf, muss man sagen, dass es schön ist, ein paarmal im Jahr diese Highlights zu verfolgen. Der Sport „Ultralaufen“ hat, wie ich finde, auch mediale Aufmerksamkeit verdient. Auf der anderen Seite geht es um die Grundsätzlichkeit. Um die Essenz des langen Laufens. Und die hat mit einer Startnummer, mit Livestreams und Profisport samt Sponsoren erst einmal rein gar nichts zu tun. Es geht, und das ist gut so, nur um einen Menschen, seinen Körper, seine Bewegung und die Strecke. Es geht um die Landschaft, in der er läuft, um sein Empfinden dabei, um das, was er erlebt und wie er sich in die Umgebung hineinläuft. All das, was man bei einem Wettkampf als Läufer*in erlebt, kann man bei jedem „Privatlauf“, bei jedem Ultrarun mit Freunden auch erleben. Es geht hier nicht um schlechter oder besser. Es geht aber darum - und das ist mir wichtig -, dass man auch ohne das ganze „Eventbohei“, ohne das „ich hab-einen-Sponsor“ jetzt, ohne „ich-bekomme-meine Schuhe-umsonst“ auch ein krasser, authentischer Ultraläufer sein kann. Wer heute die 100 km nicht bei einem Rennen „offiziell“ gelaufen ist, ist nie 100 km gelaufen. Falsch. Ich habe in der DUV-Statistik „nur“ 5-10% aller meiner Ultraläufe stehen. Die meisten meiner Ultrastrecken passierten privat, einfach so, im Training. Das ers-

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te Mal, dass ich beim Laufen die Faust nach oben reckte und in mich hineinjubelte, war bei einem Longrun, der etwas länger ausfiel. Auf meiner Uhr standen damals 41 km. Ich fühlte mich gut und hatte diese unbedingte Lust, einfach weiterzulaufen. Eine Stunde später an der Haustür hatte ich 50 km und ich postete (in den Anfängen von Social Media): „Ich bin Ultra.“ Nach mehr als einer Dekade im Sport habe ich einige Leute gehen sehen. Weg waren sie nicht. Es schien eben nur so. Leute, die sehr regelmäßig bei Wettkämpfen am Start standen, die bei jedem Community Run und Lesercamp als erste angemeldet waren. Plötzlich nicht mehr da. Ich hörte dann von anderen: „Du, der läuft schon noch. Für sich aber nur noch, weißte.“ „Dem war das irgendwann zu viel mit all den anderen und diesem Facebook.“ Vielleicht ist es ganz einfach so: Ultrarunning-Wettkämpfe passen in manchem Leben gut dazu. In anderen eben nicht. Manchmal passen sie für einen Moment im Leben, manchmal begleiten sie uns sogar sehr lange. Wir sollten eines auf keinen Fall tun – sie allzu ernst nehmen.

„Du, der läuft schon noch. Für sich aber nur noch, weißte.“


Eine lange Geschichte! Ultrarunning ist so alt wie das Laufen selbst. Vermutlich gab es aber Zeiten, in denen der Mensch immer nur so weit gerannt ist wie er eben unbedingt musste. Unsere Geschichte beginnt 1837 ... Aus 1837 ist damit auch der älteste Eintrag in der zweifellos akribisch geführten „DUV-Statistik“. Ein Lauf von London nach Brighton. Dass dieser Sport mit vielen Geschichten aufwarten kann, war uns zwar bewusst, aber je mehr man sich in die Details der längst vergangenen Heldentaten einliest, desto spannender wird es. Dabei wird uns leider auch bewusst, dass bis in die 1980er Jahre hinein Frauen nicht im Laufsport zu finden waren. Es war ein harter Männersport – heute wissen wir, dass Frauen vermutlich die weit prädestinierteren Langstreckler sind. Die Goldenen 1920er-Jahre gaben auch dem Ultralaufen viel Aufmerksamkeit und sorgten für eine Reihe kreativer Wettbewerbe. Eine Frau durchschwamm den Ärmelkanal schneller als jeder Mann zuvor, beim Transame-

rica Footrace liefen 199 Athleten ganze 3.400 Meilen in 84 Tagen, um in New York vor 20.000 Zuschauern ins Ziel zu kommen. Der zweite Weltkrieg stoppte für viele Jahre den Sport. In Europa enstand aus einer Idee der größte 100-km-Straßenlauf der Welt im schweizerischen Biel. Vier Offiziere wollten wissen, wie schnell man diese Strecke zurücklegen kann, und gründeten damit eine bis heute laufende Legende. In den 1980ern kam der Sport mit dem Marathon des Sables und dem Spartathlon in Griechenland zu weiteren bis heute sehr etablierten Wettkämpfen. Das jüngste Ultralauf-Phänomen entwickelte sich 2003 am Rande des Mont Blanc. In Chamonix gründete die Gruppe „Trailers du Mont Blanc“ einen Lauf, der heute Dreh- und Angelpunkt des Sports ist. To be continued ...

