Trail Magazin #1/2023

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DAS LAUFMAGAZIN NR.1 FÜR TRAILRUNNER

JODOK DIETRICH / WANDERER ÜBERHOLEN / UNSERE FAVORITEN 2023

TRAIL MAGAZIN

01 2023 Januar Februar

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Ein Trailtrip vom Piemont zum Gardasee ins Vinschgau

KREISLAUFWIRTSCHAFT SO WIRD TRAILRUNNING ZUM VORREITER

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14 wärmende Teile für den Laufwinter

TIPP

So findest heraus, welche Renndistanz zu dir passt!

WINTERTRAINING

KURZ & SCHNELL ODER LANGE LANGSAM?

TYPEN

Rosanna Buchauer läuft ganz vorne mit

RACE

Das Finale der Golden Trails auf Madeira

REKORD

Die Zugspitze von allen Seiten erobern

TRIP

So planst du 2023 ein echtes Trail-Abenteuer


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EDITORIAL Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wenn dieses Jahr zu Ende geht werden wir alle wissen, dass unser Sport eine ziemlich gute Sache ist. Mal wieder. Wir werden am Silvesterabend, kurz nach Zwölf, eine oder zwei Tränen verdrücken und an die glücklichen und schweren Momente der vergangenen Monate denken und dabei auch an unsere Abenteuer auf Trails blicken. Wir werden denken, dass diese Rumrennerei für uns so etwas wie eine Medizin ist, wie ein guter Kumpel, eine beste Freundin, die immer für uns da sind. Trailrunning ist in diesen Zeiten das gegenüber auf dem Gesprächssofa. Es hört nur zu. Es kritisiert nicht, es hilft wo es kann, es fördert und fordert und bleibt immer fair. Was anderes habt Ihr Euch schon Gedanken gemacht, wie es 2023 mit Euch in den Trailschuhen weitergehen wird? Nö? Dann haben wir in diesem Heft ein paar Tipps. Zum Beispiel, ob jetzt eher Tempo oder Umfang angesagt ist, oder welche Abenteuer ihr angehen könntet, wenn Urlaubstage übrig sind. Wir verraten Euch natürlich auch, wer aktuell und vor allem in Zukunft mit einer Startnummer bei den wichtigen und großen Wettkämpfen ganz vorne läuft und wie Ihr Eure persönliche Lieblingsdistanz findet. Ultra oder Sprint? Für uns bleibt 2023 ein Ultratrail. Euch erwarten bis Dezember 2023 weitere sechs Ausgaben TRAIL und unser Versprechen, immer für Euch da zu sein, wenn es um … Trailrunning geht. Alles andere können andere auch besser. TRAIL-Herausgeber Denis Wischniewski ist jetzt mit seinem Kollegen Clemens Niedenthal sogar ins Business der LAUFSPORT-PODCASTS eingestiegen. Die beiden sprechen im 14 Tage Rhythmus dann aber doch weit mehr über die Menschen auf Trails, als über das, was sie tragen oder trainieren sollten. WISCHNIEWSKI & NIEDENTHAL auf Spotify und YouTube.

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4 Menschen dieser Ausgabe

Rosanna Buchauer

Es ist längst überfällig. Ein Porträt über die aktuell beste deutsche Trailrunnerin. Wir trafen Rosanna am Ende eines langen und erfolgreichen Jahres. Seite 44

Jodok Dietrich

Der Voralberger war 2017 in Saint Malo losgewandert, um in Santiago de Compostela als Trailrunner anzukommen. Eine auch kulinarische Begegnung im Bregenzerwald. Seite 58

Marina Kolassa

wird bald Mutter. Und verliert wahrscheinlich genau deshalb viel Geld. Startgeld für Events. Ein Missstandsbericht! Seite 18

Thomas Roach

Der 42-jährige Botanik Professor überraschte die internationale Konkurrenz beim Golden Trail Finale. Wir berichten ausführlich vom Etappenrennen auf Madeira. Seite 34


INHALT

STANDARDS EDITORIAL 3 INHALT 4 NEWS 12 MYVIRTUALTRAIL.DE 56 PRAXISTEST 92 IMPRESSUM 95 MORALFRAGE 98

15 Jahre Trail 2008 - 2023

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TYPEN

Jodok Dietrich liebt die Küche und die Trails im Bregenzer Wald. Ein Treffen mit einem Kreativen der vielfältigen Passionen.

6 CIRQUE SERIES

Eine US-amerikanische Berglauf-Serie streckt seine Fühler nach Europa aus und zeigt in Engelberg seine Lässigkeit.

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EVENT

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PORTRÄT

Beim Finale der Golden Trail Worldseries auf Madeira wird Trailrunning auf die Spitze des Tempos getrieben.

Produkte, Denis Kolumne, 8 Tipps, Darf man Wanderer überholen? Zugspitz Ultratrail, Transalpine Run, Julian Alps Trail, ...

20 TRAINING

Rosanna Buchauer aus Ruhpolding ist Deutschlands erfolgreichste Ultratrail-Läuferin. Ein Hausbesuch.

Training im Winter: Tempo und Speed oder doch Umfang und alternative Sportarten?

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HINTERGRUND

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WINTERMODE

Trailrunning hat das Potential, voranzuschreiten, wenn es um Nachhaltigkeit und Wahrung der Moral geht. Ein Report zwischen Second Hand und dem Repair-Cafe.

11 richtig tolle Bekleidungsteile haben den Weg in unsere Wintermode gefunden. Clever & warm.

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ZUGSPITZE

Mit Freunden und Support die Zugspitze von allen Seiten erobern. Das war das ambitionierte Projekt von Miriam Meinheit.

ITALIEN

Ein später Urlaub im Oktober führt den Autor durch Norditalien - laufen im Piemont, Vinschgau und Gardasee.

Die richtige Distanz! Porträt: Andi Rieder Report Trail-WM Thailand Abenteuer finde! Porträt: NNormal

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FOTOREPORT Kurz & Knackig

KURZ IST RELATIV

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Fotos: Philippe Girard

Trailrunning als Wettkampfsport sucht sich immer neue Wege. Sehr erfolgreich über lange Distanzen und Ultratrails, aber seit einigen Jahren auch wieder auf kurzen und mittleren Strecken - bei der CIRQUE Series in Engelberg erlebten wir eindrucksvoll, wie nahe Spaß und Maximalpuls beieinander liegen.


FOTOREPORT Kurz & Knackig Text: DENIS WISCHNIEWSKI

CIRQUE oder die Faszination einer relativ kurzen Strecke. Eigentlich hat es mir der Ultra Trail angetan. So eine lange Strecke, über 80 oder gar 100 Kilometer im Gelände, ist etwas was zu mir passt. Ich habe keinen Stress am Start und schon garnicht beim Laufen, denn ich bin meist so sehr lange unterwegs, dass es nicht ins Gewicht fällt, wenn ich an einer VP trödele oder die Anstiege wandere anstatt mit hochrotem Kopf hoch zu pushen. Vor dieser Langdistanz-Passion bin ich hin und wieder einen Berglauf gelaufen. Das war ein gutes Training, aber es hat mir damals keinen sonderlich großen Spaß gemacht. Man lief unter dem höchsten aller Pulswerte 6 oder 7 Kilometer nach oben. Dann Ziel. Etwas Blutgeschmack im Mund und die Gewissheit, dass es Leute gibt die genau das offenbar gerne tun, manisch-spezifisch trainieren und nahezu doppelt so schnell sind und auch einige Kilo leichter. Ernüchterung. Zudem kam ich mir mit meinen 81 Kilo Körpergewicht fett vor, wie eine schwer bewegliche Masse, die nach oben möchte und wie ein Batzen Kuchenteig nach unten gezogen wird. Dass mich 15 Kilometer noch einmal so sehr „mitnehmen“ hätte ich wahrlich nicht für möglich gehalten. Nach dem Transalpine Run, ein 8-Etappen-Lauf. Hatte ich aber auch wirklich die Schnauze voll von tagesfüllenden Läufen und nach 3 Wochen völliger Pause erschienen mir 15 Kilometer als Renndistanz ein hohes an Gefühl. CIRQUE. Nie gehört. Ich recherchiere zunächst einmal was da als eine Art Premiere in Engelberg, einem berühmten Skigebiet in der Schweiz, passieren soll. CIRQUE ist eine Wettkampfserie, die sich in Nordamerika bereits etabliert hat und nun ihren Weg über den großen Teich findet. Beim ersten und bislang noch einzigen CIRQUE Rennen bin ich also dabei. Wirkt alles professionell, wirkt alles lässig und jung. Das mag auch daran liegen, dass die History dieser Events in einer anderen Sportart verankert ist - Freeride Skifahren. Rennchef Julian Carr war nie ein Profiläufer, aber ein heute legendärer Profi auf Skiern. Und das was Carr im Laufe seiner Wintersport-Karriere erlebte nahm er mit in diese Rennserie, die sich in drei Kategorien teilt. Man muss sich also selbst einordnen und bei der Anmeldung für Beginner, Expert oder Profi einschreiben. Ich tu mir da schwer und lande in der Mitte. Am Ende stellt sich heraus, dass das ganz gut zu mir passt. Vielleicht etabliert sich CIRQUE auch in Europa, weil die Lässigkeit der US-Amerikaner historisch gesehen immer irgendwann auf uns abfärbte. Wir könnten so eine Laufserie jedenfalls gut gebrauchen - im Prinzip ist das alles ein großer Communityrun mit Startnummer und Zeitnahme.

Events wie CIRQUE könnte einer neuen Generation an Trailrunnern den Wettkampfsport nahe bringen

Mein Rennen Es regnet. Aber nicht so heftig wie es vorhergesagt wurde. Und es ist warm, weil der Oktober noch jung ist. Die Stim-

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FOTOREPORT Kurz & Knackig

mung ist gut, die Menschen um mich herum erstaunlich jung für eine Laufveranstaltung, die im Prinzip nicht mehr ist als einmal nach oben und wieder hinab zu rennen. Für junge Menschen aus der Stadt eine eigentlich ziemlich belanglose Geschichte und doch sind sie da. Alles wirkt etwas entspannter als ich das sonst so kenne. Es ändert aber nichts daran, dass irgendwann von 10 auf 0 gezählt wird, der Startschuss fällt und die Meute losrennt als gäbe es kein Morgen. Die ersten flachen Meter in einem flotten Schnitt, dann geht es sanft in den Anstieg hinein, meine Atmung überschlägt sich. Puls zu hoch. Tempo raus. Gehen. Lange Schritte. Die 3 Wochen Laufpause haben mich zwar erholen lassen, aber der Punch fehlt. Ich stehe sozusagen. Trotz des Nebels ist zu erahnen wie schön die Bergwelt um Engelberg ist. An der Bergstation ist eine VP, die ich auslasse. Es geht bergab, aber ich komme nicht auf Tempo. Und dann - das Gipfelkreuz. Jede:r schlägt einmal ab, wird notiert und bejubelt, Highfive mit dem Rennchef und dann über Almwiesen bergab. Mein Down-

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hill wird bedeutend besser, rettet aber mein Schneckenauftritt im Anstieg nicht. Was ich jedoch merke, mit jedem Schritt - ich habe Spaß heute. Die allgemeine Stimmung überträgt sich. Im Ziel freue ich mich über ein IPA Bier, einen verdammt guten Black Bean Burger und über Leute, die offenbar den selben Spaß an diesem kurzen Skyrun hatten. Mein Fazit: gut, dass uns unser Sport einmal neu erklärt wird, dass er von Leuten neu gedacht wird, die aus einer anderen Ecke kommen, aus einer anderen Ecke der Welt, aus einer anderen Ecke der Sportwelt. Es tut gut. 2023 Für das kommende Jahr verrät die Homepage der Veranstaltung wieder 6 Rennen in den USA und zum Ende des Sommers zwei weitere Stationen in Europa. Mit dabei wieder Engelberg in der Schweiz. www.cirqueseries.com


Fotos: Alexis Berg

Trotz Dauerregen ist die Stimmung hier weit oben und bei der Siegerehrung sind ALLE da. Der Communitygedanke ist groß!

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NEWS&JOURNAL G LOS S E

DIE FLOW-BRECHER wissen wohin sie ausweichen sollen. Nach einigen Antäuschmanövern nach rechts oder links, entscheiden sie sich im letzten Moment genau für die Seite an der ich vorbei laufen möchte. Eine Kollision kann nur durch abruptes Abbremsen verhindert werden. Dabei wäre es doch so einfach: Trailrunner ruft, Wanderer dreht sich um, ist vorbereitet und bleibt einfach stehen, wo er sich gerade befindet, sodass man vorbeilaufen kann. Aber das wäre wohl wirklich zu simpel. Stattdessen wird selbst auf breiteren Wegen nervös nach einer Stelle zum Ausweichen gesucht, als wenn man einen tonnenschweren SUV statt eines 60 Kilo schweren SpargelAthleten durchlassen müsste. Ich habe daher festgestellt, dass es für mich am einfachsten ist, wenn sie mich nicht bemerken und einfach weiterlaufen. Das ist berechenbar und ich kann am

Foto: Andi Frank

Der Weg ist eigentlich breit und ausladend. Ich laufe an zwei älteren Damen vorbei. So weit Abstand haltend, wie es nur geht. Mindestens einen Meter. Beide zucken zusammen. Eine der beiden schreit sogar kurz auf. Es ist bei weitem nicht das erste mal, dass ich Wanderern einen gehörigen Schreck einjage, nur weil ich an ihnen vorbei laufe. Die Trails werden voller. Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber seit Corona scheint mir das Wandern und das „in die Berge gehen“ ein Volkssport geworden zu sein. Immer öfter muss ich mich an Outdoor Enthusiasten vorbei drücken. Trotz knapp zehnjähriger Trailrunning Erfahrung habe ich noch immer nicht den richtigen Weg gefunden, langsamere Weg-Genossen zu passieren. Rufe ich „Vorsicht“ oder „Achtung“, sehen sie mich zwar kommen, aber sind so verwirrt, dass sie nicht

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Rand des Weges oder Off-Trail vorbei huschen. Ich ging also dazu über, mich nicht mehr anzukündigen. Klappt gut, hat nur den großen Nachteil des schon erwähnten Schocks, den ich jedes mal auslöse. Die Goldlösung scheint dies also auch nicht zu sein, schließlich will ich nicht irgendwann für einen Herzinfarkt verantwortlich gemacht werden. Ja ich weiß, ich könnte auch einfach abbremsen und langsam vorbei gehen. Aber das würde meinen Flow doch ziemlich arg durchbrechen. Beziehungsweise wäre an manchen sonnigen Samstagen sogar eine unerträgliches Stop and Go, welches mit Laufen nichts mehr zu tun hätte. Ich habe daher bei meinem letzten Lauf etwas Neues ausprobiert. Einer Wanderin die mich kommen sah und ob meines forschen Downhill Schrittes schon sichtlich gestresst war, rief ich zu: „Da geh ich vorbei“ und deutete auf die rechte Wegesseite. Hat gut geklappt. Ermuntert durch meinen Erfolg, verfolgte ich diese Strategie weiter. „Vorsicht Trailrunner! Geht rechts vorbei!“, rief ich einer ins Gespräch versunkenen Gruppe zu, die den Weg komplett versperrte. Nur um kurz darauf genau an jenem rechten Wegesrand fast die komplette zur Seite gesprungene Wandergruppe vor meiner Nase wiederzufinden. Meine Suche nach dem Goldstandard des laufenden Personen-Passierens wird wohl weiter gehen. Vor kurzem war zwei Wochen Dauerregen angesagt und die Trails leerer als eine russische Gaspipeline. Was eine Wohltat.

Fotos: Thomas Bekker

Genau im falschen Moment machen sie den falschen Schritt in die falsche Richtung. Oder sie erschrecken sich zu Tode. Wandernde Zeitgenossen richtig zu überholen, ist nicht einfach.


TICKER +++ Miguel Angel Heras und Phurwa Lhamu Sherpa gewinnen das sechs Etappen lange Everest Trail Race

BIN ICH EIN TRAILRUNNER? Trailrunning is a State of Mind, klar. Aber irgendwie steckt ja auch das Wort Rennen drin. Ist es okay, sich auch im Bummelschritt und an „Wandertagen" als Trailrunner:in zu bezeichnen? PRO / Denis Wischniewski Wer unbedingt ein Astronaut sein möchte, kommt nicht umher, sich in eine Weltraumrakete zu setzen. Das ist ja das Schöne am Trailrunning, dass es so wenige Hürden gibt, um es zu tun. Keine NASA und im Prinzip ja auch keine ITRA oder der Leichtathletikverband. Einfach Schuhe an und los und wer sich noch mehr als Trailrunner:in fühlen will, kann sich natürlich auch gerne in den saisonal angesagten Ausrüstungen auf Trails zeigen. In welchem Tempo? Das ist doch nun wirklich egal. Das hat übrigens auch niemand anderen zu interessieren. Wer auf einem Trail, im Wald, am Berg in einer Fortbewegung steckt, soll sich auch im Wanderschritt ruhig und selbstbewusst Trailrunner*in nennen dürfen. Anderen Leuten zu sagen, was sie sind oder was nicht, ist so was von gestern und soll sich seinen Platz meinetwegen in olympischen Sportarten, der Geschäftswelt und in der Politik suchen. Im übrigen: Jede/r von uns hat mal begonnen und so ein Start macht weit mehr Spaß, wenn man sich nicht mit unwichtigen Begrifflichkeiten herumschlagen muss. Insofern – lasst uns alle Trailrunner sein und das Tempo vergessen.

CONTRA / Clemens Niedenthal Früher als Kind auf dem Bolzplatz fand ich das schon arg peinlich; Das ausgerechnet der Christian im vollumfänglichen Bayern-München-Dress und den Fußballschuhen aus Känguruh-Leder am häufigsten neben den Ball trat. Heute auf den Wanderwegen denke ich hingegen: Hey, lasst dem Paar im vollumfänglichen Trailrunning-Dress doch die Freude ... zu wandern. Und das meinetwegen auch Trailrunning zu nennen. Was ich mich hingegen frage: Hätten die beiden nicht mehr Spaß, wenn sie einfach nur wandern würden? Also nicht dem Tempo nach, sogesehen wandern sie ja zweifelsohne, sondern auch in in ihrer Selbstwahrnehmung. Die Übergänge sind doch ohnehin fließend. Auch meine Zeiten auf einer beliebigen Runde – Tal, Berg und wieder zurück ins Tal – sind gut und gerne knapp doppelt so lang, wie jene der tasächlichen Athlet:innen. Und im Uphill ist der stramme Schritt ja ohnehin für die meisten von uns das Mittel der Wahl. Was ich nur nicht möchte: Dass Trailrunning zu einer Attitüde wird, die man sich im Internet bestellt. Laufen bleibt eine Bewegungsform. Und eine Haltung bleibt es auch.

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NEWS&JOURNAL P RO D U KT E

KÖNNEN WIR UNS SCHENKEN Es muss nicht immer ein neues iPhone sein, eine Krawatte oder ein Paar Socken (Socken aber manchmal gerade doch!). Weihnachtsgeschenke mit Sinn, Sinnlichkeit und Verstand Zweite Wahl

Secondhand is cool again. Nachhaltig sowieso. Selbst die ganz Großen wie Globetrotter und Bergzeit handeln neuerdings mit gebrauchten Teilen. So stylische Stücke wie dieser Anorak von Schöffel sind allerdings rar

Grünes Gewissen

Gemüsefest

Stephan Hentschel hat einen vegetarischen Stern erkocht. Das gab es in Deutschland zuvor nicht. Ein Menü aus seinem Berliner Restaurant Cookies Cream wird landesweit verschickt. Für Weihnachten, für Silvester, für 79 Euro. www.cookies.show

Armed Angels gehören zu den deutschen Herstellern, die nachhaltige Mode wirklich ernst meinen. Seit diesem Jahr gibt es auch Jacken. Parka 289 Euro, armedangels. com

Von den Socken

Cool, nachaltig in Japan gestrickt und so gemütlich, Socken von Rototo, ab 25 Euro, etwa über www.deru-store.com

Geriegelte Torte

Oskar ist der weltbeste Haferriegel. Aus Hamburg, handwerklich gebacken, in diesem Winter auch als Linzer Torte, ab 2,50 Euro. www.oskaroatbar.com

Selbstgemacht: Grünkohlchips

Im Profil

Wir sollten weniger reisen. „Alpen – die Kunst der Panoramakarte“ hilft gegen die Phantomschmerzen. In diesem Buch wird man sich verlieren. Prestel, 192 Seiten, 40 Euro

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Ein Grünkohl (ca. 300 Gramm), ein halbe Zitrone, 2 EL natives Olivenöl, 1-2 EL Sesamkörner, Fleur de Sel) Backofen auf 180 Grad (Umluft) vorheizen, Grünkohl waschen, Blätter vom Strunk zupfen und mit Öl, Zitronensaft, Sesamkörnern und Fleur de Sel marinieren. In den Ofen geben, spätestens nach 5 Minuten wenden. Die Chips sind fertig, wenn sich erste dunkle Stellen bilden.


TICKER +++ Der Kitzbühel Alpine Trail, einziger 100Meiler Österreichs, ist künftig Teil der UTMB-World-Series

8 TIPPS,

NEWS

wie dein Trailrunning besser wird und sich perfekt in dein Leben einfügt.

1. Denke positiv - laufe ohne Balast Damit meinen wir nicht Deinen vollgepackten Laufrucksack, sondern die schlechten Gedanken, die beim Laufen über Bord fallen. Run free! 2. Akzeptiere Grenzen - nicht alles ist machbar Lass Dich von Wundertaten auf Instagram nicht aus Deinem Konzept bringen. Du läufts nach Deinen Regeln und kannst Deine Grenzen akzeptieren. 3. Sei selbstbewusst Sich selbst richtig einschätzen, nie unnötiges Risiko eingehen und dabei trotzdem selbstbewusst sein. So versetzt Du Grenzen, ohne dabei ins Straucheln zu kommen. 4. Löse Deine Verkopftheit denke weniger nach Zweifel und Ängste blockieren jeden Flow. Kopf einfach mal aus und Bremse lösen.

ZUT

Deutschlands größte Trailrunning-Veranstaltung feierte 2022, nach einer Coronapause, ein atemberaubendes Comeback mit neuem Zielbereich im Zentrum von Garmisch. Bei perfektem Sommerwetter strahlte der ZUT mit vielen tausenden Teilnehmer*innen und gab damit auch ein Versprechen ab hier wird auch in Zukunft von Basetrail bis Ultratrail groß gedacht und großer Sport geboten. Wer einmal alpines Trailrunning im Wettkampfmodus unter perfekter Organisation erleben möchte, findet beim SALOMON ZUGSPITZ ULTRATRAIL garantiert sein ultimatives Abenteuer. 2023 findet der ZUT vom 16. bis 18. Juni statt. Neu ist dabei, dass die Rennen entzerrt an 2 Tagen stattfinden und alle Strecken, bis auf den Ultratrail, neue Namen tragen - sinnigerweise nach den Namen ihrer jeweiligen Startorte. www.zugspitz-ultratrail.de Anmeldung seit dem 15.11.2022 offen!

5. Lasse Ehrlichkeit zu Im Sport wie im Leben: Lügen haben kurze Beine. Mach Dir nichts vor und sei zu Dir selbst ehrlich. Das bedeutet auch z.B. eine Verletzung annehmen. 6. Lass Dich auf Gruppen ein / Teamgedanken stärken Trailrunning ist Einzelsport und doch hilft eine Gruppe oder Crew, wenn es mal zäh wird. Nur Mut zum Lauftreff mit anderen! 7. Verantwortung ja / Sorgen machen nein Kümmer Dich um andere, fördere Jüngere im Sport und übernehme Verwantwortung. Fühlt sich gut an. 8. Kümmere dich um dich selbst Es geht um Dich! Laufen ist Deine Insel, Dein privater Raum. Lass Dir das nie nehmen. Es geht dabei immer auch ums Kümmern Deines eigenen Wohlbefindens.

Unser neuer PODCAST! Dass der neue Podcast von den Trail Magazin Redakteuren WISCHNIEWSKI & NIEDENTHAL kein explizites Trail-Magazin-Gespräch ist, und dennoch in der Hauptsache die Themen Laufsport und Trailrunning zum Thema hat, muss unbedingt gesagt sein. Euch erwartet also keine Unterhaltung zu den neuesten Trailschuhen und Rennen, aber vielmehr ein Talk zu allem, was den beiden um den Sport und seine Menschen einfällt. WISCHNIEWSKI & NIEDENTHAL auf Spotify und Co.

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TAR Spätestens wenn der spektakulärste Etappenlauf der Welt am 9. September 2023 startet ist klar, dass da was vollkommen Neues passiert! Der DYNAFIT TRANSALPINE RUN bricht endlich mit seinen, seit der ersten Austragung 2005, selbst erstellten Regeln, dass ausschließlich 2er-Teams laufen dürfen. Die neue SOLO-Kategorie wird dem Wettkampf eine neue Dynamik geben und es vielen Leuten bedeutend erleichtern, hier einmal mitzulaufen. Das Wichtigste zum TAR, der diesmal in Lech startet und in Prad endet: 200 2er Teams, 200 Sololäufer, 150 Run2 Teams, 7 Tage ohne Bergsprint. Anmeldung seit dem 6.12.2022 offen!