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London to Brighton Footrace Den ersten Ultralauf-Wettkampf zu datieren fällt schwer. Eine unzweifelhaft lange Historie haben die Rennen, die zwischen der Hauptstadt Englands und dem Kurort Brighton an der Südküste des Landes ausgetragen wurden. Die berühmte Brighton Road ist seit über 100 Jahren Austragungsort historischer Wettkämpfe. Darunter der London to Brighton Veteran Car Run - das älteste noch bestehende Motorsport-Event der Welt - sowie zahlreiche Charity-Fahrradrennen. Doch schon lange bevor Auto und Fahrrad sich als Hauptfortbewegungsmittel durchgesetzt hatten, gab es Pioniere, die die berühmte Strecke so schnell wie möglich zurücklegen wollten. Zu Fuß. Die


sogenannten Pedestrians waren im 18. und 19. Jahrhundert echte Helden, die große Aufmerksamkeit erlangten, indem sie sehr lange Strecken gehend zurücklegten. So auch die prestigeträchtigen 52 Meilen zwischen London und Brighton. Nur eine Frage der Zeit war es daher, bis das erste „Mann gegen Mann“-Rennen stattfinden sollte. Überliefert ist, dass am 30. Januar 1837 die beiden professionellen Pedestrians John Townsend und Jack Berry sich einen Zweikampf lieferten, den der „The Veteran“ genannte Townsend am Ende in 8 Stunden und 37 Minuten für sich entscheiden konnte. Eine Pace von gut 6 Minuten pro Kilometer. Diese Leistung ist damit zu Recht der älteste Eintrag in der Ultramarathon-Statistik-Datenbank der DUV. Ein gutes Jahrhundert später, 1951, wurde das Rennen erstmals als offizielles Amateurrennen ausgetragen und erfreute sich in den Folgejahren großer Beliebtheit. Neben dem Comrades Marathon war das London to Brighton Race in den 1950erund 60er-Jahren der einzige Ultralauf mit internationalem Format.

1860

Die Ära der Pedestrians - 6 Day Events Edward Payson Weston gelang etwas, was nur sehr sehr wenigen nach ihm vergönnt war. Und das im Jahre 1861. Er verdiente seinen Lebensunterhalt mit Laufen. Beziehungsweise Gehen. Bei der Präsidentschaftswahl 1860 wettete Weston gegen Abraham Lincoln. Als dieser Präsident wurde und Weston damit die Wette verlor, musste er als Wetteinsatz die 478 Meilen von Boston nach Washington zu Lincolns Vereidigung zu Fuß zurücklegen. Zehn Tage und zehn Stunden war er bei Schnee, Regen und Matsch unterwegs. Die Vereidigung verpasste er zwar knapp. Ein Handschlag von Lincoln persönlich und eine außerordentliche mediale Präsenz waren ihm trotzdem sicher. Pedestrians nannte man sie damals. Athleten, die mehrere Tage am Stück walkten und mehrere hundert Meilen zu Fuß zurücklegten. Und Edward Weston war der größte Showman von ihnen. Er hob den Sport auf ein neues Level. 1867 gewann er 10.000 Dollar, als er 1.200 Meilen von Portland/ Maine nach Chicago/Illinois in 26 Tagen marschierte. wurde Weston vom besten Pedehat sich1875 diese Tortour strian aus Großbritannien ausgedacht: Rennchef herausgefordert. Der IreJens Daniel O`Leary besiegte ihn in einem 6-TaWitzel. ge-Rennen. Er legte 503 Meilen zurück. Von die-

sem Zweikampf inspiriert, veranstaltete der britische Parlamentsabgeordnete John Astley eine Serie von 6-Tage-Rennen, um den „Long Distance Champion of the World“ zu küren. In der Londoner Agriculture Hall, liebevoll Aggie genannt, walkten, liefen und joggten damals also 2 bis 10 Athleten 6 Tage lang im Kreis. Es wurden hohe Preisgelder ausgelobt, und mit bis zu 70.000 zahlenden Zuschauern war dies das größte Entertainment und Sportereignis der damaligen Zeit. Dies sollte es auch einige Zeit bleiben. In den USA und in Großbritannien waren die sogenannten 6 Day Events (sechs Tage waren der längste erlaubte Zeitraum für Vergnügungs- und Sportaktivitäten zwischen zwei Sonntagen im von Königin Victoria regierten Britannien) jahrzehntelang ein Zuschauermagnet. Man unterschied hier zwischen „heel and toe“-Rennen, bei denen nur gehen erlaubt war und den „go as you please“-Rennen, bei denen die Athleten sowohl gingen als auch joggten und liefen. Erst in den 1890er-Jahren, als der Siegeszug des Fahrrads einsetzte, wurden die Events durch die noch heute bekannten 6-Tage-Fahrradrennen verdrängt und ersetzt.