NEWS&JOURNAL

DENIS’ KOLUMNE

In den letzten 15 Jahren bin ich nicht mehr als normaler Mensch auf Reisen gegangen. Urlaub war nie einfach nur Urlaub, sondern irgendwie auch immer Laufen und Entdecken. Meiner Frau versprach ich sehr oft, dass dies ein Urlaub würde, der eben ein Urlaub ist, und am Ende lief ich doch. Ich rannte an Orten, an denen niemand rannte und traf dabei auf Menschen, die offensichtlich irritiert waren, dass da jemand rannte und nicht nur ging oder spazierte. Beispielsweise vor einigen Jahren auf Bali in Indonesien. Wenn ich hier über vergangene Fernreisen schreibe, weiß ich natürlich nur zu gut, dass das damals mindestens dieselbe Umweltbelastungs-Zumutung war, wie sie es heute ist. Das nur am Rande. Wir waren also auf Bali und ich joggte. Niemand tut das dort außer Touristen und um ehrlich zu sein - eigentlich tun das auch keine Touristen, denn es ist zu heiß, zu feucht und es hat Schlangen, die sehr giftig sind. Als ich dort so an der Straße und durch die Reisfelder lief, nahm ich Menschen, Land und die Natur in einer ganz eigenen Geschwindigkeit auf. Ich glaube, ich hatte einen anderen Eindruck von Bali, als die meisten anderen Urlauber, die entweder vom Taxi aus oder in Sandalen schlürfend versuchten, die Umgebung zu entdecken. Doch zwischen Taxi und Bummelschritt gibt es diese durchaus spannenden 8-12 km/h in Trailschuhen, die es möglich machen, flott voranzukommen und dennoch schier alles wahrzunehmen, was man durchläuft. Nie hatten wir all zu sehr den Urlaubsort danach ausgesucht, ob es dort besonders tolle Trails gibt und immer, fast immer, gab es doch welche und wenn nicht, dann rannte ich durch eine Altstadt, an der Küste oder in einem Wald

hinter dem Campingplatz. Immer war das Laufen gut, weil es immer besser war, als es garnicht zu tun. Mit zunehmenden Urlauben (mit zunehmendem Lebensalter) wusste ich sehr genau, wo man gut laufen kann. Wenn ich meiner Frau also sagte, dass Sardinien mal wieder ein tolles Ziel wäre, dann hatte ich in meiner Vorstellung ganz sicher das Mittelmeer dort im Blick, aber eben auch die Berge, die schmalen Wanderwege, den Punta La Marmora und das Supramonte. Wo wir beim Reisen und beim Urlaub sind. Selbst dort werde ich die Seuche nicht los. Im Gegenteil. Es ist ein Drang all denen zu Hause unmissverständlich zu zeigen, dass ich der coole Horst bin, der nicht zu Hause ist, sondern an einem anderen, viel schöneren Ort. Also poste ich. Und freue mich, wenn möglichst viele es Liken und bin im Umkehrschluss traurig, wenn es wenige tun und der Algorithmus nicht so tut wie ich das gerne hätte. Instagram ist ein Pimmel. Ein Drecksack, eine Hure und so weiter. Ich will es nicht weiter in der Art beschreiben müssen. Entschuldigt. Instagram und diese ganzen anderen vom Social Club zerstören mir mein Hobby, mein Laufen. Sie nehmen mir meine Ruhe, pissen auf meine letzte Insel, meine einzige Oase des Glücks. Idioten, Esel, die das erfunden haben. Facebook ist tot. Das hab ich also hinter mir. Instagram wird quasi zu Grabe getragen. Hab ich also fast hinter mir. Tik Tok wird mir künftig also im Weg stehen oder all meine Naturbewegungen und Trail-Begegnungen in die Community hinaustragen. Auch dann werde ich fröhlich oder betrübt auf die Likes schauen und das wird in mir bestimmte Hormone und Bereiche im Gehirn stimulieren, mich in ein unkontrollierbares Auf und Ab zwischen schierer Depression und Glücksgefühl treiben. "Lass es halt, du Depp!“ sagst du Leser:in jetzt natürlich zu Recht. Wie man zum Raucher sagt, dann zünd halt ab heute keine mehr an. Zeit für etwas Ehrlichkeit - ich bewundere heute mehr all jene Trailrunner, die sich komplett den sozialen Medien entziehen, also so komplett wie es nur

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geht. Es gibt aktuell, neben ein paar Profis (Kilian, Courtney, …), keine Menschen im Laufsport und Trailrunning, die ich ernsthaft für ihre Web-Präsenz bewundere. Ich bin weit mehr verwundert mit welcher Stumpfheit Influencer täglich ihr Leben „verposten“, um in Zirbenholz-ummantelte 4-Sterne-Plus Hotels eingeladen zu werden, um sich dort wiederum in billigen Repliken des Möbeldesigns zu fotografieren. Freunde, ich werde demnächst 50 Jahre alt. Ich werde in den kommenden Jahren bis in den verdienten Ruhestand alle weiteren Entwicklungen des Social Media mitgehen. Ich muss. Würde ich das nicht tun, würde ich mich sehr alt fühlen und zu weit weg von jungen Menschen sein. Biedere ich mich an? Ja, mag sein. Ich bin lost in Instagram. Es gibt für mich vermutlich nur noch zwei Lösungsoptionen, um aus der Lage zu entkommen. Entweder ich melde mich, ohne Rücksicht auf Verluste, davon ab, oder ich stürze mich vollumfänglich hinein, poste all meine Trailschuhe, alle Gipfelläufe, die Zubereitung des Porridge, den Brühvorgang der Vibiemme. Es nützt nichts Instagram als Pimmelsau zu beschimpfen und es dann zu nutzen. Stimmt. Aber, es benutzt auch mich. Es hilft mir und schadet mir. Ein bisschen wie zu einer Hure zu gehen - mag für den jeweiligen Moment ganz nett sein, aber langfristig …mmhm, eher schwierig. Auf Reisen, das hatten wir bereits, poste ich gerne. Wie ich auf einem schmalen Trail ganz nah an der Küste laufe, die Sonne dabei am untergehen ist und das Licht total magisch alles beleuchtet. Ich baue das Smartphone am Mini-Stativ auf und renne mehrmals wie ein Idiot unter Hilfe der Selbstauslösungsfunktion hin und her - bis das Bild so ist, wie ich glaube, dass es gut gefällt. Ich hätte weiterlaufen sollen. Ich hätte bei jedem einzelnen Trailrun im Urlaub weiterlaufen müssen, nicht stehen, nicht anhalten für Instagram-Fotos, denn Instagram ist und bleibt ein Pimmel. Die Chancen, dass sich der Trailrunner Denis Wischniewski bei Instagram, Facebook und Tik Tok abmeldet, stehen bei 50%.


TICKER +++ Lavaredo, in Kurfassung: 2023 wird der Dolomiten-Klassiker um einen 10K-Nachtlauf ergänzt

DOCH DANN DER DOWNHILL

Unsere Trail/Salomon Rookie Teamläuferin Michelle Hassel war beim Julian Alps Trail. Ihre exponentiell wachsende Begeisterung für den Trailrunning Sport konnte auch diese Grenzerfahrung bei widrigsten Bedingungen nicht stoppen. ROO K I E - T EA M

Seit diesem Jahr ist der Julian Alps Trail ein Teil der UTMB World Series und lockte 2000 Trailläufer aus 52 Ländern in die Region um Kranjska Gora. Sloweniens größtes Trailrunningevent führt die Läufer auf Streckenlängen zwischen dem 100 Meilen Ultra Sky Trail und dem 10k Funny Trail von verschiedenen Startpunkten aus über felsige Ridges und grüne Berge. Auf dem Weg kann man beeindruckende Aussichten auf die umliegenden Bergketten mit dem Triglav und ins Tal genießen. Theoretisch! Wenn die Wettervorhersage für die Eventtage Rekordregenfälle von 30l/ m² ankündigt, eher weniger. Aus diesem Grund wurden die 100 Meilen aus Sicherheitsgründen verständlicherweise abgesagt und auf den kürzeren Strecken auf Alternativrouten umgestiegen. So waren die diesjährigen Bedingungen zwar nicht optimal für ein schnelles Rennen, jedoch optimal für eine Herausforderung und ein Trailabenteuer der etwas anderen Art. Pünktlich um 7.45 Uhr fuhr der Shuttlebus zum Start meiner 35 km Distanz. Die meisten hatten bereits die gesamte Pflichtausrüstung an, ich dachte jedoch, dass es eine gute Idee sei, in Shorts und einer Kombination aus Top, Armlingen und Regenjacke zu laufen. Ich startete im Mittelfeld, was bedeutete, dass überholen auf dem Singletrail fast unmöglich war. Nicht jeder kam mit den Bedingungen gut klar und Stöcke wären bestimmt in vielen Fällen hilfreich gewesen, um nicht auszurutschen. Alternativ, so hörte und sah ich, kann man mit ihnen wohl auch abgerutschte Läufer wieder hoch auf den Trail ziehen. Die kurze Freude über den nachlassenden Regen auf den letzten Metern des An-

Keine Ahnung, wie oft ich gestürzt bin, und ein Läufer hatte sogar seinen Schuh verloren stieges währte nicht lange, da sich dieser wegen der Höhe ab 1.600m in Schnee verwandelte. Durch den Wind fühlten sich die Schneeflocken wie Nadelstiche an und jeder versuchte so schnell wie möglich, das Plateau im Nebel zu überqueren. Meine matschigen Hände spürte ich schon länger nicht mehr, die Handschuhe in diesem Zustand aus der Weste zu nehmen, war aber auch keine Option. Halb lachend und halb weinend stolperte und rutschte ich deshalb mit den anderen über die verschneiten Trails. Auf dem Weg lag ein zitternder Mann, der wegen Unterkühlung schon von der Bergrettung versorgt wurde. Durch die suboptimale Kleidungswahl fror ich ebenfalls sehr und war koordinativ nicht mehr trittsicher. Diese verzweifelten Minuten waren definitiv mein persönlicher Tiefpunkt und ich dachte, dass es eigentlich kaum schlimmer werden könnte. Doch dann kam der Downhill… Durch den Regen hatten sich die Waldwege in eine Schlammpiste verwandelt. Ich hörte immer wieder Ausrufe wie “so etwas habe ich noch nie erlebt” oder “damit habe ich definitiv nicht gerechnet”. Der Weg war nicht mehr erkennbar, man konnte sich nur an den Rutschspuren der anderen orientieren und versuchte irgendwie mit verschiedenen Strategien verletzungsfrei den Berg runter zu kommen. Ich habe keine Ahnung wie oft ich gestürzt oder ausgerutscht bin. Anscheinend hat ein Läufer sogar seinen Schuh im Schlamm verloren. Ab der dritten VP ging es auf einem einfachen Downhill endlich in Richtung Ziel in Kranjska Gora. Auf den Zielfotos lassen die dreckige Kleidung und verschlammten Schuhe nur erahnen, wie anspruchsvoll die Route an diesem Tag war und was vor allem die 100k-Finisher in der langen Regennacht erlebten. In den Gesichtern konnte man jedem die Erleichterung ansehen, es sicher ins Ziel geschafft zu haben, aber auch den Stolz und die Freude über dieses surreale Trailabenteuer, welches ich so schnell nicht vergessen werde.

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NEWS&JOURNAL

SHE RACES (NOT)!

S C H WA N G E R S C H A F T

Das nebenstehende Bild kennen die meisten. Sophie Power lief als frische Mutter den UTMB. Auch, weil sie den Startplatz nicht verschieben durfte. Genau das Problem hat aktuell die deutsche Ultralauf-Ikone Marina Kollassa. Ein Missstands-Bericht. „Wenn du Kinder planst, dann meld dich doch nicht für Wettkämpfe an.“ Solche und ähnliche Antworten erhielt Marina Kollassa, als sie aufgrund ihrer Schwangerschaft begann, sich um ihre Wettkampfummeldungen zu kümmern. Wer Marina kennt, weiß, dass die überaus ambitionierte Ultraläuferin – Marina hält mit 51 Runden noch immer den deutschen Backyard Rekord – sich für die besonders langen und extremen Rennen begeistert: Events, für die man sich frühzeitig anmelden muss und die entsprechend viel Startgeld verlangen. Insgesamt hat Marina 3.000 Euro in Rennen investiert, welche sie aufgrund ihrer Schwangerschaft nun nicht antreten kann. Darunter der Tor des Geants, Spartathlon, UTMB und das Spine Race. Alle diese Rennen kontaktierte sie mit der Bitte um Startgeldersatz oder Verschiebung ihres Startplatzes um mindestens ein Jahr. Positive Rückmeldung erhielt sie in keinem der genannten Fälle. Stattdessen Antworten wie diese: Schwangerschaft allein ist kein Grund ein Rennen nicht antreten zu können. Wenn Marina ein ärztliches Attest nachwiese, welches ihr Komplikationen bestätigt, die sie vom Laufen abhalten würden, könne man weiterreden. Wohlgemerkt, wir reden hier über einen Lauf von mehr als 100 Meilen. Gesonderte Regularien für Schwangerschaften gibt es bei fast allen Events in Europa nicht. Selbst wenn man die von den Veranstaltern angebotenen Versicherungen mitbucht, sind Schwangerschaften nicht inbegriffen. „In Amerika ist das anders. Dort bekommt man den Startplatz einfach für die kommenden Jahre gutgeschrieben und darf starten, wenn man sich bereit dazu fühlt“, berichtet uns Marina. Eine weitere Ultraläuferin, die schon länger für Gleichberechtigung von Frauen an der Startlinie streitet, ist die Britin Sophie Power. Den meisten wahrscheinlich bekannt durch das berühmte Foto, auf dem sie ihr Baby auf einer der Aid Stations beim UTMB stillte. Im Sommer gründete sie die Plattform SheRACES, auf der sie sich dafür einsetzt das Geschlechterverhältnis an der Startlinie ausgeglichener zu gestalten. Die Frauenquote beim UTMB liegt beispielsweise bei erschreckend geringen 8%. Unter anderem stellt

sie auf dieser Plattform auch faire Regularien für Verschiebungen von Startplätzen aufgrund von Schwangerschaft für die Events zur Verfügung. Beim UTMB vor drei Jahren war dies trotz ihrer post-partum Situation nicht möglich. Die wenigsten Frauen wären trotzdem gestartet und hätten ihre Baby während des Rennens gestillt. Sophie tat es und kämpft nun dafür, dass dies nicht mehr nötig sein wird. Mit erstem Erfolg. Im August verkündete Sophie auf ihrer Social Media Plattform, dass der UTMB bestätigte „pregnancy deferrels“, also das Verschieben der Startplätze um bis zu zwei Jahre, zuzulassen. Eine gute Nachricht auch für Marina. Die Hürden aber sind weiterhin hoch, berichtet uns diese. Im Gegensatz zu vielen anderen Events wird Marina die Möglichkeit auf Verschiebung seitens des UTMBs immerhin in Aussicht gestellt. Endgültig bestätigen kann dies aber erst ein medizinischer Rat nach Einreichung ärztlicher Atteste und weiterer Unterlagen. Es bleibt also nervenaufreibend. Für Marina und auch für die Redaktion dieses Printproduktes stellen sich bei diesem Thema große Fragezeichen. Wenn es möglich ist, seinen Startplatz aufgrund von Verletzung zu verschieben, warum gilt das nicht für Schwangerschaften? Weil Schwangerschaft eine geplante Entscheidung ist? Sophie Power sieht das grundsätzlich anders: „Man kann eine Schwangerschaft nicht exakt timen. Der Zeitpunkt ist daher absolut keine freie Entscheidung. Weiterhin ist Schwangerschaft etwas, das ausschließlich Frauen betrifft und keine Frau sollte deshalb einen Nachteil erleiden müssen.“ Marina ergänzt: „Schwangerschaft sollte kein Risiko sein.“ Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

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TICKER +++ Früher Ultra: Am 23. Januar lädt die Winterausgabe des Hammertrails auf die Ostseeinsel Bornholm

LESERBRIEFE

LIEBE REDAKTION, ... Ihr habt unser Heft in der Hand, den Artikel X oder Y gelesen und wollt unbedingt einen Kommentar, eine Meinung oder Kritik loswerden. Unter der Mailadresse leserbriefe@trail-magazin.de sollt ihr das ab jetzt unbedingt tun. Wir veröffentlichen an dieser Stelle ab sofort die interessantesten Leser:innen-Meinungen

Der Tausendsassa Es gibt Athleten, die uns faszinieren. Nicht nur durch ihre pure Performance auf den Trails. Dylan Bowman aus Portland, Oregon, ist so ein Typ. Ein Urgestein des Ultratrails. Einer, der immer auch ein Faible hatte für das Laufen der Anderen. Auch deshalb will der 36-Jährige den eigenen Internetauftritt zu einem Trailrunning-Portal ausbauen. Zudem engagiert sich Bowman führ zwei smarte Marken: Speedland, die 2023 ihren zweiten, sehr anderen und reaktiv gedämpften Schuh präsentieren. Und die distinguierte japanische Outdoor-Brand Goldwin: „Ich bin jetzt in einer Phase meiner Karriere, in der ich das intensive Arbeiten mit einem Partner einfach spannender finde als reines Sponsoring.“

Lieber Andre, da wir alle soziale Wesen sind, sollten wir unsere Mitmenschen nicht mit der olfaktorischen Erinnerung an einen regennassen Tag auf den Trails penetrieren. Wechselshirts, -Shorts und zwei Paar Schuhe braucht es für ein Etappenrennen. Wir sind uns aber sicher: In der intensiven Vorbereitung auf so ein Event sammelt sich genug Equipment an, Es muss ja nicht immer das neueste, technologischste Teil sein. Ramon Manetsch mit einer kurzen aber prägnanten Forderung: Bitte mehr Berichte aus und über die Schweiz und Österreich! Lieber Ramon, in dieser Ausgabe porträtieren wir Andi Rieder aus dem Zillertal und besuchen Jodok Dietrich im Bregenzerwald. Du bist aus der Schweiz? Freue Dich auf sechs Seiten Bergell im nächsten Heft.

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Marion und Wolfgang Braun zu Denis´ Kolumne zum Thema Karriereende: Meine Frau Marion und ich haben vor 30 Jahren mit dem Joggen begonnen und dachten damals schon, ob es nicht zu spät sei. Dass es keine Altersbeschränkung beim Trailrunning gibt, wird bei Euch immer wieder gut hervorgehoben. Wir denken noch lange nicht ans Aufhören. Liebe Marion, lieber Wolfgang, das sehen wir genauso und denken ebenfalls nicht ans Aufhören. Nur für die Heftproduktion brauchen wir inzwischen eine Lesebrille. Irina Spira und der Alpenverein. Eine Enttäuschung: Beim Kitzbüheler Hornlauf verletzte ich mich und wurde mit dem Hubschrauber ins Tal gebracht, wo ich sofort operiert wurde. Alles Bestens! Die Rechnung für den Hubschraubereinsatz, 3.700 Euro, schickte ich an die Versicherungsabteilung des Östereichischen Alpenvereins. Die Antwort: Der ÖAV versichert „solche" Unfälle nicht! Ich werde mir eine zuverlässige Versicherung suchen und aus dem Alpenverein austreten! Liebe Irina, ohne die Statuten des ÖAV genau zu kennen, zeigt Deine Story: Wir sollten uns intensiver um die „„trockenen“ Themen rund ums Trailrunning kümmern. Unser Tipp: die Mitgliedschaft in einem Sportverein. Dann sind solche Rennunfälle zumeist versichert.

Foto: Akira Yamada

Foto: Ulrich Pfeuffer, Markus Fruehmann

Andre Riebe über unsere Berichte zum Transalpine Run, zum UTMB sowie eine grundsätzliche Frage: Ganz besonders haben mir die Artikel über den UTMB und den Transalpine Run gefallen. Eure Zeilen, Wörter, und Verbildlichungen dieser Events sind grandios. Danke! Was mich als Anfänger interessiert sind Dinge, die zwischen den Läufen passieren. Wie oft wechselt Ihr Eure Kleidung? Gar nicht? Wascht Ihr über Nacht? Habt Ihr Kleidung und Schuhe für mehrere Tage dabei?


TRAINING Speed oder Umfang im Winter?

UMFANG ODER TEMPO Text: LARS SCHWEIZER Fotos: IAN CORLESS / RED BULL CONTENTPOOL

Im Winter werden die Weltmeister:innen gemacht, so heißt es. Also fleißig sein, hart sein, wenn der eisige Wind pfeift, denn im Frühjahr, bei den ersten Wettkämpfen läuft die Uhr. Aber wie genau sollte das Lauftraining von Dezember bis April aussehen? Pause? Tempo? Umfang?

Nach dem Ende der Laufsaison stellt sich für viele Athlet:innen die Frage, wie es weiter geht. Erstmal eine Saisonpause machen oder sich, motiviert vom letzten Wettkampf, direkt in das nächste Trainingsprogramm stürzen? Inzwischen sollte zumindest der Konsens allgemein gültig sein, dass gar nichts machen die schlechteste Lösung ist. Doch wie kann man diese Phase im Winter am effektivsten Nutzen, um möglichst fit im Frühjahr wie-

der an der ersten Startlinie zu stehen? Doch schauen wir uns die Sache mit der kompletten Pause nochmals genauer an. Im ersten Moment möchte man vermutlich denken, warum denn nicht. Den Kopf einmal wieder komplett frei bekommen vom Training und den Muskeln, Sehnen und Bändern die totale Erholung geben und sich mit all den Dingen beschäftigen, welche man im vergangenen, zeitaufwendigen Trainingsplan vernachläs-

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sigt hat. Was vernünftig erscheint, ist genau das Gegenteil. Die ersten Verluste sind bereits nach den ersten Tagen erkennbar. In den ersten Tagen nimmt das Herzminutenvolumen (HMV) ab. Das Herzminutenvolumen beschreibt die Menge an Blut, welche das Herz pumpt. Das liegt vor allem daran, dass die Gesamtblutmenge durch weniger produziertes Blutplasma abgenommen hat. Nach 10 Tagen ohne sportliche Betätigung ist die Herzfrequenz um ca. 5% erhöht. Wird die Pause länger, so verringert sich auch die hart antrainierte VO2max um ca. 11 Prozent. Und das


schon innerhalb von vier Wochen Nichts tun. Dieser Verfall stabilisiert sich zwar nach ca. 20 Tagen, aber geht dennoch stetig weiter. Gleichzeitig zeigt sich meistens ein weiterer Formverlust durch eine Gewichtszunahme. Das Essverhalten ist auf die im Training zusätzlich verbrannten Kalorien konditioniert und muss bei einer Sportpause unbedingt angepasst werden, um nicht durch gesteigertes Gewicht noch zusätzlich Form zu verlieren. Die oben genannten Verluste beziehen sich aber auf einen harten Break. Also wirklich 0,0% Training. Schon das

Aufrechterhalten von ein paar Einheiten kann hier einen großen Unterschied machen. In Studien hat sich gezeigt, dass selbst nach 3 Wochen Umfangsreduzierung auf 60% der Vorpausenphase eine beinahe gleichbleibende Form erhalten bleibt. Dies kennt man auch aus einer längeren Taperingphase vor großen Wettkämpfen. Insgesamt sollte diese Umfangsreduzierung aber nicht länger als 4 Wochen sein. Wichtig nach einer Saisonpause oder auch nach einer langen Trailsaison mit langen Trainingsphasen im Intensitätsbereich unterhalb der Anaeroben

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TRAINING Speed oder Umfang im Winter?

Warum Tempo? Als Läufer kennt man es vor allem aus der Leichtathletik: Der Winter ist da, um die Grundlage zu schaffen, also werden hohe Umfänge, zunächst noch draußen, später dann drinnen auf der Rolle im Keller, gefahren. Viele Läufer verbringen den Winter über mit unzähligen langen Dauerläufen in niedriger Intensität. Unbestritten fördert dieses Training die Aerobe Kapazität des Körpers, also die Ausdauer bei niedriger Intensität. Durch das niedrige Intensitätsniveau wird das Wachstum der Mitochondrien in den Zellen gefördert, welche wiederum für die Verarbeitung des Sauerstoffs in den Zellen und somit auch in den Muskelzellen verantwortlich sind. Gerade aber bei Ultraläufern ist diese Trainingsintensität nach einem langen Sommer auf den Ultrastrecken und des dazugehörigen Trainings auch ausgereizt. Der Körper reagiert immer schleppender auf den Trainingsreiz, bzw. der Aufwand, einen gleichwertigen Trainingsreiz zu erzeugen steigt immer mehr an. Hier empfiehlt es sich, den Körper mit Tempointervallen wieder zu fördern und aus seiner Routine zu reißen. Auch hochintensive Intervalle haben einen Einfluss auf das Wachstum der Mitochondrien und die Steigerung der Ausdauer und dadurch einen positiven Effekt auf die maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit VO2max. Umso höher diese ist, umso mehr Sauerstoff kann das Herz in die Muskeln transportieren und umso besser ist auch die Ausdauerfähigkeit am Ende. Zusätzlich haben die Intervalle noch einen positiven Einfluss auf die Laufeffizienz. Gerade kurze, schnelle Intervalle aktivieren hier auch Muskelfasertypen, welche den Rest des Jahres vernachlässigt werden. Das Tempotraining sollte aber nach dem 80/20 Prinzip, also 80% Grundlage 20% hoch-intensiv dennoch mit Grundlagenausdauereinheiten kombiniert werden. Von diesen darf auch eine Einheit gerne länger sein, also mehr als 90 Minuten. In einer Trainingswoche kannst Du hierbei 2-3 Intervalleinheiten unterbringen, je nach Leistungsniveau. Die typischen Intervalle könnten 5x3min, 15x1min, 30x30 Sekunden oder auch 5x10 Sekunden Sprints in einem Dauerlauf sein. Die Intensität sollte hierbei aber immer über Deiner Anaeroben Schwelle liegen, bzw. sich wie eine 9-10 von 10 anfühlen. Um die Belastung nicht zu einseitig werden zu lassen, kannst Du die Intervalle abwechselnd flach oder an einer Steigung absolvieren. Für alle Intervalle gilt aber auch, langsam rantasten. Die Muskeln sind diese Reize nach der Saison nicht gewohnt und sollten, um Verletzungen zu vermeiden, langsam darauf vorbereitet werden.

Schwelle, ist ein vorsichtiger Start in kürzere schnellere Intervalleinheiten. Bei den ersten Einheiten sollte man aus oben genannten Gründen aber auch auf die Herzfrequenz achten, um die Intensität auch in den lockeren Dauerläufen nicht zu hoch werden zu lassen. Hat man sich durchgerungen wieder in die Saisonvorbereitung zu starten, vielleicht auch weil man sich schon zu den ersten Events wieder an-

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Foto: Kolesky

Warum Umfang?

gemeldet hat, stellt sich die Frage: Mit was überbrückt man den Winter? Hier gibt es vor allem zwei vorherrschende Herangehensweisen. Einmal über erhöhten Umfang und einmal über mehr Intensität. Beide Varianten haben vor allem ein primäres Ziel. Die Steigerung der VO2max. Doch welche Intensitätswahl macht für welchen Typ Sinn und wie kann ein Trainingsaufbau dann aussehen?

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Gerade für Läufer:innen die sich eher auf die kurzen und schnelleren Distanzen konzentrieren, ist die wettkampfreie Zeit auch eine gute Möglichkeit, an ihrer Grundlagenausdauer zu arbeiten. Lag der Fokus in der Saison auf Bergläufen oder kurzen Trailrennen, ist der Anteil an intensiven Einheiten während der Wettkampfphase im Unterschied zum Ultraläufer deutlich höher und somit der Gesamttrainingsumfang in der Regel niedriger. Deshalb kann hier auch über den gesteigerten Umfang im Grundlagenbereich ein guter Trainingsreiz gesetzt werden. Die ein oder andere längere Grundlageneinheit einzustreuen, macht also durchaus Sinn. Durch das Ausdauertraining wird der Stoffwechsel des Körpers trainiert, genauer gesagt der Fettstoffwechsel. Der Körper lernt effektiver und einfacher, die in großer Anzahl zur Verfügung stehenden Fettreserven zur Energiegewinnung zu nutzen. Dieser Vorteil an Energiebereitstellung kann entscheidend sein, wie viel Energie Du am Ende eines Rennens noch zur Verfügung hast, selbst auf den kürzeren Distanzen. Durch das Training im niedrigen Intensitätsbereich wird außerdem das Blutvolumen und das Hämoglobin vermehrt und somit auch die Sauerstofftransportkapazität Deines Körpers verbessert. Gleichzeitig vergrößern sich ebenfalls Deine Mitochondrien. Ein weiterer Vorteil der Umfangsteigerung im Wintertraining ist das Gewicht im Rahmen zu halten. In der trainingsintensiven Phase verbrennst Du in den intensiven Einheiten und Wettkämpfen viele Kalorien bzw. versuchst zusätzlich durch eine kohlenhydratperiodisierte Ernährung auch Dein Gewicht zu optimieren. In der Winterpause solltest Du dem Körper aber hier eine Pause verschaffen und ihm auch mal etwas gönnen. Um diesen Effekt auszugleichen, bzw. auch dem üblichen Weihnachtswachstum entgegenzuwirken, sind lange Ausdauereinheiten eine gute Möglichkeit, Kalorien zu verbrennen. Muskulär ist man vor allem im höheren Alter mit Grundlageneinheiten verletzungstechnisch auf der sicheren Seite. Kurze schnelle Intervalle erhöhen im fortgeschrittenen Alter die Verletzungsanfälligkeit, gerade in Wade und Oberschenkel. Auch bei Problemen mit der Achillessehne kann eine kurze intensive Einheit problematisch sein. Hier gilt es durch die Grundlagenausdauereinheiten die VO2max zu steigern und die Fitness für die Saison aufzubauen. Eine Verabredung zu einem lockeren Dauerlauf, auch mit Laufpartner:innen, welche eventuell langsamer unterwegs sind, als man selbst, kann eine entspannte Einheit im Winter sein. Hier zählt nicht unbedingt, die Runde in einer möglichst schnellen oder genauen Pace bzw. Mindestherzfrequenz zu laufen. Ruhige Ausdauereinheiten können also auch während der Saison vernachlässigte soziale Kontakte wiederbeleben.


Foto: Michael Müller

TRAINING Speed oder Umfang im Winter?

Darum ist Alternativsport im Winter eben doch ein gutes Ding Gerade jetzt außerhalb der Rennsaison sollte man auch das Thema Alternativsportarten nicht ganz außer Acht lassen. Wer jetzt um seine Jahreskilometerstatistik auf Strava fürchtet, sei gesagt, vielleicht aufgrund von Verletzungsprophylaxe bzw. Leistungsentwicklung in diesem Winter nicht so verbittert darauf zu schauen. Der Trainingsreiz auf den Körper, der jetzt im Winter gesetzt werden soll, kann unabhängig von der Sportart gesetzt werden. VO2max Intervalle beispielsweise lassen sich perfekt auch auf dem Rad bzw. Rollentrainer umsetzen. Ausdauereinheiten auch perfekt als lockere Skitour oder Langlaufeinheit. Über welche Sportart dem Körper dieser VO2max Reiz gesetzt wird, ist egal. Hauptsache die Herzfrequenz ist im richtigen Intensitätsbereich. Gerade für Ultraläufer:innen mit vielen Kilometer in den Beinen lohnt es sich, dem Laufapparat über den Winter auch mal eine Pause zu gönnen und der gewohnte Umfang kann auch mit einem abwechslungsreichen Mix aus Alternativsportarten und Laufen hochgehalten werden. Solltest Du mehr als eine Intervalleinheit pro Woche machen, dann wechsle doch auch hier nach Möglichkeit die Sportart ab. 5x3 Minuten lassen sich z.B. auch perfekt auf dem Rad absolvieren. Die einzige Thematik, die Du beim Wechsel auf Alternativsportarten nicht aus den Augen lassen solltest, ist die Laufeffizienz. Der Winter ist der perfekte Zeitpunkt hier an Schwachstellen zu arbeiten. Deshalb solltest Du zumindest eine Intervalleinheit in der Woche laufend absolvieren. Zu den Alternativsportarten kann im Winter auch 2-3x pro Woche ein intensiveres Krafttraining gehören. Sportarten wie Langlauf oder Skiroller decken das zwar auch teilweise ab, aber vor allem für die Stabilität kannst du als Läufer:in im Winter einiges tun. Eine verbesserte Stabilität reduziert die Verletzungsanfälligkeit während der Saison und im Wintertraining kollidiert das Krafttraining nicht mit Deiner wettkampfspezifischen Trainingsplanung.

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16-18 JUNI 2023 #ZUT #WESHAREYOURPASSION ZUGSPITZ ULTRATRAIL

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REISE Norditalien Text & Fotos: DENIS WISCHNIEWSKI

Späte Reise Wer den Hochsommer als Reise verpasst hat, muss nehmen was der Oktober übrig lässt und das ist sehr viel, wenn man in den Süden fährt. Unser Trip führte uns ins Piemont, an den Lago di Garda und ins Vinschgau. Oh Italia.

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Na also. Es geht doch. Italien. Wieder Italien. Den späten Sommerurlaub hatten wir oft an echte Fernreisen geknüpft, aber die Zeiten ändern sich und so ein Flugzeug mit E-Motor - na lassen wir das. Diesmal also nicht Bali, nicht Chile und auch nicht die Westküste der USA, die ich so gerne einmal bereisen würde. Zu meiner Frau sagte ich „Italien geht immer, Schatz!“. „Sag nicht Schatz. Schatz sagen alle!“. Aber ich musste sie nicht wirklich überzeugen, dieses Norditalien mit mir anzutreten, denn es war ihre Idee. Die schöne Idee, diese 14 Tage an drei verschiedenen Regionen des nördlichen Stiefels zu verbringen, zu laufen, zu wandern, zu essen, zu lesen, zu leben. All das mit dem unbedingten Bewusstsein, dass diese 14 Tage etwas Besonderes sind, weil an anderen Orten der Welt, die nicht weit entfernt von uns sind, an Urlaube, an dolce Vita nicht zu denken ist.

Ich bin ein Italien-Fan. Das fing in früher Kindheit an, weil ich am Strand von Rimini - wir schreiben das Jahr 1982 - im Italientrikot das Wassereis schleckte und am Abend im Restaurant zum ungefilterten Unverständniss aller erwachsener deutscher Touristen, bei jenen drei Italientoren, die vor 90.000 Zuschauern fielen, jubel-

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te. Beim Paul Breitner Tor jubelte ich zwar auch, aber das fiel in der 83. Minute und änderte rein garnichts mehr an der Tatsache, dass Italien FussballWeltmeister wurde und ich ein Sieger war in dieser Nacht von Bernabéu. Ich war also das italienischste Schwabenkind der Welt. Dass zwischen meinem Wohnort dem Chiemgau und Italien etwas Wegstrecke liegt - nun ja. Es ist nicht zu ändern. Zurück zum aktuellen Urlaub. Der


REISE Norditalien Wagen war gepackt, darunter drei Paar Trailschuhe, weil es ein intrinsischer Antrieb bleibt, jeden Ort, jede Region auch nach ihren "Trailrunning-Potentialitäten" zu bereisen. Wir starten mit dem Piemont, in dem ich noch niemals zuvor war und es nur von der berühmten Piemont-Kirsche her kenne, von Nutella und dem FerreroImperium. In meinen Vorstellungen eine sanfte Hügellandschaft, die wahnsinnige Weitblicke zulässt, weit hinein ins Land und weit hinüber in die Alpen, ins Aosta-Tal und die majestätsiche Auvergne. Bereits zu Beginn erleben wir diesen wunderbaren Oktober-Effekt. Wir fühlen ihn quasi sofort mit dem Überqueren des Alpen-Hauptkammes, denn aus den nasskalten 11 Grad in der Heimat werden ab Bozen mit einer lässigen Selbstverständlichkeit 23 Grad und damit ist der Sommer zurück. Wir winken ebenso lässig ein letztes mal in Richtung Norden, ins Schmuddelwetter. "Bye bye Bayern. Ciao bella Italia".

zuschildern. Die 13 Kilometer zählen am Ende fast 900 Höhenmeter. Ein auf und ab entlang der Reben, es ist trocken, viel zu trocken. Die Landwirte sehnen Regen herbei. Hier zu laufen, hat etwas meditatives. Wir sind nahezu alleine und die Ernte ist fast eingeholt. Das nächste Ziel ist ein bekanntes Ziel. Der Gardasee. Ein anderes Italien. Mehr Trubel. Mehr Sport und Tourismus sowie Trails, die ich durchaus gut kenne. Der einzige Regenmoment des ganzen Urlaubes überrascht uns im Auto auf der Autobahn. Mit dem An-

Ein kleines Dorf in der Nähe von Asti ist unser Ziel. Untergebracht sind wir im Ort Antignano in der Pension moonfra, einer restaurierten Schönheit mit riesigem Garten, einem Pool und einem Weinkeller, der vermutlich Schätze bewahrt. Gastgeberin Seniora Chiara hat das große Haus mit der Familie gekauft und vor vier Jahren in einen Zustand versetzt, der staunen lässt. Ein wahrlich zauberhafter Ort, ein Ort der Glück und Ruhe ausstrahlt. Nichts lässt hier auf Stress schließen.Einzig die Hofhunde der Nachbarschaft tragen Zorn in sich. Unsere Hündin bleibt unbeeindruckt. In den Folgetagen erkunden wir Asti und Monferato, genießen Wein und versitzen Stunden in der Osteria und gehen laufen. Klar, gehen wir laufen. Längst hat die Region erkannt, dass der Tourismus aktiv sein will - also liegt nichts näher, als die Weinberge zu öffnen und Wanderstrecken aus-

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kommen in Arco schließt der Himmel seine Pforten. Ab heute teilen meine Frau und ich die Interessen. Sie widmet sich der Meditation und dem Yoga, ich der populären Bewegungskultur auf Trails im Kletterrevier zwischen Arco und Riva. Am Abend schließe ich mich der bunten Gruppe der Yogis an und stelle fest, dass ich mindestens genauso in mir Ruhe. Trailrunning und Yoga scheinen also durchweg gute Resultate zu erzielen und sich ähnlich zu sein. Zudem wirken die Tage hier wie eine Entgiftung - das Essen im Kushi Ling Haus ist vegan, organisch und lediglich von heißem Wasser und Tee

begleitet. Dass ich mir tagsüber als Laufnahrung auch mal einen Krokant-Eisbecher im Ortszentrum von Arco einverleibe, mach ich am Abend nie zum Thema. Jedenfalls laufe ich dieser Tage tolle und anspruchsvolle Trails. Einmal rund 15 Kilometer und ein anderes mal fast 25 Kilometer. Es ist steil, denn die Gegend am Lago di Garda kennt nichts anderes. Um ehrlich zu sein, ist das Highlight der Reise in Richtung Heimat gelegen, denn die letzten Tage verbringen wir feudal in Südtirol im Vinschgau. Das Gegenprogramm zu unserem Aufenthalt am Lago - statt smartem Verzicht, gibt es hier im Sterne-Hotel ein mehr-

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Diese ikonische Italienreise in unsteten Zeiten lässt mich darüber nachdenken, ob ein Leben im Vinschgau nicht das Beste für mich wäre.


REISE Norditalien Lügen bringt nicht viel: das Piemont ist ein Traum, das Essen ein Gedicht, der Wein ein Lebensziel, aber Laufen macht am Lago di Garda natürlich mehr Spaß.

gängiges Menü, Frühstücksbuffet und Wellness mit Pool, Saunalandschaft und türkischem Hamam. Mals ist ein malerischer Ort mit Ortlerblick und unzähligen Möglichkeiten zu laufen und zu wandern. Im Oktober mag man zwar nicht unbedingt in die absoluten Höhen, aber die perfekt markierten Halbhöhenwege sind ideal für Profis und auch für alle, die mit alpinem Laufsport sanft beginnen möchten. Drei weitere Läufe trage ich in mein Buch ein und bekomme dabei nur pure Sonne ab. Irgendwann ist dann auch dieser Urlaub zu Ende. Ein fabelhafter Trip in die Herzen Norditaliens, in unterschiedlichsten Landschaftsformen und kulinarische Kulturen. Wenn wir doch nur etwas mehr von dieser beseelten Mischung aus Genuss und Lebensart hätten. Zu Hause angekommen hat Bayern dann recht schnell von Italien gelernt. Der späte Oktober gibt mit 22 Grad sein Bestes. Na also - ein bisschen Italien geht immer.

INFOS & STRECKEN Unsere Spots

Piemont

Monferato/Asti Unterkunft: www.moonfra.fr

Gardasee

Arco Unterkunft: www.kushi-ling.com

Vinschgau

Mals Unterkunft: www.hotelgarberhof.it Trailrouten auf www.trail-magazin.de/italia

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DAS LEGENDÄRE TRAILRUNNING EVENT ÜBER DIE ALPEN ZU ZWEIT IM TEAM ODER SOLO SEPTEMBER 9 —15, 2023

ANMELDUNG AB 6. DEZEMBER 2022


TIPP Die richtige Länge Text: DENIS WISCHNIEWSKI Fotos: JORDI SARAGOSSA

Passt mir doch! Einst dachte ich, ich bin einer für die schnellen und kurzen Sachen, dann nach einem Achtungserfolg, ein Held der Langstrecke um heute zu wissen, dass es wohl etwas dazwischen ist. Wie findet man eigentlich die Wettkampf-Distanz, die wirklich zu einem passt? Mein Laufsport ist heute und war und schon immer eine Sache der reinen Distanz. Ich war nie wirklich an der Zeit interessiert. Selbst, als ich in jungen Jahren - damit meine ich die Zeit vor dem ersten Sex - einen Marathon in sehr deutlich unter 3 Stunden lief, rannte ich mehr mit dem Blick auf die Kilometerzahl, als auf die Stoppuhr.(Damals gab es keine Sportuhren). Ich erinnere mich: Es war magisch endlich die 10 Kilometer Marke zu überschreiten und kurze Zeit später die 20, die 30 und dann. Tja dann kam wohl das bis heute unerreichte Gefühl, als ich über die Marathondistanz lief und mich nach diesen 50,4 Kilometer an der Isar als ein Ultraläufer fühlen durfte. Zwar irgendwie inoffiziell, weil ohne Medaille und Streckensprecher, aber ich wusste es und das zählte. Ich war unfassbar zufrieden. So tief und mit solch einer intensiven Ausstrahlung. Mein Umfeld konnte mit meinem High wenig anfangen, aber ich hätte dieses Gefühl und diese Tatsache gegen nichts eingetauscht - nicht gegen einen Sportwagen, ein neues Reiheneckhaus oder eine Gehaltserhöhung. Da war mir klar - Distanz schlägt jedes Tempo. Zumindest für mich. Und doch verlor ich mich in den folgenden Jahren einige Male fundamental in Verwirrungen um die Streckenlänge. Ich lief Ultras ohne darauf vorbereitet gewesen zu sein, ohne diese wichtigen langen Vorbereitungsläufe, ich startete bei Bergläufen oder Skyraces, ohne

auch nur jemals zuvor Gedanken an Intervall-Einheiten und meinen anaeroben Schwellenbereich verschwendet zu haben. Also endeten beide Abenteuer in einem Fail. Die Ultras finishte ich unter größten Schmerzen, nur unter starkem Einsatz meines schwäbischen Starrsinns, die kurzen Bergläufe startete ich mit den Besten, um letztlich zerknittert im Wanderschritt im Mittelfeld anzukommen. Wie findet man denn nun seine Traumdistanz, die Streckenlänge bei einem Wettkampf, die total gut zu einem passt? Basetrail, Basetrail XL oder doch der Supertrail? Die 110 Kilometer beim GGUT oder doch etwa besser die 37 Kilometer über den Gletschersee? Irgendwann hab ich es jedenfalls kapiert. Es hat gedauert, weil ich lange Jahre auch einem Bild von mir gerecht werden wollte, das ich längst nicht mehr aufrechterhalten konnte. Man ist nicht ewig und immer ein Ultarunner. Nein. Man ist ein Ultrarunner, wenn man Ultras läuft und wenn man das nicht tut, ist man ein Läufer oder Jogger. Auch so eine Erinnerung: Ich stand am Start eines 100 Kilometer Ultratrails. 23.00 Uhr. Als Zuschauer. Da liefen sie nun, die Helden mit ihren Stirnlampen und ihren bedeutungsschwangeren Blicken, und ich applaudierte, legte mich ins Hotelbett und schnarchte meinem 10.30-Uhr-Start der 25

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Kilometer entgegen. Natürlich alles weit weniger heldenhaft, aber eben genau das, was bestens zu meinen 15 Kilometer-Trainingsläufen passte. Tipp 1 lautet also: Lade Dir schlicht keine Renndistanzen auf, die Du im Training seit langem nicht mehr leisten konntest oder wolltest. Es mag sein, dass Du in Deiner Laufgruppe, in Deinem Verein, der oder die legendäre Ultraikone bist, aber was nutzen alte Leistungen, wenn seit langer Zeit der Longrun nach zwei Stunden zu Ende ist. Vielleicht sollte man seine perfekte Distanz nicht nur an das Training knüpfen, sondern auch mit allen anderen Voraussetzungen in Verbindung bringen - Talent. Oder Regenerationsfähigkeit. Wer seinen Motor mit scheinbarer Leichtigkeit nach oben drehen lassen kann und eine enorme Leidensfähigkeit hat, sollte die Kurzstrecke, Trails bis zum Halbmarathon, Skyraces und klassische Bergläufe für sich aussuchen. Ein enormer Vorteil dieser eher kurzen Strecken und Belastungen ist ja auch, dass man oft im Jahr daran teilnehmen kann, denn der Körper erholt sich überraschend schnell von Renneinsätzen die ein bis drei Stunden nicht überdauern. Bei Ultras sieht das anders aus. Selbst wenn die Psyche rasch wieder frisch ist, brauchen Muskeln, Sehnen und der gesamte Körper oft Wochen, bis Heilungsprozesse abgeschlossen sind. Wer also gerne wöchentlich am Start


eines Wettkampfes steht, sollte sich auf kurze, intensive Rennen fokussieren. Im Hinblick auf einen Sport, den man über viele Jahre betreiben will, sicher eine gute Idee. Nicht alle sind für eine Karriere als Ultrarunner gemacht. Mancher hat dafür einen robusten Körper, andere hingegen nicht. Niemand hat behauptet, dass Trailrunning immer fair wäre. Es gibt auch kein Schwarz und Weiss. Im Laufe einer Laufkarriere dürfen sich Interessen ändern. Mal mehr Asphalt, mal mehr Berg, mehr Länge, weniger Tempo, mal mehr Genuss und mal mehr Blick auf Zeiten und Platzierung. Am Ende muss alles in Einklang mit der Psyche und dem Körper stehen. Ich habe Leute kennengelernt, die nach einer intensiven Karriere auf 100 Kilometer und 100 Meilen Trails in ihren späten 50ern wieder konsequent Freude bei Bergläufen und knackigen Strecken gefunden haben, weil der Körper die Belastungen der langen Strecken schlicht nicht mehr mitgemacht hat. Entscheidungen werden einem manchmal einfach abgenommen. Tipp 2 lautet: Höre mit aller Konsequenz und ohne Einfluss von außen auf Deinen Körper und breche auch mit alten Gewohnheiten. Mit einer Anpassung im Training hast Du bei kurzen Rennen natürlich auch mehr Spass, denn hochpulsiges Laufen kann man lernen, kann man aushalten und lieben lernen.

Weltklasse-Trailrunnerin Sara Alonso hat längst ihre Länge gefunden sie fühlt sich bis und um die klassische MarathonDistanz sehr wohl.

Andersherum: Wer sich über Jahre im 10-Kilometer-Volkslauf und Berglauf verloren hat, sollte einfach mal, über Longruns am Wochenende, in Richtung Trailmarathon oder Ultratrail starten. Am Ende erkennt da jemand, der bislang sein Glück im Schwellenbereich sah, dass so ein bedächtiges, meditatives und oft gemeinschaftliches Laufen über viele Stunden ein ganz neues Gefühl für ihn ist.

ernsthaft gegen Nienke Brinkmann bei den Golden Trails laufen und aus Remi Bonnet wird vermutlich kein UTMBSieger. Diese drei Profis haben, das bestätigen ihre aussergewöhnlichen Erfolge, ihre idealen Rennformate gefunden und ihren Einsatz darauf nahezu perfektioniert. Wir müssen das nicht. Wir dürfen so lange oder kurz laufen wie es uns gefällt und das nicht nur vom Erfolg abhängig machen und dennoch sollten wir, um möglichst maximalen Spaß am Sport zu behalten, immer wieder die Distanz überprüfen, denn oft überfordert sie uns und manchmal dürfen wir sie auch nach oben hin verändern, um neue Facetten unseres Hobbys auszuloten.

Tipp 3 lautet dann wohl: Nichts muss für immer und ewig sein. Courtney Dauwalter wird in absehbarer Zeit nicht

Ein Trainings-Experte würde nach einer umfassenden Trainingsanamnese und Diagnostik ganz sicher wissen,

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ob Du für kurze oder ganz lange Strecken prädestiniert bist und doch wird Dich alleine dieses Wissen nicht unbedingt glücklich und zufrieden auf eine bestimmte Distanz schicken, denn was Dein Kopf will, wo Deine Lust liegt, wird auf dem Ausdruck der Laborauswertung nicht stehen. Eines noch am Schluss. Lange Distanzen und Ultrastrecken sind für viele ein Segen. Wieso? Weil man hier Erfolge feiern kann, die einem bei Bergläufen oder TrailMarathons vielleicht für immer verschlossen bleiben. Wer trotz mangelnder Athletik, Schnelligkeit und potenter VO2max im Ziel ein Held sein will, ist auf den ganz langen Strecken bestens aufgehoben. Hier ist ein Finish wie ein Sieg und der Wille so wichtig, wie das beste Training und Talent.


SPEZIAL Event-Highlights

5 Tage Bruta Text: BENNI BUBLAK Fotos: JOAOM FARIA. PHILIPP REITER, JORDI SARAGOSSA

Nepal, Patagonien, Azoren und nun Madeira – die Schauplätze des Golden Trail Finales sind alljährlich spektakulär. Genauso die Leistungen der Welt-Trail-Elite

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ales Ding Die Niederländerin ist der Shooting-Star dieser Saison. Erst siegt sie phänomenal beim spanischen Klassiker Zegama, um im Sommer kurz die Disziplin zu wechseln und bei den Marathon Europameisterschaften aufs Podium zu laufen. Genauso wie Remi Bonnet ist früh klar, dass der Gesamtsieg der GTWS an die Nike Athletin geht. Die Wahl Züricherin läuft jede einzelne Etappe und gewinnt drei von fünf Etappen. Selbst ein, aufgrund eines gebrochenen Handgelenks eingegipster Arm, konnte sie nicht stoppen. Aber zumindest in den Downhills ließ sie es vorsichtshalber ein wenig ruhiger angehen. Zusammen mit den beiden USGirls Sophia Laukli und Allie Mc Laughlin bildet sie eine ganz neue Generation richtig schneller Trail-Läuferinnen. Wir sind schon jetzt gespannt, wer im nächsten Jahr die Nase vorn haben wird.

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Fotos:Hendrik Aufm´kolk

Nienke Brinkmann:


SPEZIAL Event-Highlights Ida-Sophie bei ihrem FKT-Run auf dem Dolorama Höhenweg.

Remi Bonnet:

„Ich denke, ich bin in der Form meines Lebens“, strahlt der schmale Schweizer, der seit einigen Wochen von einem Sieg zum Nächsten rennt. Nach einem eher durchwachsenen Saisonstart und einer langen Suche nach der Form, dominiert er die beiden letzten Rennen der GTWS in den USA, den Pikes Peak Ascent und das Flagstaff Sky Peaks. Und auch auf Madeira läuft er wieder in seiner eigenen Liga, gewinnt vier von fünf Etappen und die Climb Sonderwertung in souveräner Manier. „Treppen liegen mir einfach.“ Sagt der Salomon Athlet, dem das steile Gelände auf Madeira mit Sicherheit zu Gute kam. Nur bei der Sprint Etappe an Tag drei muss er sich seinem ärgsten Verfolger, dem Marokkaner Elhousine Elazzaoui, knapp geschlagen geben. Schon am vorletzten Tag ist klar, dass Remi in der Gesamtwertung der GTWS nicht mehr vom ersten Platz zu verdrängen ist.

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Die Thüringerin ist erst Anfang des Jahres das zweite mal Mutter geworden. Umso beeindruckender, dass sie die nationale Golden Trail Serie gewann und sich somit für das Finale auf Madeira qualifizierte. Hier konnte sie sich letztendlich auf Platz 4 der Open Kategorie platzieren und leistete damit einen entscheidenden Beitrag zum Gesamtsieg der DACH -Läufer in der Teamwertung. Im direkten Vergleich mit den besten Trail-Profis der Welt schlug sie sich mehr als wacker und landete auf Rang 13 der Overall Wertung. Nach dem Rennen flog die junge Mutter schnell wieder zurück nach Jena, um am Tag darauf schon wieder ihrem Job als Chirurgin im Klinikum Jena nachzugehen.

Stufen, steile Anstiege, rutschige Waldtrails, wechselhaftes Seewetter, schmale Singletrails, endloses Grün und nochmals Stufen, Stufen, Stufen – dafür ist die Trailrunning Insel Madeira bekannt. Für das Finale der Golden Trail Serie war das portugiesische Eiland daher der perfekte Schauplatz. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Denn im vollen Fokus dieses 5-tägigen Etappen Rennens standen die Athletinnen und Athleten, die aus allen Teilen der Welt angereist waren. „Alle Athleten waren im selben Hotel untergebracht. Es war, trotz des Wettkampf-Charakters, ein gelebtes Miteinander.“ Berichtet uns Philipp Reiter, der als Photo- und Videograf nicht von der Seite der Athleten wich. Philipp ist seit dem Start der Golden Trail Serie im Jahr 2018 immer dabei, um das Renngeschehen aber auch alles drumherum abzubilden. Während die Serie zu Beginn noch sehr eng mit Hauptsponsor Salomon und deren Athleten verknüpft war, hat man inzwischen das Gefühl, dass sich diese zuvor sehr enge Bande ein wenig löst. Der Athlet selbst, egal von welchen Sponsoren er unterstützt wird, steht im Mittelpunkt der stets hochwertigen Berichterstattung. „Eine Idee der Golden Trail Serie ist es

Das Regelwerk dieses Finales ist komplex. Das Konzept orientiert sich lose an der Tour de France. An jedem Tag der fünf Etappen kann man Punkte für die Gesamtwertung der Golden Trail Series sammeln. Dabei müssen die Athlet:innen nicht jede Etappe zwingend absolvieren. Neben der Gesamtwertung gibt es drei Sonderwertungen, für die man Punkte sammeln kann, indem man die jeweiligen Segmente für Uphill, Sprint und Downhill besonders schnell absolviert. Für Athlet:innen, die nicht ganz vorne mitlaufen, eine willkommene Chance, sich entsprechend ihrer Stärken zu positionieren. Die hart umkämpfte

Allie McLaughlin:

Weil ihr Flug aus den USA ausgefallen ist, kommt Allie McLaughlin erst Mitten in der Nacht vor der ersten Etappe auf Madeira an. Ihr Koffer weilt derweil noch irgendwo auf dem portugiesischen Festland. Die erste Etappe läuft die On-Athletin also nicht nur ohne Schlaf, sondern auch ohne Rucksack – das Handy hält sie in der Hand – auf Platz 1. Vorallem bergauf läuft die schlanke US-Amerikanerin, die die letzte Etappe verkleidet als Harley Quinn läuft, in ihrer eigenen Liga. Sie startet bei drei der fünf Etappen. Nur beim Sprint hat Nienke Brinkmann knapp die Nase vorn. Die anderen beiden Etappen gewinnt sie souverän. „Allie ist total verrückt. Sie ist nicht nur auf dem Trail immer vorne dabei. Raucht und trinkt – und ich meine kein Wasser“, berichtet uns Philipp Reiter.

Fotos: Oriol Bastita

Daniela Oemus:

auch, dass die Athleten ihren eigenen medialen Wert steigern, dadurch interessanter für Sponsoren werden und letztendlich sich und ihren Sport professionalisieren“, berichtet uns Philipp Reiter.