1921

1928

Trans-American Footrace Es ist die Zeit der Goldenen Zwanziger. Der wirtschaftliche Aufschwung führt zu einem massiven Wohlstandszuwachs. Die Vergnügungsindustrie erlebte einen regelrechten Boom. Neben Kino, Theater und Konzerten waren es vor allem ausgefallene Sportereignisse, die die Aufmerksamkeit der Menschen erregten. Bei Tanzmarathons tanzten sogenannte Endurance Dancers bis zu vier Tage am Stück um die Wette. Andere saßen wochenlang auf Fahnenmasten, um ihre Ausdauer unter Beweis zu stellen. Die US-Amerikanerin Gertrude Ederle durchschwamm den Ärmelkanal in Rekordzeit - schneller als jeder Mann zuvor. In dieser Zeit war es C. C. Pyle, ein

Die erste Austragung des Comrades Marathon 1921 in Südafrika

Bunion-Derby-Sieger 1928, Russischer Meister und ein früher Ultralaufstar: Jüri Lossmann berühmter Sportagent, der ein Rennen ins Leben rief, dessen Bewältigung er selbst als die „größte und gewaltigste athletische Leistung der Historie“ bezeichnete. Das Trans-American Footrace, von der Presse Bunion Derby genannt, war ein Etappenrennen quer durch die USA, von L.A über die Route 66 nach N.Y. 3.400 Meilen in 84 Tagen. 40 Meilen, das heißt 64 km pro Tag. 199 Athleten stellten sich dieser Herausforderung. Oft einfache Bauern und Arbeiter, die Kind und Frau zurückließen und über wenig Lauferfahrung, aber umso mehr Abenteuerlust und Entschlossenheit verfügten. Denn es lockte nicht nur Ruhm und Ehre. Für den Sieger war ein stattliches Preisgeld von 25.000 Dollar ausgelobt. Eine Menge Geld, bedenkt man, dass eine einfache Familie damals mit ca. 2.000 Dollar im Jahr auskam. Das Rennen war pompös organisiert. Eine ganze Karavane inklusive Support


Foto: Graeme Murray

SCHUHTEST ULTRA

Den einen Schuh fürs ULTRALAUFEN, für die lange Strecke gibt es nicht. Nein. Keine Kompromisse. Wir haben aber sechs verschiedene Ultrawettkämpfe herausgesucht und ihnen jeweils zwei „Schuhtipps“ zugeordnet. Von den Felsen der Zugspitze bis zu flirrendem Asphalt in Griechenland.

FÜR ALLE FÄLLE

T E X T: Denis Wisch niewsk i, Ben ni Bublak


ZUGSPITZ ULTRATRAIL Der ZUT steht hier exemplarisch für den klassischen alpinen 100er. Es gilt matschige Wiesenpassagen (Skipiste Ehrwalder Alm), felsige und geröllige Passagen (Feldernjöchl), flache Asphaltpassagen (Richtung Mittenwald) und steile wurzelige Downhills (Jägersteig) zu bewältigen. Ein dementsprechender Trailrunningschuh muss euch den nötigen Grip und die Sicherheit in unwegsamem Gelände bieten, aber auch mal eine Flachpassage oder leicht abfallende Forststraßen gekonnt meistern.