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SPEZIAL Event-Highlights EVENT Mozart 100 by UTMB

EIN TAG MIT PHILIPP

Ein Botanik Professor mit krausen Haaren läuft schon seit Ewigkeiten auf dem höchsten Niveau Thomas Roach:

Genauso wie Daniela, gewann der Brite die nationale Golden Trail Serie. Warum gewinnt ein Brite so viele Rennen im DACH Raum? Ganz einfach, die Heimat des Familienvaters ist schon seit vielen Jahren die Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck. Der Botanik Professor mit den krausen Haaren läuft schon seit Ewigkeiten auf dem allerhöchsten Niveau. Eine erstarkende Trailrunningszene in Innsbruck ermunterte ihn in den letzten zwei Jahren vermehrt Trailrennen zu laufen. Und zu gewinnen. Auf Madeira war er die Überraschung schlechthin, als auf der zweiten Etappe nur dem viele Jahre jüngeren Remi Bonnet den Vortritt lassen musste. Auch auf den anderen Etappen platzierte sich der 42-Jährige stets in den Top Ten und wurde letztlich Zweiter in der Open Kategorie, knapp hinter Teamkollege Manuel Innerhofer.

Downhill Wertung beispielsweise gewinnen am Ende der Norweger Anders Kjaerevik sowie die Schweizerin Charlotte Moermann. Letztere ist Teil des Teams DACH. Die drei besten Läufer und Läuferinnen einer nationalen Trail Serie waren nicht nur für das Finale qualifiziert, sondern liefen dort auch in einer eigenen Teamwertung. Am Ende freuten wir uns sehr, dass die sechs Athlet:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz diese Wertung souverän vor Italien und Spanien/Portugal gewinnen konnten. Zwei, die mit ihren starken Leistungen viel dazu beitrugen, stellen wir Euch genauer vor. Neben Daniela und Thomas, sowie der schon erwähnten Charlotte, gehörten noch Manuel Innerhofer, Dorian

Marchal und Lena Laukner zu diesem erfolgreichen Team. Etwas schade, dass aufgrund mangelnder Netzabdeckung die Gelegenheit, dieses Spektakel live zu verfolgen, nicht ermöglicht werden konnte. Dafür gab es jeden Abend eine Live TV Show mit bildstarker und kompetenter Zusammenfassung. Namen, die dort des öfteren fielen, waren die von Remi Bonnet, Nienke Brinkmann und Allie McLaughlin. Warum, verraten wir Euch ebenfalls gesondert. Außerdem haben wir mit Philipp Reiter gesprochen. Als Mann hinter der Kamera, hatte der Berchtesgadener einen stressigen aber erfüllenden Job zu verrichten. Wir wollten von ihm wissen, wie sein typischer Tagesablauf auf Madeira aussah.

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Der Wecker klingelte meist kurz vor sechs. Anschließend haben wir die Athlet:innen auf ihren Zimmern gefilmt, wie sie sich für das Rennen herrichten. Dann kurz Frühstück und schon ging es los mit dem Auto zum Start der Etappe. Während der Fahrt habe ich meist noch Fotos hochgeladen und Social Media bespielt. Nach dem Start war ich mit Fotografen-Kollege Jordi Saragossa und zwei weitere lokalen Kollegen auf der Strecke unterwegs, um das Renngeschehen in Fest- und Bewegtbild zu dokumentieren. Gleichzeitig haben wir Live-Infos über den Social Media Kanal auf Instagram geteilt. Nach dem Zieleinlauf aller Läufer:innnen ging es möglichst schnell zurück. Schon im Auto beginne ich die Bilder des Tages zu bearbeiten. Im Hotel geht es weiter: Postings fertig machen, Fotos sortieren, hochladen und für Athleten und Presse zugänglich machen. Am Nachmittag haben wir immer die abendliche TV Show geplant. Heißt ein Script entworfen und dementsprechend das Footage des Tages selektiert. Nach der TV Show ging es dann um 21 Uhr endlich zum Abendessen. Da haben wir uns meist Zeit gelassen, weil das der erste Moment des Tages war, wo man mal kurz durchschnaufen konnte. Danach war dann endlich mal Zeit für die Dusche, bevor ich am späten Abend im Bett noch ein paar Dinge hochlud, die Website aktualisierte und den nächsten Tag plante. Als ich endlich die Augen zumachte, war Mitternacht meist längst passe'.


Phönix aus der Asche Petter Engdahl vor Miguel Angel Heras vor Cristofer Clemente. Aby Hall vor Yngvild Kaspersen vor Jessica Tipán. Soweit der Zieleinlauf im gleißenden Licht von Los Llanos de Aridane, dieser Stadt in Orange. In einem normalen Jahr würden wir uns jetzt lange mit diesen Sieger:innen und Platzierten aufhalten. Zumal bei der Transvulcania, die für ein Jahrzehnt, neben dem UTMB, eine Leitwährung im Trailrunning war. Legendär die Zweikämpfe zwischen Kilian Jornet und Luis Alberto. Der fünfte Platz von Stephan Hugenschmidt in 2014, eines der bis dato beeindruckendsten Rennen eines deutschen Athleten. Der Streckenrekord von Ragna Debats 2019, ein Lauf im Rausch. Großer Sport, gewiss auch in diesem Jahr. Und doch stand die Transvulcania 2022 im buchstäblichen Schatten eines viel größeren Ereignisses: des Vulkanausbruchs am Westhang des Höhenrückens Cumbre Vieja. Fast zwei Monate lang war die Lava unerbittlich über die Insel geflossen. Besonders stark betroffen war Todoque, ein Gemeindeteil des Tranvulcania-Ziel-

ortes Los Llanos. Fast 1300 Wohnhäuser wurden zerstört und 370 Hektar Bananenplantagen unter Vulkangestein begraben. Noch im Livestream des Rennens am 22. Oktober, 13 Monate nach dem Vulkanausbruch, konnte man den Bergrücken im Hintergrund der Drohnenaufnahmen rauchen sehen. Wir begrüßen die Entscheidung, die Transvulcania mit der notwendigen zeitlichen Verschiebung auch in diesem Jahr ausgetragen zu haben. Auch weil vor Ort spürbar wurde, wie sehr sich die Insel ein solches Wochenende der Normalität gewünscht hatte. So gesehen war diese Transvulcania über 73 Kilometer und 4.800 positive Höhenmeter also ein ganz normales Rennen, wenn auch aufgrund der Terminverschiebung vielleicht ein wenig schwächer besetzt. Ob sie hingegen ein ganz besonderes Datum (ab 2023 wieder im Mai) im Trailkalender bleibt, wird auch davon abhängen, ob der Tranvulcania, inzwischen ja Teil der UTMB-Serie, ihr eigener Charakter und ihre besondere Stellung weiterhin zugestanden wird.

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Fotos: Jan Heftfleisch

Corona, ein Vulkanausbruch, dann der Neustart die Transvulcania ist zurück, als Teil des UTMB, und doch schwächer als gewohnt.


BENNI BUBLAK EVENT Western PORTRÄT AndiStates Rieder100 byText: UTMB

Dem Schatten Fotos: ULTRA TRAIL DU MONT BLANC

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Andi Rieder ist ein Spät-Berufener. Erst mit 32 Jahren entdeckt der Brooks Athlet sein Lauf-Talent und steht nun vor der Herausforderung, die neue Leidenschaft mit dem Familien- und Arbeitsleben zu verknüpfen. Das Porträt eines Profis. Im Leben, wie im Sport.

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„Andreas Rieder war ein übergewichtiger, rauchender Partytiger“, schrieb die Tiroler Tageszeitung jüngst über den Brooks-Athleten aus dem Zillertal. Als ich Andi in seinem Zuhause in Aschau mitten im Zillertal besuche, kann ich mir das kaum vorstellen. Mir macht ein überaus netter und zurückhaltender Familienvater die Tür auf. Andi, der bei einem großen Energietechnik-Unternehmen im Inntal Vollzeit arbeitet, klappt gerade den Laptop zu. Heute hat er ausnahmsweise mal Homeoffice gemacht. Nebenbei passt er auf seine beiden Töchter auf. Ja es stimmt, er habe über 30 Kilo abgenommen, nachdem ihm ein Arzt mit Anfang 30 Bluthochdruck diagnostizierte. Die typische Story „von der Zigaretten und Alkohol konsumierenden Couch-Potato zum Spitzensportler“, die man in einigen Lokalzeitungen über ihn liest, will er dann aber doch nicht erzählen. Dafür ist der Zillertaler viel zu zurückhaltend. Er hat das dann halt einfach gemacht. Hat von einem Tag auf den anderen mit dem Sport angefangen. „Wenn ich mich entscheide etwas zu tun, dann mache ich es richtig. Genauso wie ich mich früher in extremem Maße nicht bewegt habe, begann ich plötzlich mit vollem Enthusiasmus zu laufen.“ Als er sich in der Sportklinik im Zillertal einer routinemäßigen Leistungsdiagnostik unterzieht, bescheinigt ihm der Doc sogar ein echtes Lauftalent und ermutigt ihn, etwas daraus zu machen. Aber nicht nur das, er schreibt dem Laufanfänger sogar einen Trainingsplan. Noch heute ist dieser Arzt der Trainer von Andi Rieder. Es ist tatsächlich noch nicht mal vier Jahre her, dass Andreas Rieder ernsthaft mit dem Lauftraining begann. Seinen ersten Wettkampf bestreitet er im Jahr 2019 beim Innsbruck Alpine Trail Festival. „Meine Frau und ich mussten ein bisschen lachen, als Du mich kontaktiert hast“, sagt Andi zum Autor dieser Zeilen. „Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst, wir haben uns damals vor dem Wettkampf getroffen und ich habe dir mit Kleingeld für den Parkautomaten ausgeholfen.“ Wie peinlich denke ich. Tatsächlich erinnere ich mich schwach an die Situation,

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EVENT Marathon REPORT PORTRÄT UTMB Andi2022 Rieder Mont Blanc und dass ich sogar versprach mich bei nächster Gelegenheit mit einem Bier zu revanchieren. Ein Versprechen, welches noch immer offen ist, aber bei nächster Gelegenheit eingelöst wird. Jetzt erst Recht, wo es auf gedrucktem Papier festgehalten wurde. Tatsächlich konnte Andi sein erstes Rennen, den K15 beim IATF gleich gewinnen. Im Pitztal und in Mayrhofen gewann er in diesem Jahr noch zwei weitere Rennen. Spätestens jetzt ist klar, in diesem Zillertaler Körper steckt ein wahnsinniges Lauftalent. Eine Erkenntnis die anderen, vermeintlich jüngeren, Geistern vielleicht zu Kopf gestiegen wäre. Nicht aber dem Zillertaler, der das Laufen sehr gewissenhaft und mit viel Kopf betreibt. Dafür spricht auch, dass er noch nie ein Rennen vorzeitig beenden musste. Obwohl, auf dem Papier hat er dann doch ein einziges DNF stehen, gesteht er schmunzelnd. Bei einem Fünf Kilometer Bahn Rennen rebelliert nach ein paar Runden der Darm. Andi verließ das Stadionrund, um sich seiner Notdurft zu entleeren, kehrt aber selbstverständlich zurück und beendet das Rennen – wenn auch komplett abgeschlagen auf dem letzten Platz. Erst zu Hause wundert er sich, warum neben seinem Namen auf der Ergebnisliste die drei Buchstaben DNF stehen. Auf Nachfrage erfährt er, dass das Verlassen der Bahn während des Wettkampfes nicht gestattet ist. Andi nimmt es mit Humor. Ohnehin war dieser kurze Wettkampf eher als Vorbereitungsrennen im Rahmen seines Trainingsplans für das große Saisonhighlight geplant: Den OCC beim UTMB. Das Training von Andi muss vor allem eines sein: Sehr effizient. Schließlich bleibt neben Job und Familie nicht mehr viel Zeit übrig. Und dass diese beiden Pole im Leben des 36-jährigen Vorrang haben, daran lässt er keine Zweifel. So kommt es, dass der Wecker auch des Öfteren schon um 4 Uhr morgens klingelt, um die Trainingseinheit noch vor Arbeitsbeginn um 6 Uhr durchzuziehen. Auf mehr als 8 Stunden Training pro Woche kommt

schon eine Sache die mich ungemein fasziniert und die ich frenetisch verfolge.“ Im Frühjahr diesen Jahres bereitet er sich daher gewissenhaft auf einen Marathon vor. Schade, dass eine Covid Infektion den ganzen Aufbau aus den Fugen reißt. Den Marathon läuft Andi im Mai natürlich trotzdem. Eine 2:34 läuft er in Salzburg trotz der suboptimalen Vorbereitung. Danach geht es wieder auf den Trail. Ende Juli wird er, wie schon im letzten Jahr, Österreichischer Staatsmeister im Bergmarathon. Eine offizielle Meisterschaft des österreichischen Leichtathletikverbandes. Damit qualifiziert er sich auch für die WM dieses Jahr in Thailand. „Ich hab mich aber dagegen entschieden, weil seitens des ÖLV nur eine sehr kurze Anreise ermöglicht wurde. Das hat für mich keinen Sinn ergeben. Wenn man in Thailand läuft, muss man gut akklimatisiert sein.“ Bei der WM in Innsbruck nächstes Jahr wird er aber mit Sicherheit am Start sein. Zu dieser Mischung zwischen Trail und Straße („ich mag es schon, wenn ich es rollen lassen kann“) passt auch er am Ende nur sehr selten. Was für einen Sportler auf seinem Niveau ja doch eher wenig ist. Aber für Andi, der sich aktuell eher auf den kürzeren Distanzen bis Marathon zu Hause fühlt, funktioniert das sehr gut. Apropos Marathon. Wenn jemand mitten im Zillertal direkt am Berg wohnt, könnte man meinen, einen waschechten Trailrunner vor sich zu haben, der nur wenn es unbedingt nötig ist auf asphaltierte Wege ausweicht. Aber weit gefehlt. Andi’s Herz schlägt auch für den klassischen Laufsport. Regelmäßig absolviert er Wettkämpfe auf Bahn und Straße. Auch bei kurzen Crossläufen ist er im Winter regelmäßig anzufinden. „So richtig Höhenmeter mache ich eigentlich nur am Wochenende“, meint der Zillertaler. „Ich wohne zwar unmittelbar am Hang. Aber hier bei uns direkt gibt es keinen Trail. Aber ich trainiere ohnehin viel im Flachen. Die klassische Leichtathletik, zum Beispiel die Leistungen eines Kipchoge, ist

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Die typische Story "von der Zigaretten und Alkohol konsumierenden Couch-Potato zum Spitzensportler" will er dann aber doch nicht erzählen.


Nun müssen wir aber undedingt über das Rennen reden, welches in Andi´s bisheriger Karriere wohl doch eine Wendemarke markierte. Schließlich war Andreas Rieder mit Sicherheit in der Tiroler und österreichischen Laufszene bekannt und anerkannt. Internationalen Beobachtern und auch dem Großteil der Redaktion dieses Heftes sprang er aber erst durch seine bärenstarke Leistung in Chamonix ins Auge. Der OCC im August ist Andi’s erster

Ultra und sein bis dato längstes Rennen. So ein Brimborium um ein einziges Rennen hat Andi bis dahin noch nicht erlebt. Auch der Fakt, dass er in der Athleten Unterkunft von Brooks untergebracht ist und als Teil dieses internationalen Teams eine exponierte Stellung einnimmt, macht die Sache nicht gerade einfacher für ihn. Doch Andi bewahrt die Ruhe und macht das einzig Richtige: Er läuft komplett sein eigenes Rennen. Am ersten Checkpoint findet er sich auf Rang 50 wieder. Doch das ändert sich schnell. Kilometer um Kilometer sammelt der Zillertaler seine Konkurrenten ein. Vor dem letzten Downhill liegt er auf Rang 11. Eigentlich ist er komplett am Ende. Die Muskulatur streikt. „Meine große Stärke ist aber wohl, dass ich mich wahnsinnig quälen kann.“ Und so überholt er trotz andauernder Krämpfe noch einen Läufer und überquert auf dem 10. Gesamtrang die Ziellinie in Chamonix. „Wenn ich daran denke, bekomme ich immer

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noch Gänsehaut. Das war bis dato mit Sicherheit mein größter Erfolg.“ Andi hat Lunte gerochen. Mit Sicherheit wird er wiederkehren zum UTMB. Irgendwann will er auch mal die große Schleife angreifen. Aber noch nicht jetzt. Nur nichts überstürzen. Das ist ganz und garnicht die Art des intelligenten und bedächtigen Familienvaters. „Wir leben hier am Nordhang des Zillertals. Im Winter haben wir kaum Sonne. Dafür ist es im Sommer nicht so heiß“, berichtet mir der sympathische Athlet. Und irgendwie passt das auch zu ihm. Dem Rieder Andi, wie man in Tirol zu sagen pflegt. Ein stiller Arbeiter im Schatten, der die Dinge mit Bedacht und Akribie angeht. Nächstes Jahr wird das große Highlight neben der WM in Innsbruck also wieder der 55 Kilometer lange OCC in Chamonix sein. Wir sind uns sicher: Dieser Typ wird diese beiden Gelegenheiten erneut nutzen und aus dem Zillertaler Schatten hinaus laufen.

Fotos: Philipp Reiter

Andi´s Sponsor. Seit Anfang des Jahres läuft er für das Brooks Trail Team. „Das ist natürlich eine Riesenchance für mich. Das hätt ich mir auch nicht erträumen lassen, dass ich in meinem Alter nochmal so weit komme“, schwärmt der 36-Jährige. „Ich bin super happy, in einem Team mit so starken Läufern zu sein. Die Ausrüstung ist auf höchster Qualität und auch wir als Athleten werden in die Entwicklung der Produkte mit einbezogen.“


Mit Plan & Verstand PORTRÄT Rosanna Buchauer

Text: BENNI BUBLAK Fotos: HENDRIK AUF´MKOLK

Zweimal Platz 5! Natürlich mussten wir am Ende dieses Jahres mit Rosanna Buchauer über ihre Erfolge bei WM und UTMB reden 44

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Eigentlich Maschinen:

Heimlich, still und leise hat sich jemand an die Spitze der deutschen Trailrunning Szene gearbeitet. Noch vor zwei Jahren war ihr Name nur den absoluten Szene-Cracks ein Begriff. Auch die UTMB Organisatoren hatten die hoch gewachsene Athletin dieses Jahr nicht auf ihrer Liste. Obwohl sie laut UTMB Index zu den Top Ten Damen beim CCC gehörte, war sie weder auf der Eliteliste zu finden, noch wurde sie bei der Favoritenpräsentation auf die Bühne geholt. Doch die Wahl-Innsbruckerin nahm es gelassen, freute sich über ihren Außenseiterstatus und rollte das Feld von hinten auf. Platz 30 nach dem ersten Checkpoint, Platz 5 im Ziel von Chamonix. Spätestens jetzt war sie angekommen auf dem internationalen Trailrunning Parkett. Die wohl aktuell beste deutsche Trailrunnerin: Rosanna Buchauer. Eisschnelllauf. Das war der Sport der jungen Rosanna. Vier Nachmittage in der Woche verbrachte die junge Chiemgauerin mit ihren Freundinnen auf der Eisbahn. Naheliegend – ist ihre Heimatgemeinde, die 5000 Seelen Gemeinde Inzell, doch Sitz des bayrischen Landesleistungszentrums für Eisschnelllauf. Mit 16 folgte jedoch erst das jähe Ende der Wintersportkarriere und dann viele Jahre ohne große sportliche Ambitionen. Auslandsjahr in den USA, Weltreise, Surfen. Rosanna’s Vergangenheit abseits des Laufens ist definitiv vielfältig. Während des BWL Studiums in Innsbruck merkte sie, dass ihr was fehlte. Einerseits die Bewegung und andererseits auch etwas Freiraum. „In einer WG lebend war es manchmal schwer, einfach Zeit für mich zu finden, also ging ich laufen. Zu Beginn fungierte das

Kilian Jornet siegt vor einzig als Ausgleich.“ Irgendwann bekommt sie WindMatthieu vom Blanchard und Tom Evans. Trail Hero Programm von Dynafit, erstellt sich schnell einen Instagram Account, weil das in der Ausschreibung so gefordert wurde, und bewirbt sich. Mit Erfolg. Nun also in Dynafit Schuhen läuft sie ihr erstes richtiges Trailrennen – und wird beim 50 Kilometer langen Glockner Trail sogleich zweite Frau. In den nächsten Jahren läuft Rosanna regelmäßig, ist allerdings noch etwas unbedarft bei der trainingstechnischen Werkzeugwahl. „Ich hatte nie eine Uhr. Irgendwann hab ich gelesen, dass Intervalle helfen. Also habe ich kurze Sprints eingebaut. Einmal bis zur nächsten Laterne Vollgas. Im Nachhinein muss ich über diese 10-sekündigen Laternensprints sehr lachen.“ Nach einer längeren Pause aufgrund der Pandemie und einer Verletzung beschloss sie, auf der Suche nach weiterer Professionalisierung, etwas zu ändern. Zuerst war sie skeptisch, doch dann entschied sie sich, es mal mit einem Trainer zu probieren, legte sich eine Uhr und einen Brustgurt zu und befolgte von nun an die Anweisungen Rosanna im Downhill bei der Weltmeistervon Arne Christian Wolff, Trainer bei schaft in Chiang Mai, Two Peaks Endurance. „Es war viel Thailand Anfang besser, als ich erwartet hatte. Es half November. mir meinen Alltag von nun an besser zu strukturieren, da ich genau wusste, was zu tun war. Vorher ging ich oft planlos zwei Stunden laufen, kam zurück und war immer noch unsicher, ob ich nicht eine Stunde mehr hätte machen sollen.“ Die Laternensprints werden durch harte und lange Intervalle ersetzt. 5 mal 500 Höhenmeter auf Anschlag und ähnlich fordernde Einheiten gehören für Rosanna nun zum Täglich-Brot. Das zahlt sich aus. Mit einem starken dritten Platz beim Glockner Trail und einem Sieg beim Madeira Ultratrail (60K) erlief sie 2021, ihrem ersten Jahr unter struktureller Trainingsbegleitung, gleich starke Erfolge ein. Doch der richtige Durchbruch folgte im kommenden, in diesem Jahr. Sicher hilfreich: Die Tatsache, dass Rosanna ihren Job als Projektmanagerin bei Tirol Tourismus für eine Weile stark reduzieren konnte. In Österreich gibt es das schöne Kon-

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PORTRÄT Rosanna Buchauer

"Meine Stärke war schon immer, dass ich ein sehr starkes Durchhaltevermögen und eine hohe Leidensbereitschaft mitbringe."

zept der Bildungskarenz, welches Rosanna erlaubte, eine Auszeit vom Job zu nehmen und im Frühjahr für mehrwöchige Trainingslager auf Portugal und Sardinien zu weilen. Dass es die Bergsportlerin im Urlaub regelmäßig ans Meer zieht, ist kein Zufall. Denn da gibt es noch eine zweite sportliche Leidenschaft, die in Rosannas Herzen schlummert. „Im Gegensatz zum Laufen, wo es immer darum geht, zu pushen und immer weiter zu machen, lehrt mich das Surfen Geduld zu haben und abzuwarten.“ Das Wellen reiten scheint sich auszuzahlen. Jede Menge Geduld beweist Rosanna beim großen Highlight des Jahres. Zu Beginn des CCC ist sie weit entfernt von den Top-Platzierungen. Ehrlich wie Rosanna ist, schreibt sie diesen Umstand aber garnicht übermäßiger Selbstdisziplin zu: „Selbst wenn ich wollte, könnte ich wahrscheinlich nicht viel schneller loslaufen. Meine Stärke war schon immer eher, dass ich ein sehr starkes

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Durchhaltevermögen und eine hohe Leidensbereitschaft mitbringe.“ Tatsächlich läuft sie die zweite Hälfte des Rennens fast schneller, als die erste. Bei einem 100 Kilometer langen Rennen eine unglaubliche und seltene Leistung. Vor dem Start hatte sie sich eine Platzierung in den Top 20 ausgemalt – wenns gut läuft. „Nach dem 5. Platz schwebte ich daher eine ganze Woche lang auf Wolke 7.“ Zwei Monate später steht sie in Thailand bei der Weltmeisterschaft über 80 Kilometer am Start. Wieder läuft sie im Vergleich zur Konkurrenz betont langsam los. „Diesmal habe ich mir nach 30 Kilometern aber schon etwas Sorgen gemacht, als immer noch über 20 Läuferinnen vor mir waren.“ Doch das Frauenfeld ist eng beieinander. Während andere langsamer werden, wird Rosanna wie gewohnt stärker. An der letzten Verpflegungsstation liegt sie mit drei Konkurrentinnen nahezu gleichauf. Die Plätze vier bis sieben sind noch zu vergeben. „Das war ein


Fotos: Andi Frank

Da ist der Freund, sowie ein großer Freundeskreis. „Die meisten meiner Freundinnen haben mit Laufen nichts am Hut.“ Diese Freundschaften zu pflegen, ist Rosanna sehr wichtig. „Dafür stelle ich das Laufen auch mal hinten an. Wenn ich bei meiner besten Freundin hocke und merke, es ist jetzt wichtig, dass ich ihr bis 2 Uhr nachts zuhöre, dann muss die Einheit am nächsten Tag halt mal vom Morgen auf den Abend verschoben werden.“

Zuversichtlich wie immer: Rosanna am Start des CCC in Chamonix

echt harter Fight bis zur Ziellinie. Ich habe mich anhand der Qualen schon bei dem Gedanken ertappt: ‚ach Siebter bei einer WM ist doch auch ok.‘ Am Ende war ich dann aber doch froh, den inneren Schweinehund überwunden zu haben.“ Wie schon in Chamonix läuft sie erneut auf einen sensationellen fünften Rang. Nach dieser langen Saison hat sich Rosanna die Saisonpause mehr als verdient. „Nach Thailand hab ich es dann genossen, auch mal ganz entspannt auf Arbeit zu sitzen, ohne ständig die Uhr und den Feierabend im Hinterkopf zu haben, damit ich das Training noch unter bekomme. Stattdessen habe ich mich nach der Arbeit direkt mit Freunden auf einen Prosecco getroffen.“ Tatsächlich scheint dies eine der großen Stärken von Rosanna zu sein. Es mag von außen, ob ihrer Professionalität und Fokussiertheit, nicht immer den Eindruck machen, aber die Chiemgauerin ist alles andere als monothematisch unterwegs. Da ist die Familie. Rosanna hat zwei Brüder.

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Rosanna hatte noch nie ein DNF. Sie läuft mit viel Plan und Verstand, arbeitet akribisch für den Erfolg und besitzt die Fähigkeit, sich selbst viel abzuverlangen. Fleiß, Disziplin und mentale Stärke – es klingt wie das typische Klischee der deutschen Tugenden. Auch Hannes Namberger, dem aktuell besten deutsche Trailrunner, kann man all diese Eigenschaften zuschreiben. Es sind also nicht nur Sponsor Dynafit und das Chiemgau als Heimat, das die Beiden eint. Konstanz und Zuverlässigkeit wären noch zwei vermeintlich deutsche Tugenden, die Hannes wie auch Rosanna innehaben. Das „Germany“ bei der WM in Innsbruck im Juni aufs Podium läuft, ist daher durchaus denkbar. Zumal die alpine und technische Strecke zwischen Stubaital und Innsbruck Rosanna’s Stärken durchaus schmeicheln. „Ich bin ein Kind der Berge, fühle mich im Gelände schon seit Kindesbeinen sehr wohl und mag daher Rennen besonders, deren Anforderungs-Profil auch mal über die rein läuferische Qualität hinaus geht.“ Auch die gewohnt akribische Vorbereitung für die WM sollte der Dynafit-Athletin einfach fallen. Schließlich führt die WM-Strecke fast an ihrer Haustür in Axams vorbei. Hat die 32-Jährige also erstmalig richtig Druck vor einem Rennen? „Klar die Erwartungen sind jetzt höher, aber ich mach mir da eigentlich keine großen Sorgen. Solange mein Feuer für diesen Sport noch brennt, und das tut es in jedem Fall, wird das schon laufen“, berichtet Rosanna unverzagt. Bei soviel Zuversicht kann das ja nur was werden. Mit Rosanna’s WM-Erfolg daheim.


RACE Weltmeisterschaften Thailand

Vorprogramm und Weltspiele Bei der ersten gemeinsamen Weltmeisterschaft der Trailrunner und Bergläufer:innen in Thailand war ein Teil der Allerbesten des Sports am Start, um bei verschiedenen Formaten und Distanzen Ruhm, Ehre und Medaillen zu vergeben. Ein Vorgeschmack auf all das, was 2023 in Innsbruck passiert?

Eine Weltmeisterschaft für Trailrunning gab es schon einmal. Seit 2007 finden nämlich die IAU World Trail Championships statt, also die WM der Ultrarunner auf Trails. 2007 wurde der Pole Jaroslav Janicki erster Weltmeister, die Japanerin Norimi Sakurai Weltmeisterin und der Deutsche Jörg sogar Sechster bei dem 50 Meilen Rennen in Huntsville in Texas. In den Folgejahren fand diese WM überall auf der Welt statt, meist auf einfachen Strecken ohne Trail und mit einem Teilnehmerfeld, das seine Wurzeln im klassischen Ultralauf hatte. Die echte Trailszene sah sich über den Verband der IAU nie repräsentiert. Das änderte sich in den letzten Jahren. Die Strecken wurden anspruchsvoller, die WM-Rennen zogen immer öfter die Weltelite des Sports an. In diesem Jahr gab es nun erstmals eine WM, die mit Fug und Recht behaupten kann, eine WM für all das zu sein was sich Trailrunning nennt. In Chiangmai in Thailand veranstalteten erstmals die Verbände der WMRA, ITRA und jene IAU die Weltspiele gemeinsam. Das führte zu einer sinnvollen Erweiterung der Disziplinen: neben der Ultradistanz, gab es diesmal einen Short Trail, einen Berglauf und einen Berglauf mit anschließenden Downhill. Eine gute Abbildung unseres Sports. Dass in Chiangmai, bei ansruchsvollen klimatischen Bedingungen, ein Teil der Weltbesten, aber doch nicht alle, am Start standen, hatte verschiedene

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Die Welt des Trailrunning zu Gast in Thailand - zumindest ein ziemlich schneller Teil davon, sekbst wenn einige der weltbesten des Sports der WM fern blieben.


Text: BDENIS WISCHNIEWSKI Weltmeister*innen 2022 Berglauf Up (8km/1344vm) 1. Allie McLaughlin (USA) 1. Patrick Kiongeno (KEN) 10. Hanna Gröber (GER) Berglauf Up & Down (11,2 km 441vm) 1. Rebecca Cheptegai (UGA) 1. Samuel Kibet (UGA) 7. Hanna Gröber (GER) Short Trail (38km/2425vm) 1. Stian Angermund (NOR) 1. Denisa Dragomir (ROU) Long Trail (78km/4800vm) 1. Blandine L'Hirondel (F) 1. Adam Peterman (USA) 5. Rosanna Buchauer (GER) 18. Benedikt Hoffmann (GER)

Team Germany war eine kleine Mannschaft mit kleiner SupporterCrew. Die Resultate hingegen waren groß!

Gründe - für viele ist im Oktober ein lange Saison bereits zu Ende, andere liefen das Finale der Golden Trails Series und wieder andere sahen ihre Prioritäten noch immer bei anderen Events und nicht bei einem Rennen der Verbände. Im Vorfeld wurde viel über das nur drei Personen kleine Deutsche Team gesprochen. Wieso nur drei? Nach der Absage von Mitfavorit Hannes Namberger war nicht klar, ob die Deutschen hier um Top-Platzirungen laufen können. Am Ende waren es durchweg positive Überraschungen. Hanna Gröber belegte fast sensationell Rang 7 und 10 bei den Berglauf-Wettbewerben, Rosanna Buchauer eroberte, nach fulminantem Finale Rang 5 beim sehr beachteten Long Trail. Bei den Herren zeigte Benedikt Hoffmann, dass er durchaus zur erweiterten Weltelite zählt. Der 18. Platz gehört zu seinen stärksten Auftritten im Gelände überhaupt. Für die

kommenden Weltmeisterschaften, die "World Mountain & Trail Running Championships 2023" in Innsbruck, wird eine völlig andere deutsche Mannschaft an den Start gehen. Zwar werden Gröber, Buchauer und Hoffmann gute Chance haben, auch dort wieder das Nationaltrikot zu tragen, aber die Equipe wird sicher so groß sein, dass alle Slots vergeben sind. Innsbruck wird zudem diese Spiele noch einmal weit professioneller aufbereiten und in der frühen Saison werden nahezu alle, die Rang und Namen haben, mitmachen. Die Titelträger:innen von Chiangmai werden auch für Innsbruck als Favoriten gehandelt, denn an Allie McLaughlin, Adam Petermann oder Stian Angermund müssen die anderen erstmal vorbeilaufen.

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REPORT Zugspitze Text: MIRIAM MEINHEIT Fotos: PHILIPP FREUND

ZUGSPITZE IM

KREISVERKEH 50

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HR

„In dieser Trailrunning Saison bin ich viele Ultra Läufe mit jeweils 4.000 bis 5.000 Höhenmetern gelaufen. Daher erschien mir diese Challenge diesen Sommer gut realisierbar. Vor Jahren wäre mir dieses Projekt wahrscheinlich völlig absurd vorgekommen.“

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REPORT Zugspitze

Seit mehr als zwei Jahren trage ich diese Idee mit mir herum: Alle vier bekannten Wege auf die Zugspitze miteinander zu verbinden und den Gipfel so gleich zweimal zu besteigen. Ganz bewusst habe ich diese persönliche Challenge dabei als Community Run geplant. Mein Fokus lag nicht darauf, das Abenteuer in möglichst kurzer Zeit zu absolvieren, sondern dieses Bergerlebnis mit meinen Freund:innen intensiv zu erleben. Run 1: 3.30 Uhr Aufstieg von Garmisch über das Höllental auf die Zugspitze Drei Uhr morgens: Am Garmischer Hausbergparkplatz treffe ich auf die Frühausteher:innen unter meinen alpinistischen Bekanntschaften. „Ein bisschen verrückt ist diese Aktion ja schon, aber gerade das macht es ja so reizvoll“ meinte Lauri, während wir die ersten fünf Kilometer von Garmisch nach Hammersbach

locker nebeneinander herlaufen. Dort beginnt der eigentliche Aufstieg durch das Höllental. Also: hinein in die Höllentalklamm, durch die in der Dunkelheit tosende Wassermassen stürzen. Im Schein der Kopflampen passierten wir schmale Stege und Brücken und laufen durch die nur spärlich beleuchteten Tunnel. Dann im Höllentalkessel weiter empor am Höllentalangerhaus vorbei bis zum Einstieg in den Klettersteig. Mittlerweile ist es hell geworden und über dem Höllental erstreckt sich ein goldenes Morgenlicht. Fix erklimmen wir die Stahlleiter und balancieren auf dünnen Eisenstiften über dem Abgrund empor. Während wir weiter aufsteigen, erhaschen wir einen ersten Blick auf den Zugspitzferner. Dieser Gletscher ist in diesem Sommer besonders stark zurückgegangen. Ich muss schlucken, habe ich diesen Gletscher doch noch nie so blank gesehen. Am Gletscher angekommen, ziehen wir schnell unsere Steigeisen

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über die Schuhe und betreten das Eis. Die meisten Spalten sind gut sichtbar und leicht zu umgehen. Dann heißt es Gas geben, wollen wir doch pünktlich um acht Uhr am Gipfel sein. Am Gipfel der Zugspitze erwartet mich eine freudige Überraschung: Mein Teamkollege Constantin war bereits im Dunkeln über die andere Seite (den Stopselzieher) aufgestiegen, um mich am Gipfel zu überraschen. Gemeinsam machen wir uns an den Abstieg via Gatterl nach Ehrwald. Run 2: 9 Uhr Abstieg übers Gatterl nach Ehrwald Auf technischen Downhills geht es zum Zugspitzblatt hinunter. Von der Knorrhütte weiter zum Gatterl und über die österreichische Grenze Richtung Ehrwald. Gerölliges, felsiges Terrain geht allmählich in seichtes Almengelände über, langsam steigen die Temperaturen, entwickelt die Sonne ihre Kraft. Glücklicherweise warten unsere Freunde mit einer


Verpflegungsstation am Parkplatz der Ehrwalder Zugspitzbahn. Jubelnd werden wir nach 35 Kilometern und 3.000 Höhenmetern empfangen. Ein emotionaler Augenblick, hier auf meine Freunde zu treffen, die sich zum Teil extra Urlaub genommen haben, um mich bei meinem Projekt zu unterstützen. Run 3: 13 Uhr Aufstieg über den Stopselzieher auf die Zugspitze Gemeinsam starten wir als größte Gruppe dieses Tages in den dritten Zugspitzweg, den Stopselzieher, unser zweiter Aufstieg zur Zugspitze. Dieser ist bekannt als vermeintlich kürzerer, aber heftiger Anstieg, knapp 2.000 Höhenmeter auf weniger als sechs Kilometern. Landschaftlich ist dieser Aufstieg reizvoll: Zu Beginn hat man einen tollen Blick auf den mystischen Eibsee. Der eigentliche Klettersteig ist mit A/B relativ einfach. Wir kommen zügig voran, obwohl nach mehr als 4.000 Höhenmetern auch ich allmählich meine Beine spüre. Dennoch erreichen wir die Zugspitze zum zweiten Mal an diesem Tag, deutlich früher als erwartet. Überglücklich fallen wir uns in die

Arme und feierten den Augenblick. Mein Traum ist wahr geworden – ein bewegender Moment. Run 4: 16 Uhr Abstieg übers Reintal, unser Finish Es folgt ein ausgedehnter Downhill über das Reintal bis nach GarmischPartenkirchen mit weiteren 23 km und 2.300 Höhenmetern im Abstieg sowie einigen Gegenanstiegen. Im letzten Tageslicht erreichten wir erschöpft, aber glücklich unseren Ausgangspunkt, den Hausbergparkplatz in GarmischPartenkirchen. Unsere Freund:innen empfingen uns lachend und jubelnd. Was für eine intensive, was für eine beglückende Begegnung mit meinem Hausberg und mit den Menschen, mit denen ich meine Liebe für die Berge teile. Miria Meinheit lebt in Garmisch – es kann deutlich schlechtere Hausberge als die Zugspitze geben. Die 31-Jährige war in dieser Saison eine Vielstarterin mit Podiumsplätzen etwa beim ZUT oder beim Kaiserkrone Skyrace. Beim Transalpine Run gewann sie gemeinsam mit Patrick Ehrentaler den Run2 in der MixedKategorie. Miria Meinheit wird als Trail Hero von Dynafit unetrstützt.

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Das war ein emotionaler Augenblick, hier auf meine Freunde zu treffen, die sich zum Teil extra Urlaub genommen haben, um mich bei meinem Projekt zu unterstützen.


TIPPS Trailabenteuer 2023

Text: CLEMENS NIEDENTHAL & DENIS WISCHNIEWSKI

DAS IST MEINS!

Alpenüberquerung, alle Gipfel des lokalen Mittelgebirges, ein Homerun in den Wohnort der Kindheit – Trailrunning schreit nach solchen Abenteuern. Sechs Tipps die helfen, das richtige Adventure für sich zu finden. 54

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Man hört sie ja immer wieder, auch in diesem Magazin. Geschichten von Leuten, die einfach losgelaufen sind. Über den Pacific Crest Trail zum Beispiel, so wie Timothy Olson. 51 Tage, 16 Stunden und 55 Minuten lang. Das ist dann aber doch ein wenig zu lang, werdet Ihr jetzt einwenden. Aber genau darum soll es im Folgenden gehen. Um sechs Tipps, die Euch dabei helfen, Euer ganz persönliches Projekt zu finden, zu planen und richtig einzuschätzen. Eine harte, herausfordernde Erfahrung wird so ein Abenteuer ja ohnehin. Mit der richtigen Vorbereitung und viel Lust und Zutrauen aber auch eine wunderschöne, prägende Erfahrung. Schickt uns gerne ein paar Eindrücke von unterwegs.

1. Laufe Deinen Lauf

Intrinsische Motivation. Darum sollte es beim Laufen gehen. Und erst recht beim ersten eigenen Laufprojekt. Eine Alpenüberquerung? Klar hat die jede:r mal auf seiner Bucket List stehen. Aber Hand aufs Herz: Hast Du davon nicht schon viel zu viel gelesen. Und viele Bilder auf Instagram gesehen. Finde stattdessen Ankerpunkte in der Biografie. Orte, die Dir wichtig waren. Oder Deinen Großeltern. Distanzen, die Dein Leben geprägt haben. Berge, die Deine Leidenschaft für die Berge im Generellen ausgelöst haben. Wir machen ein Laufmagazin und finden: Kein Projekt ist faszinierend, ohne die faszinierende, persönliche Geschichte dahinter. Vertraue uns (Und Dir): Auch Du hast etwas Großes und Intensives zu erzählen.

2. Erkenne, was Dir nicht liegt

Biwakieren im Wald oder auf dem Berg. Die einen würden sich am liebsten jeden Abend in den eigenen Vorgarten legen, nur mit Schlafsack und Isomatte. Andere ahnen, dass sie nach so einer Nacht erstmal drei Stunden zu Nichts zu gebrauchen sind. Wetter, also wirklich WETTER, Dauerregen, Sturmböen, nass bis auf die Knochen. Für manche fängt da der Spaß erst

an, andere sind eben nicht mit allen Wassern gewaschen. Endlose Flachpassagen. Kann man lieben, oder eben hassen. So ein Projekt ist aber keine Mutprobe. Und so geht es als Letztes darum, etwas zu machen, gerade weil man es eigentlich gar nicht mag. Gönne Dir das Pensionsbett am Etappenziel, verschiebe die Umrundung des Saarlandes (das schreiben wir jetzt, weil das Saarland ja immer als Synonym für eine bestimmte Größenangabe herhalten muss) auf ein sonnigeres Wochenende: Kurz: Schaffe Dir Rahmenbedingungen, in denen Du Dich zuhause fühlst. Und schöpfe daraus die Kraft, auch die wirklich widrigen Momente zu meistern.

3. Es müssen nicht die Alpen sein

Die meisten von uns lieben die Alpen, haben aber eine weit engere Beziehung zu einem Mittelgebirge in der Umgebung des Wohn- oder Geburtsortes. Wer also ein Lauf-Adventure sucht, das auf Trails stattfinden soll, ohne dabei Restgletscherfelder zu streifen, findet im Schwarzwald, Thüringer Wald oder der Schwäbischen Alb bestens markierte Fernwanderwege. Um konkret zu werden: Der Wanderweg HW1 führt über rund 400 Kilometer in einem sagenhaften Auf und Ab einer Bergkante entlang und ist dabei fast immer im Singletrail-Modus unterwegs. Echte Flowtrails mit knackigen Anstiegen, tollen Panormamablicken und Zick-Zack-Downhills. Plane unbedingt mit den deutschen Mittelgebirgen - das sollte auch kulinarisch in Sachen Carboloading eine hochattraktive Angelegenheit sein.

4. Nutze professionell geplante Wettkampf-Strecken

Wer bei einem Trail-Wettkampf teilnimmt, muss sich an einen definierten Termin halten. Das ist im engen Kalender und im Freizeitstress oft nicht so einfach. Deshalb sind eigene Abenteuer so unbeschreiblich praktisch - sie finden, wenn das Wetter passt, in fast jede Lücke und lassen sich verschieben oder vorziehen. Dass ein Veranstalter seine Rennstrecken heute im Vorfeld längst im Detail und als GPX Track

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zur Verfügung stellt, ist etwas, was wir nutzen sollten. Laufe also den UTMB, ZUT, UTMR oder GGUT einfach für Dich und vielleicht mit etwas Veränderungen, die es zu „Deinem“ Projekt machen. Idee: in die andere Richtung als beim Event, mit Varianten auf die Gipfel der Strecken oder in Teilstücken, aber dafür etwas schneller. Vielleicht brichst Du dann summiert sogar den Streckenrekord!

5. Pimp your Urlaub!

Weil wir alle keine Vollprofis und Berufs-Trailrunner sind, sind Laufabenteuer vermutlich meist eng an den klassischen Urlaub geknüpft. Suche Dir also am Urlaubsort oder auf dem Weg dorthin das ganz besondere Trailrun-Erlebnis. Ein Vorschlag: Lass Dich von der Familie aussetzen! Du könntest beispielsweise die letzten 50 Kilometer vor der Ferienwohnung Deiner Frau, Mann, Freund oder Freundin das Lenkrad überlassen und auf Schuhwerk wechseln. Das bietet sich in Richtung Cote d Ázur an, wenn Du diese Reststrecke auf Traumtrails der Seealpen läufst. So happy kam noch niemand am Urlaubsort an!

6. Mache Dein Projekt zu Eurem Projekt

Laufen ist oft eine einsame Angelegenheit. Langes Laufen umso mehr. Und gerade bei einem persönlichen Laufprojekt geht es ja genau um diese Grenzerfahrungen. Die Kilometer und Stunden jenseits der Komfortzone. Die Momente, in denen man sich selbst noch einmal ganz neu und anders begreift. Spätestens bei einem mehrtägigen Projekt ist eine Crew aber hilfreich. Die beste Freundin, die Eltern, vielleicht der erfahrene Läufer, der Dich damals zum Trailrunning gebracht hat. Gerade wenn absehbar ist, dass diese Stunden oder Tage läuferisch fordernd werden, macht es Sinn vieles Übrige zu delegieren. Die Voraussetzung dafür: Gib Deinen Mitmenschen ganz unbedingt das Gefühl, elementarer Teil Deines Abenteuers zu sein. Ach was, Eures Abenteuers.


MYVIRTUALTRAIL.DE Virtual Running

Spurenlose Strecken

Das Jahr ist fast zu Ende und damit auch die Saison bei MyVirtualTrail. Knapp 400 Aktivitäten wurden über das Jahr auf unserer Laufplattform hochgeladen. Text: BENNI BUBLAK

Unser Dank gilt allen aktiven Teilnehmer:innen. Ein jeder ist eine oder mehrere unserer 15 Strecken oder eine der Monats-Competitions gelaufen. Um sich in der Jahresbestenliste ganz oben zu platzieren, musste man definitiv mehrere Strecken laufen. Sieger bei den Männern wurde das zweite Jahr in Folge Rene’ Strosny. Rene lief jede einzelne der 15 über das Land verteilten Routen. Aber er war nicht nur fleißig. Auf sechs dieser Routen hält er sogar die Bestzeit. Mit 391 Punkten lag er schon lange vor Ende November uneinholbar vorn. Die Plätze dahinter belegten Fabian Häde und Paul Ruick, die nur minder schnell und fleißig unterwegs waren. Ähnlich wie Rene’ führte auch Helen Schrötter schon lange vor Schluss die Rangliste an. 284 Punkte sammelt sie am Ende. Helen kommt aus Jena und ging mit Hilfe des 9-Euro Tickets auf Punktejagd, nachdem sie per Zufall auf unsere Seite und die Strecke in Jena gestoßen ist. Sehr schnell unterwegs war Ramona Falk, die auf jeder der vier Strecken die sie lief die schnellste Zeit ablieferte und sich damit letztendlich Platz zwei sicherte. Die Lieblingsstrecke der alpin-erfahrenen Läuferin war natürlich das Lenggries Skyrace. Josephine Wolfram komplettiert das Podium der erfolgreichsten Damen. Wir haben Euch in den letzten zwei Monaten im Rahmen unserer Monats-Challenge nach Strecken gefragt. Strecken für das kommende MyVirtualTrail Jahr. Um ein hochkarätiges Streckenangebot mit den schönsten und spaßigsten Trails des Landes an-

zubieten, sind wir natürlich auf Euch Locals angewiesen, die ihr Revier am besten kennen. Wer also noch Vorschläge hat, kann sie gern über folgende Mail einsenden: info@myvirtualtrail.de. Denn wir sehen uns wieder 2023. Mit neuen Strecken und alter Begeisterung. Auf www.myvirtualtrail.de Helen genoss es, dass sie sich selbst einteilen konnte, wann sie läuft. Neue Gegenden zu erkunden, also andere Landschaften und Strecken zu sehen, motivierte sie dazu auch längere Anreisewege in Kauf zu nehmen..

Mit seiner Frau unternahm Rene regelmäßige Wochenendausflüge zu den Strecken unserer Plattform. Meist lief er dabei am ersten Tag die Strecke gemütlich mit seiner Frau, um am nächsten Tag mit Streckenkenntnis die Bestzeit anzugreifen.

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PORTRÄT Jodok Dietrich Text & FOTOS: CLEMENS NIEDENTHAL

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Jodok,

Koch & Läufer.

Zum Glück kann man die tiefe Liebe eines Menschen zu seinem Sport nicht in Ergebnislisten ablesen, erst recht nicht in einem Instagram-Profil. Eine intensive Begegnung im Bregenzerwald mit Jodok Dietrich. Und einem geschmorten Spitzkohl

Man muss vielleicht nur lange genug gehen, um zu einem Läufer zu werden. Und man muss einen guten Grund haben, um erst einmal mit dem Gehen zu beginnen. Das ist die Geschichte von Jodok Dietrich. Und diese Geschichte beginnt weit im Norden, zumindest für einen, der in Vorarlberg aufgewachsen ist. Sie beginnt in Le Mont-Saint-Michel, der Felseninsel im Wattenmeer der französischen Normandie, benannt nach dem Erzengel Michael, bekannt für seine Abtei, deren Ursprünge zurück bis ins zehnte Jahrhundert reichen. In der Normandie ist Jodok Dietrich mit dem Vater gewesen, der auch Jakob hieß, so wie der Jakobsweg, von dem gleich die Rede sein wird. Die beiden haben Austern gegessen, weil man das in der Normandie so macht. Weil die Auster in der Normandie etwas ist wie im Bregenzerwald das Käsebrot. Kulinarische Identität. Für Jodok Dietrich waren diese Austern etwas Besonderes. Und vielleicht ein Grund dafür, dass Jodok Dietrich später Koch geworden ist. Nach der Matura und einem kurzen Studium der Wirtschaftswissenschaften hatte er im Adler in Schwarzenberg mit der Ausbildung zum Koch begonnen. Damals eine der besten Küchen Vorarlbergs und mithin Österreichs. Weshalb diese Geschichte also irgendwie doch im Bregenzerwald beginnt. Jetzt, im Juli 2017, beginnt für Jodok Dietrich aber etwas Neues. Und es beginnt eben in Le Mont-Saint-Michel, weil in Le Mont-Saint-Michel der Jakobsweg beginnt. Gut 1500 Kilometer bis Santiago de Compostela. Irgendwann nach 800 oder tausend Kilometern in den französischen Pyrenäen wird der heute 38-Jährige aus

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PORTRÄT Jodok Dietrich dem Wander- in den Laufschritt wechseln. Der Vater, der auch Jakob hieß, wollte diesen Jakobsweg so gerne einmal gehen. Und ist dann mit 72 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. „Ich hatte das Gefühl, dass ich hier eine Sache zu Ende bringen musste, für meinen Vater, aber auch für meine Beziehung zu ihm. Ich musste eine Lücke schließen, da war vieles noch nicht zu Ende erzählt.“ Das Laufen, das Erzählen, das Zuhören, den anderen und auch sich selbst. Das in sich hineinhören. Tatsächlich ist Jodok Dietrich einer der Menschen, denen ich bisher auf den Trail begegnet bin, bei denen es nicht nur eine Floskel bleibt, wenn sie vom Trailrunning als einer zumindest auch spirituellen Erfahrung erzählen. Also, Jodok, bist Du ein spiritueller Mensch? „Zumindest habe ich mich, auch über meine Frau, solchen Themen geöffnet. Wenn ich etwa Yoga mache, und ich mache regelmäßig Yoga, dann ist mir ein meditativer, meinetwegen auch spiritueller Zugang näher als rein funktionales Dehnen und Stabilisieren. Ich glaube darüber hinaus auch nicht, dass man seiner Familie, seinen Freunden, seinem Umfeld Gutes tun kann, wenn es einem selbst nicht gut geht. Ganz bei sich zu sein, auch dafür nutze ich das Laufen. Wobei ich mir bewusst bin, dass das ein schmaler Grat sein kann, und eben auch mal bedeutet, ganz bewusst nicht zu laufen.“ Schön, schöner, Schönenbach Der Ort, der für Jodok Dietrich unmittelbar mit dem Trail-

running verbunden ist, und der für ihn durchaus so etwas wie ein Kraftort ist, ist ein Vorsäß im Bregenzerwald. Vorsäß werden die Almen genannt (die im Bregenzerwald wiederum Alp heißen), auf die die Kühe im Mai getrieben werden und auf die sie dann noch einmal im September kommen. Vor und nach dem Sommer auf der Hochalpe. Die Vorsäß von Jodok Dietrich ist aus dem Jahr 1609. Und beinahe so lange schon im Besitz seiner Familie. Sie liegt in Schönenbach hinter Bezau und Bizau. Die letzten Kilometer führen über eine Mautstraße. Das Alpdorf selbst, in dem bis vor ein paar Jahren noch eine Handvoll Menschen ganzjährig gewohnt haben, ist autofrei. Im Hintergrund der Hohe Ifen, gemeinsamer Gipfel mit dem Allgäu und dem Kleinwalsertal. Es ist eines der Lieblingsziele von Jodok Dietrich. Das Kruzifix hängt in einer Ecke der Stube, vis-á-vis dem gemauerten Kachelofen. Weil der Herrgottswinkel in den alten Bauernhäusern und Alphütten des Bregenzerwaldes immer vis-á-vis dem Kachelofen war. Das waren die beiden Ankerpunkte der häuslichen Gemeinschaft, der Glaube und die Wärme. Der Familienvater ist kein gläubiger Mensch, zumindest nicht mehr im christlichen Sinne. Aber es erzählt viel über ihn, dass ihm diese Tradition wichtig ist. Das Haus habe schließlich die älteren Rechte. Er sorgt sich nur darum und wird es einmal weitergeben. „Als Kinder waren wir auch mal in Griechenland. Mein Vater meinte, dass wir das alles auch mal sehen sollten, die Tempel, die Antike, die ganze Geschichte. Als wir zurück waren, habe ich gesagt: ‚War ein

Seit zwei Jahren lebt Jodok Dietrich vorwiegend vegan. Was er als erstes bemerkt hat? Das Training wurde effizienter, die Erholungsphasen haben sich verkürzt

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REZEPTE Gebrannter Spitzkohl mit Polenta und Schnittlauchsoße

Zutaten für Vier 1 Soitzkohl, etwas Salz Für die Soße (die Hälfte davon ist für die Polenta): 40g rote Linsen, 140g Cashews (20min in warmen Wass einweichen), 20g altes Weißbrot ohne Rinde, 1 Knoblauchzehe, 800ml Wasser, 1 Prise Salz. 40g Rapsöl, Bund Schnittlauch, etwas Kürbiskernöl Polenta: 400g Soßenbasis, 80g grobes Maisgriße, Thymian, ein Schuss Olivenöl Den Spitzkohl wenn möglich auf dem Grill, noch besser in der Glut eines Feuers bei mehrmaligen Wenden garen. Geht aber auch wunderbar im Ofen: Spitzkohl salzen, in Alufolie wickeln und bei 250 Grad 45min garen. Die Soße: Knoblauch fein schneiden und in wenig Öl andünsten. Linsen, Nüsse und Brot dazugeben und mit Wasser aufgießen. Für ca. 15-20min köcheln lassen. Im Mixer pürieren und das Rapsöl langsam dazugeben. Die Hälfte der Soße in eine Casarole geben und in die Polenta einrühren. Immer mal wieder umrühren und bei niedriger Hitze 45min ziehen lassen. Anrichten: Den Spitzkohl von den äußeren Blättern befreien. In einer Pfanne mit einer Prise Salz und Zucker noch einmal anbraten. Die Soße erwärmen und den feingeschnittenen Koblauch dazugeben. In einem Teller etwas Polenta anrichten, den Spitzkohl daraufsetzen und mit der Soße umgießen.