SALOMON S-LAB ULTRA 2 PREIS: 179,95 EURO GEWICHT: 300 G SPRENGUNG: 8 MM

SCARPA SPIN ULTRA PREIS: 149,95 EURO GEWICHT: 260 G SPRENGUNG: 4 MM

Wer den UTMB® und die Diagonale des Fous gewonnen hat sowie den GR20 auf Korsika in Rekordzeit gelaufen ist, muss es ja wissen, welchem Anforderungsprofil so ein Ultratrailschuh genügen muss. Das dachte sich wohl auch Salomon und haben in Zusammenarbeit mit François D‘Haene diesen Schuh entwickelt, der nun schon in die zweite Auflage geht. Wir stellen allerdings fest: Viel verändert hat sich im Vergleich zu Version eins nicht. Aber ganz ehrlich: Uns wäre eigentlich auch nichts eingefallen, was man an dem Schuh wirklich noch hätte verbessern können. Der S-lab Ultra 2 bringt viele Eigenschaften mit, die die Sense-Modelle in den letzten Jahren so erfolgreich gemacht haben: eine äußerst präzise Passform und ein intelligentes Schnellschnürsystem. Letzteres funktioniert bei diesem Modell besonders gut. Zieht man an der Schnürung, scheint sie in ihrer Stellung zu bleiben, ohne dass man sie mit dem Stopper verschließen muss. Und dennoch hat man hier bewusst auf den Zusatz Sense verzichtet, standen und stehen diese Schuhe doch für ihre Radikalität und kompromisslose Geländetauglichkeit. Der S-Lab Ultra aber ist bequem. Er will laufen. Auch in der Ebene. Wir können uns daher kaum einen besseren Schuh vorstellen für die lange Runde um Deutschlands höchsten Berg. Würde uns jemand nach einem zuverlässigen, alpinen Schuh für lange Distanzen fragen, würden wir ohne viel Wissen zur fragenden Person und mit bestem Gewissen auf den SPIN ULTRA verweisen. Der ist ein Allrounder für schwieriges Gelände, passt an jede Fußform und ist so üppig gedämpft, dass auch schwere Leute weit damit kommen können. Trotz seiner massiven Sohle und einigen Protektionselementen bleibt er realtiv leicht, flexibel und gut laufbar. Die klassische Schnürung, die weiche Zungenkonstruktion, ein perfekter Fit und eine bissige Vibram-Außensohle sind seine wichtigen Merkmale. Die Idee der Italiener, dem normalen SPIN etwas mehr Dämpfung, mehr Futter zu geben ging voll auf. Wir sind begeistert und freuen uns auf einen Bergsommer mit ihm. Gute Materialwahl, stabile Bauweise und genug Protektion für Felspassagen und grobe Schotterpisten. Wer also für Supertrail und Ultratrail an der Zugspitze noch einen sehr verlässlichen Partner sucht, darf hier die Suche beenden.

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Hart, härter,

BAR Da hat sich im Hinterland von Tennessee ein Kult-Ultralauf einen Ruf erlaufen, der weltweit für staunende Gesichtsausdrücke sorgt.

F O T OS: How ie Ster n TEXT/INTERVIEW: Clemens Niedenthal, Denis Wischniewski

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RKLEY

Der Barkley Marathons. Es mag längere Rennen geben und auch schnellere. Welche durch spektakulärere Landschaften und welche, bei denen sich beinahe die komplette Weltelite trifft. Und dennoch: Der Name Barkley fällt längst in einem Atemzug mit dem Western States Endurance Run oder dem Ultra-Trail du Mont-Blanc. Nur dass nach dem Wort Barkley oft ein intuitives Raunen folgt. Fast als sei dieser über fünf Runden ausgetragene Unterholz-Ultra im Hinterland von Tennessee so etwas wie ein böser Geist. Dabei sei selbst Barkley-Erfinder Gary „Laz“ Cantrell trotz aller anderslautender Gerüchte eine sympathische und vor allem charismatische Type. Fotograf Howie Stern hat sich für uns in den Dauerregen begeben und einen Marathon dokumentiert, der längst ganz zu Recht vor allem ein Mythos ist. Da war es fast zwangsläufig, dass sich auch in diesem Jahr niemand finden sollte, der die fünf Schleifen von insgesamt rund 100 Meilen in den erlaubten 60 Stunden zu Ende bringen konnte. Ach ja, die verkürzte Variante von 60 Meilen wurde von Laz Cantrell „Fun Run“ getauft. Hallo Howie, du kommst gerade vom Barkley Marathons zurück, den du als Fotograf begleitet hat. Man hört ja allenthalben, das sei der härteste Lauf der Welt. Nun kennen wir hier in Europa viele alpine Dinger mit wuchtigen Anstiegen und ausgesetzten Passagen. Was verdammt noch mal macht den Barkley Marathons so schwierig? Tatsächlich habe ich 2019 selbst teilgenommen und kann ganz aufrichtig sagen, dass Barkley anders ist als alle anderen Rennen, an denen ich bis dato teilgenommen habe. Das fängt schon mal damit an, dass der größte Teil der Strecke eigentlich nicht wirklich auf Wegen verläuft. Und sobald es bergauf oder bergab geht, wird es einfach nur radikal steil. Zudem sind überall Dornen, die die freiliegende Haut an Armen und Beinen unmittelbar zerschneiden. Und es ist kein Kurs markiert, man muss also nach Karte und Kompass navigieren. Egal wie penibel man rangeht, man wird sich verlaufen, wird einen Fehler machen und wertvolle Zeit verlieren. Der Stress hat noch jeden irgendwann ge-

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