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PORTRÄT Jodok Dietrich

schöner Urlaub, aber jetzt fahren wir noch nach Schönenbach.‘“

„„Wenn ich eine Sache mache, dann will ich sie auf von Grund auf begreifen. So war das mit dem Kochen. So ist es jetzt mit dem Trailrunning"

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Ein seltenes Glück, so einen Ort zu haben. Aber Jodok Dietrich teilt das alte Haus auch gerne. An diesem Oktobertag teilt er es mit mir. Wir werden gemeinsam kochen, im alten Holzofen, der so alt scheint wie das Haus selbst. Er ist vermutlich aus dem späten 19. Jahrhundert. Und auf einer erheblich modernen Induktionsplatte. Bald soll eine moderne Edelstahlküche eingebaut werden. Aus dunklem unbehandeltem Stahl, dass die Patina dieses Zuhauses möglichst wenig stört. Jodok Dietrich entwickelt hier Rezepte und Ideen. Und veranstaltet Workshops, bei denen es mal um guten Kaffee geht, mal ums Backen oder um handwerkliches Drucken. Genauso nämlich, wie Jodok Dietrich dort oben gerne allein ist, oder mit seiner Familie, bringt er in Schönenbach auch gerne Menschen zusammen. Ein-, zweimal im Jahr gibt es deshalb ein mehrtägiges, leises Festival, mit Bettenlager auf dem ehemaligen Heuboden. Auch Trailrunning ist dann ein Thema. Das eigentliche Thema, so spiegelt es auch das Feedback der Teilnehmer:innen, ist aber der Ort selbst. Draußensein aus der Welt, ohne Termine, ohne Mobilfunkempfang, ohne den Druck, ewig und immer funktionieren zu müssen. „Die meisten lernen hier loszulassen. Was mich auch deshalb freut, weil es eine Erfahrung ist, die ich schon seit meiner Kindheit mit diesem Ort verbinde. Das Festival übrigens heißt wie die Adresse des Hauses: Schönenbach 345. Die Demut des Langstreckenläufers Der Jakobsweg, 1500 Kilometer. Die heutige Tour ist merklich kürzer. Sie führt auf den Hirschberg, der grasige, überraschend steile Hausberg von Schönenbach. Den Auftakt machen einige Schleifen auf einer Forststraße. Wir biegen auf den Trail. Und der 38-Jährige ist jetzt in seinem Element. Mit kleinen, gleichmäßigen Schritten, die auch im Uphill das Tempo halten, die Arme fast bedächtig hinter dem Rücken verschränkt. So läuft einer, der sich nicht vom Moment übermannen


lässt. Und der doch ganz im Moment läuft. Stoisch, aber auch mit einer Leichtigkeit. Deshalb das Yoga? Oder überhaupt die Körperarbeit, die für Jodok explizit zu diesem Sport gehört „Wenn ich etwas mache, dann will ich es auch ganz und gar begreifen. So war das damals mit dem Kochen, so ist das jetzt mit dem Trailrunning.“ Und so hat sich Jodok Dietrich etwa tief in die us-amerikanische Podcast-Szene hineingehört. Rich Roll ist sein aktueller Favorit. Auch einer, der den Endurance-Sport ziemlich ganzheitlich betrachtet. Seinen ersten Hunderter ist Jodok Dietrich während der Pandemie gelaufen. Fünf Schleifen à zwanzig Kilometer von seiner Wohnung in Dornbirn aus. Ein leises Abenteuer. Und seine Frau, die inzwischen auch mit dem Trailrunning begonnen hat, hat inzwischen mehr ITRA-Punkte als er. Jodok Dietrich hat gar keine, einerseits. Andererseits hat Jodok Dietrich sogar einen Trailrunning-Verein gegründet. Den Trailrunning Club Vorarlberg. So richtig mit Vorstand, Jahreshauptversammlung, Vereinsstatuten und so. Aber auch das erzählt vor allem davon, wie gerne dieser Jodok unter Menschen ist. Wie er sich für Menschen engagiert. Ob er denn gut allein sein könne auf den Trails? Klares Ja. Aber da ist genauso diese Lust, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben. Und überhaupt erst einmal Gemeinschaften zu schaffen. Die Suche nach dem Glück Seit gut zwei Jahren lebt Jodok Dietrich beinahe vegan. Nur beim Backen auf die Butter zu verzichten, fällt ihm noch immer schwer. Diese Entscheidung hatte viel mit seinem Beruf zu tun, „mit den 4800 Doraden die wir in einer Sommersaison verarbeitet haben, damals, als ich noch in München in einem Fine-Dining-Restaurant war“, aber auch mit dem Trailrunning. „Wenn ich etwa Courtney Dauwalter nehme, klar sind ihre Leistungen unglaublich stark. Aber wenn sie mal aus einem Rennen aussteigt, dann sind es immer Probleme mit dem Magen. Das finde ich mindestens interessant bei einer Athletin, die für sich immer betont, dass sie alles essen könne und alles essen würde.“ Wie es seinem Magen inzwischen geht? „Ich habe das für mich ziemlich akribisch ausgewertet. Und tatsächlich war das einer der signifikantesten Unterschiede seit ich vegan lebe: Mein Training ist nachprüfbar effizienter, die Erholungsphasen haben sich verkürzt.“ Taugt das als Botschaft an alle Trailläufer:innen da draußen? „Zuallererst geht es im Leben doch darum glücklich zu sein. Diesem Ziel sollte auch das Laufen dienen, und nicht umgekehrt. Ich mag niemanden missionieren.“ Jodok Dietrich sagts, und redet doch andererseits auch von der Verantwortung, die er habe, gerade weil ihn zumindest in Vorarlberg so viele kennen und schätzen. „Ich bin hier schon ein Koch mit einem gewissen Einfluss“, so der Mann, der gegenwärtig neben seinen Workshops etwa noch das ziemlich wunderbare Sonntagsgasthaus in Grossdorf leitet, „ich hätte schon große Lust, den Leuten hier eine zeitgemäßere Ernährung nahezubringen, eine gemüsebasierte Küche mit kleinen Ausflügen zu regionalen Produkten tierischen Ursprungs.“ Gut möglich also, dass man mit diesem Jodok Dietrich bald nicht nur wunderbar laufen, sondern in seinem eigenen Restaurant auch wunderbar essen kann. Und von beidem wird man noch lange zehren.

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Die Voralpe in Schönenbach ist aus dem Jahr 1609. Der Familie von Jodok Dietrich gehört das Haus fast so lange. In dieser Tür mit Blick auf die Dorfkapelle haben Jodok und seine Frau geheiratet


HINTERGRUND NNormal Text: CLEMENS NIEDENTHAL

Kilian Jornet ist die smarte Konstante unseres Sports. Der Typ, der alles gewinnt. Vor allem die Herzen. In diesen Tagen schickt Jornet seine eigene Trailrunningmarke ins Rennen. Und schürt Erwartungen, die auch von einem Widerspruch erzählen: der Sehnsucht nach coolem, gutem Konsum

Was ist schon 64

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nnormal?

Ein Lauf unter Freunden im gerade vergangenen Oktober. Ein Trailschuh mit einem Loch am großen Zeh und aufrichtig abgelaufenem Profil. Ja, er hätte gerade kaum noch einen funktionierenden Schuh in seiner Equipmentkiste, sagt der Mitläufer, er warte nämlich sehnsühtig darauf, dass die beiden Trailschuhmodelle von Nnormal endlich erhältlich seien. Ihr wisst schon: Das ist die Trailmarke, die Kilian Jornet gemeinsam mit dem Inhaberpaar der bekannten mallorquinischen Schuhmanufaktur Camper gegründet hat. Das ist der Schuh, mit dem Jornet in diesem Jahr den Ultra-Trail du Mont-Blanc gewonnen hat, genauso Zegama-Aizkori und den Hardrock 100. Konsum als Verheißung. Die Geschichte ist so alt, wie die Erfindung des Geldes. Vermutlich sogar noch älter. Und es gab im Trailrunning ja schon immer Sachen, auf die die Community sehnsüchtig gewartet hat. Oft trugen diese ein S-Lab im Namen, hatten also auch unmittelbar mit Kilian Jornet zu tun, der ja bis im vergangenen Jahr selbst noch Salomon-Athlet war. DER Salomon-Athlet. Das synergethische Zusammenarbeiten der Marken mit Athlet:innen, im Trailrunning hat das also mit Kilian Jornet begonnen. Mit einem 19-Jährigen aus den Pyrenäen, der für einen noch jungen Sport ein ganz anderes Equipment wollte. Leicher, agiler, minimalistischer. Jornet hatte Trailrunning vom generellen Bergsport emanzipiert. Emanzipation ist ein gutes Stichwort. Diesmal ist einiges anders. Nicht nur, weil es als bestätigtes Gerücht gelten darf, dass Kilian Jornet seinen alten Ausrüster auch wegen des Umzugs maßgeblicher Entwicklungsabteilungen nach China verlassen hat. Globalisierunsgkritik? Vielleicht. Wer Jornet aber ein wenig kennt, ahnt, wie wichtig dem Katalanen die unmittelbaren Kontakte zu seinem Team sind. Und dass jene, die sich um die Ausrüstung kümmern, für ihn ganz unbedingt zu dieser Kernfamilie gehören. Legendär die Ausrüstung für seinen Rekord am Mont Everest. Ein Salomon S-Lab Sense, der quasi von einem hoch-, nein,

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HINTERGRUND NNormal

Telefonat mit Greta? Kilian Jornet steht glaubhaft für den Anspruch, einen in mehrerer Hinsicht globalisierten Sport nachhaltig(er) zu denken

Nicht weniger entscheidend sind aber andere Zahlen. Jene 800 Kilometer etwa, die Jornet in einem einzigen Paar trainiert hat, bevor er eine nachlassende Reaktivität der Mittelsohle festgestellt haben will. Über mehr als 1300 Kilometer habe er den Schuh insgesamt als Trainings- und Wettkampfschuh benutzt (und auch danach nicht entsorgt). Fakt ist: Zegama, Hardrock100 und den UTMB hat er mit einem einzigen Paar gewonnen. Fakt ist aber auch: Auch die etablierten Hersteller beginnen bereits, nicht mehr nur das geringere Gewicht oder die reaktivere Dynamik eines neuen Modells zu betonen, sondern genauso die gestiegene Haltbarkeit. Ob dem immer so ist, werden wir in einigen Monaten wissen. Was indes auch nachaltig ist: Den Markt nicht alle drei Monate mit neuen Farben oder minimal upgdateten Modellen zu fluten. Diesbezüglich hat Nnormal bereits angekündigt, dass etwa die übrigens in Portugal gefertigte, schlicht gehaltene Textil-Kollektion für die kommenden Jahre Bestand haben wird.

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Foto: Jordi Saragossa

höchstalpinen Stiefel umschlossen war. Solche Bilder, und im Trailrunning geht es ja immer auch um Bilder, scheinen plötzlich sehr weit weg. Kilian Jornet am Mont Everest, Kilian Jornet am Mont Blanc, Kilian Jornet am Pikes Peak. Gerade hat der 35-Jährige über die Sozialen Medien verkündet, dass man seinen Namen diesmal nicht im Lostopf für den Hardrock 100 finden wird. Der ökologische Fußabdruck, die globale Verantwortung: Sein persönliches Budget an Flugmeilen wolle er künftig für neue Erlebnisse aufsparen. Schon äußerten sich welche, die darin einzig eine Marketingkampagne für Nnormal (und für Jornet selbst) sahen. Womit das Dilemma benannt wäre: Die Fallhöhe in einem bis auf Weiteres an globalisierte Produkionsprozesse gebundenen Markt, eine transparente und nachhaltige Marke zu etablieren, sie ist vermutlich höher, als bei jeder sportlichen Herausforderung in Jornets Laufbahn. Tomir und Kjerjag heißen die beiden, seit Mitte November zunächst in ausgewählten Online-Stores erhältlichen Trailschuhmodelle von Nnormal. Ein Everyday Runner und eben der KilianSchuh, bennant nach zwei Bergen in Kilians Wahlheimat Norwegen. Daher auch das Nor in Normal, das Mal steht für Mallorca, der Heimat von Camper. Mit 150 beziehunsgsweise 180 Euro kosten Tomir und Kjerjag so viel, wie die Modelle der meisten Mitbewerber. Genauso viel wie der Salomon S-Lab Pulsar etwa, das letzte Modell von Salomon, das für und mit Kilian Jornet entwickelt worden war. Ohne den Praxistest im kommenden Heft vorwegzunehmen: Im ersten Eindruck kommen sich Nnormal Kjerjag und Salomon S-Lab Pulsar tatsächlich nahe. Der Kjerjag ist etwas flexibler und auch, aufgrund der breiter ausgestellten Sohle, stabiler. Also in den Möglichkeiten, eines keine 200 Gramm (Eur 42,5) leichten Schuhs. Beeindruckt hat uns die Dynamik des Mittelsohlenschaums, Nnormal steigt auf hohem Niveau in den Wettbewerberb mit den etablierten Marken ein.

Wird Nnormal den Trailmarkt verändern. Sicher. Das liegt an Kilian Jornet, seinen gewiss ehrlichen Absichten, aber genauso an einer Zeit, in der auch alle anderen Hersteller gut beraten sind, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken. Davon erzählt auch der große Nachhaltigkeits-Report in diesem Heft. Auffällig ist in dieser Hinsicht das kleine Team der Nnormal-Athlet:innen, neben Kilian Jornet natürlich seine Lebengefährtin Emelie Forsberg sowie Tofol Castanyer, ein Mallorquiner genau wie Camper und ein ziemlich wunderbarer Typ. Vor allem aber ist da Dakota Jones, neben Rickey Gates vielleicht der große Geschichtenerzähler, der große Geschichtenfinder im Trailrunning und einer, der über diesen Sport und seine Zusammenhänge intensiver nachdenkt als die meisten anderen. Einer, dem man glaubhaft abnimmt, dass er hinter die Dinge guckt. Zumal die Dinge, die wir konsumieren. Wird Nnormal also den Trailmarkt verändern? Vielleicht erscheint diese neue Marke aber auch genau zum richtigen Zeitpunkt in einem, sich ohnehin wandelnden Markt.


DIE TRAILRUNNING AWARDS DES JAHRES

Freitag 24. Februar Samstag 25. Februar München

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HINTERGRUND Laufen mit Krankheit Text: BENNI BUBLAK Fotos: ADRIAN NISKI

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Eine Verletzung oder eine Krankheit können unseren Sport und auch unser Leben von einem auf den anderen Tag auf den Kopf stellen. Eine schmerzhafte Erfahrung, der sich nun auch TRAIL Redakteur Benni Bublak stellen muss. Ein Erfahrungsbericht von vielen.

Lange habe ich mit mir gehadert, ob ich diesen Text schreiben soll. Über die eigene Verletzlichkeit reden, ist schwer. Sehr schwer. Dies ist keine Heldengeschichte. Sie hat kein Happy End. Aber auch diese Geschichten finden statt. Jeden Tag. Überall. Ist man dann nicht verpflichtet, ihnen Raum zu geben? Versuchen wir es. Lungenembolie und Thrombose. Diese Diagnose riss mein Leben vor mittlerweile fast 13 Jahren ziemlich aus den Fugen. Mit 21 Jahren fühlt man sich eigentlich unsterblich. Man ist fit, leistungsfähig und voller Tatendrang. Zwei Tage Intensivstation sind da einfach nicht vorgesehen. Mit 21 Jahren ist man außerdem ziemlich ahnungslos. Was eine Thrombose, die sich von Knie bis Bauchnabel erstreckt, bedeutet, war mir nicht bewusst. Dass solche großen Thrombosen irreparable Schäden am tiefen Venensystem hinterlassen, und jene mich mein ganzes Leben lang begleiten werden, hatte ich nach sechs Monaten schmerzhaftem Herumhumpeln dann zumindest kognitiv doch erfasst. Die Symptome aber besserten sich. Es dauerte, doch irgendwann konnte ich wieder ohne Einschränkungen Sport treiben. Nach einigen Jahren verschwanden sogar die lästigen Stauungssymptome nach längerem Sitzen oder Stehen. Sogar den Kompressionsstrumpf, der diese ausgleichen sollte, konnte ich irgendwann wegschmeißen. Sicherlich war der Sport und diese neue Leidenschaft namens Trailrunning, nicht ganz unerheblich für diesen Heilungserfolg. 20.06.2015 – ich wohne seit ein paar Monaten in Innsbruck in den Alpen. Nachdem es bei den ersten Rennen der Saison sehr gut lief, habe ich mich komplett übermütig für die 100 Kilometer beim Zugspitz Ultratrail angemeldet. Ich habe keine großen Ambitionen. Die Strecke ist doppelt so lang, als alles was ich bisher gelaufen bin. Gemütlich laufe ich los. Das Wetter ist mies. Es regnet ununterbrochen, oben schneit es. Doch ich habe einen Riesenspaß. Überhole Läufer um Läufer.

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Irgendwann sogar große Idole, wie Matthias Dippacher. 10 Kilometer vor dem Ziel, finde ich mich zusammen mit Michael Arend auf Platz eins wieder. Das Adrenalin schießt mir durch den ganzen Körper. Einfach unvorstellbar: Ich laufe beim größten Ultratrail Event Deutschlands um den Sieg. Am Ende ist mir Michael, der spätere Gründer von Michael Arend Training (jetzt TwoPeaksEndurance) ganze 5 Minuten voraus. Michael ist ein konträr anderer Typ als ich und unsere Wege sollten sich in Zukunft noch das ein oder andere Mal kreuzen. Doch das ist eine andere Geschichte. Dieser Zieleinlauf als Zweiter beim Zugspitz Ultratrail ist mir jedenfalls in ganz besonderer Erinnerung. Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder solche starken Emotionen erlebte, so überrascht und überwältigt war ich von diesem Erfolg. Plötzlich gehörte ich zur nationalen Elite im Ultratrail. Durfte die Jahre darauf an Ultratrail Weltmeisterschaften teilnehmen, den Transalpine Run gewinnen und sogar beruflich auf den Trail abbiegen und bei eben jenem Magazin, das ihr in den Händen haltet, als Redakteur anfangen. Meine Krankheit lag damals über fünf Jahre zurück. Ich hatte sie komplett verdrängt. Einzig die Gerinnungshemmer, die ich

Mit 21 Jahren fühlt man sich eigentlich unsterblich. Zwei Tage Intensivstation sind da einfach nicht vorgesehen.


HINTERGRUND Laufen mit Krankheit für den Rest meines Lebens täglich einnehmen musste, erinnerten mich noch daran. Dass ich im rechten Oberschenkel keine Venenklappen und auch keine gesunden Venen mehr hatte, verdrängte ich total. Es glich mit Sicherheit einem Wunder, dass ich mit dieser Vorgeschichte diese sportlichen Erfolge feiern durfte. Aber von diesem Narrativ wollte ich nicht viel wissen. Mit Krankheiten wollte ich nichts mehr zu tun haben. Schließlich lagen viele erfolgreiche Jahre als ambitionierter TrailrunningAthlet vor mir. Und wer fast den Zugspitz Ultratrail gewinnt, muss einfach einen verdammt gesunden Körper haben. Oder etwa nicht? Verdammt war ich heiß. Heiß darauf, diesen Sport mit meinem Körper zu erobern. Mir schießen die Tränen in die Augen. Ich kann nichts dagegen machen. Es ist nicht das erste Mal, seitdem ich Anfang Juni diesen Jahres mit der erneuten Diagnose Thrombose konfrontiert wurde. Aber dieser Moment markiert wohl doch den heftigsten Zusammenbruch. Zumal er inmitten eines überfüllten DB-Zuges, auf dessen Boden ich mitten im Gang hocke, stattfindet. Kurz zuvor hatte mir mein Angiologe mitgeteilt, dass mein Körper nicht das schafft, wovon ich bisher wie selbstverständlich ausgegangen war. Nämlich die 3-Etagen-Thrombose von selbst zu rekanalisieren. Dass die Venen im rechten Bein postthrombotisch verändert sein würden und wahrscheinlich keine intakte Venenklappe im ganzen Bein übrig bleiben würde, damit hatte ich mich schon fast abgefunden. Doch der Befund des Arztes setzte nochmal einen obendrauf und ließ mich in Schockstarre zurück: Ein 10

Zentimeter langer Bereich meiner Kniekehlenvene war noch komplett dicht und machte auch keine Anstalten sich in Zukunft aufzulösen. Der absolute Worst Case. Obwohl ich schon in den letzten Wochen merkte, dass meine Beschwerden sich als deutlich hartnäckiger gestalteten, wie bei der ersten Thrombose, hatte ich damit niemals gerechnet. Mein Arzt gab mir noch einen dünnen Strohhalm mit auf den Weg. Er würde versuchen, die Vene interventionell zu öffnen. Die Methode alles andere als validiert

Er würde versuchen die Vene interventionell zu öffnen. Die Methode alles andere als validiert und das Ergebnis ungewiss 70

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und das Ergebnis ungewiss, aber immerhin ein Hoffnungsschimmer. Denn irgendwas musste passieren. Ich war am Ende meiner Kräfte. So werde ich drei Wochen später stationär aufgenommen. 5-Bett-Zimmer. Meine Zimmernachbarn: Ältere Herren, seit Jahrzehnten Raucher, die an arteriellen Verschlüssen leiden. Eingriffe an Arterien gehören zum Standard-Prozedere in der Medizin. Venenprobleme sind weit komplexer und leider viel schwieriger zu behandeln. Der Aufenthalt entwickelt sich zur Odyssee. Zweimal liege ich auf dem OPTisch. Nachdem ich beim zweiten Mal live zuschaue, wie sich der Arzt mit dem Katheter zwei Stunden lang durch meine p o s t-t h romb ot i s ch veränderten Gefäße schlängelt, um schließlich am Ziel anzukommen und die Vene mittels eines Ballons aufzudehnen, keimt kurzzeitig Hoffnung auf. Doch die Ernüchterung lässt nicht lange auf sich warten. Am nächsten Tag beim Fotoshooting mit der PR-Abteilung des Krankenhauses – spätestens hier dämmert mir, wie weit weg von Routine sich dieser Eingriff bewegte – plagen mich die altbekannten Symptome. Kurz darauf die Gewissheit: Es hat sich ein frischer Thrombus gebildet, der die Vene wieder komplett verschließt. Ich fahre anschließend noch bis ins Sauerland, wo mir eine der wenigen Ärzte-Choryphäen im Bereich Venen bestätigt, dass der Eingriff eigentlich aussichtslos war, es für mich keine Hilfe gibt und die Vene für den Rest meines Lebens dicht bleiben wird. Die kommenden drei Wochen waren wohl die härtesten meines Lebens. Ich stellte alles in Frage.


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REISE Wien HINTERGRUND Laufen mit Krankheit

Mein Ultratrail hat gerade erst begonnen Den Sport, meinen Job, vergangene Lebensentscheidungen, die Zukunft… eigentlich meine ganze Identität. Die Symptome des postthrombotischen Syndroms begleiten mich ständig. Simple Dinge wie Duschen, Spazieren gehen und Auto fahren entwickeln sich zu Hürden des alltäglichen Lebens. Doch das Schlimmste: Das Laufen, welches bisher auch an trüben Tagen immer verlässlich für mein tägliches Stimmungshoch sorgte, machte mit diesem Bein einfach keinen Spaß mehr. Meine Situation ist speziell. Der Alltag macht fast mehr Probleme als der Sport. Doch ich kann mich nun gut hineinversetzen, wie es ist, wenn sich das Leben von jetzt auf gleich

grundsätzlich ändert. Wenn laufen auf einmal nicht mehr möglich ist. Knie, Lunge, Rücken…die Ursachen mögen verschieden sein. Die psychischen Herausforderungen ähnlich. Wie also damit umgehen, wenn solch ein Lebensanker wegbricht? Ein Patentrezept gibt es wohl nicht. Am Ende wird es ein Prozess sein, ein Ultratrail. Mit Höhen und Tiefen. Die Höhen bewusst zuzulassen und zu erkennen, wenn sie da sind, ist manchmal fast das Schwierigste und doch so wichtig. Die Tiefen tun weh, keine Frage, doch sie gehen vorbei und am Ende werden wir uns an sie kaum erinnern. So meine Hoffnung. Ich kann diese große Frage nicht zufriedenstellend beantworten. Noch nicht. Es ist zu früh. Mein Ultratrail hat gerade erst begonnen. Ich bin krank. Chronisch krank. Diese Erkenntnis brach nicht ganz plötzlich über mich hinein. Eher sickerte sie in den letzten Monaten bis in mein

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Großhirn durch, um dort letztendlich mit aller Gewalt einzuschlagen. Einen winzigen Strohhalm hat mir der Doc im Sauerland aber doch noch mit auf den Weg gegeben. Natürlich weiß ich, wie wichtig Bewegung bei Thrombose ist, aber in diesem Moment tönen die Worte des Arztes in meinen Ohren, als wolle sich das Schicksal über mich lustig machen: „Die einzige Therapie für Ihr Leiden ist laufen, laufen laufen.“ Mit den Monaten und Jahren würden sich Um g e h u n g s k r e i s l ä u f e ausbilden. Ob diese ausreichen, um die geschlossene Vene zu kompensieren, ist aber ungewiss. Der gute Doc im Sauerland wusste natürlich nicht, wen er vor sich hatte, und dass „laufen, laufen, laufen“ so gut wie das Einzige war, was ich die letzten Jahre getrieben habe. Nur eben ohne Schmerzen und anschwellendes Bein. Ich werde also weiterlaufen. Das ist gut. Langsamer als zuvor. Kürzer als zuvor. Mit komplett anderen Ambitionen als zuvor: Rekonvaleszenz statt Rekorde. Therapie statt Triumph. Prozess statt Podium. Einer meiner letzten Läufe mit gesundem Bein war der Ultra beim Chiemgau Trail. Ich gewann den Lauf. Wurde deutscher Meister im Skyrunning. Doch von dem unbändigen Endorphinschub, den ich damals beim Zugspitz Ultratrail spürte, war ich weit entfernt gewesen. Wahrscheinlich normal, nach all den Jahren. Im Nachhinein aber ein bisschen schade, sollte dies doch, zumindest für einige Zeit, mein letzter beschwerdefreier Lauf gewesen sein. Mein abschließender Appell liegt daher auf der Hand: Genießt jeden Lauf, den ihr mit gesundem Körper beendet. Wirklich JEDEN!


STUBAI ULTRATRAIL 1. JULI 2023 STUBAI ULTRATRAIL K68 ↑ 5.006 HM ↓ 2.429 HM 68,3 KM

STUBAI K32 ↑ 2.921 HM ↓ 782 HM 32,7 KM

STUBAI K20 ↑ 2.085 HM ↓ 183 HM 20,0 KM

STUBAI K9 ↑ 1.396 HM ↓ 0 HM 9,5 KM

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HINTERGRUND Ressourcen

Kann Spuren von Nachhaltigkeit enthalten Wer durch die Natur läuft, der muss sie doch auch lieben, oder? Der Lebensstil Trailrunning zwischen Repair-Cafés, Recycling-Lügen und der Frage, wie aus Weniger ein Mehrwert wird.

Text: CLEMENS NIEDENTHAL

Viivi Lakonen hatte sich im Sommer den Fuß gebrochen. Während eines Laufs im Urlaub bei Verwandten in Finnland. Und musste dann im Krankenhaus erfahren, dass man ihr keinen dieser farbigen, besonders leichten Kunststoffgipse anlegen werde. Das dafür seit den 1980er-Jahren verwendete Polyesterharz sei faktisch Sondermüll und nicht zu recyceln. Ganz abgesehen von den kleinen und ganz kleinen Partikeln, die spätestens wenn der Gips nach ein paar Wochen aufgesägt werde, in den Lungen der Klinikmitarbeiter:innen landen würden. Immerhin: Zurück in Berlin bekam die Studentin der Kreislaufwirtschaft an der Hochschule für Technik und Wirtschaft einen bequemeren Orthesenstiefel verpasst, den Vacoped des süddeutschen Medizintechnikherstellers Oped. Die Besonderheit: Der Stiefel wird von den Krankenkassen nicht gekauft, sondern nur gemietet. Und anschließend nicht entsorgt, sondern runderneuert und der nächsten Weber-BFraktur zur Verfügung gestellt. Es ist ein Produkt nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip, der Kreislaufwirtschaft. „Es war verrückt“, sagt Lakonen, die selbst Nachhaltigkeit studiert, „auch etwas so Saublödes wie ein Knöchelbruch führte direkt zu Diskursen und Debatten um nachhaltigen Konsum, Ressourcenverbrauch und um den persönlichen ökologischen Fußabdruck.“ In diesem Fall: der persönliche ökologische Gipsfußabdruck. Weniger Besitzen. Mehr Erleben Benedikt Tröster dürfte da aufmerksam zuhören. Zwar verleiht sein Unternehmen keine Orthesenstiefel. Aber

neuerdings wieder Zelte, Schlafsäcke und sogar Isomatten. „Weniger Besitzen. Mehr Erleben“, steht diesbezüglich auf der Homepage des baden-württembergischen OutdoorAusrüsters Vaude, dessen Pressesprecher Tröster ist. Ein Vorzeigeunternehmen. Was Benedikt Tröster so nur bedingt stehen lassen will: „Wir merken immer wieder, dass Kund:innen mit der Erwartung auf uns zukommen, Vaude sei Made in Germany. Das mag auf unsere Fahrradtaschen und vieles andere zutreffen. Aber etwa für eine Jacke mit einer aufwendig konstruierten Membran müssen auch wir auf das Knowhow asiatischer Textilfabriken zurückgreifen, diese hochfunktionellen Stoffe kommen ohnehin fast alle aus Taiwan.“ Globalisierung per se sei aber auch nichts schlimmes, „so lange man sie auf Augenhöhe und mit einer ökologischen wie sozialen Verantwortung denkt und die Unternehmen vor Ort als Partner begreift.“ Klar, Benedikt Tröster könnte sich auch einfach ausruhen, auf dem guten, grünen Ruf seines Arbeitgebers Vaude. Nur sei es eben so, dass wir Konsument:innen noch immer nach einfachen Antworten suchen würden. Wenn nicht nach einfachen Ausreden. Unternehmen wie Patagonia oder eben Vaude streicheln da das gute Gewissen. Man kauft sich also die recycelten, polyesterkarbonatfreien Fahrradtaschen aus der Bodenseeregion – und schmeißt die alten, ökologisch kritischen Taschen weg. „Dabei ist das beste Produkt“, und so einen Satz darf, nein, muss ein Pressesprecher aus der

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Gut Lachen: Patagonia sind die Pioniere der Repair-Cafés. Seit diesem Jahr handeln auch zwei der größten deutschen Outdoor-Händler mit Second-Hand-Bekleidung

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HINTERGRUND Ressourcen Outdoorbranche sagen: „noch immer jenes, das gar nicht erst produziert wird.“ Deshalb hat Vaude sein Mietprogramm wieder aufgelegt: „Ein Zelt, das 362 Nächte im Jahr nur im Keller liegt, kann sich die Welt nicht mehr leisten.“ Aber wird es nicht zunehmend unmöglich, die ganzen Sachen, die man so angehäuft hat, hinreichend zu benutzen? Noch in den 1960er-Jahren besaß ein männlicher Bürger der Bundesrepublik im Schnitt vier paar Schuhe, Hausschuhe mitgerechnet. Heute schmeißt jede:r Bundesbürger:in im Schnitt jährlich vier paar Schuhe weg. Wir Trailrunner:innen dürften vermutlich sogar über dieser Quote liegen. Können wir uns also immerhin damit trösten, wirklich das Letzte aus unseren Trailschuhen herausgelaufen zu haben? Der Inbegriff von Performance Marketingmann Tröster erinnert sich noch an Zeiten, in denen es uncool, wenn nicht gar geschäftsschädigend war, als Outdoor-Unternehmen nachhaltig und ressourcenschonend zu handeln: „Als Vaude in den 1990er-Jahren damit angefangen hat, nach ökologischen Kriterien zertifizierte Textilien zu verwenden, mussten wir die Leute noch überzeugen, dass sie da nicht mit einem Jutebeutel rumwandern – sondern mit einem hochfunktionalen Rucksack. Damals konnten

Materialien gar nicht künstlich und chemisch genug sein, das war der Inbegriff von Performance.“ Und auch heute ist es ja durchaus noch so, dass ökologisch oder sozial engagierte Hersteller wie Vaude, Houdini oder Patagonia in ihrem Markenauftritt eher den sozialen und kommunikativen Aspekt jedweder Outdoor-Aktivität betonen und nicht unbedingt sportliche Höchstleistungen. Und dass andererseits Laufschuhe mit Carbonplatten auch dann noch reißenden Absatz finden, wenn deren Hersteller sogar betonen, dass man diese Schuhe nach rund 200 gelaufenen Kilometern bestenfalls noch zum Rasenmähen verwenden könne. Nicht aber mehr für neuerliche Bestzeiten. Der Highend-Werkstoff habe dann bereits an Spannkraft eingebüßt. Überhaupt, so Viola Wohlgemuth, die sich für Greenpeace mit nachhaltigen und vor allem überhaupt nicht nachhaltigen Textilien beschäftigt, seien die Designabläufe zumeist noch immer so: „Man entwickelt ein bestimmtes Design und dessen spezifischen Funktionsmerkmale, und schaut bestenfalls im Nachgang, ob man das vielleicht mit einem gewissen Anteil an recycelten oder weniger umweltschädlichen Materialien umsetzen könnte. Ziel muss aber sein, Ressourcenschonung an den Beginn jedes Designprozesses zu stellen.“ Der nächste next%-Schuh von Nike wäre dann vielleicht nur genauso „schnell“ wie sein Vorgängermodell, dafür aber

Wer sagt eigentlich, dass ein Maximum an Performance gefragt ist? Und nicht ein Minimum an Ressourcenverbrauch. 76

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in weniger umweltschädlichen Prozessen in einer Fabrik mit höheren sozialen Standards gefertigt. Oder wie es Vaude-Mann Tröster sagt: „Wir nehmen durchaus in Kauf, dass unsere Produkte nicht immer das letzte Quäntchen an Performance herauskitzeln.“ Was im Übrigen anders wäre, wenn sich eine größere Allianz an Herstellern an der Entwicklung ressourcenschonender Membranen und Textilien beteiligen würde. Vergleiche mit der Automobilindustrie drängen sich auf: Auch hier wurden die Motoren ja spätestens seit der von der Politik aufgezwungenen Einführung des Katalysators in den späten 1980er-Jahren immer sauberer und effizienter. Weil sie aber gleichzeitig immer mehr leisten mussten (oder sollten), blieb die Öko-Bilanz dennoch eine negative. Der laufende Beweis Anruf in Heidelberg, bei einem Zukunftsforscher. Auch Eike Wenzel hat sich gerade eine neue Laufjacke gekauft. Von Patagonia. Womit er schon einmal der lebende, ja laufende Beweis dafür ist, dass sich Investitionen in ökologischere Produkte und eine sozialere Unternehmenskultur auch ökonomisch rentieren. Gerade hat Patagonia sein Unternehmen in eine Stiftung überführt, üppige Gewinnmitnahmen oder Spekulationen sind so künftig ausgeschlossen. Ein am Ende nicht nur soziales sondern auch umsatzförderndes Geschäftsmodell? „Ja“, sagt Zukunftsforscher Wenzel, „zumal für ein Unternehmen wie Patagonia, das seine Produkte an eine relativ solvente Zielgruppe mit einer klaren politischen und ökologischen Einstellung adressiert.“ Der Dreiklang nach Wenzel: „Ich bin naturverbunden. Ich kann mir das leisten. Ich verlange das von einem Produkt – und bin auch bereit, dafür etwas mehr auszugeben.“

Generell seien die von Wenzel selbst in den 2000er-Jahren postulierten „Lohas“ – der sogenannte Lifestyle of Health of Sustainability – längst an der Spitze der Konsumgesellschaft angekommen: „Es gibt inzwischen beispielsweise belastbare Studien, dass Kund:innen, die mit dem Fahrrad in die Innenstädte radeln, mehr Geld ausgeben als jene, die mit dem Auto kommen.“ Ist Nachhaltigkeit am Ende also eine Frage des Lebensstils? Eike Wenzel winkt ab: „Leitplanken sind wichtig und diese Leitplanken muss die Politik setzen. Wir sind, zumal wenn wir das mit der Energiewende endlich hinbekommen, auf dem Weg zu einer Green Economy. Nur kann man das nicht den Menschen überlassen, alltäglich die besseren, grüneren, nachhaltigeren Entscheidungen zu treffen.“ Wenzels Erfahrungen: „Die Industrie stellt sich längst auf grundlegende Veränderungen ein, während die Politik schon an einem temporären Tempolimit während der gegenwärtigen Energiekrise scheitert.“ Wo aber steht die (Outdoor-)Industrie jetzt? „Ich war letztlich im Online-Shop eines der größten deutschen OutdoorHändler und musste tatsächlich ein wenig schmunzeln“, so Wenzel, "in den Produktbeschreibungen ist da jetzt von ‚nachhaltigen Elementen‘ die Rede. " Kann Spurenelemente von Nachhaltigkeit enthalten. In so einer merklich zurückgenommenen Formulierung steckt wohl auch die Selbstkritik einer Branche, die vor ein, zwei Jahren noch vollmundig behaupten konnte, dass ein Laufschuh, hergestellt vermeintlich aus Plastikflaschen, die aus den Weltmeeren gefischten wurden, besagte Welt tatsächlich retten könne. „Die Zeiten, in denen Weltkonzerne mit bloßem Greenwashing Karmapunkte sammeln konnten“, sagt Eike Wenzel, „sind inzwischen definitiv vorbei. Gerade weil im

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HINTERGRUND Ressourcen

Die Zukunft des Designs besteht darin, die Menschen und die Dinge zusammenzubringen. Immer wieder aufs Neue

Konsum immer auch ein Glücksversprechen liegt, schauen wir da künftig genauer hin.“ Reparieren ist das neue Cool Textilhändler, sagt auch Greenpeace-Frau Viola Wohlgemuth, müssten konsequent zu Textildienstleistern werden: „Wir brauchen die passenden Gesetze, damit Leihen, Teilen, Reparieren und Secondhand das neue Normal werden.“ Auch auf der Homepage von Salomon, bis dato kaum ein Vorreiter der Ressourcenschonung, landet man inzwischen bereits nach wenigen Klicks bei durchaus hilfreichen RepairVideos. Die Outdoor-Händler Globetrotter und Bergfreunde, beides durchaus Branchengrößen, handeln neuerdings auch mit Second-Hand-Textilien. Und in Berlin-Mitte kann sich die Schusterwerkstatt der ökologisch engagierten Sneakermarke Veja kaum vor Aufträgen retten, auch wenn aufwendigere Reparaturen, sobald etwa die komplette Sohle erneuert werden muss, meist teurer sind, als günstige Markensneakers. Die Kund:innen kommen trotzdem mit Begeisterung. Vielleicht, weil ihnen ihre Turnschuhe ans Herz gewachsen sind, was

viel wert wäre in Zeiten von Fast Fashion. Vielleicht aber auch, weil Reparieren wieder cool geworden ist, ein Handwerk der Distinktion. Veja-Schuster Benjamin Timmermann wollte dabei eigentlich selbst Sneakers entwerfen, nach einem DesignStudium am Institut Colbert im französischen Cholet. Später hat er bei einem Orthopädieschuhmachermeister das Reparieren von Schuhen gelernt. Das kam ihm plötzlich so viel sinnvoller und nachhaltiger vor. Viivi Lakonen übrigens hat die Frage nach einer nachhaltigen Versorgung von Frakturen nicht mehr losgelassen. Am Universitätsklinikum Leipzig, so fand sie heraus, experimentiere man etwa mit einem neuartigen Gipsersatz, der zur Hälfte aus Holzabfällen und einem Biokunststoff auf Milchsäurebasis besteht. Eigentlich, so die angehende Kreislaufwirtschaftlerin, wolle sie aber gar keine neuen Produkte oder Materialien mehr entwickeln: „Es ist doch eh schon alles da in dieser übervollen Welt.“ Die Zukunft des Designs sehe sie eher darin, die Menschen und die Dinge zusammenzubringen. Immer wieder aufs Neue.

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NUR GUTE RATSCHLÄGE Eigentlich wollten wir diesem Text keine Gebrauchsanweisung zur Seite stellen. Und stattdessen einmal grundsätzlich über die Sache mit der Nachhaltigkeit und diesem Trailrunning reden. Aber erstens lieben wir Listen. Und zweitens sind wir selbst auch immer für gute Ratschläge dankbar Informiert Euch

Der beste Weg, einen Fehlkauf zu vermeiden? Mit genauen Vorstellungen in den Laden (oder ins Netz) gehen. Wie ist die Passform eines Schuhs? Wie sein Laufverhalten? Wie gut isoliert die von mir begehrte Jacke? Laufe ich lieber in Polyester oder Merinowolle? Lest Reviews (zum Beispiel im Trail Magazin), tauscht Euch mit Mitläufer:innen aus. Denn ein Teil, das nicht richtig passt oder nicht richtig gefällt, wird bald ganz unten in der Kiste mit Eurem Sportkrams landen. Übrigens: Als „nachhaltig“ gilt ein Kleidungsstück, das mindestens vierzig Mal getragen wurde. Wir finden: Da geht deutlich mehr.

Kauft nur noch Lieblingsteile

Siehe oben. Denn die nachhaltigsten Textilien sind noch immer jene, die getragen werden, bis sie buchstäblich fadenscheinig geworden sind. Und Hand aufs Herz: Genug Shirt, Shorts und vielleicht sogar Schuhe haben wir eigentlich alle. Irgendein Longsleeve aus dem Sonderangebot wird also nur an die Stelle irgendeines anderen Longsleeves treten und ist dementsprechend ein wirklich überflüssiger Kauf. Die eine, vielleicht auch etwas teurere, Jacke aber, um die ihr schon ein paar Monate herumgeschlichen seid, wird auch Euch noch im übernächsten Winter auf jedem Lauf begleiten.

Repariert Eure Sachen

Zugegeben, längst hat nicht mehr jede:r eine Oma oder Mutter im Haus (oder zumindest im Ort), die noch eine Nähmaschine besitzt und mit dieser sogar umzugehen weiß. Und einen neuen Reißverschluss in die defekte Windjacke einsetzen zu lassen, hat auch seinen Preis. Die Rechnung geht trotzdem mehr als auf. Und überhaupt: Wenn das Patagonia Repair-Café doch der heiße Scheiß auf Instagram ist, warum nicht einen Filterkaffee aufsetzen und sich mit Nadel und Faden daran machen, endlich die Tights zu flicken, mit der ihr im vergangenen Winter in einer Dornenhecke hängengeblieben seid?

Helft Euch gegenseitig aus

Klar, Shirts, Shorts, Schuhe, eine Racevest, eine Regenjacke ... Aber braucht jede:r von uns wirklich einen großen Tourenrucksack? Ein Trekkingzelt? Einen Fahrradträger fürs Auto (oder gar ein Auto)? Oder den für Minusgrade gewappneten Biwak-Schlafsack? Wie bereits erwähnt: Ein Ausrüstungsgegenstand sollte mindestens vierzig Mal benutzt werden. Braucht man einen Ausrüstungsgegenstand deutlich seltener, leiht man ihn sich besser oder teilt ihn unter Sportfreund:innen.

Achtet auf Siegel und Zertifizierungen

Auch wir wünschen uns Produkte, denen wir blind vertrauen können. Auf dem Weg dorthin sind Öko- und Nachhaltigkeitssiegel aber nicht die schlechteste Erfindung. Wenn man weiß, wie damit umzugehen ist. Also, dass etwa der populäre Öko-Tex 100 Standard nichts über faire und umweltschonende Herstellungsbedinungen aussagt. Anders der nur an Bio-Textilien vergebene „Global Organic Textile Standard“: Soziale Aspekte und ökologische Aspekte werden über die gesamte Produktionskette geprüft. Generell sollte man sich nicht blind auf ein Siegel verlassen, sondern nachlesen, wofür die jeweilige Zertifizierung steht.

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REISE Wien Favoriten 2023 VORSCHAU

AUF DIE WIR SETZEN Wer regiert 2023 auf den Rennstrecken rund um den Globus? Diese Damen und Herren könnten bei den wichtigen Events des Sports künftig für Furore sorgen - teilweise haben sie das ja eh schon getan!

Wer wird im kommenden TrailJahr ganz oben stehen auf den Podestplätzen zwischen Chamonix, Innsbruck, Auburn und Garmisch? Ehrlich: Wir wissen es nicht. Aber weil das Spekulieren trotzdem so viel Spaß macht, wollen wir Euch an dieser Stelle unsere Favoriten für 2023 vorstellen. Klar, jeder kennt Jim, Kilian, Courtney und Hannes. Folgende 8 Athlet:innen – vier international sowie vier national – hat vielleicht nicht jeder auf dem Zettel, wenn es um die ganz großen Siege des kommenden Jahres geht. Zu unrecht?

Text: BENNI BUBLAK

Manuel Merrilas: Der 31-jährige Spanier erlebt gerade seinen zweiten Frühling. Die älteren Trail-Hasen unter uns erinnern sich vielleicht noch. In den Jahren, als andere Spanier wie Iker Karrera oder Miguel Heras ihre Hochzeiten erlebten, galt Merillas schon als Trailrunning Super Talent. Einige Jahre war es, zumindest auf internationalem Pakett, etwas ruhiger um ihn. Mit dem Sieg beim OCC und Platz drei in Zegama änderte sich das in diesem Jahr. Merillas große Stärke ist mit Sicherheit der Downhill. Schnell bergauf kann er aber auch, wie er erst kürzlich beim Golden Trail Finale bewies. Für die etwas längeren Sachen ist er mit seinen jungen 31 Jahren im perfekten Alter. Zusammen mit dem Jahrzehnt Trail-Erfahrung, die er im Köcher trägt, ist er für die ganz großen Rennen bis zu 100 Kilometer, wie den Transvulcania, ein Sieg-Kandidat.

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Adam Peterman: Manche meinen der erste UTMB Sieg der USBoys geht nur über ihn. Tatsächlich hat Adam Peterman bis jetzt noch jeden Ultratrail, den er begann, gewonnen. Darunter den Western States und den EM-Ultra in Thailand. Heißt der UTMB Sieger 2023 also nicht Walmsley und ist dennoch ein Ami? Nicht unwahrscheinlich.


Allie McLaughlin: Chamonix diesen Jahres: Eine fast zierliche US-Amerikanerin ließ das komplette Frauenfeld alt aussehen, indem sie, besonders in den Anstiegen, eine ganz eigene Liga aufgemacht hat und allen Konkurrentinnen meilenweit davon lief. Später im Jahr beim Golden Trail Finale und bei der Berglauf-Weltmeisterschaft in Thailand, beweist Allie McLaughlin ihr Ausnahme-Talent und besiegt wahre Größen wie Nienke Brinkmann und Andrea Mayr. Wenn die inzwischen 32-Jährige, der man eine gewisse Verrücktheit nachsagt, ihre pure, fast zügellose Energie in noch produktivere Bahnen gelenkt bekommt, wird sie 2023 auch auf den längeren Distanzen wie dem OCC, aber auch in Zegama kaum zu schlagen sein.

Blandine Lhirondel: Eigentlich ist es fast vermessen, die Französin hier nicht sowieso schon auf die allerhöchste Stufe, nämlich die mit Dauwalter, Brinkmann und Schide, zu setzen. Doch letztendlich ist die Evadict Athletin, gemessen an ihren Erfolgen, noch relativ unbekannt. Das zweite Mal Trailrunning Weltmeisterin und CCC-Siegerin wurde sie dieses Jahr. Wir würden uns nicht wundern, wenn die 31-Jährige, deren Heimat die französische Insel la Reunion ist, 2023 den nächsten Schritt macht, und den UTMB gewinnt.

Daniela Oemus: Die Thüringerin gewann dieses Jahr die nationale Golden Trail Serie, obwohl sie erst zu Beginn des Jahres Mutter wurde. Was ist da erst mit abgeschlossener Familienplanung im Trailrunning verrückten Hause Oemus möglich?

Marcel Westenberger: UTFS, IATF, GGUT, Adamello – vier Ultratrails, vier Siege. Der Soldat aus Berchtesgaden beendet eine perfekte Saison und wird im nächsten Jahr definitiv nicht mehr als Außenseiter gehandelt werden.

Manuel Innerhofer: Eigentlich war dieses Jahr seine erste richtige Trailrunning Saison, sagt der Österreicher. Bergauf hält er problemlos mit der Weltspitze mit. Und bergab kann man ja bekanntlich lernen.

Katharina Harthmuth: Erste beim Eiger und Dritte beim TDS. Die 27 Jahre junge Wahl-Züricherin erzielt schon einige Jahre Spitzenergebnisse, lief aber erst dieses Jahr ins Rampenlicht. Gut möglich, dass dieses im nächsten Jahr noch heller scheint.

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PRODUKTE Für die Wintersaison 22/23 Fotos: CLEMENS NIEDENTHAL

Für die kurzen Tage Die Winter mögen milder sein, aber kalt genug, um das Outfit um eine Lage aufzurüsten. 14 Teile, die ab Dezember Freude machen. Hat den Dreh raus: La Sportiva Cyklon Cross mit zupackendem Boa-System und isolierender Gore-Membran. DER Schuh für Eis und Schnee, 239 Euro

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Rot und Retro: Nostalgisch aufgelegtes, aber zeitgemäß gearbeitetes, stretchiges Langlaufshirt (ob nun mit oder ohne Ski), Logo-Applikation synthetischer Materialmix, Maloja Goldammer, 115 Euro

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PRODUKTE Für die Wintersaison 22/23

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I M P R E S S U M

TRAIL MAGAZIN MESNERWEG 5 83246 UNTERWÖSSEN, TELEFON 08641/9521494

REDAKTION@TRAIL-MAGAZIN.DE AB O -FRAGEN AN: A B O @ T RA I L - M AGA Z I N . D E Chefredakteur & Herausgeber

Denis Wischniewski Redaktion

Benni Bublak Clemens Niedenthal Redaktionsassistenz

Marie Meixner-Brunnhuber Art Direktion & Layout

Denis Wischniewski

Ständige redaktionelle Mitarbeit

Carsten Drilling, Lars Schweizer Fotografie

Harald Wisthaler, Philipp Reiter, Philipp Freund, Adrian Niski, Leo Francis, Jordi Saragossa, Andi Frank, Wandering Fever Titelbild

Lars Gebraad / Model: Nienke Brinkmann TRAIL MAGAZIN erscheint im Trail-Magazin-Verlag ABO-SERVICE

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PRODUKTE Für die Wintersaison 22/23

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Unter die Haube gebracht: stretchiges Alpine-Shirt von Dynafit, für den Winter, für Frauen, 120 Euro

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Das blaue Wunder: Komprimierender, aber angenehm sitzender Baselayer von Modell Warm, synthetischer Materialmix, 60 Euro

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Falke,


PRODUKTE INTERVIEW Für LinadieEl Wintersaison Kott Helander22/23 / Sana El Kott Helander Text: CLEMENS NIEDENTHAL Fotos: ALEXIS BERG

In die Hand versprochen: Funktionale Handschuhe von Kinetixx aus Metzingen, Modell Marati (links), winterwohlig und mit Gore-Windstopper-Membran, 49 Euro, Modell Winn Polar (rechts), windabweisend und smartphonetauglich, 39 Euro

Im Sturm genommen: Rab Sana Stormveil Windstopper Jacke mit Gore-Infinium-Membran, 180 Euro

Kein Fähnlein im Wind: Rab Talus Windstopper Tights, Gore-InfiniumMembran, 150 Euro

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TRA HA I L UN OU T TH ED Trailsocks run among us

www.thywear.com


PRAXISTEST SCOTT ULTRA CARBON RC Gewicht: 300g (M), 270g (W) Sprengung: 5mm Preis: voraussichtlich 190 Euro

Nun präsentiert auch Scott seinen ersten Trailschuh mit einer, auf einer Carbonplatte basierenden Mittelsohlenkonstruktion. Und macht dort weiter, wo man mit dem Straßenschuh Speed Carbon RC vor ziemlich genau einem Jahr stehengeblieben oder besser gesagt vorausgelaufen war. Will heißen: Auch der Ultra Carbon RC setzt auf einen überraschend kompakten, beinahe harten Mittelsohlenschaum, Kinetic Foam genannt, und ein daraus resultierend fast konventionelles Laufgefühl (wenn da die ausgeprägte Rocker-Geometrie nicht wäre). Das dürfte Läufer:innen entgegenkommen, die über den gesamten Fuß abrollen. Und sowieso jenen, die auch von einem etwas schnelleren Schuh und genauso einem Schuh für längere Distanzen eine gewisse Stabilität erwarten. Beides, ein Schuh für schnellere und einer für längere Einheiten, ist der Ultra Carbon RC nämlich unbedingt. Als „Fast Rolling Trails“ benennt Scott selbst seinen bevorzugten Spielplatz. Was der Ultra Carbon RC indes nur bedingt ist: ein Schuh für technische Passagen. Die kompakte Mittelsohle suggeriert zwar einen soliden Stand, wurde aber im wurzeligen Downhill, garniert mit tückischem Herbstlaub, schnell kippelig und unpräzise. Da half auch der durchaus passable Grip nichts. Auch im ausgesetzten Uphill fanden wir ob der ausgeprägten, steifen Rockergeometrie über den Vorfuß keinen rechten Halt. Einmal ins Rollen gekommen aber ist der Ultra Carbon RC ein ausdauernder, agiler und lustvoller Schuh für lange, zügige Einheiten. Unsere Erfahrung vom Bordstein bis zum Gipfel des Hochgern (und wieder hinunter): Je einfacher das Terrain, desto reaktiver (und intuitiver) seine Dynamik. Es steckt eben doch viel Laufschuh in diesem Trailschuh. Überzeugt hat das Obermaterial. Ausgehend von einer so komfortablen wie stabilen Ferse, passt der Mix aus leichten Layern und stabilisierenden Elementen. Der Schuh sitzt komfortabel, seriös und verlässlich, bei einer konventionellen, aber nicht einengenden Passform. Dass er dabei nicht jedes Gramm zählt – geschenkt. Denn trotz des durchaus notierbaren Carboneffekts, sehen wir den Ultra Carbon RC vor allem auf langen, gerne auch ambitioniert angegangenen Distanzen. Für den athletischen, asketischen Sprint gibt es andere Bergspezialisten, bei Scott etwa den leichten Kinabalu RC3.

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INOV 8 Trailfly Ultra G280 Gewicht: 285g (M), 260 (W) Sprengung: 8mm Preis: 189 Euro

Etwas angetippt (nicht beeinflusst) vom durchaus negativen Testresultat eines Trailrunning-Blogs, halte ich nun den neuen Inov-8 Trailfly Ultra G280 in den Händen, den ich bereits auf der UTMB-Expo entdeckt hatte. Mein Interesse an diesem Schuh ist zweifellos groß. Er steht beim britischen Trailschuhhersteller offenbar für einen weiteren Step in der Entwicklung und Ausrichtung - weg vom reinen Offtrail- und Fellrunningschuh, hin zum kompletten Laufschuh, der sich auf Trails gut schlägt und Laufspaß generiert. Tatsächlich ist der Trailfly Ultra robuster und fester als erwartet. Das Mesh-Obermaterial hat durchaus echte Protektionsschutz-Fähigkeiten und ist dicht. Interessant wird das erste Reinschlüpfen: Anders als bei früheren Inov-8-Modellen überrascht ein konkreter „Fit“, der für direkten Komfort sorgt. Um den Schuh an den Fuß zu bringen, muss man nur wenig mit der Schürung arbeiten. Das kannte ich von Vorgängern der Marke anders. Auf den ersten flachen Metern wird rasch klar, dass der Schuh eine gewisse Laufdynamik hat, dass er über die ganze Sohle rollt und in keinen speziellen Laufstil zwingt. Das empfinde ich als angenehm. Die Dämpfung ist straff, aber nicht unkonfortabel, und vermittelt für die Masse an Material ein relativ direktes Laufgefühl. Über den Vorfuß hat man eine gute Kommunikation zum Untergrund, im roughen Gelände könnte etwas Schutz gut tun. Im Fazit mag ich das Adjektiv„solide“ verwenden, denn der Trailfly ist ein Allrounder für Landschaftslauf, Trainingstrail und kurze Ultratrails. Ich hätte den Schuh ehrlich gesagt gerne etwas minimalistischer und gleichzeitig weicher gesehen. Der vom Hersteller verwendete Flyspeed-Foam ist ein Schaum mit hoher Dichte – und meines Erachtens zu wenig Energie-Rückgewinnung. Ein Meister des maximalen Grips ist die Graphene Aussensohle, die wie schon beim G300 brutal zupackt und Spaß in jedem Terrain macht.

DYNAFIT Alpine Reflective Jacke Preis: 160 Euro Gewicht: 370 Gramm (Men's L)

Eine technisches und elegantes Winteroberteil gefällig? Dynafit liefert mit der Alpine Reflective ein durchdachtes Produkt. Uns gefällt die Kehrtwende: weg von den knalligen Neon-Farben, hin zu mehr Schlichtheit. Die aktuelle Herbst/Winterkollektion überzeugt mit dezenten Farben inklusive kleiner, klarer Details. Die Sichtbarkeit wird durch reflektierende Elemente dennoch gewahrt. Die schlanke Passform und das stretchige Material machen wirklich jede Laufbewegung mit. Gleichzeitig ist die Jacke in Kombination mit einem langen Baselayer so wärmend, dass sie für die meisten trockenen Winterlauftage ausreichend ist. Weht der Wind doch mal stärker, wird die enge Kapuze übergezogen. Außerdem sorgt windabweisendes Nylon im Brust und Schulterbereich für Schutz. Unser Highlight: Die cleveren Aussparungen am Ärmel – perfekt um Pace und Uhr stets im Blick zu behalten, ohne das Handgelenk den Elementen aussetzen zu müssen. Auch als Frauenvariante erhältlich, genauso schwarz aber leider nicht ganz ohne Pink.

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PRAXISTEST

ALTRA MONT BLANC BOA Gewicht: 317g (M), 264g (W) Sprengung: 0 mm Preis: 220 Euro

NEW BALANCE Fresh Foam X Hierro v7 Gewicht: 301g (M), 270g (W) Sprengung: 8mm Preis: 150 Euro

220 Euro für einen Trailschuh? Ist eine Ansage. Ob das am doppelten BOA-Verschluss liegt? Das derzeit einzige Konkurrenzprodukt mit ebenfalls zwei BOA Verschlüssen, stammend von der Marke Speedland, kommt schließlich noch hochpreisiger daher. Vor gut drei Jahren gab es dieses Konzept des Doppel-Drehs schonmal an einem Schuh, machte aber keine Schule. Der Fresh Foam Hierro BOA war dafür dann vielleicht doch der falsche Schuh. Über die Wrapping Konstruktion der österreichischen Marke BOA haben wir uns ja schon des öfteren positiv geäußert. Auch beim Mont Blanc erfüllt sie ihren Job nun mit doppelter Präzision. Mit dem hinteren Drehverschluss bekommt man den Mittelfuß sehr gut im Schuh fixiert, während das vordere Rad den Vorfuß kurz hinter den Zehen zu stabilisieren vermag. Wer hier viel Freiheit braucht bzw. als regelmäßiger Altra Kunde auch gewohnt ist, der lässt den vorderen Verschluss einfach offen. Der Lauffreude tut dies keinen Abbruch. Gerade im Uphill kann es sehr angenehm sein. Im technischen Downhill reicht dann ein Griff nach unten, um für mehr Sicherheit zu sorgen. Apropos technischer Downhill – dort performt der Mont Blanc Boa überraschend solide. Die nicht vorhandene Sprengung verleiht ihm hier, trotz seiner eher üppigen und komfortabel ausgelegten Dämpfung, viel Sicherheit. Ja die Dämpfung ist dann neben dem BOA-System auch das Highlight dieses Schuhs, für den Lauffreude und Responsivität absolut keine Fremdwörter sind. Ein Problem haben wir dann aber leider doch. Der Fersenhalt bleibt, auch wenn man den BOA-Verschluss voll anzieht, eher vage. Schade. Weil der Mont Blanc BOA ansonsten der Perfektion sehr nahe kommt. Vor allem für Ultratrailläufer, die sich gern ausufernd im alpinen Gelände bewegen.

Ich gestehe, ich habe mich täuschen lassen, denn die neue, siebte Version des Hierro erschien mir aus der Schachtel heraus unscheinbar und mit wenig Überraschungsmomenten und wenig alpiner Expertise ausgestattet. Bis dato war der technische und optische Step, gerade von der V4 auf die V5, beim Hierro ja immer intuitiv sicht- und spürbar. Diesmal wirkt der Schuh wieder weniger extravagant, einmal hineingeschlüpft ist er schmaler geschnitten und, ja!, im Detail verbessert. Der neue Hierro ist, das darf man sagen, der Beste Hierro und aktuell einer der komplettesten und komfortabelsten Trailschuhe auf dem Markt. Eine Vibram-Aussensohle verspricht Megagrip und überzeugt mich tatsächlich durch eine neue Stollenanordnung mit mehr Traktion. Was vom ersten Meter auffällt: Die Dämpfung, durch Fresh Form Mittelsohlen-Schaum, weich und reaktiv, macht unfassbar viel Freude und sorgt für Leichtigkeit beim Laufen auf flachen Waldwegen, Schotterpisten, aber auch auf schmalen Trails. Fazit: Superstabil, üppig gedämpft, konkreter im Fit, dynamischer und durchaus ein Allrounder, der sich flotte Kurzstrecken am Berg aber auch die stoischen 100 Kilometer im Wanderschritt zutraut. Ein Wolf im Schafspelz also. Und ein rundum gelungener Trailschuh, dessen Sneakers-Look uns zunächst an der Nase herumgeführt hat.

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ADVERTORIAL Trailrunning Menorca

MENORCA, 365 TAGE TRAILRUNNING Die wunderschöne spanische Insel im Mittelmeer bietet fünf Laufveranstaltungen vor einer traumhaften Naturkulisse. Bist Du bereit, sie zu entdecken?

Menorca ist für sein Image als Insel der Sonne und des Strandes bekannt. Seit Jahren arbeiten die Einwohner Menorcas daran, die kleine spanische Insel im Mittelmeer in ein Reiseziel zu verwandeln, das neben weißem Sand und türkisblauem, kristallklarem Wasser in den Sommermonaten auch ein umfassendes Angebot an sportlichen Aktivitäten für Trailrunning-Liebhaber bietet. Es erwarten Dich fünf Routen, um den Camí de Cavalls zu entdecken: Eine Strecke mit einer mehr als 300-jährigen Geschichte, welche die Insel umrundet und sowohl über Strände als auch felsige, unbefestigte und asphaltierte Wege führt und durch einige Waldabschnitte. Bei diesen Laufveranstaltungen entdeckst Du auch die vielfältige Gastronomie Menorcas, das große kulturelle Angebot der Insel mit modernen Kunstgalerien, und verschiedenen prähistorischen Fundstätten. Hervorzuheben sind die großen Bemühungen der lokalen Behörden mit diesen Laufveranstaltungen, die von der Fundació Foment del Turisme de Menorca und der Agència d’Estratègia Turística de les Illes Balears unterstützt werden, in Zusammenarbeit mit dem von der Europäischen Union (Next Generation EU) finanzierten Plan für Wiederaufbau, Transformation und Resilienz der spanischen Regierung. Menorca ist ein ideales Reiseziel für Alleinreisende, Paare oder Familien,

in jedem Monat des Jahres. Mit diesen Laufstrecken entdeckst du bekannte Orte wie die Strände von Cavalleria, Binimetl·là, Cala Pilar, Son Bou, Son Saura oder Macarella. Ein Traumziel für Trailrunning. Alle Informationen findest du auf www.illadelstrails.com und www.trailmenorca.com TRAIL DELS FARS – AM 4. FEBRUAR Der erste Lauf des Illa dels Trails bietet eine herausfordernde Strecke durch den Norden der Insel mit 3 verschiedenen Distanzen: 46 Kilometer mit Start am beeindruckenden Leuchtturm von Cavalleria, 21 Kilometer mit Start in La Vall und 12 Kilometer mit Start in Son Morell. Es handelt sich um eine sehr bergige Strecke. TRAIL DEL NORD – AM 1. APRIL Diese Route hat 3 verschiedene Distanzen: 45 Kilometer, 24 Kilometer und 12 Kilometer. Die 45 Kilometer sind spektakulär, mit einer anspruchsvollen Route und einer wunderschönen Aussicht von der Burg von Santa Águeda. Wenn du am Ziel ankommst, erwartet dich eine große Feier im Hotel TRH Tirant Playa.

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TRAIL DELS FARS NOCTURNA – AM 16. SEPTEMBER Läufst du gerne nachts? Dann ist diese Strecke perfekt für dich. Wähle zwischen 23 oder 12 Kilometern durch den Naturpark Albufera des Grau unter einem spektakulären Sternenhimmel. Menorca ist eine Starlight-Destination und bietet eine ideale Aussicht auf die Sterne. OKTOBER TRAIL – AM 21. OKTOBER Wenn du Bier und Laufen magst, ist diese die richtige Route für dich. Wir bieten dir Strecken von 32, 19 oder 12 Kilometern entlang der spektakulärsten Strände der Insel. Erreiche die Ziellinie und genieße ein Fest mit Musik und Essen dank des Lago Resort Menorcas. 2022 nahmen mehr als 1.400 Personen an diesem Lauf teil und tanzten danach bis spät in die Nacht. MENORCA CAMÍ DE CAVALLS TRAIL – AM 19., 20. UND 21. MAI Die bekannteste Trailrunning-Route Menorcas mit mehr als 2.000 Teilnehmern. Dich erwarten 7 verschiedene Strecken: Ein 185-Kilometer-Lauf rund um die Insel, das gleiche in Staffeln, ein 100-Kilometer-Nachtlauf an der Nordküste und ein 85-Kilometer-Lauf an der Südküste. Es gibt auch Strecken von 58, 44 und 27 Kilometern, die man auch im Gehen zurücklegen kann.


PRAXISTEST

FALKE RU Trail Preis: 20 Euro

Was eine Trailsocke von einer Laufsocke unterscheidet? Vielmehr: Was sie über eine gewöhnliche Laufsocke erhebt? Aber darum muss es im Folgenden gar nicht gehen. Was daran liegt, das die Falke RU Trail am Ende dieses Testes einfach eine ganz unspektakuläre, aber spektakulär gute Laufsocke ist. Reibungslos verarbeitet. Perfekt und griffig sitzend, dabei nicht einengend (Falke selbst sagt sogar: stabilisierend!). Und geradezu flauschig, trotz der rein synthetischen Materialität. Was mir, das sei dazugesagt, bei Laufsocken weiterhin am besten taugt. Zumal über alle möglichen Lauftemperaturen und -wetter betrachtet. Trailspezifische Features? Vielleicht das aufgebauschte Pattern über dem Knöchel. Aber auch das sieht eher cool aus, als dass es wirklich vor einer Wurzel oder einem spitzen Stein schützen würde. Vielmehr gefällt uns an der RU Trail die Ausgewogenheit aus Minimalismus und Tragekomfort und, ja, auch der nostalgisch melierte Wandersockenlook. Kurzum: Die RU Trail ist eine Socke, über die man sich keine Gedanken machen muss. Und das vom (ehemaligen) Marktführer, über den wir uns in der Trail-Redaktion zuletzt ja vielleicht zu wenige Gedanken gemacht haben. Verschiedene Farben, nur eine, knöchelhohe, Länge.

HOUDINI The Orange Jacket Gewicht: 196 Gram (Men's L) Preis: 300 Euro

Die neue Orange Jacket gibt es auch in Orange, aber das ist nicht der Grund für den Produktnamen. Vielmehr geht es dabei um das Packmaß der wasserdichten Regenjacke aus Stockholm, das nicht größer als die Frucht ist. Nun gut. Selten eine solch komplette und gute Laufregenjacke getragen – das beginnt mit dem Schnitt, der relativ relaxed ist und dennoch körpernah genug, um als echte Laufsportjacke zu funktionieren. Am Ende zählen hier vorallem auch die Details, wie eine Kapuze, die perfekt sitzt, ein Kragen, der nicht stört, ein Zipper, der reibungslos bedienbar ist. Die in Japan (!) produzierte Jacke überzeugt umfänglich mit einem ultraleichten 3-Lagen-Konzept, das für unsere Augen längst wie eine einzige Lage funktioniert. Ein wenig erinnert das Material an eine „Natur-Version" des bekannte Gore-Tex Shakedry Stoffes, wir haben es hier aber mit tatsächlich zu 100 Prozent recyceltem PolyesterJersey zu tun. Dass Houdini mit dieser Jacke einen gewaltigen Schritt von cleverer, nachhaltiger Outdoor-Fashion hin zum Performance-Produkt gehen, hat mich überrascht und überzeugt. Diese Regenjacke muss für alle, die für 2023 eine Pflichtausrüstungs-Jacke suchen, in die engste Auswahl kommen. Am Ende sei noch erwähnt, dass die Orange Jacket mit 46.000 g/m2/24 h erfreulich atmungsaktiv ist und mit 20.000 mm Wassersäule als lange wasserdicht gelten darf.

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27.-30. JULI 2023

GROSSGLOCKNER

ULTRA-TRAIL® 110 km | 6.500 hm

Einer der härtesten Ultra Trails. Rund um den Großglockner.

OSTTIROL

TRAIL

GROSSGLOCKNER

TRAIL

84 km | 5.000 hm

57 km | 3.500 hm

Durch die schönsten Teile der Glocknergruppe.

Der Klassiker entlang des Großglockners.

GLETSCHERWELT

KAPRUN SCENIC

TRAIL

TRAIL

37 km | 1.500 hm

16 km | 1.000 hm

Eintrittstor in die Welt des GGUT.

Zu den schönsten Ausblicken im Kapruner Tal

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TEAM Trail Magazin Salomon Rookie Team Anne

Louis

Michelle Anna Lukas

Timon

DAS WAR SPITZE!

Das Trail Magazin Salomon Rookie Team hat seine erste Saison hinter sich und wir sind schwer begeistert davon, was die fantastischen Sechs so auf Trails legten. Siege, Top-Platzierungen und die jugendliche Lust, einfach krass zu laufen. Text: BENNI BUBLAK Foto: CLEMENS NIEDENTHAL

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Michelle Hassel:

„„Wenn mir letztes Jahr jemand erzählt hätte, was ich dieses Jahr alles erleben und erreichen würde, hätte ich das eher für einen Scherz gehalten. Dieses Jahr war unbeschreiblich und übertrifft meine Träume!“

Michelle hat Feuer gefangen. Das merkt man in jeder Sekunde, die man mit ihr spricht und kommuniziert. Dieser Sport hat sie gefangen. Es macht daher keinen Sinn, all die Events aufzuzählen, bei denen sie am Start war. Aber einer ragte dann doch heraus: Mit dem Heimatverein BergziegenHD war sie beim Team-Event der Infinite Trails am Start. Ein perfektes Wochenende. Für das kommende Jahr ist sie höchst motiviert, will ihr Training professioneller gestalten und viele offene Ideen umsetzen. In der neuen Heimat Ljubljana hat sie die Alpen nun fast vor der Haustür.

Timon Günther:

„„Als „Halbprofi“ etwas mehr in die Trail-Community reinzurutschen und auch mal erkannt zu werden, schmeichelt natürlich. Wichtig ist mir aber, bei mir zu bleiben“

Timon ist ein intelligenter junger Mann. Erst dieses Jahr beendete er erfolgreich sein Masterstudium. Wie und wann er das machte, ist uns ein Rätsel. Dass Timon auch nur ein paar Sekunden am Tag nicht ans Trailrunning denkt, ist unvorstellbar. ZUT, Chiemgauer100, Ultra-Trail Fränkische Schweiz, Mozart Ultra – Timon hat sie dieses Jahr alle gefinisht. Immer Top Ten. Und da haben wir noch nicht über das große Highlight gesprochen. 24 Jahre jung und schon UTMB-Finisher. Es ist unmöglich, diesen Typen zu bremsen. Nicht, dass wir es nicht versucht hätten.

Louis Wachsmann:

„„Durch das Trailmagazin bin ich voll in die Trail-Bubble gerutscht. Nicht jeder Wettkampf lief optimal, aber ich habe viel Erfahrung gesammelt und den Sport besser verstanden.“

Der Thüringer ist die Spaßkanone und Frohnatur des Teams. Ernsthafte Trailrunning-Ziele hat er natürlich trotzdem. Angesichts seiner jungen 19 Jahre ist es aber nur zu begrüßen, dass auch die Zerstreuung nicht zu kurz kommt. Schließlich hat das Lauf-Talent noch viele Jahre vor sich. Sein Jahres-Highlight war, wie könnte es als Thüringer anders sein, der Rennsteiglauf. Beim stark besetzten Marathon lief er als Gesamt 20. ins Ziel. Seine Altersklasse hat er natürlich gewonnen.

Anna Geistanger:

„„Mein Ziel für die Saison war „einfach mal ausprobieren' und genau das hab ich gemacht: Ich weiß nicht, ob das Trailrunning mich gefunden hat oder ich das Trailrunning, auf jeden Fall sind wir ein gutes Team geworden.“

Mit ihren erst 17 Jahren ist Anna das Küken im Team. Ausprobieren ist da definitiv genau die richtige Herangehensweise. Neben den kurzen Distanzen beim ZUT, Mountainman und Mozart100, fand das Highlight des Jahres für die junge Chiemgauerin abseits der geliebten Trails statt. Beim Siegsdorfer 6-Stunden-Lauf wuchs sie über sich hinaus und lief das erste mal die Marathondistanz. Und weil es soviel Spaß machte, hängte sie noch acht Kilometer dran.

Lukas Schwella:

„„Die Leidenschaft Trailrunning entwickelte sich dieses Jahr vom reinen Hobby in Richtung Professionalisierung. Es ist für mich der Sport, in dem ich voll und ganz aufgehe und das genießen kann, was ich am meisten liebe.“ Der Schwabe und Wahl-Innsbrucker hat große Pläne. In Mayrhofen, Salzburg und Innsbruck lief Lukas dieses Jahr Wettkämpfe. Darunter sogar seinen ersten Ultra, die 75 Kilometer beim Mozart100. Eine Ausnahme. Der 19-jährige ist schlau und weiß, dass die Ultra-Distanzen noch Zeit haben. Sein Saisonhighlight war die Teilnahme bei der Skyrunning Weltmeisterschaft in Andorra, auch wenn aufgrund eines kleinen Infektes nicht alles nach Plan lief. Ein 16. Platz beim Vertical und ein 18. Platz beim Skyrace können sich dennoch sehen lassen. Ohnehin waren es vor allem die neuen Bekanntschaften und die faszinierende Bergwelt der Pyrenäen, die für Lukas nachhaltig von Wert sind.

Anne Struijk:

„„Ich wollte immer mehr und bessere Leistungen erzielen. Schon bald war ich mir sicher, dass ich in der kommenden Saison höhere Ziele haben werde und dafür mehr Zeit investieren will.“

Die ehemalige Triathletin hat nach einer längeren Sportpause erst Anfang des Jahres wieder angefangen zu laufen. Das Trailrunning hat sie abgeholt. Ihr Saisonhighlight war ein starker zweiter Platz über die Halbmarathondistanz beim Mozart100. Bei über 35°C war dieses Rennen härter als jeder ihrer vergangenen Triathlon Wettbewerbe, berichtet sie uns. Für die kommende Saison hat sie sich neue Ziele gesteckt, will aber auch das Erlebnis in den Bergen nicht zu kurz kommen lassen.

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MORAL Sportsucht

Verantwortung und Feingefühl Übertraining, Sportsucht, Anorexia athletica – der Grad zwischen wunderschönen und zunehmend zwanghaften Läufen ist manchmal so schmal, wie der der Trail. Steht es mir als Außenstehende:r zu, ein:e Läufer:in auf eine in meinen Augen ungsesunde Einstellung zum Sport hinzuweisen? Liebe Redaktion, Ich bin seit einigen Jahren jeden Samstag mit einem Lauftreff unterwegs. wobei wir mit den Jahren mal losere, mal bessere Freund:innen geworden sind. Meine Frage, nein, mein moralisches Dilemma betrifft nun zwei Läuefer:innen, die noch recht jung in unserer Runde sind. Eine junge Frau, alleinerziehende Mutter, die jedes Mal auf den letzten Drücker zu den Läufen kommt, aber immer die lange Runde mit der schnellen Truppe angeht, was sie merklich an ihre Gernzen bringt. Der andere ist ein Läufer in seinen Dreißigern, Trainingsweltmeister, überambitioniert und gefühlt von Samstag zu Samstag ausgemergelter. Er nimmt sich viel vor, bricht dann aber beinahe jedes Rennen ab. Und wenn wir uns mit dem Lauftreff mal auf eine Pizza treffen, sagt er mit fadenscheinigen Argumenten ab. Steht es mir zu, die beiden auf einen, in meinen Augen, ungesunden Umgang mit dem Sport hinzuweisen? Martin W. aus Ulm

Lieber Martin, ich musste da sponatn an zwei ebenfalls eher lose Laufbekannte von mir denken. Die eine humpelt gerade mit einem Entlastungsschuh durch die Gegend. Eine Ermüdungsfraktur des Fersenknochens, Resultat von tatsächlich aggressiv gesteigerten Laufumfängen. Der andere kann momentan allenfalls Speedhiken, bei absoluter Kontrolle seiner Herzfrequenz. Eine Herzmuskelenzündung, Resultat eines verschleppten Infekts. Und beides wäre nicht so gekommen, wenn die eine nicht permanent von ihrem Umfeld (auch von jenen, die gar nicht selbst laufen) suggeriert bekommen hätte. was für coole, krasse Distanzen sie plötzlich läuft. Und wenn der andere nur eine Idee davon gehabt hätte, dass der Sommer auch ohne Alpenüberquerung mit der Rennradclique wunderbar geworden wäre. Kurz: dass es eine Freizeit, ja eine Freiheit jenseits des Ausdauersports geben kann. Um auf Deine beiden Laufbekanntschaften zurückzukommen. Hier sehe ich die Fakten tatsächlich unterschiedlich gelagert. Die junge Läuferin wird sogar dankbar sein für deine Analyse. Vermutlich ist sie selbst noch auf der Suche, ihre pesönliche Version des Laufens zu fin-

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den. Und wenn nicht, dann ist es auch okay, dass sie ihr Glück in solchen „All out"-Läufen sucht. Abschalten durch Auspowern, andere gehen dafür zum Boxen, oder zum Cross Fit. Der zweite von Dir geschilderte Fall scheint mir da dringlicher. Und sollte es keine:n in Eurer Gruppe geben, der enger mit diesem Läufer befreundet ist, solltest Du den direkten Kontakt suchen. Rechne aber nicht damit, dass Deine Worte auf offene Ohren stoßen. Wahrscheinlich ahnt der arme Kerl ja bereits, dass sein Verhältnis zum Laufen zunehmend zwanghaft geworden ist. Was ihn für Deine Argumente noch einmal unempfänglicher macht. Vielleicht wirst Du aber in einigen Wochen oder Monaten Veränderungen seines (Lauf-)Verhaltens feststellen. Signalisiere ihm bis dahin: Du hast immer ein offenes Ohr.



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